Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB
Instanzenzug: LG Arnsberg Az: 2 KLs 7/22
Gründe
1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Nach den Feststellungen nahm der Beschuldigte im März 2020 über einen Messengerdienst Kontakt zu der zur Tatzeit 10-jährigen Geschädigten auf und veranlasste sie dazu, mindestens zwei Fotos ihres unbekleideten Ober- bzw. Unterkörpers zu fertigen und an den Beschuldigten zu übersenden. Auf Wunsch des Beschuldigten nahm die Geschädigte auch ein etwa 90-sekündiges Video von sich auf, in welchem sie mit unbekleidetem Unterkörper auf ihrem Bett sitzt, ihre Beine spreizt und sich im Intimbereich berührt, wobei sie auch einen Finger in ihre Scheide einführt. Im Verlauf des Chats übermittelte der Beschuldigte der Geschädigten ein Foto von seinem erigierten Penis (Fall II.1. der Urteilsgründe).
3Nach einer Wohnungsdurchsuchung im Juni 2020 wurden auf dem Mobiltelefon des Beschuldigten Bilddateien aufgefunden, die sexuelle Handlungen an Kindern unter 14 Jahren und solche an Jugendlichen im Alter unter 18 Jahren zum Gegenstand hatten (Fall II.2.a) der Urteilsgründe).
4Das Landgericht hat die Taten im Fall II.1. der Urteilsgründe als sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB (in der ab geltenden Fassung) und als Verbreitung pornographischer Schriften gemäß § 184 Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie im Fall II.2.a) der Urteilsgründe als Besitz kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 4 StGB (in der ab geltenden Fassung) in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 3 StGB gewertet.
5Das Landgericht ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass beim Beschuldigten eine Kernpädophilie und eine leichte Intelligenzminderung vorliegen. Krankheitsbedingt habe ihm bei den Taten die Einsicht gefehlt, Unrecht zu tun; jedenfalls sei er nicht in der Lage gewesen, sein Verhalten entsprechend zu steuern.
II.
61. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.
72. Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Maßregelausspruchs, weil die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
8a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (st. Rspr.; vgl. Rn. 7 mwN). Dazu ist zunächst die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Wenn sich das Landgericht darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2014, 305 Rn. 7 mwN; Beschluss vom – 1 StR 457/18 Rn. 10).
9b) Daran gemessen hält die Annahme des Landgerichts, der Beschuldigte leide an einer Kernpädophilie, die den erforderlichen Grad des Eingangsmerkmals einer schweren anderen seelischen Störung gemäß § 20 StGB erreicht habe, revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
10aa) Ein abweichendes Sexualverhalten, wie es für den Beschuldigten in Form einer Pädophilie festgestellt worden ist, kann nicht ohne Weiteres einer schweren Persönlichkeitsstörung gleichgesetzt und dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB zugeordnet werden. Eine Pädophilie kann aber im Einzelfall eine schwere andere seelische Störung und eine hierdurch erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit begründen, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen (vgl. Rn. 10; Beschluss vom – 3 StR 407/15 Rn. 9 mwN). Ob die sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie einen Ausprägungsgrad erreicht, der dem Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung zugeordnet werden kann, ist aufgrund einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und seiner Taten zu beurteilen (vgl. Rn. 14; Urteil vom – 2 StR 48/10 Rn. 10). Dabei kommt es darauf an, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (vgl. Rn. 13 f.).
11bb) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
12(1) Das Landgericht hat hierzu die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen wiedergegeben, wonach bei dem Beschuldigten länger als sechs Monate eine eindeutige sexuelle Präferenz für Kinder, überwiegend Mädchen bestehe, die sich in der Vorpubertät befänden. Die sexuellen Impulse des Beschuldigten seien ausschließlich hierauf gerichtet, es liege ein dranghaftes Verlangen mit entsprechenden Phantasien vor. Das Handeln des Beschuldigten folge diesen Impulsen. Die Sexualpraktiken, auf die eine gedankliche Einengung bestehe, seien zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden. Der Beschuldigte erlebe das sexuelle Verlangen als ich-synton, weshalb er über keine Handlungsalternativen verfüge. Das Landgericht hat sich dem Sachverständigen unter Hinweis auf die beim Beschuldigten gefundenen Bild- und Videodateien und die Chatinhalte angeschlossen.
13(2) Angesichts dieser knappen Ausführungen bleibt offen, von welchen Anknüpfungstatsachen der Sachverständige bei seiner Diagnose ausgegangen ist. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, auf welche (sexuellen) Verhaltensweisen des Beschuldigten er seine Einschätzung stützt, die Praktiken seien zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden. Dem Urteil lassen sich auch in seinem Gesamtzusammenhang keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen entnehmen, aus denen ein suchtartiges Verhalten des Beschuldigten und die fehlende Kontrolle seiner pädophilen Impulse abgleitet werden können. In dem wiedergegebenen Werdegang des Beschuldigten finden sich zwar Anhaltspunkte für eine Störung des Sozialverhaltens (insbesondere hinsichtlich der Körperhygiene), jedoch ist ein Zusammenhang mit der Pädophilie weder festgestellt noch ersichtlich. In drei Chatverläufen mit anderen Nutzern im April und Mai 2020 sowie Juni 2021 bemühte sich der Beschuldigte darum, den Gesprächspartner zu Treffen zu bewegen, die zu Sex mit einem acht, zehn bzw. elf Jahre alten Kind hätten führen sollen. Diese Chatverläufe stellen zwar ein Indiz für die sexuelle Präferenz des Beschuldigten für Kinder dar. Für sich genommen können sie jedoch – auch angesichts ihrer Erstreckung über einen Zeitraum von 14 Monaten – ein suchtartiges Konsumverhalten und einen Verlust der Fähigkeit, sexuelle Impulse zu kontrollieren, nicht tatsachengestützt unterlegen, zumal auch nicht festgestellt ist, wie der Beschuldigte auf den jeweiligen Kontaktabbruch durch die Gesprächspartner reagierte.
14c) Die Urteilsgründe belegen auch nicht, dass die Intelligenzminderung des Beschuldigten das Ausmaß des Eingangsmerkmals im Sinne von § 20 StGB erreicht.
15aa) Eine Intelligenzminderung kann auch ohne nachweisbaren Organbefund dem Eingangsmerkmal im Sinne von § 20 StGB unterfallen (vgl. ‒ 4 StR 497/14 Rn. 15, NStZ-RR 2015, 71) und zu einer erheblich verminderten oder sogar aufgehobenen Schuldfähigkeit führen. Die bloße Minderung der geistigen Leistungsfähigkeit begründet eine solche Beeinträchtigung aber nicht (vgl. ‒ 2 StR 366/94 Rn. 6, BGHR StGB § 63 Zustand 17; Beschluss vom ‒ 4 StR 308/12 Rn. 9; Beschluss vom ‒ 4 StR 287/13 Rn. 8). Es bedarf einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, bei der darzulegen ist, wie sich die festgestellte Intelligenzminderung auf Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten des Täters auswirkt und warum das sich daraus ergebende Störungsbild bei wertender Betrachtung in seiner Gesamtheit ein Ausmaß erreicht hat, das die Annahme einer schweren anderen seelischen Störung rechtfertigt (vgl. ‒ 4 StR 408/19, NStZ-RR 2020, 36 Rn. 7 mwN).
16bb) Diesen Darlegungsanforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
17(1) Zwar teilen die Urteilsgründe mit, dass sich nach Angaben des Sachverständigen in einer testpsychologischen Untersuchung ein Gesamt-IQ von 63 ergeben habe, der einem mentalen Alter zwischen neun und elf Jahren des zur Tatzeit 21-jährigen Beschuldigten entspreche. Seine Intelligenzminderung gehe mit Störungen des Sozialverhaltens einher und bedinge deutliche Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens. Die Antizipation komplexer Konsequenzen des eigenen Handelns sei dem Beschuldigten fast unmöglich. Nach Auffassung des Sachverständigen, der sich das Landgericht unter Hinweis auf das Ergebnis der Testung und Berichte über den Werdegang des Beschuldigten angeschlossen hat, führe die Intelligenzminderung aufgrund einer ganz erheblichen Einschränkung der Kritik- und Urteilsfähigkeit und der Unmöglichkeit, komplexe Konsequenzen des eigenen Handelns abzuschätzen, bereits zu einer Aufhebung der Einsichtsfähigkeit.
18(2) Mit diesen Ausführungen bleiben jedoch der Umfang der Intelligenzminderung und ihre Auswirkungen auf die Erkenntnis- und Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten völlig unbestimmt. So ist schon nicht nachvollziehbar, warum die vom Sachverständigen als „leicht“ eingestufte Intelligenzminderung das Ausmaß des Eingangsmerkmals im Sinne von § 20 StGB erreicht haben soll. Im Hinblick auf die denkbare Schwankungsbreite dieses Störungsbildes (vgl. etwa Rn. 9 [für die Diagnose „Schwachsinn“]) sind die Urteilsausführungen wenig aussagekräftig und für die revisionsgerichtliche Überprüfung unzureichend. Insbesondere ist nicht ersichtlich, in welchen Bereichen der Beschuldigte deutlich unterdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten aufweist, wie sich diese Defizite in verschiedenen Lebensbereichen auswirken und welches Ausmaß das Störungsbild in seiner Gesamtheit tatsächlich hat. Eine an dem aufgezeigten Maßstab orientierte wertende Betrachtung des Störungsbildes in seiner Gesamtheit hat die Strafkammer an keiner Stelle erkennbar vorgenommen.
193. Mit der Aufhebung des Maßregelausspruchs entfällt auch die – mit keinem Wort begründete – Einziehungsanordnung hinsichtlich des Mobiltelefons des Beschuldigten (vgl. ‒ 3 StR 405/03 Rn. 11).
20Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Anlasstaten (Fälle II.1. bis II.2.a) der Urteilsgründe) sind rechtsfehlerfrei getroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind auch zu den äußeren Tatumständen möglich.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:201222B4STR387.22.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-41819