Erfolglose Rüge der fehlerhaften Bewertung der Schutzwürdigkeit eines als Wochenendhausgebiets ausgewiesenen Baugebiets im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 2 Abs. 2 EnLAG
Gesetze: § 2 Abs 2 EnLAG, § 4 Abs 1 UmwRG, § 4 Abs 1a UmwRG, § 6 S 1 UmwRG, § 43 Abs 3 EnWG 2005
Tatbestand
1Die Kläger wenden sich gegen einen Planfeststellungsbeschluss für eine Höchstspannungsfreileitung.
2Gegenstand des von der Bezirksregierung Münster unter dem erlassenen Planfeststellungsbeschlusses ist die Errichtung und der Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsleitung Wesel - Pkt. Meppen im Abschnitt Pkt. Nordvelen - Pkt. Legden Süd. Vorhabenträgerin ist die Beigeladene. Das Vorhaben ist Teil des in der Anlage zu § 1 Abs. 1 EnLAG unter Nr. 5 aufgeführten Vorhabens "Neubau Höchstspannungsleitung Dörpen/West - Niederrhein, Nennspannung 380 kV", das in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EnLAG als Pilotvorhaben für den Einsatz von Erdkabeln benannt wird.
3Der ausschließlich als Freileitung geplante, 15,3 km lange Abschnitt soll in weiten Teilen als Ersatzneubau in der bestehenden Trasse einer 220-kV-Freileitung (Bl. 2304) zwischen dem vorhandenen Mast 77 und dem Mast 114B umgesetzt werden. Im Bereich der Ortslage der Stadt Gescher verlässt die geplante Leitung den Trassenraum der alten Leitung auf einer Länge von 2,6 km. Die Leitung wird über 3,2 km von Mast 89 bis Mast 96A in Richtung Nordwesten verschwenkt, wodurch insbesondere ein bislang überspanntes Gewerbegebiet umgangen wird. Der geplante Trassenverlauf quert hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Flächen, die teilweise in einem Landschaftsschutzgebiet liegen; daneben werden auf einer jeweils kurzen Strecke ein Waldgebiet und das FFH-Gebiet "Berkel" und das Naturschutzgebiet "Berkelaue" überspannt.
4Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 sind unmittelbar eigentumsbetroffen. Grundstücke des Klägers zu 1 werden für den Standort von Mast X, für Schutzstreifen sowie für eine temporäre Zuwegung, ein Grundstück der Klägerin zu 2 wird ebenfalls für eine Zuwegung in Anspruch genommen. In der Sache geht es allen drei Klägern aber in erster Linie um den Schutz des "Wohnparks/...". Dieser wird von der Klägerin zu 3 betrieben. Er wurde auf Grundstücken errichtet, die im Eigentum des Klägers zu 1 stehen. Ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1976 trifft die Festsetzung "SW-Wochenendhausgebiet".
5Am haben die Kläger Klage erhoben. Mit ihrer fristgerecht eingereichten Klagebegründung wenden sie sich dagegen, dass die Höchstspannungsleitung lediglich einen Abstand von ca. 120 m zum Wohnpark einhalte und damit zu nahe an die dort errichteten Gebäude heranrücke. Der Wohnpark sei wegen Funktionslosigkeit des ursprünglichen Bebauungsplans als faktisches Wohngebiet einzuordnen. Dem Schutzbedürfnis der Bewohner sei durch eine Erdverkabelung Rechnung zu tragen. Des Weiteren rügen die Kläger eine unzureichende faunistische Bestandserfassung.
6Auf den Antrag der Klägerinnen in einem Parallelverfahren hat der Senat mit Beschluss vom (- 4 VR 3.21 -) die aufschiebende Wirkung dieser Klagen in Bezug auf die Westumgehung Gescher wegen Mängeln der FFH-Vorprüfung für das FFH-Gebiet Berkel angeordnet. Die Planfeststellungsbehörde hat daraufhin auf Antrag der Beigeladenen ein ergänzendes Verfahren durchgeführt und unter dem einen Planergänzungsbeschluss erlassen.
7Die Kläger machen nun auch Verfahrensfehler im ergänzenden Verfahren geltend und erweitern ihr Vorbringen zum Naturschutzrecht.
8Die Kläger beantragen,
den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Münster vom für die Errichtung und den Betrieb der 380-kV-Höchstspannungsleitung Wesel - Pkt. Meppen (Bauleitnummer 4201) im Abschnitt Pkt. Nordvelen - Pkt. Legden Süd in Gestalt des Planergänzungsbeschlusses vom für den Bereich zwischen Mast 85 und Mast 97 aufzuheben.
9Der Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klagen abzuweisen.
10Sie verteidigen den Planfeststellungsbeschluss.
Gründe
11Die Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss, dem der Planergänzungsbeschluss angewachsen ist ( 9 A 1.13 - BVerwGE 150, 92 Rn. 14), sind zulässig, aber nicht begründet.
12Der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 2 können jeweils eine Verletzung ihres Eigentumsrechts geltend machen. Als enteignungsbetroffenen Grundstückseigentümern steht ihnen ein Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Planfeststellungsbeschlusses auf seine objektive Rechtmäßigkeit (sog. Vollüberprüfungsanspruch) zu, soweit der geltend gemachte Fehler für die Inanspruchnahme ihrer Grundstücke kausal ist ( 9 A 64.07 - BVerwGE 134, 308 Rn. 24, vom - 4 A 5.18 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 10 Rn. 12 und vom - 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 25 ff., 34 ff.). Die Kläger zu 1 und zu 2 tragen mit ihrer Antragstellung dieser Einschränkung Rechnung.
13Die Klägerin zu 3 als Betreiberin des auf Grundstücken des Klägers zu 1 errichteten Wohnparks/... kann wegen der Betroffenheit in einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb jedenfalls die nicht ordnungsgemäße Abwägung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange rügen, was ebenfalls auf lediglich örtlich begrenzte Auswirkungen führt. Des Weiteren kann sie sich auf Normen des Verfahrensrechts berufen, soweit diese drittschützend oder - wie auch für die Kläger zu 1 und 2 - nach Maßgabe des § 4 UmwRG rügefähig sind.
14Die Kläger können im beantragten Umfang weder die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses in der Fassung des Planergänzungsbeschlusses noch - im Aufhebungsantrag als Minus enthalten - die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit verlangen. Denn der Planfeststellungsbeschluss verletzt - nach Maßgabe des durch den gemäß § 6 Satz 1 UmwRG fristgerechten Vortrag bestimmten Prozessstoffs ( 4 A 13.20 - BVerwGE 176, 39 Rn. 12) - die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15A. Der Planfeststellungsbehörde sind vor Erlass des Planergänzungsbeschlusses keine beachtlichen Verfahrensfehler unterlaufen.
161. Unter Verweis auf den Wortlaut des § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG NRW vertreten die Kläger die Auffassung, materielle Fehler - hier solche des Artenschutz- und Habitatrechts - könnten nicht im Wege eines ergänzenden Verfahrens geheilt werden. Dem ist nicht zu folgen.
17Zum einen ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 75 Abs. 1a Satz 2 VwVfG - bezogen auf seinen unmittelbaren Regelungsbereich der Korrektur eines gerichtlich festgestellten Fehlers - entsprechend anwendbar ist bei Verstößen gegen striktes Recht, die der Abwägung Schranken setzen (vgl. 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <268>, vom - 9 A 14.12 - BVerwGE 148, 373 Rn. 153 und vom - 7 A 1.15 - BVerwGE 156, 20 Rn. 48; siehe auch Kupfer, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 75 VwVfG Rn. 80).
18Zum anderen - und das ist letztlich entscheidend - trifft die genannte Vorschrift keine Regelung für die hier gegebene Fallkonstellation. § 75 Abs. 1a VwVfG setzt die materielle Befugnis der Planfeststellungsbehörde zur Behebung eines Mangels des Planfeststellungsbeschlusses voraus. Die Bestimmung schließt es folglich nicht aus, dass die Planfeststellungsbehörde jederzeit wegen eines von ihr erkannten oder auch nur als möglich angesehenen Mangels von sich aus die entsprechenden Schritte unternimmt und im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens vor dessen rechtskräftigem Abschluss - wie hier auf eine gerichtliche Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - das Verwaltungsverfahren an der Stelle, an der der im Eilverfahren bezeichnete und auch darüber hinaus weitere Fehler unterlaufen sind, wieder aufnimmt und einen unselbständigen Abschnitt eines einheitlichen Verfahrens hinzufügt (vgl. 4 A 15.02 - NVwZ 2003, 485 <486> [insoweit in BVerwGE 117, 149 nicht abgedruckt], und zuletzt vom - 7 C 22.17 - Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 30 m. w. N.).
192. Die materiellen Grenzen für die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens im Sinne einer Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens sind hier nicht überschritten. Ein solches Verfahren ist nur zulässig, wenn ein hinreichender Zusammenhang mit dem ursprünglichen Verfahren besteht und das jetzige Verfahren nicht der Sache nach als gänzlich neues Verfahren erscheint. Die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens setzt folglich voraus, dass der festgestellte Mangel nicht von solcher Art und Schwere ist, dass er die Planung als Ganzes in Frage stellt. Das ergänzende Verfahren darf nicht dazu führen, die Planung in ihren Grundzügen zu verändern. Die Identität des planfestgestellten Vorhabens darf nicht angetastet werden. Eine Fehlerbehebung im ergänzenden Verfahren scheidet demnach aus, wenn der Mangel einen "zentralen Punkt" betrifft, der sich nicht bereinigen lässt, ohne dass ein gänzlich neues Zulassungsverfahren durchgeführt wird ( 4 C 5.07 - BVerwGE 132, 123 Rn. 75). Das ist hier nicht der Fall. Denn mit der Überarbeitung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung wird entgegen der Auffassung der Kläger nicht generell die konzeptionelle Gestaltung der Planung als Ganzes infrage gestellt. Vielmehr bezieht sich die FFH-Verträglichkeitsprüfung nur auf einen kleinen Ausschnitt einer Vielzahl von im Planfeststellungsverfahren zu würdigenden Sach- und Rechtsfragen. Die Identität des planfestgestellten Leitungsvorhabens ist davon nicht berührt.
203. Die Planfeststellungsbehörde durfte von einer Erörterung im Sinne von § 73 Abs. 6 VwVfG NRW absehen. Auf das ergänzende Verfahren als Fortsetzung des Ausgangsverfahrens ist § 43d EnWG jedenfalls entsprechend anzuwenden. Dabei ist der ausdrückliche Verweis in § 43d Satz 1 (i. V. m. § 43 Abs. 4 und 5) EnWG auf § 76 Abs. 1 VwVfG NRW nicht so zu verstehen, dass damit die in § 76 Abs. 2 und 3 VwVfG NRW eröffneten Möglichkeiten beschränkt werden sollten, in Fällen unwesentlicher Änderung - hier die Änderung von Nebenbestimmungen durch die Hinzufügung neuer Maßnahmenblätter - von einem neuen Planfeststellungsverfahren nach Absatz 2 abzusehen oder nach Absatz 3 auf ein Anhörungsverfahren und damit einen Erörterungstermin nach § 73 Abs. 6 VwVfG NRW sowie auf die öffentliche Bekanntgabe des Planergänzungsbeschlusses zu verzichten ( 4 A 9.19 - UPR 2022, 98 Rn. 35).
214. Die Kläger wurden ausreichend beteiligt. Nach § 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG NRW genügt selbst für den Fall, dass nach der Änderung eines Plans Belange Dritter erstmals oder stärker als bisher berührt werden, eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen. Dies muss erst recht gelten, wenn der Plan im ergänzenden Verfahren nur geringfügig geändert wird (vgl. auch 4 A 13.20 - BVerwGE 176, 39 Rn. 19 und vom - 4 A 10.20 - juris Rn. 15).
225. Das Vorbringen der Kläger zur mangelnden Beteiligung weiterer Teile der betroffenen Öffentlichkeit führt auf keinen beachtlichen Verfahrensfehler. Soweit die Kläger rügen, dass im Planergänzungsverfahren nicht abgeklärt worden sei, ob aufgrund neuer Betroffenheiten weitere Träger öffentlicher Belange zu beteiligen waren, wird nicht ansatzweise aufgezeigt, inwieweit dies hätte erforderlich sein können. Erst bei solchen Anzeichen wäre es im Rahmen der Verteilung der Darlegungslast am Beklagten, sein Unterlassen zu begründen. Ist demnach ein Verfahrensmangel nicht dargetan, kann offenbleiben, wie dieser nach § 4 Abs. 1 und 1a UmwRG einzuordnen wäre und ob die Kläger sich hierauf nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 2 UmwRG berufen könnten (vgl. 9 A 5.20 - BVerwGE 170, 378 Rn. 28 ff.).
23B. Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen die von den Klägern als verletzt gerügten Vorschriften des zwingenden Rechts.
241. Das Vorhaben steht nicht im Widerspruch zu landesplanerischen Vorschriften. Auf das Ziel 8.2-4 des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalen - LEP NRW - (GV. NRW. 2017 S. 122) können die Kläger sich nicht berufen. Danach sind neue Höchstspannungsfreileitungen auf neuen Trassen so zu planen, dass ein Abstand von 400 m u. a. zu Wohngebäuden eingehalten wird, die im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder im unbeplanten Innenbereich im Sinne des § 34 BauGB liegen und diese Gebiete dem Wohnen dienen, und dass ein Abstand von 200 m zu Wohngebäuden eingehalten wird, die im Außenbereich im Sinne des § 35 BauGB liegen.
25Diese Bestimmung misst sich jedoch, wie der Planfeststellungsbeschluss (S. 95, 146, 153) zutreffend feststellt, nach Absatz 4 der Erläuterungen zu 8.2-4 im vorliegenden Fall keine Geltung bei. Unter neuen Trassen für neue Höchstspannungsleitungen in diesem Sinne sind danach nur solche Vorhaben zu verstehen, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen LEP NRW noch kein Planfeststellungsverfahren begonnen wurde (vgl. auch 4 A 1.16 - Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 5 Rn. 24). Das Planfeststellungsverfahren wurde jedoch schon am mit Einreichung des Antrags auf Erlass des Planfeststellungsbeschlusses und folglich vor Inkrafttreten des LEP NRW am begonnen. Nur nach Maßgabe der Entscheidung des Plangebers, die sich auch in den Erläuterungen zu den Zielen und Grundsätzen niederschlägt, erlangen die Zielfestlegungen ihre Verbindlichkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ROG.
262. Ohne Erfolg rügen die Kläger einen Verstoß gegen Vorschriften des Naturschutzrechts.
27a) Zur artenschutzrechtlichen Bewertung des Vorhabens machen die Kläger in ihrer Klagebegründung geltend, dass die Daten der Bestandserfassung nicht hinreichend aktuell seien. Dies sei nicht erst dann der Fall, wenn die Bestandserfassung länger als fünf Jahre zurückliege. Vielmehr sei die Aktualität der Datengrundlage nach Maßgabe praktischer Vernunft unter Berücksichtigung der jeweiligen Einzelumstände zu beurteilen.
28Dieses Vorbringen führt nicht auf einen Fehler des Planfeststellungsbeschlusses. Die Kläger benennen zwar zutreffend die einschlägigen rechtlichen Maßstäbe (vgl. 7 A 2.15 - BVerwGE 158, 1 Rn. 149 f., vom - 9 A 7.19 - BVerwGE 170, 138 Rn. 319 und vom - 9 A 1.21 - BVerwGE 176, 94 Rn. 96). Es fehlt jedoch an jeglicher substantiierten Auseinandersetzung mit dem dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss zugrundeliegenden Sachverhalt. Die Kläger zeigen nicht auf, inwieweit der Planfeststellungsbeschluss auf einer nach diesen Maßgaben unzureichenden Bestandserfassung beruhen könnte.
29b) Nach Erlass des Planergänzungsbeschlusses wenden sich die Kläger gegen die FFH-Verträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Bewertung, weil das Kollisionsrisiko für Vögel nicht überzeugend erfasst sei.
30Dieses Vorbringen ist ungeachtet dessen beachtlich, dass die Kläger sich in der Klagebegründung hinsichtlich des Naturschutzrechts auf die Rüge eines lediglich kleinen Ausschnitts der im Planfeststellungsbeschluss aufgeworfenen artenschutzrechtlichen Fragestellungen beschränkt haben. Durch die Fixierung des Streitstoffs auf der Grundlage des § 6 Satz 1 UmwRG erlangt die Planfeststellungsbehörde - und damit zugleich der Vorhabenträger - wegen des damit verbundenen prozessualen Ausschlusses weiterer Einwendungen insoweit Rechtssicherheit. Diesen Rechtsvorteil gibt die Planfeststellungsbehörde allerdings im Umfang der Wiederaufnahme des Verfahrens preis. Der auf Seiten des Klägers eingetretene Rechtsverlust endet, und er kann nach Maßgabe der sachlichen Reichweite des Planergänzungsverfahrens neue Einwendungen vorbringen (vgl. 7 C 22.17 - Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 31).
31In der Sache führt der Vortrag aber ebenso wenig zum Erfolg. Auch hier fehlt es an einer substantiierten Auseinandersetzung mit den differenzierten Erwägungen, die der Bewertung des Anflugrisikos insbesondere des Kiebitz zugrunde liegen.
32C. Schließlich geht auch der zentrale Einwand der Kläger fehl, der Planfeststellungsbeschluss habe die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Wohnparks/... weder in die Abwägung bei den Freileitungsvarianten (PFB S. 124) noch in die Ermessensentscheidung zur Erdverkabelung (PFB S. 147, 151) in angemessener Weise eingestellt.
331. Auf die behaupteten Rechtsfehler können sich jedenfalls der Kläger zu 1 und die Klägerin zu 3 berufen. Die Geltendmachung der auf den Schutz von Gesundheit und Wohnumfeld bezogenen Belange ist nicht allein den Nutzern des Wohnparks vorbehalten (siehe dazu 9 A 12.19 - BVerwGE 170, 33 Rn. 27 ff. und vom - 4 A 15.20 - juris Rn. 15). Der Kläger zu 1 als Eigentümer der Grundstücke darf diese Interessen ebenfalls verteidigen; entsprechendes gilt für die Klägerin zu 3 als Betreiberin des Wohnparks, dessen Attraktivität durch die Freileitung beeinträchtigt werden kann. Ob der Klägerin zu 2 insoweit eine Rügebefugnis wegen ihrer Beteiligung an der Betreibergesellschaft zusteht, bedarf mangels Erfolgs des Einwands keiner Vertiefung.
342. a) Bestehen keine rechtlich zwingenden Vorgaben, ist die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten für eine Freileitung eine fachplanerische Abwägungsentscheidung (§ 43 Abs. 3 EnWG). Die Ausübung der planerischen Gestaltungsfreiheit unterliegt rechtlichen Bindungen. Die Wahl einer Trassenvariante ist rechtsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen. Darüber hinaus ist die Abwägungsentscheidung auch dann fehlerhaft, wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung und Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (vgl. 4 A 9.19 - UPR 2022, 98 Rn. 48 m. w. N.).
35Im Rahmen der Ermittlung der abwägungserheblichen privaten Belange orientiert sich der Planfeststellungsbeschluss bei der Bewertung des Schutzes des näheren Siedlungsumfeldes an den Vorgaben des Ziels 8.2-4 LEP NRW und misst den dortigen Abstandsvorschriften, auch wenn sie nicht als zwingendes Recht zu beachten sind, eine für die Abwägung indizielle Wirkung zu (PFB S. 117 f.). Das ist nicht zu beanstanden.
36b) Ob die Höchstspannungsleitung als Erdkabel errichtet und betrieben wird, entscheidet sich nach § 2 Abs. 2 EnLAG. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 EnLAG ist im Falle des Neubaus auf Verlangen der für die Zulassung des Vorhabens zuständigen Behörde bei einem Vorhaben nach § 2 Abs. 1 EnLAG eine Höchstspannungsleitung auf technisch und wirtschaftlich effizienten Teilabschnitten als Erdkabel zu errichten und zu betreiben, wenn - u. a. - bestimmte Abstände zu Wohngebäuden im Bebauungsplanbereich oder im unbeplanten Innenbereich - 400 m - (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EnLAG) bzw. zu Wohngebäuden im Außenbereich - 200 m - (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EnLAG) unterschritten werden. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor, entscheidet die Planfeststellungsbehörde in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens darüber, ob statt einer Freileitung eine Erdverkabelung vom Vorhabenträger verlangt wird. Die Norm eröffnet nur die nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EnWG nicht gegebene Möglichkeit, auch die Errichtung, den Betrieb oder die Änderung eines Erdkabels planfeststellen zu können; darin erschöpft sich grundsätzlich ihr Regelungsgehalt ( 4 A 16.16 - NVwZ-RR 2017, 768 Rn. 95 <insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 451.17 § 43e EnWG Nr. 2>). Dieses Ermessen ist nicht in der Weise intendiert, dass das Auslösekriterium im Zusammenwirken mit dem Erfordernis eines geeigneten Abschnitts nach § 2 Abs. 2 Satz 2 EnLAG in der Regel die Entscheidung für ein Erdkabel nach sich ziehen müsste. Vielmehr gebietet § 2 Abs. 2 EnLAG eine offene Abwägung, in die alle abwägungserheblichen Belange Eingang finden müssen. Diese Abwägung muss jedoch dem Gesetzeszweck Rechnung tragen ( 4 A 15.20 - juris Rn. 57). Hierzu legt der Planfeststellungsbeschluss ein "Planungs-/Abwägungskonzept" zugrunde, gegen das die Kläger nichts vorbringen. Geht es wie hier nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 EnLAG um das Schutzgut Mensch, müssen danach die betroffenen Interessen angesichts der nur eingeschränkt als Pilotvorhaben vorgesehenen Errichtung eines Erdkabels (§ 2 Abs. 1 Satz 1 EnLAG) gewichtet werden. Bei dieser Gewichtung und der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Anordnung eines Erdkabels ist in erster Linie das für die Auslösefälle bereits erreichte Schutzniveau - anders gewendet: die Belastung insbesondere mit elektromagnetischen Feldern - sowie die Dichte der in den Annäherungsabschnitten angetroffenen Nutzungsstrukturen im Sinne einer Siedlungsverdichtung - d. h. auch die Anzahl der von einer Entlastung Betroffenen - zu berücksichtigen (PFB S. 148 f.).
37c) Vor diesem rechtlichen Hintergrund hat der Planfeststellungsbeschluss die Entfernung des Wohnparks/... zur Leitung in den Blick genommen: Die Annäherung der Antragstrasse an den Wohnpark habe nicht zur Folge, dass Abstände nach § 2 Abs. 2 EnLAG oder Ziff. 8.2-4 LEP NRW unterschritten würden (PFB S. 270). Beide Vorschriften nähmen eindeutig auf die bauplanungsrechtlichen Vorgaben Bezug. Bei deren Prüfung sei festzustellen, dass der Wohnpark nicht als Außenbereich im Sinne von § 35 BauGB einzuordnen sei. Denn dieses Gebiet werde durch den Bebauungsplan Nr. 25 der Stadt A. vom hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als "SW - Wochenendhausgebiet" ausgewiesen. Hinweise für die Funktionslosigkeit gebe es nicht (PFB S. 124). Die betreffenden Wochenendhäuser stellten keine Wohngebäude dar, weil Wochenendhäuser nach ihrer Zwecksetzung nicht dem Daueraufenthalt dienten. Dies habe zugleich zur Folge, dass das Sondergebiet Wochenendhausgebiet nach § 10 BauNVO kein (überwiegend) dem Wohnen dienendes Gebiet im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 EnLAG bzw. Ziff. 8.2-4 LEP NRW sei.
38Hiergegen wenden sich die Kläger ohne Erfolg. Der Planfeststellungsbeschluss hat die bauplanungsrechtliche Lage zutreffend eingeschätzt. Der Bebauungsplan Nr. 25 beansprucht jedenfalls in Bezug auf die hier maßgebliche Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung weiterhin Geltung. Er ist insoweit nicht aufgrund festsetzungswidriger Nutzungen funktionslos geworden.
39aa) Eine bauplanerische Festsetzung kann funktionslos sein, wenn und soweit die tatsächlichen Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausschließen und diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse auf einzelnen Grundstücken an. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit seine städtebauliche Gestaltungsfunktion unmöglich zu erfüllen vermag, kann von einer Funktionslosigkeit die Rede sein. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in einer bestimmten Richtung zu steuern (vgl. 4 C 39.75 - BVerwGE 54, 5 <10 f.> und vom - 4 C 10.03 - Buchholz 406.12 § 3 BauNVO Nr. 15 S. 3).
40bb) Nach diesen Maßstäben ist nicht von der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung auszugehen. Hinsichtlich der überbaubaren Flächen und der Anordnung der Grünflächen hat die jetzige Bebauung - ausweislich der in den Akten enthaltenen Lagepläne - allerdings wenig mit den bauplanerischen Festsetzungen gemein.
41Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten und der Beigeladenen entsprechen die Häuser nach Größe, Ausstattung und äußerer Gestaltung in der weitaus überwiegenden Anzahl dem gebietstypischen Erscheinungsbild eines Wochenendhauses (siehe auch Deckblatt 1, Ordner 1, Unterlage 3 [Alternativenprüfung Gescher <GA 4> - Ergänzende Stellungnahme -] S. 45). Im Internet verfügbare Luftbilder bestätigen diese Feststellung. Des Weiteren sind auch zentrale Entsorgungseinrichtungen vorhanden, die für solche Baugebiete ebenfalls charakteristisch sind. Die Kläger stellen demgegenüber maßgeblich darauf ab, dass der Großteil der Nutzer dauerhaft im Wohnpark/... wohne und dort auch mit dem Erstwohnsitz gemeldet sei. Ob dies - auch in der von den Klägern vorgetragenen Größenordnung von etwa 80 % - zutrifft, oder ob - worauf der Beklagte abstellt - die Ausführungen in den Einwendungsschreiben von Nutzern des Wohnparks (siehe Verwaltungsakten, Bl. 3575 - 4514) eine andere zahlenmäßige Verteilung von Wochenend- zu Dauernutzern nahelegen, kann dahinstehen. Denn auch eine Vielzahl von Dauernutzern rechtfertigt nicht die Annahme der Funktionslosigkeit des Bebauungsplans. Eine derzeitige planwidrige Nutzung schließt als solche die in die Zukunft gerichtete städtebauliche Gestaltungs- und Steuerungsfunktion des Bebauungsplans nicht aus. Eine solche Nutzung kann mit den Mitteln des Bauordnungsrechts beendet werden, sodass die bloße Passivität der Baurechtsbehörde nicht ausreicht. Eine offenkundige Abweichung vom Planinhalt ist in der Regel nur dann gegeben, wenn die den Festsetzungen entgegenstehende Wohnnutzung durch eine Baugenehmigung rechtlich gesichert ist oder in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass die zuständige Behörde sich mit ihrem Vorhandensein (endgültig) abgefunden hat (vgl. .NE - BauR 2015, 1111 <1116>; siehe auch Urteil vom - 7 A 2687/04 - juris Rn. 46 ff.). Davon kann gerade auch angesichts der nach dem Vortrag der Kläger erlassenen Ordnungsverfügung vom nicht ausgegangen werden, mit der dem Kläger zu 1 die Nutzung des Grundstücks als Wochenendplatz untersagt wurde. Dies zielte - ungeachtet einer näheren rechtlichen Würdigung - offenbar auf die Bereinigung einer unzuträglichen bauplanungsrechtlichen Situation. Nichts anderes folgt aus den bislang - auch vor dem Hintergrund der Neuregelung des § 12 Abs. 7 BauGB - erfolglosen Bemühungen um eine neue Überplanung des Gebiets (siehe Bericht in Allgemeine Zeitung - Billerbecker Anzeiger, Gescherer Zeitung - vom ; vgl. auch Bischopink, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 10 Rn. 20). Denn damit sollte ersichtlich die geltende, wenn auch als unbefriedigend empfundene, Regelung durch eine neue ersetzt werden. Schließlich ist auch der Hinweis der Kläger auf die Fortführung des bereits vor dem Erlass des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses eingeleiteten Verfahrens auf Änderung des Bebauungsplans unbeachtlich. Denn bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses kommt es grundsätzlich - und hier auch ungeachtet des Planergänzungsverfahrens - auf die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass an (vgl. 7 C 22.17 - Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 Rn. 14 und vom - 4 A 14.19 - BVerwGE 173, 132 Rn. 16, jeweils m. w. N.).
423. Soweit die Kläger schließlich auf die faktische Nutzung der Wochenendhäuser und das Erfordernis des Schutzes der Gesundheit der dort dauerhaft lebenden Menschen verweisen, wird ein Abwägungsmangel nicht aufgezeigt. Denn der Planfeststellungsbeschluss stellt insoweit fest, dass auch im Wochenendhausgebiet die Grenzwerte der 26. BImSchV weit unterschritten werden (PFB S. 124; Deckblatt 1, Ordner 1, Unterlage 3 [Alternativenprüfung Gescher <GA 4> - Ergänzende Stellungnahme -] S. 27 i. V. m. S. 23 mit den Angaben zu den prognostizierten Immissionswerten bei Hofstellen im Abstand von 152 m bzw. 138 m zur Trassenmitte <elektrisches Feld: 0,06 kV/m; magnetisches Feld: 0,4 µT>). Weitere Überlegungen mit Blick auf einen vorsorgenden Gesundheitsschutz musste die Planfeststellungsbehörde aufgrund des gegebenen (Mindest-)Abstands von etwa 120 m nicht anstellen; denn dieser Abstand ist - bezogen auf die zu erwartende Stärke der elektromagnetischen Felder - nur geringfügig kleiner als die Entfernung zu den Hofstellen, für die eine rechnerische Prognose mit dem Ergebnis einer minimalen Feldbelastung erstellt worden ist (vgl. auch 4 VR 2.22 - juris Rn. 41).
43Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:210323U4A9.21.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-42109