BGH Urteil v. - VIa ZR 233/22

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 7 U 183/20 Urteilvorgehend LG Neuruppin Az: 1 O 228/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin kaufte im Jahr 2010 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Golf VI Plus 1,6 l TDI für 28.000,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet.

3Mit der am anhängig gemachten Klage, die der Beklagten am zugestellt worden ist, hat die Klägerin die Beklagte auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, hilfsweise für den Fall, dass das Gericht zu dem Ergebnis gelange, dass der mit dem Zahlungsantrag geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht bestehe, auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, weiter auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin ihre Anträge im Wesentlichen weiterverfolgt und die Klage erweitert. Sie hat die Zahlung von 28.000,01 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 14.616,38 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung der teilweisen Erledigung des Rechtsstreits, hilfsweise Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten, weiter Feststellung des Annahmeverzugs, Feststellung, dass der Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung herrühre, sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dabei hat es die Zurückweisung der Berufung betreffend den Hilfsantrag damit gerechtfertigt, der Hilfsantrag sei unzulässig, weil es an einem berechtigten Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht fehle, wenn "infolge des Hauptantrages der Eintritt der Verjährung" feststehe. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungs(haupt)anträge mit Ausnahme des Antrags auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter. Zu der den Hilfsantrag betreffenden Zurückweisung der Berufung verweist sie in der Sache auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Gegenstandslosigkeit der Abweisung des Hilfsantrags im Falle eines (Teil-)Erfolgs mit dem Hauptantrag (vgl. , ZInsO 2021, 721 Rn. 10 mwN).

Gründe

4Die auf die Hauptanträge der Klägerin mit Ausnahme des Freistellungsbegehrens beschränkte Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht (, juris) hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt gerechtfertigt:

6Ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB sei verjährt. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Restschadensersatz gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB. Die Beklagte habe bei wirtschaftlicher Betrachtung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs keinen Vermögensvorteil auf Kosten der Klägerin erlangt, weil die Bereicherung der Beklagten allein auf der Veräußerung des Fahrzeugs an den Händler beruht habe. Auch der Umstand, dass die Bestellung des Händlers beim Hersteller im Neuwagengeschäft häufig durch den Kaufvertrag des Händlers mit dem Kunden und gemäß dessen Ausstattungsvorgaben veranlasst werde, begründe wirtschaftlich keine Bereicherung der Beklagten auf Kosten der Klägerin. Damit seien auch die Anträge auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Feststellung der Herleitung eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung unbegründet.

II.

7Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

81. Zu Recht und von der Revision unbeanstandet ist das Berufungsgericht zu dem Schluss gelangt, die Klägerin habe einen Anspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihr für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff., 33 ff.; außerdem VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 25 ff.).

92. Indessen tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht die Annahme, die Klägerin habe auch keinen Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegen die Beklagte. Das Berufungsgericht, das einen Restschadensersatzanspruch der Klägerin vor den Entscheidungen des Senats vom ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 51 ff., 81 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 11 ff.) und vom ( VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.) verneint hat, hat keine hinreichenden Feststellungen zur Anwendbarkeit der §§ 826, 852 Satz 1 BGB getroffen, weil es rechtsfehlerhaft hat dahinstehenlassen, ob die Klägerin das Fahrzeug auf der Grundlage einer die Annahme einer zumindest mittelbaren Vermögensverschiebung begründenden Absatzkette erworben hat oder nicht (vgl. VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 14; Urteil vom , aaO, Rn. 27 f.).

III.

10Das Berufungsurteil unterliegt mithin in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Insbesondere kann der Senat entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht die Durchsetzbarkeit eines Restschadensersatzanspruchs nach § 852 Satz 2 Fall 1, § 214 Abs. 1 BGB verneinen. Hierzu fehlen tragfähige Feststellungen (§ 313 Abs. 2 Satz 2, §§ 314, 559 Abs. 1; vgl. VIa ZR 227/21, juris Rn. 15), weil das Berufungsgericht einerseits als unstreitig einen Erwerb des Fahrzeugs am festgestellt und andererseits konkret (vgl. , VersR 2014, 1095 Rn. 42; Urteil vom - VI ZR 102/14, VersR 2015, 1165 Rn. 48) auf eine Anlage K 1 der Klägerin Bezug genommen hat, der die Angabe "Kaufvertrags-Datum: " zu entnehmen ist. Auf den in dritter Instanz erstmals gehaltenen und nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO im Revisionsverfahren unzulässigen (vgl. , WRP 2020, 1022 Rn. 31) weiteren Vortrag der Klägerin zu den für die Entstehung des Schadens maßgeblichen Umständen kommt es für die Entscheidung des Senats nicht an.

11Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:030423UVIAZR233.22.0

Fundstelle(n):
YAAAJ-40855