BGH Beschluss v. - 4 StR 442/22

Anforderungen an Urteilsbegründung zu strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch

Gesetze: § 24 Abs 1 Alt 1 StGB

Instanzenzug: LG Mosbach Az: 4 Ks 21 Js 852/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Ferner hat es die Entziehung der Fahrerlaubnis des Angeklagten angeordnet, seinen Führerschein eingezogen, eine Sperrfrist für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis verhängt und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags hat keinen Bestand, weil das Landgericht die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.

3a) Die Schwurgerichtskammer hat hierzu im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

4Der Angeklagte und die Geschädigte hatten eine Liebesbeziehung geführt und sich im Jahr 2018 auf Wunsch der Geschädigten getrennt. Der Angeklagte versuchte zunächst, die Geschädigte zurückzugewinnen, und ging, nachdem dies erfolglos geblieben war, dazu über, die Lebensführung der Geschädigten zu kontrollieren, um zu erfahren, ob sie Kontakte zu anderen Männern pflegte. Er beobachtete ihr Haus und verfolgte sie mehrfach, wenn sie mit ihrem Pkw unterwegs war. Im Oktober 2020 brachte er einen GPS-Peilsender am Unterboden ihres Fahrzeugs an, der später entdeckt wurde. Weder dies noch eine polizeiliche Gefährderansprache hielten den Angeklagten von der Fortsetzung seines kontrollierenden Verhaltens ab. Im Herbst 2021 begann die Geschädigte eine Liebesbeziehung mit einem anderen Mann, was der Angeklagte alsbald bemerkte. Infolgedessen beobachtete der Angeklagte nun mehrfach auch das Gebäude, in dem der neue Partner der Geschädigten seiner beruflichen Tätigkeit nachging.

5Am besuchte die Geschädigte diesen an seinem Arbeitsplatz. Dabei wurde sie vom Angeklagten, der sich in seinem Pkw in der Nähe aufhielt, beobachtet. Nachdem die Geschädigte das Gebäude wieder verlassen hatte und mit ihrem Pkw losgefahren war, kam sie dem Angeklagten, der sein Fahrzeug ebenfalls in Bewegung gesetzt hatte, entgegen. Aus Verärgerung darüber, dass der Angeklagte sie erneut beobachtet hatte, betätigte sie die Lichthupe ihres Wagens, und zeigte dem Angeklagten, als beide Fahrzeuge aneinander vorbeifuhren, den „Stinkefinger“. Der Angeklagte geriet hierauf in einen Zustand hochgradiger affektiver Erregung, wendete sein Fahrzeug und fuhr der Geschädigten nun mit hoher Geschwindigkeit hinterher. Die hierdurch verängstigte Geschädigte hielt ihr Fahrzeug an, worauf der Angeklagte mit geringem Seitenabstand daran vorbeifuhr. Nachdem die Geschädigte hierauf erneut ihre Lichthupe betätigt hatte, entschloss sich der Angeklagte, eine Kollision der Fahrzeuge herbeizuführen, um eine Flucht der Geschädigten zu verhindern und anschließend mit einer in seinem Wagen befindlichen Machete auf sie einstechen zu können. Er wendete abermals und fuhr stark beschleunigend frontal gegen das stehende Fahrzeug der Geschädigten. Anschließend begab er sich zu diesem und schlug zunächst mit der Machete so stark auf das Fahrzeug ein, dass deren Griff abbrach. Der Angeklagte nahm daraufhin die Klinge der Machete in die Hand, riss die Fahrertür auf und stach mit bedingtem Tötungsvorsatz mehrfach wuchtig in Richtung des Oberkörpers der auf dem Fahrersitz sitzenden Geschädigten ein, die hierdurch vor allem an ihren Händen erheblich verletzt wurde. Die um ihr Leben fürchtende Geschädigte flehte den Angeklagten laut schreiend an aufzuhören, was jedoch ohne Wirkung blieb. Nun kam der Geschädigten ihr 12-jähriger Sohn M.   , der von ihr allein erzogen wurde, in den Sinn und sie rief: „Denk an den M.   ! Bitte, T.     , denk an den M.   !“ Durch diese Rufe wurde der Angeklagte, der zu dem Sohn der Geschädigten stets ein gutes Verhältnis gehabt hatte, aus seinem affektiven Erregungszustand herausgerissen. Der Gedanke an den Jungen führte bei ihm zu einer psychischen Erschütterung. Aufgrund psychischer Hemmungen war er, wie er erkannte, nicht mehr in der Lage, auf die Geschädigte einzustechen, und er ließ von ihr ab, wobei er nicht davon ausging, sie bereits tödlich verletzt zu haben.

6Beweiswürdigend hat sich das Landgericht auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen gestützt, wonach der Angeklagte aufgrund seiner hochgradigen affektiven Erregung „wie im Rausch“ gewesen sei und es typischerweise eines von außen kommenden Ereignisses bedürfe, um einen solchen Zustand zu beenden. Es sei aus sachverständiger Sicht ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Angeklagte durch die Schreie der Geschädigten, er solle an ihren Sohn denken, aus seinem affektiven Erregungszustand „herausgeholt“ worden sei. Lege man dies zugrunde, so habe der Angeklagte aufgrund der psychischen Erschütterung, die hierdurch bei ihm eingesetzt habe, nicht mehr weitermachen können. Die Schwurgerichtskammer ist dieser Einschätzung gefolgt, die sie auch durch die Einlassung des Angeklagten bestätigt gesehen hat, dass sich bei ihm durch die Schreie der Geschädigten „ein Vorhang gelüftet“ habe und er „unter Schock“ gewesen sei, als ihm bewusst geworden sei, was er getan habe. Sie hat angenommen, dass der Angeklagte die weitere Tatausführung daher nicht freiwillig aufgegeben habe.

7b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Totschlags verneint hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Schwurgerichtskammer hat zwar rechtsfehlerfrei einen unbeendeten Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zugrunde gelegt, von dem der Angeklagte bereits durch den Abbruch seiner begonnenen Tathandlung zurücktreten konnte (vgl. zur Abgrenzung vom beendeten Versuch ; Beschluss vom – 4 StR 464/18, NStZ 2019, 399 mwN). Sie hat aber ihre Annahme, dass der Angeklagte die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgab, nicht tragfähig begründet.

8aa) Freiwilligkeit im Sinne des § 24 StGB liegt vor, wenn der Täter noch „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und er die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich hält, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert, noch durch einen seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen (vgl. , Beschluss vom – 1 StR 315/21, NStZ 2022, 94, 95; Beschluss vom – 5 StR 75/20, StV 2021, 93,94, jew. mwN). Hiernach kommt neben – vom Täter wahrgenommenen – äußeren, physischen Hemmnissen auch ein nur durch innere Vorgänge bewirktes, mithin psychisches Unvermögen als der Freiwilligkeit des Rücktritts entgegenstehender Umstand in Betracht (vgl. , BGHSt 42, 158, 161; Beschluss vom – 1 StR 402/03, NStZ 2004, 324, 325).

9bb) Eine derartige innere Zwangslage, deren Annahme – insoweit entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – nicht notwendigerweise eine Veränderung der (äußeren) Handlungssituation voraussetzt, sondern die auch auf hiervon unabhängig aufgekommenen inneren Hemmungen beruhen kann (vgl. , NJW 1993, 2125, 2126), hat das Landgericht hier zwar festgestellt. Die Feststellung, der Angeklagte sei (infolge der Schreie der Geschädigten und des hierdurch hervorgerufenen Gedankens an deren Sohn) psychisch derart erschüttert worden, dass er nicht mehr in der Lage gewesen sei, sein Tun fortzusetzen, ist aber beweiswürdigend – auch eingedenk des beschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs – nicht hinreichend unterlegt. Die im Urteil wiedergegebene Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, wonach die Schreie der Geschädigten die bis dahin bestehende hochgradige affektive Erregung des Angeklagten beendet hätten, vermag allenfalls zu belegen, dass der Angeklagte in der Folge nicht mehr unter dem Einfluss des zuvor wirksamen Affekts stand, also keiner Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit mehr unterlag. Für den weiteren vom Sachverständigen und der ihm folgenden Schwurgerichtskammer gezogenen Schluss, der Angeklagte habe – dies zugrunde gelegt – wegen seiner psychischen Erschütterung nicht mehr weiterhandeln können, fehlt es hingegen an einer tragfähigen Begründung. Es versteht sich auch nicht von selbst, dass eine mit dem (abrupten) Ende einer hochgradigen affektiven Erregung einhergehende seelische Erschütterung die weitere Tatausführung unwiderstehlich hindert. Vielmehr kann ein freiwilliger Rücktritt vorliegen, wenn – nach den Umständen des Einzelfalls – Mitleid, seelische Erschütterung beim Anblick des bis dahin Angerichteten oder die Wiederkehr hinreichender Steuerungsfähigkeit nach Affektentladung ein willensgesteuertes Innehalten ermöglichen (, NStZ 2004, 324, 325 mwN). Infolgedessen hätte die Annahme der Unfreiwilligkeit der Tataufgabe hier einer näheren, auf mitgeteilte Anknüpfungstatsachen gestützten Erläuterung bedurft. Dies gilt umso mehr, als der Sachverständige ausweislich der Urteilsausführungen zur Schuldfähigkeit eine „für eine Affekttat typische tiefgreifende Verzweiflung“ des Angeklagten nach der Tat gerade nicht zu erkennen vermochte und auch dessen Nachtatverhalten (Wegwerfen der Machetenklinge, Verstauen des Griffs in seinem Fahrzeug) als zweckgerichtet und damit – für sich genommen – gegen eine vorausgegangene Affekttat sprechend eingeschätzt hat.

10Den somit gegebenen Erörterungsmangel vermag schließlich auch die vom Landgericht bestätigend herangezogene Einlassung des Angeklagten, er sei „unter Schock“ gewesen, als er sich des Geschehenen bewusst geworden sei, nicht zu beheben. Auch der vom Angeklagten so beschriebene eigene innere Zustand nach Ausführung seiner letzten Tathandlung kann nicht ohne weiteres mit einem psychischen Unvermögen zum Weiterhandeln gleichgesetzt werden. Vielmehr könnte die Einlassung auch dahin zu verstehen sein, dass der Angeklagte nach dem Ende seines Erregungszustandes plötzlich der Unrichtigkeit seines vorangegangenen Tuns gewahr geworden war und sich daraufhin autonom entschied, dieses nicht fortzusetzen.

112. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens erstreckt sich die Aufhebung des Urteils auch auf die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, die für sich genommen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweist (vgl. ; Beschluss vom – 4 StR 345/21, NStZ-RR 2022, 39). Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Straf- und Maßregelausspruchs nach sich. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen einschließlich derjenigen zum äußeren Ablauf des Vortatgeschehens werden hingegen von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, den aufrechterhaltenen nicht widersprechende Feststellungen sind möglich.

123. Die Aufhebung des strafrechtlichen Teils des angefochtenen Urteils berührt die zu Gunsten der Nebenklägerin ergangenen Adhäsionsentscheidungen nicht; deren Aufhebung bleibt gegebenenfalls dem neuen Tatgericht vorbehalten (vgl. ; Beschluss vom – 1 StR 260/18 [insoweit in NStZ 2019, 82 nicht abgedruckt], jew. mwN). Der Verwerfung der Revision im Beschlusswege steht insoweit auch nicht entgegen, dass der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift – wenn auch ohne Ausführungen zu der Adhäsionsentscheidung – einen auf das gesamte Urteil mit Ausnahme allein der äußeren Feststellungen bezogenen Aufhebungsantrag gestellt hat (vgl. mwN).

13Allerdings bedarf die Adhäsionsentscheidung der aus der Beschlussformel ersichtlichen Korrektur. Das Landgericht hat der Nebenklägerin die von ihr beantragte Verzinsung des beantragten Schmerzensgeldes und Ersatzes des entstandenen materiellen Schadens jeweils seit dem zugesprochen. Damit hat es den Anträgen der Adhäsionsklägerin, mit denen diese eine Verzinsung jeweils ab Rechtshängigkeit beansprucht hat, teilweise nicht entsprochen, denn die Zahlungsanträge waren gemäß § 404 Abs. 2 Satz 2 StPO bereits mit ihrem Eingang bei dem Landgericht am rechtshängig geworden. Der Senat ergänzt die Adhäsionsaussprüche daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass wegen des nicht zugesprochenen Anteils der Zinsanträge von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen wird (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:140223B4STR442.22.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-39200