Erpresserischer Menschenraub im Zwei-Personen-Verhältnis: Erfordernis einer über die Nötigungshandlung hinausgehenden Beherrschungssituation
Gesetze: § 239a Abs 1 StGB, § 249 StGB, § 250 Abs 1 Nr 1 Buchst b StGB, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 26 KLs 22/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchtem schweren Raub und mit Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Formalrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
32. Der Schuldspruch hält der auf die Sachrüge gebotenen rechtlichen Nachprüfung nur teilweise stand.
4a) Nach den Feststellungen verschafften sich der Angeklagte und ein Begleiter unter einem Vorwand Zutritt zu dem Wohnhaus der Geschädigten. Während der Angeklagte mit der Geschädigten sprach, entwendete der Begleiter im Einverständnis mit dem Angeklagten Schmuck aus einem anderen Zimmer des Hauses. Als die Geschädigte bemerkte, dass die Angaben des Angeklagten, aufgrund deren sie die Männer ins Haus gelassen hatte, unwahr waren, fesselte der Angeklagte sie an einen Stuhl, um sie dazu zu bringen, ihm aus Sorge um ihr Wohl das Versteck des Tresorschlüssels zu nennen, mit welchem er den Tresor öffnen und das darin befindliche Bargeld entwenden wollte. Die Geschädigte erklärte sich unter dem Eindruck der Fesselung bereit, dem Angeklagten den Tresorschlüssel zu geben. Nachdem der Angeklagte hierauf die Fesseln gelöst hatte, zeigte sie ihm den Aufbewahrungsort des Schlüssels, wobei der körperlich überlegene Angeklagte sie begleitete, damit sie nicht fliehen konnte. Der Tresor ließ sich mit dem Schlüssel aber nicht öffnen und der Angeklagte sah keine Möglichkeit mehr, an das Bargeld zu gelangen. Er sperrte die Geschädigte in ein Badezimmer ihres Hauses ein und verließ mit seinem Begleiter unter Mitnahme des Schmucks das Haus.
5b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten erpresserischen Menschenraubes wird von den Feststellungen nicht getragen. In einem Zwei-Personen-Verhältnis setzt der Tatbestand des § 239a Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter die physische Herrschaftsgewalt über das Tatopfer gewonnen und dadurch eine stabile Bemächtigungslage geschaffen hat, welche er für eine Erpressung ausnutzt oder ausnutzen will. Dabei muss der stabilisierten Bemächtigungslage mit Blick auf die erstrebte Erpressung eine eigenständige Bedeutung zukommen, indem sich aus ihr eine Drucksituation für das Tatopfer ergibt, die über die in jeder mit Gewalt oder Drohungen verbundenen Nötigungshandlung liegende Beherrschungssituation hinausgeht. An dem erforderlichen funktionalen Zusammenhang fehlt es, wenn sich der Täter des Opfers durch Nötigungsmittel bemächtigt, die zugleich unmittelbar der beabsichtigten Erpressung dienen, wenn also Bemächtigungs- und Nötigungsmittel zusammenfallen (, NStZ-RR 2015, 336, 337).
6Nach diesem Maßstab hatte der Angeklagte einen Tatentschluss zwar in Bezug auf den vom Landgericht angenommenen schweren Raub (§ 249, § 250 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB), nicht aber auch hinsichtlich eines versuchten erpresserischen Menschenraubs gefasst, denn nach den Feststellungen sollte die Fesselung – ebenso wie die im Begleiten der Geschädigten liegende konkludente Androhung weiterer körperlicher Gewalt – der Ermöglichung der Wegnahme, mithin als Nötigungsmittel des Raubes, dienen.
7c) Indem der Angeklagte die Geschädigte in das Badezimmer einsperrte, verwirklichte er des Weiteren den Tatbestand der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB), der zu dem versuchten Raub und dem – mittäterschaftlich – verwirklichten Diebstahl ebenfalls im Verhältnis der Tateinheit steht.
8d) Der Senat ändert den Schuldspruch demgemäß entsprechend § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich. Die Vorschrift des § 265 StPO steht nicht entgegen, denn der – zum äußeren Tatgeschehen geständige – Angeklagte hätte sich nicht anders als geschehen verteidigen können. Auch das Verschlechterungsverbot des § 358 StPO hindert die Ergänzung des Schuldspruchs um das tateinheitlich verwirklichte Delikt nach § 239 Abs. 1 StGB nicht (vgl. Rn. 5 mwN).
93. Infolge der Schuldspruchänderung kann auch der Strafausspruch keinen Bestand haben, für den das Landgericht den Strafrahmen des § 239a Abs. 2 StGB zugrunde gelegt hat. Die zugehörigen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler hingegen nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
104. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung nicht ergeben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:100523B4STR515.22.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-41177