BGH Beschluss v. - IV ZB 11/22

Erbscheinsverfahren: Bindungswirkung eines in einem Erbunwürdigkeitsklageverfahren ergangenen rechtskräftigen Versäumnisurteils

Leitsatz

Ein die Erbunwürdigkeit aussprechendes Urteil gemäß §§ 2342, 2344 BGB hat auch dann Bindungswirkung für ein Erbscheinsverfahren, wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt.

Gesetze: § 2342 BGB, § 2344 BGB, § 331 Abs 1 S 1 ZPO, § 331 Abs 2 Halbs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: I-2 Wx 72/22 Beschlussvorgehend Az: 33 VI 118/19 Beschluss

Gründe

1I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Nachlassgericht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens an die durch rechtskräftiges Versäumnisurteil ausgesprochene Erbunwürdigkeitserklärung der Beteiligten zu 2 gebunden ist.

2Die Beteiligte zu 1 ist das einzige Kind des am verstorbenen Erblassers, die Beteiligte zu 2 seine Ehefrau. Das Nachlassgericht eröffnete ein von der Beteiligten zu 2 handschriftlich verfasstes gemeinschaftliches Testament, das eine wechselseitige Einsetzung der Beteiligten zu 2 und des Erblassers als Alleinerben enthielt. Die Beteiligte zu 1 erhob im Juli 2020 gegen die Beteiligte zu 2 Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit. Zur Begründung trug sie vor, sie vermute, dass die Beteiligte zu 2 einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung des Testaments nach dessen Tod verwendet habe. Das Verfahren endete mit einem rechtskräftig gewordenen Versäumnisurteil des durch das die Beteiligte zu 2 hinsichtlich des Nachlasses des Erblassers für erbunwürdig erklärt wurde. Die Beteiligte zu 2 hatte im Erbscheinsverfahren angeführt, dass sie wegen des plötzlichen Unfalltods des Erblassers auch eineinhalb Jahre danach und weiterhin (Ende September 2021) stark traumatisiert gewesen sei. Wegen eines seelischen Zusammenbruchs, infolgedessen sie sich mit geschäftlichen und gerichtlichen Dingen nicht habe auseinandersetzen können, habe sie diverse Gerichtspost erst am geöffnet.

3Die Beteiligte zu 1 hat unter Berufung auf das Versäumnisurteil einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweist. Das Amtsgericht hat die dafür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich ihre vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde, mit der sie die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts und die Zurückweisung des Antrags der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines Erbscheins, hilfsweise die Zurückverweisung des Verfahrens zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht begehrt.

4II. Die gemäß § 70 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZEV 2022, 600 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, aufgrund des rechtskräftigen Versäumnisurteils stehe für das Erbscheinsverfahren bindend fest, dass die Beteiligte zu 2 wegen Erbunwürdigkeit von der Erbfolge ausgeschlossen sei. Dies folge bereits daraus, dass es sich bei dem stattgebenden Urteil um ein Gestaltungsurteil handele, welches mit dem Eintritt der Rechtskraft die Unwürdigkeit herbeiführe. Soweit dem Urteil nur deklaratorische Wirkung beigemessen werde, komme die Gestaltungswirkung der klageweise geltend gemachten Anfechtungserklärung zu. Ungeachtet einer Gestaltungswirkung sei das Nachlassgericht in den Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges Urteil über die Feststellung des Erbrechts - bzw. die negative Feststellung in Form der Erbunwürdigkeit - gebunden. Die Bindungswirkung des prozessgerichtlichen Urteils sei formaler Natur und nicht nach der Art des Urteils zu relativieren. Ob eine Durchbrechung der Bindungswirkung nach § 826 BGB in Betracht komme, könne offenbleiben, da hier jedenfalls dessen Voraussetzungen nicht vorlägen.

62. Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

7Das Beschwerdegericht hat zu Recht angenommen, dass die Beteiligte zu 1 nach § 1924 Abs. 1 BGB als einziges Kind des Erblassers seine gesetzliche Alleinerbin geworden ist, da die Beteiligte zu 2 als Erbin aufgrund ihrer durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des Landgerichts Köln erklärten Erbunwürdigkeit ausscheidet (§§ 2342 Abs. 2, 2344 Abs. 1 BGB). Das Nachlassgericht ist im Erbscheinsverfahren an diese sich aus dem Versäumnisurteil im Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit ergebende Rechtsfolge gebunden.

8a) Für die Frage der Bindung ist nicht entscheidend, ob das in diesem Verfahren ergehende Urteil als Gestaltungsurteil (Senatsurteil vom - IV ZR 400/14, BGHZ 204, 258 Rn. 7; Senats-beschluss vom - IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34 Rn. 7 m.w.N.; BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2342 Rn. 8 [Stand: ]; Burandt/Rojahn/Müller-Engels, Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 15; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 160 f.; Bauer, Der Erbunwürdig-keitsprozess, 2007, Rn. 254, 262; Unberath, ZEV 2008, 465), das die Rechtslage hinsichtlich der Erbenstellung des Erbunwürdigen selbst verändert und damit bereits wegen dieser ihm innewohnenden rechts-gestaltenden Wirkung zu berücksichtigen ist, oder - wie die Rechts-beschwerde geltend macht - als Feststellungsurteil, das die Wirkung einer der Klage innewohnenden, materiell-rechtlichen Anfechtungserklärung feststellt (Muscheler, ZEV 2009, 101, 105; im Anschluss hieran Grüneberg/Weidlich, BGB 82. Aufl. § 2342 Rn. 3; vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band V, 1888, 521 f. zu § 2047 BGB-E), anzusehen ist (vgl. , NJW 1970, 197 unter 1 [juris Rn. 27]). Das aufgrund einer Anfechtungsklage auf Erklärung der Erbunwürdigkeit ergehende Urteil beansprucht jedenfalls aufgrund der gesetzlichen Anordnung des § 2344 Abs. 1 BGB, wonach der Anfall an den für erbunwürdig erklärten Erben als nicht erfolgt gilt, Wirkung gegenüber jedermann und ist daher auch vom Nachlassgericht zu berücksichtigen.

9b) Das gilt auch für den Fall, dass es sich um ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten im Sinne von § 331 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbsatz 1 ZPO handelt.

10aa) Hierbei besteht Einigkeit darüber, dass das Nachlassgericht in den objektiven und subjektiven Grenzen der Rechtskraft an ein rechtskräftiges, in einem Rechtsstreit vor den ordentlichen Gerichten ergangenes streitiges Endurteil über die Feststellung des Erbrechts gebunden ist (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 135/08, ZEV 2010, 468 Rn. 9 f.; OLG Düsseldorf ErbR 2020, 354, 356 [juris Rn. 71]; OLG Frankfurt ErbR 2019, 589 [juris Rn. 16]; OLG München MittBayNot 2017, 76 Rn. 17; OLG Frankfurt ZEV 2016, 275 Rn. 19 f.; OLG Brandenburg ZEV 2010, 143 f. [juris Rn. 26 f.]; BayObLG FamRZ 1999, 334 unter II.1. [BeckRS 998, 4656 Rn. 10]; BayObLGZ 1969, 184, 186; AG Düsseldorf ErbR 2016, 283, 285 [juris Rn. 27]; jurisPK-BGB/Lange, 7. Aufl. § 2359 Rn. 7; MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1922 Rn. 236; Prütting/Helms/Zorn, FamFG 6. Aufl. § 352e Rn. 17; Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 386 m.w.N.; Krätzschel in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht 2. Aufl. § 256 Rn. 32 unter e), 39; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 1019 f.; Eisele, Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, S. 114; Adam, ZEV 2016, 233, 234 f.; Soutier, MittBayNotZ 2017, 78; Steiner, ZEV 2019, 450, 451).

11bb) (1) Dabei wird überwiegend die Bindung auch dann bejaht, wenn es sich bei dem Urteil um ein Versäumnisurteil handelt (OLG Düsseldorf ErbR 2020, 354, 357 [juris Rn. 72]; OLG Frankfurt ErbR 2019, 589 [juris Rn. 16]; OLG Frankfurt ZEV 2016, 275 Rn. 25; AG Düsseldorf ErbR 2016, 283, 285 [juris Rn. 28]; BeckOK-BGB/Siegmann/Höger, § 2359 Rn. 2 [Stand: ]; jurisPK-BGB/Lange, 7. Aufl. § 2359 [a.F.] Rn. 7; MünchKomm-BGB/Leipold, 9. Aufl. § 1922 Rn. 236 m. Fn. 578; Prütting/Helms/Zorn, FamFG 6. Aufl. § 352e Rn. 17; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. S. 1019 f.; Adam, ZEV 2016, 233, 235; Soutier, MittBayNotZ 2017, 78 f.; in diese Richtung auch Staudinger/Herzog, BGB (2016) § 2353 Rn. 389a; vgl. zu einem Anerkenntnisurteil nach § 307 S. 1 ZPO KG FGPrax 2015, 52, 53 [juris Rn. 17]).

12Nach anderer Auffassung wird eine Bindung des Nachlassgerichts an ein Versäumnisurteil gemäß § 331 ZPO aus einem Feststellungsrechtsstreit teilweise verneint (MünchKomm-BGB/Mayer, 6. Aufl. § 2359 Rn. 38 zu Klagen nach § 256 ZPO und § 2342 Abs. 2 BGB; a.A. jetzt aber MünchKomm-FamFG/Grziwotz, 3. Aufl. § 352e Rn. 83; vgl. auch Eisele, Vertragliches Einvernehmen über die Auslegung unklarer letztwilliger Verfügungen, 2002, S. 130, der dem Erbscheinsrichter eine Evidenzkontrolle eines rechtskräftigen Feststellungsurteils zubilligt) oder zumindest bezweifelt (Goldschmitt, jurisPR-FamR 11/2016 Anm. 1 unter D.; Zimmermann, ZEV 2010, 457, 461), da eine solche der im Erbscheinsverfahren geltenden Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG widerspreche und dem Nachlassgericht nicht die erforderliche Überzeugung verschaffen könne (vgl. Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis 4. Aufl. E. Rn. 168; ders., ZEV 2010, 457, 461, noch zu § 2359 BGB a.F. und hinsichtlich einer Klage auf Feststellung des Erbrechts).

13(2) Auf letztgenannte Ansicht kommt es indessen jedenfalls für ein Urteil gemäß §§ 2342, 2344 BGB über die Erbunwürdigkeit von vornherein nicht an. Diese Auffassung geht lediglich davon aus, dass ein Feststellungsurteil mangels Gestaltungswirkung und damit mangels Änderung des Erbrechts selbst dem Nachlassgericht die erforderliche Überzeugung der Tatsachen nicht zu verschaffen vermöge (vgl. Zimmermann, ZEV 2010, 457, 461; ders., Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis, 4. Aufl. E. Rn. 168). Um ein solches bloßes Feststellungsurteil, welches auf eine Klage nach § 256 Abs. 1 ZPO hin ergeht und dessen Rechtskraftwirkungen sich auf die Prozessparteien und ihre Rechtsnachfolger (§ 325 ZPO) beschränken, handelt es sich bei der Erbunwürdigkeitserklärung, sei es aufgrund ihrer Gestaltungswirkung, sei es aufgrund ihrer gesetzlich angeordneten Wirkung gegenüber jedermann, jedoch nicht.

14Die Bindungswirkung eines die Erbunwürdigkeit aussprechenden Urteils ergibt sich aus dem materiellen Recht. Die Erbunwürdigkeit kann ausschließlich durch Anfechtungsklage gemäß § 2342 Abs. 1 BGB, nicht aber im Erbscheinsverfahren geltend gemacht werden und nur durch Urteil gemäß § 2342 Abs. 2 BGB eintreten (vgl. nur OLG Jena ZEV 2008, 479, 480 [juris Rn. 15]; BayObLG MittBayNot 2000, 446, 447 [juris Rn. 29]; BayObLGZ 1973, 257 [juris Rn. 35]; BeckOK-BGB/Müller-Christmann, § 2342 Rn. 1 [Stand: ]; juris-PK-BGB/Hau 9. Aufl. § 2342 Rn. 1; Staudinger/Olshausen, BGB (2021) § 2342 Rn. 1; Burandt/Rojahn/Müller-Engels, Erbrecht 4. Aufl. § 2342 Rn. 2; Lange/Kuchinke, Erbrecht 5. Aufl. S. 160; Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis 4. Aufl. E. Rn. 219; Kroiß, FF 2004, 13, 14 f.). Das Nachlassgericht darf wegen dieses Urteilsvorbehalts ein rechtskräftiges Urteil über die Erbunwürdigkeit auch nicht selbst inhaltlich überprüfen.

15Dies gilt auch für ein im Erbunwürdigkeitsprozess ergangenes Versäumnisurteil. Verneinte man eine Bindung des Nachlassgerichts an ein solches, könnte dies zu dem Ergebnis führen, dass ein gemäß § 2339 BGB materiell erbunwürdiger Erbe durch seine Säumnis im Rechtsstreit über seine Erbunwürdigkeit dauerhaft verhindern könnte, dass diese im Erbscheinsverfahren berücksichtigt wird (vgl. AG Düsseldorf ErbR 2016, 283, 285 [juris Rn. 28]; Krätzschel in Kroiß/Horn/Solomon, Nachfolgerecht 2. Aufl. § 256 ZPO Rn. 39 unter b); Soutier, MittBayNot 2017, 78, zu Urteilen ohne Gestaltungswirkung). Das Nachlassgericht dürfte die Voraussetzungen einer Erbunwürdigkeit nicht selbst prüfen. Einer erneuten Klage derselben Klagepartei auf Erbunwürdigerklärung stünde wiederum die Rechtskraft des Versäumnisurteils entgegen. Das Nachlassgericht könnte sich in diesem Fall bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dazu verpflichtet sehen, dem erbunwürdigen (Nicht-)Erben auf seinen Antrag hin einen Erbschein zu erteilen.

16(3) Unerheblich für die Bindungswirkung ist dabei auch, ob das ordentliche Gericht im Erbunwürdigkeitsprozess - wie hier - in Form eines Versäumnisurteils entscheiden durfte. Das wird teilweise mit dem Argument, die Erbenstellung bzw. Erbunwürdigkeit stehe nach der Annahme der Erbschaft oder dem Fristablauf zur Ausschlagung nicht mehr zur Disposition des Erben, sodass Einschränkungen der zivilprozessualen Dispositions- und Verhandlungsgrundsätze gelten sollen, verneint (so LG Aachen NJW-RR 1988, 263 f. [juris Rn. 14 ff.] zur Zulässigkeit eines Anerkenntnisurteils nach § 307 Satz 1 ZPO; Unberath, ZEV 2008, 465 f. m. Fn. 11). Der Senat hat die Frage der Geltung von Untersuchungsgrundsatz oder Verhandlungs- und Dispositionsgrundsatz bisher offengelassen (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34 Rn. 7 f.). Ein - wie hier - diesen Rechtsstreit beendendes Versäumnisurteil ist jedenfalls nicht wegen seiner Urteilsart nichtig und damit unbeachtlich. Die Nichtigkeit gerichtlicher Entscheidungen kommt nur in extremen Ausnahmefällen bei Vorliegen eines besonders schweren, offenkundigen Mangels in Betracht (vgl. , NJW-RR 2014, 903 Rn. 7 m.w.N.; vom - IX ZR 141/04, NJW-RR 2007, 767 Rn. 10). Ein offenkundiger schwerer Rechtsmangel liegt mit einer Entscheidung in Form eines Versäumnisurteils gemäß § 331 Abs. 1 ZPO in einem nach der Zivilprozessordnung vor den ordentlichen Gerichten zu behandelnden Rechtsstreit über die Erbunwürdigkeit schon deshalb nicht vor, weil das Gesetz jedenfalls ausdrücklich eine Versäumnisentscheidung nicht verbietet (vgl. etwa § 130 Abs. 2 FamFG) und überwiegend in der Rechtsprechung und Literatur der Erlass eines Versäumnisurteils für zulässig erachtet wird (z.B. KG NJW-RR 1989, 455 f. [juris Rn. 14]; Staudinger/Olshausen, BGB (2021) § 2342 Rn. 6 m.w.N.; Bauer, Der Erbunwürdigkeitsprozess, 2007, Rn. 281 ff., 288; Muscheler, ZEV 2009, 101, 105; Skibbe, ZEV 1995, 459; vgl. auch OLG Düsseldorf ErbR 2020, 354, 356 f. [juris Rn. 73], das die Bindung des Nachlassgerichts an ein Versäumnisurteil aus einem Erbunwürdigkeitsprozess ohne die Erwägung einer Urteilsnichtigkeit bejaht). Da die Zulässigkeit eines Versäumnisurteils zumindest vertretbar ist, kann es nicht als solches nichtig sein (vgl. , NJW-RR 2007, 767 Rn. 11 zur Wirksamkeit einer Teilzurückweisung der Berufung).

17c) Das Beschwerdegericht hat weiter ausgeführt, es sei zweifelhaft, ob im Verhältnis von Prozess- zu Erbscheinsverfahren eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Erbenfeststellungsurteils nach § 826 BGB überhaupt Anwendung finden könne. Sie scheide vorliegend jedenfalls deshalb aus, weil bereits die materielle Unrichtigkeit des Versäumnisurteils nicht auf der Hand liege. Auch fehlten besondere, eine Sittenwidrigkeit begründende Umstände.

18Auch diese Bewertung des Beschwerdegerichts hält rechtlicher Überprüfung stand. Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit einer Rechtskraftdurchbrechung nach § 826 BGB (grundlegend dazu , BGHZ 101, 380, 383 ff. unter II.3. [juris Rn. 19 ff.]; vom - III ZR 210/50, NJW 1951, 759 [juris Rn. 43 ff.]) im Verhältnis vom Zivilprozess zum Erbscheinsverfahren bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Die Voraussetzungen einer Rechtskraftdurchbrechung nach den Grundsätzen des § 826 BGB liegen jedenfalls nicht vor.

19§ 826 BGB bietet dem Schuldner unter besonderen Umständen die Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung aus einem rechtskräftigen, aber materiell unrichtigen Titel zu schützen. Die Rechtskraft muss zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 BGB muss jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde (, BGHZ 101, 380, 383 f. unter II.3. [juris Rn. 19], m. zahlr. N.). Die Anwendung des § 826 BGB in derartigen Fällen setzt nicht nur die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und die Kenntnis des Gläubigers hiervon voraus; hinzutreten müssen vielmehr besondere Umstände, die sich aus der Art und Weise der Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und die das Vorgehen des Gläubigers als sittenwidrig prägen (, NJW 1999, 1257, 1258 [juris Rn. 15]).

20Derartige Umstände sind nicht ersichtlich. Zwar ist das Nachlassgericht im Erbscheinsverfahren verpflichtet, die erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen und sämtliche zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu erheben (§§ 26 bis 29 FamFG; Burandt/Rojahn/Gierl, FamFG 4. Aufl. § 352e Rn. 61). Das bedeutet aber nicht, dass allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen nachgegangen werden müsste. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, als bei sorgfältiger Überlegung greifbare Anhaltspunkte zu weiteren Ermittlungen Anlass bieten (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZB 6/17, ErbR 2017, 611 Rn. 16; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 615/17, FamRZ 2018, 1605 Rn. 10; vom - V ZB 7/63, BGHZ 40, 54, 57 unter 2. [juris Rn. 12]). Über Art und Umfang der Ermittlungen entscheidet der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat lediglich nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom - IV ZB 22/18, BGHZ 222, 365 Rn. 18 m.w.N.). Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nicht gegeben.

21Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Versäumnisurteil sei materiell unrichtig, so hat das Beschwerdegericht dies zugunsten der Beteiligten zu 2 unterstellt. Aus den Ausführungen des Beschwerdegerichts zur fehlenden sittenwidrigen Erschleichung des Titels, da die Beteiligte zu 1 in ihrer Erbunwürdigkeitsklage ihre Ausführungen ausdrücklich als Vermutung gekennzeichnet habe und nicht mit den Voraussetzungen für ein Versäumnisurteil habe rechnen können, ergibt sich zugleich, dass das Beschwerdegericht sich mit einer etwaigen Kenntnis der Beteiligten zu 1 von der Unrichtigkeit des Versäumnisurteils auseinandergesetzt hat und - ohne Ermessensfehler - insoweit keinen weiteren Ermittlungsbedarf gesehen hat. Die Rechtsbeschwerde sieht zudem besondere Umstände, die die Ausnutzung des Versäumnisurteils sittenwidrig erscheinen lassen, darin, dass die Beteiligte zu 1 verschwiegen habe, bei den Gesprächen zwischen ihr und der Beteiligten zu 2 habe eine weitere Zeugin teilgenommen. Die unterbliebene Benennung eines (zusätzlichen) Zeugen ist zivilprozessual zulässig und enthält zudem keinen hinsichtlich des Gesprächsinhalts zwischen den Beteiligten relevanten Tatsachenvortrag. Anhaltspunkte, die aus Rechtsgründen Anlass zu weiteren Ermittlungen des Beschwerdegerichts zu einer Sittenwidrigkeit des Ausnutzens des Versäumnisurteils gegeben hätten, sind darin nicht zu sehen. Auf die zusätzliche Begründung des Beschwerdegerichts, die Rechtskraft des Urteils sei auf das prozessuale Verhalten der Beteiligten zu 2 zurückzuführen, und die dazu erhobene Rüge der Rechtsbeschwerde kommt es daher nicht mehr an.

22III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 61 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:260423BIVZB11.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 2721 Nr. 37
NJW 2023 S. 2724 Nr. 37
NJW 2023 S. 8 Nr. 26
GAAAJ-41700