BGH Beschluss v. - 5 StR 61/23

Handlungseinheit bei der Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt

Gesetze: § 27 StGB, § 52 StGB, § 53 StGB, § 64 StGB, § 260 Abs 4 S 5 StPO, § 358 Abs 2 S 1 StPO, § 29 Abs 1 Nr 3 BtMG, § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG

Instanzenzug: Az: 517 KLs 19/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten P.        wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in 27 Fällen, wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Den Angeklagten K.       hat es wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in zwei Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gifhorn vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat das Landgericht den nichtrevidierenden Mitangeklagten S.      wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen und wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

2Die Revisionen der Angeklagten P.        und K.      , mit der sie die Verletzung materiellen Rechts beanstanden, haben mit der Sachrüge – gemäß § 357 StPO auch zugunsten des Mitangeklagten S.      – den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

31. Die dem Schuldspruch zugrundeliegende konkurrenzrechtliche Bewertung der Beihilfehandlungen im Tatkomplex „Kokainlieferservice“ (II.2 der Urteilsgründe) hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

4a) Nach den insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts betrieb der Mitangeklagte H.    zusammen mit weiteren Personen einen Kokainlieferservice im Stadtgebiet von B.    . Das zum gewinnbringenden Verkauf bestimmte Kokain erwarb die Gruppierung kiloweise. Das erste Kilogramm war am abverkauft, die bis zum vorgenommenen Verkaufsaktivitäten dienten dem Absatz eines zweiten Kilogramms, die anschließend bis zum getätigten Lieferungen erfolgten aus einem dritten Kilogramm Kokain. Das Landgericht hat den Mitangeklagten H.    deshalb des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen schuldig gesprochen.

5Die Angeklagten und der Mitangeklagte S.      unterstützten die Gruppierung als Ausfahrer. Sie erhielten dabei jeweils zu Beginn ihrer Schicht einen Vorrat verkaufsbereit portioniertes Kokain ausgehändigt, das sie sodann nach telefonischer Anweisung an Abnehmer auslieferten sowie deren Zahlungen entgegennahmen. Nur an einzelnen Tagen überschritt der ausgehändigte Verkaufsvorrat den Grenzwert zur nicht geringen Menge. Nach diesem Muster verrichteten der Angeklagte P.        17 Schichten (davon eine Schicht mit einer nicht geringen Menge aus der ersten Handelsmenge von einem Kilogramm), der Angeklagte K.       fünf (davon drei Schichten mit einer nicht geringen Menge aus der dritten Handelsmenge von einem Kilogramm) und der Mitangeklagte S.      32 Schichten (davon vier Schichten mit einer nicht geringen Menge ebenfalls aus der dritten Handelsmenge) für die Gruppierung. Der Angeklagte P.        und der Mitangeklagte förderten so den Absatz aller drei Kokain- mengen; der Angeklagte K.       war hingegen erst ab dem für die Gruppierung tätig.

6b) Entgegen der Annahme des Landgerichts sind die Schichten der Angeklagten nicht als eigenständige materielle Beihilfetaten anzusehen. Zwar ist die Frage der Konkurrenz für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Dies gilt wegen der Akzessorietät der Beihilfe aber dann nicht, wenn mehrere an sich selbständige Beihilfehandlungen eine Haupttat fördern. In einem solchen Fall werden die Beihilfehandlungen zu einer Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 427/22 Rn. 4 und vom – 5 StR 356/08, NStZ-RR 2008, 386 jeweils mwN). Die durch die Entgegennahme des Kokains bei jedem Schichtbeginn an sich selbständig verwirklichten Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln oder des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge werden durch die einheitliche Beihilfehandlung zur Tateinheit verbunden (vgl. , NStZ-RR 2013, 147, 149).

7c) Der Senat hat den Schuldspruch deshalb wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich geändert und dabei zur Klarstellung gemäß § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO ausnahmsweise die gleichartige Idealkonkurrenz zwischen den Besitztaten gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Schichten mit einer nicht geringen Menge) zum Ausdruck gebracht. Dem steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, weil sich die umfassend geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Die Änderung ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten S.      zu erstrecken, weil seine Verurteilung ebenfalls auf der unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Bewertung beruht.

8d) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der Strafaussprüche nach sich. Die den Strafaussprüchen zugrundeliegenden Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können ebenso bestehen bleiben wie die in den Fällen II.1a (1 bis 27) gegen den Angeklagten P.       verhängten Einzelstrafen wegen der rechtsfehlerfrei ausgeurteilten Erwerbstaten.

92. Das Absehen von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten P.        in einer Entziehungsanstalt erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerhaft, so dass das Urteil auch insoweit keinen Bestand hat.

10Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass bei dem Angeklagten keine Kokainabhängigkeit oder eine sonstige Störung vorliege, die seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt habe. Zudem konsumiere er „nur gelegentlich und daher nicht in einem solchen Maße, dass ein Hang im Sinne des § 64 StGB anzunehmen wäre“.

11Diese knappen Ausführungen vermögen das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht auszuschließen. Denn dafür ist weder eine physische Abhängigkeit Voraussetzung (vgl. nur ) noch eine generelle Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, die dem Gesetz bei Erwachsenen ohnehin fremd ist (vgl. §§ 20, 21 StGB: „bei Begehung der Tat“; LK/Verrel/Linke/Koranyi, StGB, 13. Aufl., § 20 Rn. 1, 3). Ausreichend ist vielmehr eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 235/21 Rn. 5 und vom – 5 StR 416/22, StV 2023, 236 f. jeweils mwN). Dies lag hier nach den getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht fern und hätte näherer Erörterung bedurft. Denn der Angeklagte erwarb im Zeitraum von August 2020 bis Anfang September 2021 allein bei dem ehemals Mitangeklagten N.    27 mal Kokain (Tatkomplex II.1 der Urteilsgründe) – teilweise mehrere Gramm – und wurde zudem nach seiner von der Strafkammer als glaubhaft eingeschätzten Einlassung für seine Fahrertätigkeit nach besonders anstrengenden Schichten ebenfalls mit Kokain zum Eigenkonsum „belohnt“. Im Oktober und November 2021, noch bevor er seine Tätigkeit als Ausfahrer begann, war er zudem ausweislich der Feststellungen mehrmals Abnehmer der Gruppierung um den Mitangeklagten H.    . Das Landgericht hat dessen ungeachtet keine näheren Feststellungen zu Art und Ausmaß des Konsums und zur Beeinträchtigung der Gesundheit, der Arbeits- oder Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch den Konsum (vgl. zum jedenfalls indiziellen Aussagewert dieses Kriteriums nur ) getroffen, sondern sich für die Ablehnung eines Hangs allein auf die „Unregelmäßigkeit der Ankäufe“ – ob noch eine andere Bezugsquelle bestanden hat, hat es unerörtert gelassen – und die Angaben des Angeklagten gestützt, wonach bei ihm „keine Drogensucht“ bestanden habe.

12Sollte das Landgericht mit dem Verweis auf das Fehlen einer relevanten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit den symptomatischen Zusammenhang zwischen einem möglichen Hang und den Taten verneint gewusst haben wollen, wäre auch dies rechtsfehlerhaft. Denn für die Wertung, dass eine Tat im Rausch begangen ist, genügt eine enthemmende Wirkung der Rauschmittel, ohne dass die Schwelle des § 21 StGB erreicht sein muss (vgl. nur ).

13Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – über die Frage einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden werden.

143. Die Einziehungsanordnungen hat der Senat, den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift folgend, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO dahin ergänzt, dass die Angeklagten als Gesamtschuldner haften.

154. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

16a) § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Verhängung höherer als der bisherigen Einzelstrafen nicht entgegen. Die vom Landgericht als selbständig erachteten Taten sind mit den zugehörigen Einzelstrafen als solche entfallen. Der Unrechtsgehalt der nun zusammen gefassten Taten ist damit erhöht. Das Verschlechterungsverbot, welches grundsätzlich auch für Einzelstrafen gilt, gebietet bei dieser Sachlage deshalb nur, dass die Summe der jeweils betroffenen bisherigen Einzelstrafen bei der Bemessung der jeweils neu festzusetzenden Einzelstrafe nicht überschritten wird. Überdies darf auch die neue Gesamtstrafe nicht höher als bisher ausfallen (vgl. Rn. 6).

17Bei der Bemessung der Einzelstrafen wird die neu mit der Sache befasste Strafkammer zudem gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB den in einzelnen Fällen tateinheitlich verwirklichten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im Blick zu behalten haben.

18b) Bei der Einbeziehung der vom Amtsgericht Gifhorn verhängten Freiheitsstrafe – wobei es für die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 StGB auf den Zeitpunkt der tatgerichtlichen Entscheidung im ersten Rechtsgang des hiesigen Verfahrens ankommt (vgl. nur Rn. 7) – wird mit Blick auf die dortige Einziehungsentscheidung zu beachten sein, dass auf eine einheitliche Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe der Summe des Einziehungsbetrags aus der früheren Verurteilung und dem angefochtenen Urteil zu erkennen ist (vgl. Rn. 12).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:250423B5STR61.23.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-40926