Vorlagefrage an EuGH zur Zulässigkeit der Bewerbung eines Desinfektionsmittels mit hautfreundlichen Eigenschaften - Hautfreundliches Desinfektionsmittel
Leitsatz
Hautfreundliches Desinfektionsmittel
Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167 vom , S. 1) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind "ähnliche Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter "ähnliche Hinweise" alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen?
Gesetze: Art 72 Abs 3 S 1 EUV 528/2012, Art 72 Abs 3 S 2 EUV 528/2012
Instanzenzug: Az: 6 U 95/21 Urteilvorgehend Az: 14 O 61/20 KfH Urteilnachgehend Az: C-296/23 Urteilnachgehend Az: I ZR 108/22 Urteil
Gründe
1I. Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. Die Beklagte ist eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette.
2Die Beklagte bot ein Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung "BioLYTHE" in der nachstehend abgebildeten Aufmachung in ihren Filialen und - unter Abbildung des Produkts samt Etikett sowie mit weiteren textlichen Angaben einschließlich einer "Produktbeschreibung" - im Internet zum Verkauf an. Das Produkt enthält Natriumhypochlorit (NaCIO) in einer Konzentration von 0,049 Gewichtsprozent. Dabei handelt es sich um ein Oxidationsmittel, das Sauerstoff abspaltet beziehungsweise freisetzt, welcher die Zellmembranen von Bakterien, Viren und Pilzen dahin beeinträchtigt, dass sie dem osmotischen Druck nicht mehr standhalten können.
3Das in den folgenden Abbildungen jeweils ausschnittsweise vergrößert gezeigte Etikett trägt unter der Produktbezeichnung die - auch in der Produktbeschreibung auf der Internetseite der Beklagten enthaltene - Angabe "Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel" sowie unter dem Text "Haut-, Hände- und Oberflächendesinfektion" und "Wirksam gegen SARS-Corona" die Angaben "Hautfreundlich Bio ohne Alkohol".
4Die Klägerin meint, die Werbung sei unlauter, weil die Beklagte damit Marktverhaltensregelungen der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) zuwiderhandle. Nach erfolgloser Abmahnung hat sie beantragt,
die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr Desinfektionsmittel, insbesondere "BioLYTHE", als "ökologisches Universal-Breitband-Desinfektionsmittel" und/oder "Hautfreundlich" und/oder "Bio", in der Werbung (auch im Internet) oder auf dem Produktetikett zu bezeichnen oder zu vertreiben (jeweils selbst oder durch Dritte).
5Sie hat außerdem die Erstattung einer Abmahnkostenpauschale nebst Zinsen verlangt.
6Das Landgericht hat der Klage stattgegeben ( KfH, juris). Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil insoweit teilweise abgeändert, als es den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage "Hautfreundlich" abgewiesen hat (OLG Karlsruhe, GRUR 2022, 1620). Mit ihrer vom Berufungsgericht im Umfang der Teilklageabweisung zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag hinsichtlich der Werbeaussage "Hautfreundlich" weiter.
7II. Der Erfolg der zulässigen Revision hängt davon ab, wie der Begriff der in einer Werbung für Biozidprodukte verbotenen "ähnlichen Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (Biozid-VO) auszulegen ist. Diese Frage ist entscheidungserheblich, war noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union und die richtige Auslegung des Unionsrechts ist nicht derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. , NJW 2021, 3303 [juris Rn. 32 f.] - Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi). Vor einer Entscheidung über die Revision ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
81. Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren relevant - den Unterlassungsantrag hinsichtlich der Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" für unbegründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:
9Die Klägerin sei anspruchsberechtigt nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG. Die beanstandete geschäftliche Handlung sei nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Biozid-VO als unlautere Handlung unzulässig, weil die Beklagte nicht Normadressatin dieser Bestimmung sei. Die Beklagte habe mit der angegriffenen Verwendung der Bezeichnung "Hautfreundlich" für ein Desinfektionsmittel auch nicht gegen Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO verstoßen. Die Angabe "Hautfreundlich" sei kein "ähnlicher Hinweis" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO. Sie sei auch nicht irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO.
102. Die Klägerin ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG in der bis zum geltenden Fassung (vgl. § 15a Abs. 1 UWG) klagebefugt. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine Zuwiderhandlung der Beklagten gegen Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Biozid-VO nicht in Betracht kommt, weil die Beklagte nicht Normadressatin dieser Bestimmung ist, die sich an Zulassungsinhaber im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. p Biozid-VO richtet. Die Klägerin behauptet nicht, dass die Beklagte darunterfällt.
113. Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO stellt eine nach § 3a UWG unlautere und nach § 3 Abs. 1 UWG unzulässige geschäftliche Handlung dar, die wegen der hier vorliegenden Wiederholungsgefahr einen Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG begründen kann.
12a) Nach Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO darf die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.
13b) Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Sie ist auch dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Das Ziel der Biozid-Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen der Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO enthält Regelungen zur Werbung für Biozidprodukte, mit denen Verharmlosungen der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unterbunden werden sollen (vgl. BeckOK.UWG/Niebel/Kerl, 19. Edition [Stand ], § 3a Rn. 195 mwN). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO dient damit auch dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher.
14c) Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. , GRUR 2016, 833 [juris Rn. 11] = WRP 2016, 858 - Bio-Gewürze I, mwN). Bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO handelt es sich um eine solche (auch) dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelung.
15d) Der Verfolgung eines Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO als unlautere geschäftliche Handlung steht nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken die Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vollständig harmonisiert (Art. 3 Abs. 1, Art. 4 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Richtlinie lässt nach ihrem Art. 3 Abs. 3 die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine solche Rechtsvorschrift.
164. Das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit den Parteien mit Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den vom Antrag erfassten Desinfektionsmitteln um Biozidprodukte im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a Biozid-VO handelt, also um einen Stoff oder ein Gemisch, der/das dazu bestimmt ist, auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung Schadorganismen zu bekämpfen. Die beanstandeten Angaben sind auch Teil der von Art. 72 Biozid-VO geregelten Werbung (vgl. die Legaldefinition des Ausdrucks "Werbung" in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y Biozid-VO).
175. Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend und von der Revision unbeanstandet angenommen, dass es für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO auch hinsichtlich der Variante "ähnliche Hinweise" nicht auf eine Irreführung ankommt.
18a) Die Regelung in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO überträgt die ebenfalls im Abschnitt "Informationen über Biozidprodukte" enthaltene, an die Etikettierung durch den Zulassungsinhaber gestellten Anforderungen aus Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Biozid-VO sinngemäß auf die Werbung. Nach Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Biozid-VO stellen die Zulassungsinhaber sicher, dass das Etikett hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit nicht irreführend ist und keinesfalls Angaben wie "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthält. Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO enthält eine vergleichbare Regelung für das Gebiet der Werbung und schreibt in Satz 1 vor, dass in der Werbung für Biozidprodukte das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Nach der - hier in Rede stehenden - Regelung in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO darf die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "ungiftig", "unschädlich", "natürlich", "umweltfreundlich", "tierfreundlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.
19b) Damit untersagen beide Regelungen zunächst eine irreführende Darstellung auf dem Etikett (Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 1 Biozid-VO) beziehungsweise in der Werbung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO). Daneben verbieten beide Regelungen im Einzelnen aufgeführte Angaben sowie "ähnliche Hinweise" (für die Etikettierung Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 2 Biozid-VO; für die Werbung Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO). Dieses unbedingt angeordnete Verbot - "keinesfalls" bzw. "auf keinen Fall" - bestimmter Angaben besteht unabhängig davon, ob diese einen irreführenden Charakter im Sinne von Art. 69 Abs. 2 Unterabsatz 1 Satz 1 Fall 1 beziehungsweise Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO haben. Für die Variante "ähnliche Hinweise" in beiden Regelungen, die das unbedingte Verbot auf Angaben erstreckt, die im Vergleich zu den vorangestellten Beispielen als "ähnliche Hinweise" anzusehen sind, gilt insoweit nichts Besonderes.
206. Der Unterlassungsanspruch bezüglich der Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" ist nur begründet, wenn diese Angabe als "ähnlicher Hinweis" unter das Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt. Für den Erfolg der Revision kommt es deshalb darauf an, was unter "ähnlichen Hinweisen" zu verstehen ist.
21a) Das Berufungsgericht hat angenommen, unter den Begriff "ähnliche Hinweise" fielen nicht nur solche Angaben, die mit den in der Vorschrift einzeln aufgezählten Angaben inhaltlich übereinstimmten. Der Begriff solle insbesondere solche, gegebenenfalls inhaltlich abweichenden Angaben erfassen, deren hinweisender Gehalt (nur) in der Weise ähnlich sei, dass sie ausgehend vom Schutzzweck des Verbots wertungsmäßig gleichstünden, indem ihr Sinngehalt die charakteristischen Züge teile, die dem Unwerturteil der Verordnung hinsichtlich der ausdrücklich genannten Begriffe zugrunde lägen. Den in der Verordnung aufgezählten Begriffen sei gemein, dass sie die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit mit einer pauschalen Angabe verharmlosten. Als "ähnlich" vom Verbot erfasst seien danach Hinweise auf die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit, die in ihrer pauschalen Verharmlosung den beispielhaft genannten Angaben gleichstünden. Zur Feststellung des generalisierenden Gehalts des Hinweises, der den Verbotstatbestand kennzeichne, genüge es noch nicht, wenn der in Rede stehende Hinweis sich einer der beispielhaft genannten Angaben in der Weise zuordnen lasse, dass letztere den Oberbegriff bilde.
22Danach falle die Angabe "Hautfreundlich" nicht als "ähnlicher Hinweis" unter Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO und zwar unabhängig davon, ob der Verkehr eine (unmittelbare) positive Wirkung, eine bloße Unschädlichkeit oder lediglich eine Begrenzung des Risikopotenzials für die Haut erwarte. Die Angabe "Hautfreundlich" relativiere das Risikopotenzial des Produkts oder seiner Wirkungen und deren Schädigungseignung weder allgemein (wie "Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial", "unschädlich", "ungiftig") noch wenigstens speziell hinsichtlich eines der Schutzgüter umfassend (Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt) in pauschaler Weise. Sie beschreibe vielmehr - wenn auch insoweit sehr allgemein - die Produktwirkung auf ein spezifisches Organ, nämlich die Haut des Menschen.
23Der Senat hält diese Sichtweise für zutreffend.
24b) Allein anhand des Wortlauts des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO lässt sich die Frage, was unter "ähnliche Hinweise" zu verstehen ist, nicht beantworten. Das Berufungsgericht ist nach Auffassung des Senats allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass es sich dabei nicht nur um zu den konkret genannten verbotenen Aussagen synonyme Angaben handelt. Dafür spricht der Begriff "ähnlich", der gerade nicht nur inhaltlich identische Angaben umfasst; vielmehr ist eine bloße "Ähnlichkeit" zu den konkret genannten Angaben ausreichend.
25c) Der Zweck des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO sowie das Zusammenspiel mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO sprechen für die Auffassung des Berufungsgerichts.
26aa) Aus den Erwägungsgründen 1 und 3 Biozid-VO geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber den freien Verkehr von Biozidprodukten und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich bringen wollte. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung von Art. 72 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 1 und 3 Biozid-VO ergibt, dass der Bereich der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken, die in der Werbung für diese Erzeugnisse verwendet werden dürfen, vom Unionsgesetzgeber vollständig harmonisiert wurde (, GRUR 2023, 354 [juris Rn. 64 f.] - CIHEF u.a.).
27bb) In Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO hat der Unionsgesetzgeber neben dem Irreführungsverbot in Satz 1 in Satz 2 (nur) einzelne Angaben für in jedem Fall unzulässig erklärt. Das Berufungsgericht ist deshalb nach Auffassung des Senats zutreffend davon ausgegangen, dass die Verordnung nicht schlechthin Angaben - unabhängig von ihrem am Irreführungsverbot zu messenden Wahrheitsgehalt - verhindern will, die sich mit dem Vorhandensein und gegebenenfalls Ausmaß oder Fehlen bestimmter Gefahren, Wirkungen des Produkts hinsichtlich Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder dessen Wirksamkeit befassen. Die Regelung in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO lässt auch nicht erkennen, dass sie von den erlaubten - insbesondere nicht irreführenden - Angaben sämtliche, also auch substantiierte spezifische Hinweise ausnehmen will, die sich auf fehlende oder geringe Risiken oder gar günstige Wirkungen des Produkts in bestimmter Hinsicht beziehen. Mit dem Berufungsgericht geht der Senat davon aus, dass dies für eine Auslegung des Merkmals "ähnliche Hinweise" dahin spricht, dass sämtliche den beispielhaften Begriffen der Aufzählung gemeinsamen Eigenschaften, also nicht nur deren verharmlosender Gehalt, sondern gerade auch deren Pauschalität, maßgeblich sind.
28cc) Unter Berücksichtigung des umfassenden, dem Gesundheitsschutz dienenden Irreführungsverbots in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO wird eine solche Auslegung durch das von der Biozid-Verordnung verfolgte Ziel gestützt, den freien Verkehr von Biozidprodukten - einschließlich der Werbung dafür - und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich zu bringen. Mit Blick auf dieses Ziel ist auch zu berücksichtigen, dass pauschale Angaben regelmäßig keinen oder allenfalls einen geringen Informationswert für Verbraucher haben; dagegen liefern substantiierte spezifische Hinweise dem Verbraucher unter Umständen wertvolle und nützliche Informationen. Ein solches Informationsinteresse der Verbraucher muss nach Auffassung des Senats in den von der Biozid-Verordnung angestrebten Ausgleich zwischen dem freien Verkehr von Biozidprodukten und einem hohen Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt einbezogen werden.
29dd) Diese Auslegung führt nach Ansicht des Senats nicht zu einer Verharmlosung der Risikopotenziale von Biozidprodukten, einem damit verbundenen weniger kritischen Einsatz des Produkts und einer damit wiederum einhergehenden Gesundheits-, Tier- oder Umweltgefährdung.
30(1) Gerade weil die Angaben, die nach Auffassung des Senats nicht unter "ähnliche Hinweise" fallen, das Biozidprodukt nicht pauschal verharmlosen, sondern sich (nur) auf spezifische Aspekte des Produkts beziehen und damit denkbare schädliche Nebenwirkungen nicht negieren, besteht keine Gefahr, dass der Verkehr bei Hinweisen dieser Art die grundsätzliche Gefährlichkeit des Biozidprodukts aus den Augen verliert.
31(2) Nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Verkehrsverständnis unterscheidet der Verkehr zwischen der Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels im Allgemeinen und dessen einzelnen Wirkungsaspekten. Er entnimmt dem Attribut "Hautfreundlich" im Zusammenhang mit einem Desinfektionsmittel, dessen Wirkung bestimmungsgemäß gegen die Integrität bestimmter Organismen gerichtet ist und das herkömmlicherweise nicht wegen einer unmittelbar gesundheitsförderlichen Wirkung seiner Inhaltsstoffe angewendet wird, nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen. Damit besteht auch nicht die Gefahr, dass Verbraucher ein Biozid weniger kritisch einsetzen, weil sie einen (nicht irreführenden) spezifischen, auf das Produkt bezogenen Hinweis erhalten.
32Dieses Verkehrsverständnis wird gestützt durch die Kennzeichnungspflicht gemäß Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Biozid-VO, wonach jeder Werbung für Biozidprodukte der Hinweis hinzuzufügen ist
Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen.
33Diese Sätze müssen sich nach Art. 72 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein. Die Gefährlichkeit des Biozidprodukts wird dem Verkehr damit in jedem Fall deutlich vor Augen geführt.
34(3) Für die hier befürwortete Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO spricht ferner, dass die dort genannten Angaben einem von einer Irreführungsgefahr unabhängigen Totalverbot unterliegen. Dieses partielle Totalverbot wird von dem in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO verankerten Irreführungsverbot flankiert, nach dem ein Biozidprodukt in der Werbung nicht in einer Art und Weise dargestellt werden darf, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. In einer Gesamtschau wirkt die Regulierung der Werbung für Biozidprodukte in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO deshalb auch bei der vom Senat befürworteten Auslegung der Variante "ähnliche Hinweise" in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO der Gefahr entgegen, dass der Absatz von Biozidprodukten mit Werbetexten gefördert wird, welche die den Produkten inhärente Schädigungseignung in den Hintergrund rücken und nur auf einzelne Merkmale des Produkts abstellen.
357. Die Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist entscheidungserheblich. Die Klägerin kann ihren Unterlassungsanspruch wegen der Werbung mit der Bezeichnung "Hautfreundlich" für das Desinfektionsmittel nicht auf einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Biozid-VO stützen.
36a) Das Berufungsgericht hat angenommen, der durchschnittlich informierte und verständige Durchschnittsverbraucher verstehe die Bezeichnung des Desinfektionsmittels als "Hautfreundlich" dahin, dass dessen Anwendung auf der Haut diese in irgendeiner Weise in nicht näher bestimmtem Ausmaß schone, ohne notwendig jede Hautschädigung zu vermeiden. Insbesondere eine die Hautgesundheit unmittelbar (fördernde) Wirkung der Inhaltsstoffe des Produkts schließe er daraus nicht. Ohne weitere Anhaltspunkte verstehe der Verbraucher die "Freundlichkeit" lediglich dahin, dass das Produkt auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden seiner Haut Rücksicht nehme, beispielsweise - relativ - mehr, als dies bei funktional entsprechenden Produkten der Fall sein möge. Gerade mit Blick auf die Angabe für ein Desinfektionsmittel entnehme der Verkehr dem Attribut "Hautfreundlich" nur eine Relativierung schädlicher Nebenwirkungen. Dass die tatsächlichen Verhältnisse von diesem Verkehrsverständnis abwichen, zeige die insoweit darlegungsbelastete Klägerin nicht auf. Diese Beurteilung weist keine Rechtsfehler auf.
37b) Die Ermittlung der Verkehrsauffassung unterliegt nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfung dahingehend, ob das Berufungsgericht den Tatsachenstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft hat und die Beurteilung mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen in Einklang steht. Da es sich nicht um eine Tatsachenfeststellung im eigentlichen Sinn, sondern um die Anwendung spezifischen Erfahrungswissens handelt, kann ein Rechtsfehler auch darin bestehen, dass die festgestellte Verkehrsauffassung erfahrungswidrig ist (, GRUR 2021, 746 [juris Rn. 43] = WRP 2021, 604 - Dr. Z.).
38c) Solche Rechtsfehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen. Insbesondere ist es zutreffend davon ausgegangen, dass für die Bestimmung des Inhalts der Werbeaussage das Verständnis des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten maßgeblich ist (vgl. , GRUR 2021, 513 [juris Rn. 11] = WRP 2021, 327 - Sinupret). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Berufungsgericht die besonders strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage bei gesundheitsbezogener Werbung (vgl. dazu , GRUR 2013, 649 [juris Rn. 15] = WRP 2013, 772 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, mwN) nicht hinreichend berücksichtigt hätte. Insbesondere hat es eine Gesamtwürdigung vorgenommen, in die es Art und Bedeutung der angebotenen Ware einbezogen hat.
39Soweit die Revision unter Hinweis auf die landgerichtliche Entscheidung die Auffassung vertritt, der Verbraucher schließe aus der Bezeichnung "Hautfreundlich" auf eine hautpflegende Wirkung, zumindest aber gehe er davon aus, es handle sich um ein harmloses Produkt, so dass eine Irreführung vorliege, die zu einer Gesundheitsgefährdung führen könne, versucht sie lediglich, die Würdigung des Tatgerichts durch ihre eigene zu ersetzen, ohne einen Rechtsfehler darzulegen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, dass eine Irreführung selbst dann nicht vorläge, wenn die Angabe "Hautfreundlich" dahin verstanden würde, dass die Anwendung des Desinfektionsmittels ohne die Gefahr eines Nachteils für die Hautgesundheit sei. Die Klägerin habe keine Umstände dargelegt, wonach dies beim beworbenen Produkt der Wirklichkeit widerspräche.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:200423BIZR108.22.0
Fundstelle(n):
BB 2023 S. 1153 Nr. 21
BB 2024 S. 1221 Nr. 22
AAAAJ-39587