Nachbarschaftlicher Schadensersatzanspruch nach Überschwemmung auf im Gefälle liegendem Grundstück
Leitsatz
1. § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG ist - wie einige seiner landesrechtlichen Vorgängerbestimmungen - einschränkend dahin auszulegen, dass jedenfalls solche Änderungen der Stärke oder Richtung des Wasserabflusses, die infolge einer üblichen landwirtschaftlichen Nutzung eintreten, grundsätzlich keine unzulässige Veränderung darstellen.
2. Einschränkungen können sich aber aus der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme im wasserrechtlichen Nachbarschaftsverhältnis ergeben.
Fortführung und Weiterentwicklung von Senatsurteil vom - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183 sowie , BGHZ 90, 255.
Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 37 Abs 1 S 2 WHG
Instanzenzug: Az: I-5 U 59/21vorgehend LG Mönchengladbach Az: 3 O 6/20
Tatbestand
1Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz eines Überschwemmungsschadens in Anspruch.
2Die Kläger sind Miteigentümer eines Grundstücks und des darauf errichteten Mehrfamilienhauses. Etwa 800 m oberhalb dieses Grundstücks befinden sich vom Beklagten gepachtete und von diesem seit ca. 22 Jahren landwirtschaftlich genutzte Ackerflächen. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Grundstück der Kläger liegt eine im städtischen Eigentum stehende Wiese, an der ein von den Ackerflächen kommender ebenfalls abschüssig verlaufender Wirtschaftsweg entlangführt. Im Jahr 2014 baute der Beklagte erstmals seit Längerem wieder Kartoffeln anstatt Getreide an. Hierfür wurden - beim Getreideanbau nicht benötigte - Ackerfurchen angelegt, die nach dem Vortrag der Kläger in Längsrichtung des Gefälles verliefen. Am 9. Juli und kam es jeweils zu starken Regenfällen - wobei letztgenanntes Ereignis als Katastrophenregen zu qualifizieren war -, in deren Folge Wasser von außen durch die Kellerwände in das Haus der Kläger eindrang. Den ihren Angaben zufolge entstandenen - von der Hausratversicherung nicht gedeckten - Schaden verlangen die Kläger von dem beklagten Landwirt ersetzt.
3Die Kläger haben behauptet, es sei aufgrund der geänderten Agrarbewirtschaftung der Felder zu einem erhöhten Wasserabfluss über den Wirtschaftsweg gekommen, in dessen Folge sich in einer Mulde auf dem benachbarten Grundstück der Stadt ein temporärer Teich gebildet habe, dessen Druck dazu geführt habe, dass das Wasser unterirdisch von außen durch die Kellerwände in ihr Haus eingedrungen sei. Die Ackerflächen seien für den Anbau mit Kartoffeln nicht geeignet. Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Der Wassereintritt habe seine Ursache nicht ausschließlich in der Feldbewirtschaftung gehabt. Überdies könne der Schaden ebenso auf das "Jahrhundertregenereignis" vom zurückzuführen sein.
4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit ihrer von der Vorinstanz zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Anspruch weiter.
Gründe
5Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6Das Berufungsgericht hat Schadensersatzansprüche der Kläger gegen den Beklagten unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten verneint. Insbesondere liege keine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung vor, weshalb ein auf § 823 Abs. 2 BGB iVm § 1004 Abs. 1 BGB beziehungsweise § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG gestützter Schadensersatzanspruch nicht eingreife. Es hat - soweit im dritten Rechtszug von Interesse - ausgeführt, das wasserrechtliche Nachbarschaftsverhältnis richte sich vorliegend allein nach der bundeseinheitlichen Regelung des am in Kraft getretenen § 37 WHG. Der Beklagte könne jedoch nicht als Störer belangt werden. Zwar habe er möglicherweise durch den Anbau von Kartoffeln mit den insoweit typischen Ackerfurchen für einen höheren Anfall von abfließendem Regenwasser auf dem Wirtschaftsweg gesorgt. Die landwirtschaftliche Nutzung der von ihm bewirtschafteten Ackerfläche sei aber im Sinne einer Bereichsausnahme aufgrund einer teleologischen Reduktion des § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG privilegiert. Dessen bedürfe es zum Schutz der landwirtschaftlichen Nutzung von Ackerflächen zumindest in (leicht) hügeligen Lagen wie hier, da anderenfalls die Gefahr bestünde, dass dort Landwirtschaft wegen der drohenden Haftungsfolgen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht mehr betrieben würde. Unter der Geltung der früheren Vorschriften der Landeswassergesetze sei anerkannt gewesen, dass eine Veränderung des Wasserablaufs zum Nachteil tiefer oder höher liegender Grundstücke nicht unter das landesrechtliche, gesetzliche Verbot gefallen sei, wenn dies Folge einer veränderten wirtschaftlichen Nutzung des betreffenden Grundstücks gewesen sei, so wie in § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW aF. Entsprechende oder vergleichbare Regelungen hätten auch in anderen Bundesländern existiert. Da sich der Bundesgesetzgeber bei der Neuregelung des § 37 WHG an den landesgesetzlichen Vorgängerregelungen orientiert habe, lege die Entstehungsgeschichte der Norm nahe, die überkommene Tatbestandsrestriktion bei einem entsprechenden sinngerechten Gesetzesverständnis auch für § 37 Abs. 1 WHG anzuerkennen. Dies gelte zumindest für die landwirtschaftliche Nutzung. Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung vermöge demgegenüber nicht zu überzeugen. Sie könne zwar für sich reklamieren, dass es nach dem Wortlaut der neuen bundeseinheitlichen Regelung nicht auf die jeweilige Bodennutzung, sondern allein auf eine dadurch für den Unterlieger bewirkte nachteilige Abflussveränderung ankomme. Diese Gesetzesauslegung würde - wie der vorliegende Fall zeige - indes zu Lasten der Bauern für erhebliche Rechtsunsicherheit bei der Bewirtschaftung von Feldern führen. Es sei zu befürchten, dass Landwirte im Hinblick auf diese Unsicherheit unter Umständen ganz auf die Bewirtschaftung von Ackerflächen in leichten Hanglagen verzichten würden mit entsprechenden Auswirkungen für die Versorgung der Bevölkerung mit heimischen Agrarprodukten.
7Dass der Beklagte mit dem Wechsel vom Getreide- zum Kartoffelanbau den Rahmen normaler landwirtschaftlicher Nutzung überschritten hätte, sei nicht ersichtlich. Es sei auch nicht anzunehmen, dass der Anbau von Kartoffeln in dem Gebiet, in dem die von dem Beklagten bewirtschaftete Ackerfläche liege, prinzipiell nicht erlaubt sei, so dass es der teleologischen Reduktion des § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG nicht bedürfe. Ohne eine entsprechende Bereichsausnahme für die landwirtschaftliche Nutzung würde die Gefahr bestehen, dass es zu einer unübersichtlichen Vielzahl von Einzelfallentscheidungen der Gerichte käme, die nur für die im jeweiligen Fall betroffene Nutzfläche, Anbauform, vorgenommene Veränderung der Erdoberfläche und die konkreten Bodenarten vor Ort gelten würde. Dies wäre aus Sicht der Bauern nicht geeignet, das Risiko einer späteren Inanspruchnahme einschätzen zu können.
II.
8Dies hält rechtlicher Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
9Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen kann ein auf der Störung des Eigentums der Kläger beruhender Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG nicht ausgeschlossen werden.
10Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass Änderungen des Ablaufs von wild abfließendem Oberflächenwasser, die sich im Rahmen der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Grundstücks bewegen, von den Eigentümern beziehungsweise Nutzern eines tiefer gelegenen Grundstücks grundsätzlich hingenommen werden müssen. Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Nutzer des Oberliegergrundstücks insoweit Einschränkungen unterliegen kann, die sich aus dem nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebot ergeben.
11Die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien beurteilen sich nach §§ 903 ff, § 1004 BGB iVm § 37 WHG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts vom (BGBl. I S. 2585).
121. § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG bestimmt, dass der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer gelegenen Grundstücks verstärkt oder auf andere Weise verändert werden darf. Dies bedeutet, dass durch die veränderten Abflussverhältnisse keine "Belästigung" für den betroffenen Grundstückseigentümer entstehen darf, die von einigem Gewicht und spürbar ist, wodurch das Grundstück erheblich beeinträchtigt wird (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 388/17, NJW-RR 2019, 1035, Rn. 21 mwN). Wild abfließendes Wasser ist gemäß § 37 Abs. 1 und 4 WHG solches, das außerhalb von Betten abfließt und aus Hochwasser, Quellen oder Niederschlägen stammen kann, mithin zum Wasserschatz der Natur gehört und auf unversiegelte Flächen trifft (vgl. zB Niesen in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Aufl., § 37 Rn. 5; Riedel in BeckOK Umweltrecht, 64. Edition, Stand , § 37 WHG Rn. 5; Saller in Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 3. Aufl., Rn. 277). Durch § 37 Abs. 1 WHG sind die früheren landesrechtlichen Vorschriften - so etwa der inzwischen inhaltlich veränderte § 115 des Wassergesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (LWG NRW) in der Bekanntmachung der Neufassung vom (GVBl. S. 926; vgl. zum neuen Inhalt der Vorschrift: GVBl. 2016, S. 559 ff) - verdrängt worden (Art. 72 Abs. 1 GG). Denn bei § 37 WHG handelt es sich um eine vollständige und aus sich heraus vollzugsfähige Regelung mit abschließendem Charakter (Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl., § 37 Rn. 8; Riedel aaO Rn. 3; Niesen aaO Rn. 4; Breuer/Gärditz, Öffentliches und privates Wasserrecht, 4. Aufl., Rn. 1401). Er gilt in zeitlicher Hinsicht für Fallgestaltungen, in denen - wie hier - die tatbestandlichen Voraussetzungen nach seinem Inkrafttreten am eingetreten sind (vgl. Senat, Urteil vom - III ZR 465/15, NJOZ 2018, 29 Rn. 8 zu § 37 Abs. 1 Satz 1 WHG).
13§ 37 Abs. 1 WHG ist wie bereits die entsprechenden Vorgängernormen im Landesrecht als Schutzgesetz anzusehen (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 10 zu Art. 63 BayWG aF; Niesen aaO Rn. 3; Breuer/Gärditz aaO Rn. 1402; Kotulla, WHG, 2. Aufl., § 37 Rn. 4; Drost, Das Wasserrecht in Bayern, Stand Januar 2009, Art. 63 BayWG Rn. 9; Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand: März 2016, § 37 WHG Rn. 12; Faßbender, NVwZ 2015, 97, 98; Staudinger/Albrecht, BGB, Neubearbeitung 2018, Art. 124 EGBGB Rn. 42), dessen schuldhafte Verletzung einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB begründet.
142. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG ist die Veränderung des natürlichen Ablaufs, der sich nach den vorhandenen Boden- und Geländeverhältnissen richtet, verboten. Dabei ist unerheblich, ob diese zuvor künstlich verändert wurden, solange dies mit Einwilligung des Betroffenen erfolgte oder über einen längeren Zeitraum - wie vorliegend die landwirtschaftliche Nutzung der Ackerfläche - widerspruchslos hingenommen worden ist (Senat, Urteil vom aaO Rn. 20). Es ist darauf abzustellen, ob der vorhandene Zustand in seiner Gesamtheit rechtmäßig besteht und damit zugleich den Zustand des natürlichen Gefälles mitbestimmt (Senat aaO).
15Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Ablaufverhältnisse durch die landwirtschaftliche Nutzung der oberhalb der Bebauung liegenden Flächen geprägt sind.
163. Durch den Wechsel der Anbauart - hier Anpflanzung von Kartoffeln anstatt Getreide - hat der Beklagte im Rahmen der wirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks Einfluss auf die bis dahin bestehenden Abflussverhältnisse genommen. Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Vortrag der Kläger kanalisierte und verstärkte der Beklagte den Abfluss von Niederschlagswasser zum Nachteil der Unterlieger, indem er die für den Kartoffelanbau charakteristischen Pflanzfurchen in Gefällerichtung anlegte.
17a) Zu der Frage, ob in der geänderten landwirtschaftlichen Nutzung eines Grundstücks zugleich eine Änderung des natürlichen Wasserablaufs im Sinne von § 37 Abs. 1 WHG liegt, werden mit Blick auf die landesrechtlichen Vorgängerregelungen der Vorschrift und der dazu ergangenen Rechtsprechung in der wasserrechtlichen Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten.
18Dies hat folgenden Hintergrund:
19aa) Ein Teil der landesrechtlichen Vorgängerregelungen des § 37 Abs. 1 WHG enthielt für den Fall der Änderung der wirtschaftlichen Nutzung ausdrückliche Ausnahmebestimmungen zu den jeweils geltenden - mit der jetzigen Rechtslage übereinstimmenden oder jedenfalls vergleichbaren - Verboten. So fiel etwa gemäß § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW aF eine Veränderung des Wasserablaufs infolge veränderter wirtschaftlicher Nutzung des Grundstücks nicht unter das Verbot nach Satz 1. Solche Ausnahmen enthielten etwa auch das Hamburgische Wassergesetz (§ 7 Abs. 2 Satz 2 LWG Hbg in der Fassung vom , HmbGVBl. 2005, 97) und das Landeswassergesetz Schleswig-Holstein (§ 60 Abs. 2 SchlHLWG in der Fassung der Bekanntmachung vom , GVBl. 2008, 91). Grund dieser Ausnahmen war die Überlegung, dass die Rücksichtnahme auf den Unterlieger nicht dazu führen sollte, den Oberlieger an der Bewirtschaftung seines Grundstücks zu hindern (vgl. zB LT-Drs. NW 4/156 S. 97; LT-Drs. NW 8/2388 S. 121 f; , BGHZ 90, 255, 264 f mwN). Dementsprechend hat der Senat zu § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW aF entschieden, die bei landwirtschaftlichen Grundstücken notwendige Art der Bodenbearbeitung sowie die mit einem Wechsel der Fruchtfolge zwangsläufig verbundenen Änderungen der Oberfläche gehörten zur natürlichen Eigenart des Grundstücks; hierauf beruhende Auswirkungen auf ein Nachbargrundstück begründeten keinen Abwehranspruch nach § 1004 BGB (Senat, Urteil vom - III ZR 1/90, BGHZ 114, 183, 188, 191). Im konkreten Fall hat er insbesondere den Anbau von Mais, obwohl diese Art der Anpflanzung den Wasserabfluss verstärkt, nicht als unzulässige Veränderung im Sinne des § 115 Abs. 1 Satz 1 LWG NRW oder entsprechender anderer Gesetzesbestimmungen angesehen (Senat aaO S. 191).
20Die Rechtsprechung hat solche Ausnahmen nicht nur angenommen, wenn die landesrechtlich einschlägige Vorschrift eine entsprechende Regelung enthielt, sondern auch, wenn dies nicht der Fall war. So hat der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit § 82 Abs. 1 des Wassergesetzes des Landes Rheinland-Pfalz (in der Fassung vom , GVBl. 31, ebenso: Fassung vom , GVBl. 54), der eine Regelung wie in § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW beziehungsweise seiner Vorgängernorm (§ 78 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW in der Fassung vom , GVBl. 235) nicht vorsah, wiederum im Zusammenhang mit dem Anbau von Mais angenommen, diese Art der Anpflanzung sei, auch wenn sie den Wasserabfluss verstärke, nicht als unzulässige Veränderung im Sinne des § 82 Abs. 1 LWG RhPf anzusehen. Den natürlichen Abfluss hätten die Eigentümer der Anliegergrundstücke hinzunehmen, damit eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung des sonst durch Staunässe bedrohten höherliegenden Grundstücks möglich sei. Bereits aus dieser Zielsetzung des Gesetzes folge, dass mittelbare Änderungen der Stärke oder Richtung des Wasserabflusses, die aus einer üblichen landwirtschaftlichen Bodennutzung, gerade auch aus jährlich wechselnder Fruchtfolge, einträten, keine unzulässige Veränderung darstellten. Anderenfalls würde die landwirtschaftliche Nutzung abschüssiger Anbauflächen entgegen dem Gesetzeszweck erschwert, wenn nicht gar vereitelt. In den Wassergesetzen anderer Bundesländer seien deshalb Veränderungen des Wasserablaufs infolge veränderter wirtschaftlicher Grundstücksnutzung ausdrücklich von dem auch dort geltenden Veränderungsverbot ausgenommen worden. Solche durch eine zulässige Art der Grundstücksnutzung bewirkten Veränderungen erfasse die Regelung des § 82 Abs. 1 LWG RhPf nicht. Selbst wenn dort eine entsprechende Klarstellung fehle, ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des Veränderungsverbots diese Gesetzesauslegung (vgl. aaO). Eine entsprechende Auslegung ist auch für Art. 63 Abs. 1 BayWG - der ebenfalls keine Ausnahmeregelung enthielt - vertreten worden (BayVGH, AgrarR 1985, 293, 294; Drost, Das Wasserrecht in Bayern, aaO Rn. 11).
21bb) Auch § 37 WHG sieht keine § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW aF oder den anderen genannten Landesbestimmungen entsprechende Ausnahme vor. Ob dies bewusst unterblieben ist oder der Gesetzgeber - ohne dies ausdrücklich zu erwähnen - an die zuvor bestehende Gesetzeslage beziehungsweise die dazu ergangene Rechtsprechung anknüpfen wollte, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Die Gesetzesbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Wasserrechts (BT-Drs. 16/12275 S. 62; BR-Drs. 280/09 S. 178) enthält dazu keine Hinweise. Dort heißt es lediglich, § 37 WHG sei eine Neuregelung, die entsprechende Vorschriften zum Wasserabfluss aus den Wassergesetzen der Länder übernehme. Zu Absatz 1 wird im Folgenden nur ausgeführt, er enthalte Verbotsregelungen zum Wasserabfluss auf Nachbargrundstücken.
22(1) Ein Teil der wasserrechtlichen Literatur vertritt deswegen die Auffassung, von dem Verbot in Absatz 1 Satz 2 seien sowohl die durch die bestimmungsgemäße wie auch die nicht bestimmungsgemäße Bewirtschaftung des Oberliegergrundstücks bewirkten Veränderungen des natürlichen Wasserablaufs erfasst (vgl. Kotulla, Wasserhaushaltsgesetz, 2. Aufl., § 37 Rn. 14; Knopp in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, § 37 Rn. 20 f, [Stand: August 2022]). § 37 Abs. 1 Satz 2 WHG beziehe sich daher auf jede Art oder Form der Bodennutzung, also auch oder gerade die landwirtschaftliche Bodenbearbeitung (Kotulla aaO; Knopp aaO Rn. 21). Innerhalb des von Satz 2 gesetzten Rahmens komme es nicht auf die jeweilige Bodennutzung, sondern allein auf eine dadurch für den Unterlieger bewirkte nachteilige Abflussveränderung an. Es sei gleichgültig, ob eine derartige Abflussbeeinflussung aus einer bisher üblichen Bodennutzung oder einer veränderten Nutzung herrühre. Ein solches Verständnis von Satz 2 sei nicht nur konsequent, sondern verfassungsrechtlich sogar geboten, zumal die Vorschrift dem Eigentümer oder Nutzungsberechtigten des Oberliegergrundstücks die notwendige Rücksichtnahme auf die von den Maßnahmen betroffenen Eigentumsrechte Dritter auferlege und es ersichtlich keinen Grund gebe, das Oberliegereigentum besser zu behandeln als das des Unterliegers (Kotulla aaO).
23(2) Demgegenüber vertritt der überwiegende Teil der Literatur die Ansicht, die Änderung der landwirtschaftlichen Nutzung sei ebenso wie nach der früheren Rechtslage zu beurteilen (Fassbender, NVwZ 2015, 97, 100; ders. in Landmann/Rohmer, Umweltrecht [Stand: September 2022], § 37 WHG Rn. 40; Riedel, aaO Rn. 9; Queitsch in Schink/Fellenberg, GKG-WHG, § 37 Rn. 16; ders. in UPR 2018, 503, 508; im Ergebnis ähnlich: Saller aaO Rn. 282). Die in Rechtsprechung und Literatur bis zur Neufassung des Wasserhaushaltsgesetzes vertretene einhellige Auffassung zur Auslegung der verschiedenen Landesgesetze sei auch unter Geltung des § 37 Abs. 1 WHG aufrechtzuerhalten, solange kein expliziter Ausschluss vorgesehen sei. Der Gesetzgeber habe sich bei der Schaffung des § 37 WHG erklärtermaßen an den landesrechtlichen Regelungen orientiert, und die Gesetzesmaterialien deuteten an keiner Stelle darauf hin, dass er in diesem praktisch überaus bedeutsamen Punkt von der sich aus dem Landesrecht ergebenden Rechtslage beziehungsweise der durch die Rechtsprechung geprägten Rechtswirklichkeit habe abweichen wollen (vgl. Faßbender jew. aaO).
24b) Der Senat schließt sich der zweiten Meinung mit der nachfolgend erläuterten Einschränkung an.
25aa) Nach den naturgesetzlichen Gegebenheiten fließt Wasser nun einmal bergab, was der Ober- und Unterlieger grundsätzlich - von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen abgesehen - hinzunehmen haben (vgl. Senat, Urteil vom aaO S. 190). Der Oberlieger ist mithin insoweit privilegiert, als er den Unterlieger vor dem natürlichen Zufluss des abfließenden Oberflächenwassers nicht bewahren muss, sondern der Unterlieger selbst etwaige Vorkehrungen zu treffen hat. Zweck des § 37 Abs. 1 WHG ist es, Eingriffe in das - wie vorstehend definierte - natürliche Abflussverhalten zu vermeiden (vgl. zB Queitsch in GK-WHG aaO Rn. 2), die etwa in der Verstärkung des bisherigen Abflusses oder in der Veränderung der Fließrichtung des Wassers liegen können (vgl. zB Drost aaO). Mit Blick darauf, dass nach dem Wortlaut des § 37 Abs. 1 WHG jedes ursächliche Verfahren, das den Wasserablauf aus Sicht des Unterliegers nachteilig beeinflusst, erfasst wird, auch wenn es im Rahmen der (berechtigten) Nutzung des Grundstücks erfolgt, besteht - wie schon unter Geltung der früheren landesrechtlichen Vorschriften, die (wie § 82 Abs. 1 LWG RhPf oder Art. 63 Abs. 1 BayWG) eine ausdrückliche Einschränkung des Verbots nicht enthielten - ein Bedürfnis, § 37 Abs. 1 WHG einschränkend auszulegen, soweit die Änderung der Abflussverhältnisse auf einer ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des betreffenden Grundstücks beruht.
26Dass der Gesetzgeber an der für die landesrechtlichen Vorgängernormen - gleichviel, ob diese ausdrücklich eine Ausnahmeregelung wie etwa § 115 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW enthielten oder nicht - dergestalt ausgeformten Rechtslage nicht mehr festhalten wollte, lässt sich weder dem Wortlaut des § 37 WHG noch der Gesetzesbegründung entnehmen. Diese beschränkt sich vielmehr darauf, mitzuteilen, dass § 37 WHG die entsprechenden Vorschriften zum Wasserabfluss aus den Wassergesetzen der Länder übernimmt, ohne auf die insoweit bestehenden Unterschiede einzugehen (BT-Drs. 16/12275 aaO). Hätte der Gesetzgeber von der bisherigen Handhabung abweichen wollen, hätte es jedoch nahegelegen, dies explizit zum Ausdruck zu bringen, wie dies etwa in der Begründung zu § 36 WHG geschehen ist, in der auf die Notwendigkeit einer bundeseinheitlichen Regelung in Anbetracht der bislang in den Ländern bestehenden voneinander abweichenden und differenzierenden Regelungen hingewiesen worden ist (BT-Drs. aaO).
27Auch lässt sich daraus allein, dass eine positive Regelung nicht erfolgt ist, in Anbetracht der bei Einführung des § 37 WHG in der heute geltenden Fassung bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung (Senat, Urteil vom aaO, S. 191; aaO; vgl. auch BayVGH aaO), gegen die - soweit ersichtlich - Bedenken nicht vorgebracht worden sind (zustimmend zB Kerkmann in Jeromin/Prinz, Kommentar zum Landeswassergesetz Rheinland-Pfalz und zum Wasserhaushaltsgesetz, § 82 LWG, Stand: , § 82 LWG Rn. 17; Drost aaO; Postier, Nachbarrecht in Brandenburg, 4. Aufl., § 55 Anm. 2.1; Reich, Nachbarschaftsgesetz Sachsen-Anhalt, 2. Aufl., § 30 Rn. 2 und Pardey, Niedersächsisches Nachbarrechtsgesetz, 3. Aufl., § 39 Anm. 2.1), nicht schließen, dass der Gesetzgeber abweichend vom vorhergehenden Rechtszustand die Haftung des Oberliegers verschärfen und eine zuvor anerkannte Ausnahme nunmehr von einer behördlichen Genehmigung im Sinne von § 37 Abs. 3 WHG und dem Beschreiten eines gegebenenfalls zeitaufwendigen Verwaltungsverfahrens abhängig machen wollte. Näher liegt, dass er mit Blick auf die zum Landesrecht bestehende Rechtsauffassung und die insoweit ergangene Rechtsprechung, namentlich des Bundesgerichtshofs, eine ausdrückliche Regelung für nicht erforderlich erachtet hat. In Anbetracht der Bedeutung einer zulässigen Veränderung des Wasserabflusses insbesondere für die landwirtschaftliche Nutzung von Grundstücken in Gebieten mit Hanglage, ist nicht anzunehmen, dass er von der bislang praktizierten - zweckmäßigen und anerkannten - Rechtspraxis hat abweichen wollen, zumal ein konkreter Grund dafür nicht ersichtlich ist.
28bb) Auch nach der neuen Rechtslage besteht für eine einschränkende Auslegung des in § 37 Abs. 1 WHG enthaltenen Verbots, jedenfalls, soweit es bestimmungsgemäß landwirtschaftlich genutzte Grundstücke betrifft, ein berechtigtes Bedürfnis, das zu der Genese der Vorschrift nicht in Widerspruch steht. Wenn wie vorliegend das Oberliegergrundstück unbeanstandet seit Längerem im landwirtschaftlichen Gebrauch ist und dies die natürlichen Ablaufverhältnisse prägt (vgl. o.), gehören - wie schon unter Geltung der früheren Rechtslage - die dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit dienenden Wechsel der Fruchtfolge und die damit verbundenen Änderungen der Oberfläche des Bodens grundsätzlich zur natürlichen Eigenart des Grundstücks, auch wenn sie sich auf die Abflussverhältnisse auswirken. Sie können daher weder Abwehr- noch Schadensersatzansprüche begründen (vgl. Senat, Urteil vom aaO und aaO). Zutreffend hat das Berufungsgericht hervorgehoben, dass anderenfalls eine kaum vertretbare Rechtsunsicherheit, insbesondere für Grundstücke im landwirtschaftlichen Bereich eintreten würde, die sich nicht nur auf die Berufsausübungsfreiheit der Landwirte auswirken würde, sondern unter Umständen - zumindest in den betroffenen Gegenden - auch die Versorgung der Bevölkerung mit ortsnah erzeugten landwirtschaftlichen Produkten beeinträchtigen könnte. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen entgegen der nicht näher vertieften Auffassung Kotullas (aaO) nicht.
294. Allerdings kann auch die bestimmungsgemäße landwirtschaftliche Nutzung des Oberliegergrundstücks unter dem Gesichtspunkt des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme Einschränkungen unterliegen. § 37 WHG regelt das wasserrechtliche Nachbarrecht (vgl. zB , NJW-RR 2016, 24 Rn. 7). Allgemein ist das Nachbarrecht - wie bereits in den einschlägigen gesetzlichen Regelungen sowie den vorstehenden Erwägungen zum Ausdruck kommt - durch dieses Gebot geprägt, das zum Tragen kommt, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint, weil einer der Nachbarn anderenfalls ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen ausgesetzt ist (vgl. zB , NJW 2020, 607 Rn. 21 mwN).
30Für das wasserrechtliche Nachbarschaftsverhältnis, für das nichts anderes gilt, bedeutet dies, dass auch eine erlaubte wirtschaftliche Nutzung des Oberliegergrundstücks den Unterlieger nicht unangemessen belästigen darf (vgl. Senat, Urteil vom aaO Rn. 22 zu Art. 63 BayWG). Demgemäß darf eine Änderung des Abflusses wild ablaufenden Oberflächenwassers auch im Rahmen einer berechtigten Änderung der wirtschaftlichen Nutzung eines Grundstücks - etwa wie hier dem Wechsel der Fruchtfolge bei der Bestellung landwirtschaftlicher Flächen - nur erfolgen, wenn und soweit sie notwendige Folge dieser Nutzungsänderung ist. Führen daher der Anbau einer bestimmten Pflanzenart und/oder die Art ihrer Kultivierung zu einer Änderung in den Ablaufverhältnissen, etwa, weil das Wasser schlechter gebunden wird, ist dies vom Unterlieger hinzunehmen. Dies gilt auch, soweit abweichend von der bisherigen Nutzung (erstmalig oder in veränderter Weise) Pflanzfurchen zu ziehen sind, die die Gefahr der Kanalisierung des ablaufenden Wassers in sich bergen können. Ist es jedoch zur sinnvollen Aufzucht der Pflanzen und für eine zumutbare, betriebswirtschaftlich vernünftige Bewirtschaftung der Ackerflächen ohne Bedeutung, ob die Ackerfurchen in einer bestimmten Richtung verlaufen, kann es in abschüssigen Gegenden geboten sein, diese aus Rücksicht auf den Unterlieger und zu dessen Schutz gegen die und nicht mit der Gefällerichtung anzulegen (ähnlich Queitsch, UPR 2018 aaO, ders. in Schink/Fellenberg aaO Rn. 16).
31Darauf, ob und warum der Hang für den Kartoffelanbau geeignet war oder nicht, kommt es indessen nicht an. Vielmehr muss es grundsätzlich dem Landwirt überlassen bleiben, was er auf den von ihm bewirtschafteten Feldern anbaut. Anderes kann nur gelten, wenn er ein - zum Schutze der Anlieger - bestehendes konkretes Verbot verletzt. Ein derartiges die Anpflanzung von Kartoffeln betreffendes Verbot im fraglichen Bereich hat das Berufungsgericht - von der Revision unangegriffen - indessen nicht feststellen können.
325. Die Kläger haben vorgetragen, dass die Pflanzfurchen in Gefällerichtung angelegt waren und dies das abwärts laufende Regenwasser vorliegend in besonderem Maß kanalisiert hat. Feststellungen dazu hat das Oberlandesgericht nicht getroffen. Dies wird es im neu eröffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.
III.
33Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 ZPO). Im neuen Berufungsrechtszug wird die Vorinstanz die vorbezeichnete Feststellung nachzuholen und - soweit die Pflanzfurchen in Gefällerichtung angelegt waren - gegebenenfalls zu klären haben, ob die sinnvolle Aufzucht der angebauten Feldfrüchte und eine betriebswirtschaftlich vernünftige Bewirtschaftung des Ackers dies erforderten. Sollte es dabei zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beklagte das nachbarschaftliche Rücksichtnahmegebot nicht beachtet hat, wird weiter zu prüfen sein, ob ihm ein Verschulden vorzuwerfen ist. Gegebenenfalls wird sich das Oberlandesgericht auch mit der - nach seinem Rechtsstandpunkt konsequent - bisher offengelassenen Frage der Kausalität eines Verstoßes gegen das Veränderungsverbot sowie mit der unter Beweis gestellten Behauptung der Kläger zu befassen haben, der geltend gemachte Schaden sei bereits infolge des Starkregens vom eingetreten und durch das zweite Schadensereignis, auf das die Kläger keine Schadensersatzansprüche mehr stützen, nicht vergrößert oder erweitert worden. Von den noch zu treffenden Feststellungen wird überdies abhängen, ob noch weitere konkurrierende Anspruchsgrundlagen - etwa gemäß § 823 Abs. 1 BGB oder § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog - in Betracht zu ziehen sind.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200423UIIIZR92.22.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-41406