Relativer Revisionsgrund im Strafverfahren: Nichtgewährung des letzten Wortes nach zeitweiser Abwesenheit des Angeklagten
Gesetze: § 231 Abs 2 StPO, § 258 Abs 2 StPO, § 258 Abs 3 StPO, § 337 Abs 1 StPO
Instanzenzug: Az: 4 KLs 2050 Js 70047/17
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte S. wegen unerlaubten Erbringens von Zahlungsdiensten und den Angeklagten Sh. wegen Anstiftung dazu jeweils zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen die Einziehungsbeteiligte hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.048.067,70 € angeordnet. Von weiteren Tatvorwürfen hat es die Angeklagten freigesprochen. Die beiden Angeklagten und die Einziehungsbeteiligte beanstanden mit ihren Revisionen die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts. Das Rechtsmittel der Angeklagten S. hat insgesamt, diejenigen des Angeklagten Sh. und der Einziehungsbeteiligten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen teilweisen Erfolg.
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war die Angeklagte Geschäftsführerin der einziehungsbeteiligten GmbH. Dass der Angeklagte faktischer Mitgeschäftsführer war, ist nicht festgestellt. Auf seine Veranlassung nahm die Einziehungsbeteiligte im Auftrag anderer Gesellschaften Anlegergelder entgegen und transferierte diese nach Abzug von Provision weiter. Zwischen dem 11. Oktober und dem gingen insgesamt 4.009.237,90 € auf vier Konten der Einziehungsbeteiligten ein. Sie verfügte über keine in- oder ausländische Erlaubnis zur Erbringung von Zahlungsdiensten. Dies war beiden Angeklagten ebenso bekannt wie der Umstand, dass die Tätigkeit der Einziehungsbeteiligten als Zahlungsdienstleister in Deutschland erlaubnispflichtig war. Gegen die Einziehungsbeteiligte wurde am ein Vermögensarrest in Höhe von 1.048.067,70 € vollzogen.
32. Die Revision der Angeklagten S. dringt mit der Verfahrensbeanstandung durch, ihr sei entgegen § 258 Abs. 2 StPO nicht das letzte Wort gewährt worden.
4a) Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Geschehen zugrunde:
5Die Angeklagte war am 21. Tag der Hauptverhandlung nicht erschienen. Nach einem entsprechenden Beschluss des Landgerichts gemäß § 231 Abs. 2 StPO wurde die Verhandlung ohne sie fortgesetzt. Am selben Tag erhielten die Verteidiger beider Angeklagter und der Mitangeklagten das Wort für ihre Schlussvorträge sowie der Angeklagte und die Mitangeklagten das letzte Wort. Am nächsten Hauptverhandlungstag war die Angeklagte von Beginn an anwesend. Der Vorsitzende verkündete einen Kammerbeschluss und nach Unterbrechung der Verhandlung das Urteil, ohne der Angeklagten das letzte Wort zu erteilen.
6b) Diese Verfahrensweise entsprach nicht § 258 Abs. 2 StPO, nach dem der Angeklagten das letzte Wort gebührt.
7Danach ist sie gemäß § 258 Abs. 3 StPO auch dann zu befragen, ob sie selbst noch etwas zu ihrer Verteidigung anzuführen habe, wenn ein Verteidiger für sie gesprochen hat. Die zeitweise Verhandlung in ihrer Abwesenheit nach § 231 Abs. 2 StPO enthebt das Landgericht nicht von der Pflicht, der wieder anwesenden Angeklagten das letzte Wort zu erteilen. Kehrt sie in die Hauptverhandlung zurück, nimmt sie ihre Stellung mit allen ihren Rechten wieder ein. Das Recht zur Ausübung des letzten Wortes hat sie nicht dadurch verwirkt, dass sie während eines Verfahrensabschnittes abwesend war, in dem Mitangeklagte Gelegenheit zum letzten Wort hatten. Dem Recht der Angeklagten auf das letzte Wort entspricht die Verpflichtung des Gerichts, nach § 258 Abs. 3 StPO den Angeklagten von Amts wegen Gelegenheit zu geben, sich als Letzte persönlich abschließend zur Sache zu äußern. Das ist angesichts der Bedeutung dieses Rechts selbst dann erforderlich, wenn das Gericht das Beweisergebnis schon abschließend beraten hat und zur Verkündung des Urteils bereit ist (s. insgesamt , BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 2 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 258 Rn. 20).
8Diese Anforderungen wurden nicht eingehalten.
9c) Soweit das Urteil die Angeklagte betrifft, beruht es im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler; denn es ist nicht auszuschließen, dass sie bei Erteilung des letzten Wortes noch Ausführungen gemacht und dies sich auf die Entscheidung des Landgerichts ausgewirkt hätte (vgl. zum Beruhen etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 499/01, wistra 2002, 308; vom - 5 StR 70/14, StraFo 2014, 251; vom - 5 StR 350/08, NStZ 2009, 50; vom - 5 StR 154/89, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Letztes Wort 1; , BVerfGE 54, 140, 142; KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 258 Rn. 35 f.). Allein daraus, dass die in L. lebende Angeklagte zu dem auf den Schlussvortrag des Staatsanwalts folgenden Hauptverhandlungstag nicht erschien, ist nicht zu folgern, sie habe wie zuvor von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen und sich nicht äußern wollen. So ließ sich etwa der ebenfalls zuvor schweigende Angeklagte erst im Rahmen seines letzten Wortes zur Sache ein.
10d) Danach ist die Verurteilung der Angeklagten S. insgesamt mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.
113. Das Rechtsmittel des Angeklagten Sh. hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als es zur Aufhebung des ihn betreffenden Strafausspruchs führt. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
12a) Die vom Angeklagten - ebenso wie von der Einziehungsbeteiligten - erhobene Rüge, ein Antrag auf Vernehmung einer Auslandszeugin sei zu Unrecht abgelehnt worden, ist jedenfalls unbegründet. Die Strafkammer hat den Antrag durch Beschluss rechtsfehlerfrei nach § 244 Abs. 5 Satz 1 und 2 StPO abgelehnt.
13b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch der Anstiftung zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten und sind durch die Beweiswürdigung belegt. Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand, da die zwingende Strafrahmenmilderung nach § 28 Abs. 1, § 14 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB nicht in Bedacht genommen worden ist.
14aa) Nach der gemäß § 2 Abs. 3 StGB anzuwendenden, im Tatzeitraum geltenden Fassung des § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Nr. 5 ZAG waren Normadressaten nur Unternehmen, nicht aber natürliche Personen (s. , BGHR ZAG § 31 Abs. 1 Nr. 2 Zahlungsdienste 1 Rn. 5 mwN; demgegenüber zur aktuellen Rechtslage , ZInsO 2022, 2120 Rn. 22 mwN). Eine Strafbarkeit als Täter setzt daher eine Zurechnung nach § 14 StGB voraus (vgl. , aaO Rn. 8). Fehlen besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 14 Abs. 1 StGB, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfen), ist dessen Strafe gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (vgl. auch Schäfer/Omlor/Mimberg/Weiß, ZAG, § 63 Rn. 104).
15bb) Demgemäß war der für den Angeklagten eröffnete Strafrahmen des § 31 Abs. 1 ZAG aF herabgesetzt. Da der Angeklagte weder vertretungsberechtigtes Organ der Einziehungsbeteiligten noch deren Beauftragter war, lagen bei ihm die Strafbarkeit des Täters begründende besondere persönliche Merkmale nicht vor. Danach ist die Strafe aufzuheben; denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht diese bei Annahme eines gemilderten Strafrahmens geringer bemessen hätte. Die zugrundeliegenden Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
164. Eine von der Einziehungsbeteiligten allgemein geltend gemachte Verletzung materiellen Rechts liegt vor, weil die Urteilsfeststellungen die Einziehungsentscheidung zu ihren Lasten nicht tragen. Die auf Konten der Einziehungsbeteiligten eingegangenen Beträge stellen nicht in voller Höhe Taterträge im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB aus dem unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten dar, sondern lediglich in Bezug auf erzielte Provisionen. Mithin kommt die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 73c Satz 1 StGB nur in Höhe erlangter Provisionen, nicht aber hinsichtlich der im Rahmen von Finanztransfergeschäften entgegengenommenen Geldbeträge insgesamt in Betracht.
17a) Geldbeträge, die im Rahmen von erbrachten Zahlungsdiensten erlangt sind und auf die sich die tatbestandliche Tätigkeit nach § 31 Abs. 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 2 Nr. 6 ZAG aF (vgl. § 63 Abs. 1 Nr. 4, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 ZAG nF) bezieht, stellen Tatobjekte im Sinne des § 74 Abs. 2 StGB dar, so dass insoweit die Einordnung zugleich als Taterträge ausscheidet (s. im Einzelnen BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 403/20, ZInsO 2022, 2120 Rn. 36; vom - 3 StR 278/22, juris Rn. 15 ff.; III-1 Ws 131/22, NZWiSt 2023, 69 Rn. 16; entsprechend zu Bankgeschäften nach dem KWG , NJW 2022, 2701 Rn. 11 ff.; demgegenüber zur früheren Rechtslage - ohne Abgrenzung zum Tatobjekt - , BGHR StGB § 73 Erlangtes 18 Rn. 26 ff.). Soweit Gelder als Tatobjekte im Zusammenhang mit Straftaten nach dem ZAG einzuordnen sind, scheidet eine Einziehung aus, weil insofern keine sondergesetzliche Regelung gemäß § 74 Abs. 2 StGB gegeben ist.
18b) Dagegen sind für das - strafbare - Erbringen von Zahlungsdiensten erzielte Entgelte Taterträge nach § 73 Abs. 1 StGB und können daher, ebenso wie gegebenenfalls ihr Wert (§ 73c StGB), eingezogen werden (s. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 403/20, ZInsO 2022, 2120 Rn. 34; vom - 3 StR 278/22, juris Rn. 15 f., 23). Da die Einziehungsbeteiligte Provisionen für das erbrachte Finanztransfergeschäft erhielt, kommt demnach grundsätzlich eine Einziehung in Frage.
19Allerdings ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, in welcher genauen Höhe Provisionen tatsächlich angefallen sind. Die Sache bedarf daher neuer tatgerichtlicher Prüfung. Zu den rechtsfehlerfrei getroffenen bisherigen Feststellungen, die bestehen bleiben können, sind ergänzend weitere zu den tatsächlich erlangten Vergütungen geboten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:180423B3STR10.23.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-40267