Insolvenz: Voraussetzungen für Umrechnung von Beförderungsanspruch in Geld
Gesetze: § 38 InsO, § 41 Abs 1 InsO, § 45 S 1 InsO, Art 8 Abs 1 EGV 261/2004
Instanzenzug: Az: 5 S 114/21vorgehend Az: 551 C 8505/20
Tatbestand
1Die Klägerin verlangt von dem beklagten Luftfahrtunternehmen die Erstattung von Flugscheinkosten. Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts erreichen.
Gründe
2Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
3Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Voraussetzung eines Anspruchs aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (fortan: Fluggastrechte-Verordnung oder FluggastrechteVO) sei ein vertraglicher Anspruch auf Luftbeförderung. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten sei der Beförderungsanspruch jedoch gemäß § 41 Abs. 1, § 45 InsO in eine Geldforderung umzurechnen gewesen. Diese habe eine nach Maßgabe der §§ 87, 89 InsO durchzusetzende Insolvenzforderung dargestellt. Die Vorschrift des § 103 Abs. 1 InsO greife nicht ein, weil die Klägerin das Beförderungsentgelt vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig entrichtet habe. Die mehrfachen Umbuchungen und die E-Mail der Beklagten vom , mit welcher die Beklagte die Durchführung der Flüge bestätigt habe, habe nicht zu einer Neubegründung einer vertraglichen Verbindlichkeit geführt. Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen und E-Mails folge, dass es sich lediglich um Änderungen der bereits bestehenden Buchung gehandelt habe. Die Fortsetzung des Flugbetriebs habe nicht zur Aufwertung von Insolvenzforderungen zu Masseverbindlichkeiten geführt.
II.
4Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Beförderungsanspruch der Klägerin hat sich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten nicht in einen nur im Wege der Anmeldung zur Tabelle durchzusetzenden Zahlungsanspruch umgewandelt. Das wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Klägerin den Beförderungsanspruch in Geld umgerechnet und zur Tabelle angemeldet hätte (vgl. im Einzelnen , WM 2022, 1375 Rn. 8 ff). Das hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
III.
5Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
61. Die Revision verweist auf Vortrag der Klägerin in den Tatsacheninstanzen, nach welchem die Beklagte nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen der Klägerin E-Mails geschickt habe, aufgrund derer sie, die Klägerin, sich auf die Durchführung der von ihr gebuchten Flüge habe verlassen dürfen. Die E-Mails hätten keinen Hinweis auf das laufende Insolvenzverfahren oder darauf enthalten, dass sich die Beklagte nicht für rechtlich gebunden gehalten habe. Nach der Annullierung habe die Beklagte ihr, der Klägerin, ein bis zum in Anspruch zu nehmendes "Flugguthaben" entsprechend dem Wert der "Originalbuchung" angeboten.
72. Die rechtliche Erheblichkeit dieses Vorbringens lässt sich auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts nicht überprüfen. Das Berufungsurteil entspricht nicht den Anforderungen des § 540 Abs. 1 ZPO.
8a) Das Berufungsgericht hat gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und von der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen abgesehen. Ein Revisionsverfahren kann auf der Grundlage eines Urteils, das ausdrücklich weder auf die erstinstanzlichen Feststellungen Bezug nimmt noch die Änderungen und Ergänzungen zweiter Instanz darstellt, nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden. Gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Fehlen jegliche Angaben, kann eine revisionsrechtliche Überprüfung nicht stattfinden (vgl. , NJW 2019, 1885 Rn. 5; vom - V ZR 158/20, Grundeigentum 2021, 644 mwN). Das vom Berufungsgericht gewählte Verfahren ist schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nur erlaubt, wenn ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist.
9b) Von einer Aufhebung des Urteils und einer Zurückverweisung der Sache kann in einem solchen Fall nur dann abgesehen wurden, wenn sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt hinreichend deutlich aus den Entscheidungsgründen ergibt. Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht erwähnt einen E-Mail-Verkehr zwischen den Parteien, teilt aber nur seine rechtliche Bewertung mit, welche der Senat mangels näherer Feststellungen nicht revisionsrechtlich überprüfen kann. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Sachverhalt anhand der Akten selbst zu ermitteln, um anschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (, NZM 2017, 732, Rn. 7 mwN).
IV.
10Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es wird aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:090323UIXZR86.22.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-41155