BGH Beschluss v. - VIa ZR 660/22

Instanzenzug: Az: 17 U 80/21vorgehend LG Aachen Az: 8 O 4/21

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er hat von der Beklagten die Erstattung von zuletzt 24.160,24 € (Gesamtverbindlichkeiten von 49.585,28 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 25.425,04 € auf der Grundlage einer Laufleistung von 201.005 Kilometern sowie einer weiteren Nutzungsentschädigung nach der Formel "Kaufpreis x gefahrene Kilometer : Restlaufleistung von 328.744 Kilometern im Erwerbszeitpunkt") nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) und den Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.524,82 € nebst Zinsen (Klageantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.

2Dagegen hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. In der Beschwerdebegründung hat er erklärt, mit der angestrebten Revision wolle er die zuletzt gestellten Klageanträge weiterverfolgen. Am hat der Kläger das Fahrzeug zu einem Kaufpreis von 8.500 € veräußert. Mit Blick darauf hat er den Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 8.500 € für erledigt erklärt und angekündigt, im Fall der Revisionszulassung den Klageantrag zu 1 um den erzielten Kaufpreis zu reduzieren. Die Beklagte hat sich der Teilerledigungserklärung des Klägers angeschlossen.

II.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht mehr übersteigt (§ 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

41. Für das Erreichen der Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht die Beschwer aus der Berufungsentscheidung, sondern nach dem Wortlaut des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO der Wert des Beschwerdegegenstands aus dem beabsichtigten Revisionsverfahren maßgebend. Dieser Wert bemisst sich nach dem - nach den §§ 3 ff. ZPO zu ermittelnden - Interesse des Klägers an der erstrebten Abänderung der angefochtenen Entscheidung (vgl. , NZM 2021, 822 Rn. 5; Beschluss vom - IV ZR 20/21, juris Rn. 3) und demzufolge nach dem beabsichtigten Revisionsantrag (vgl. , NJW 2002, 2720; Beschluss vom - IV ZR 214/04, NJW 2006, 1142 Rn. 4; Beschluss vom - VIa ZR 1123/22, Rn. 5, zVb).

52. Nach diesen Grundsätzen beläuft sich der Wert des Beschwerdegegenstands auf nicht mehr als 20.000 €. Der Kläger möchte im Fall der Revisionszulassung - auf der Grundlage einer Laufleistung von 209.113 Kilometern im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung und einer danach in Abzug zu bringenden Nutzungsentschädigung von 26.571,89 € - den Klageantrag zu 1 nur noch in Höhe von 14.513,39 € (49.585,28 € abzüglich 26.571,89 € abzüglich 8.500 €) weiterverfolgen. Auch wenn der Klageantrag zu 3 streitwerterhöhend geworden ist, soweit eine entsprechende Hauptforderung nicht mehr im Streit steht und es sich bei den zu erstattenden Rechtsanwaltskosten daher nicht mehr um eine Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO handelt, wird die Summe von 20.000 € nicht (mehr) überschritten. Der Klageantrag zu 2 auf Feststellung des Annahmeverzugs erhöht die Beschwer des Klägers nicht (vgl. , VersR 2021, 668 Rn. 7).

6Die Nichtzulassungsbeschwerde macht erfolglos geltend, für die Wertberechnung sei nach § 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO auf den Zeitpunkt der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde abzustellen, in dem das Fahrzeug noch nicht verkauft gewesen sei. Die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel erreicht sein (vgl. VIa ZR 1123/22, Rn. 9 f., zVb; zu § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO vgl. , NZM 2017, 358 Rn. 7; Beschluss vom - IV ZB 29/21, MDR 2022, 1559 Rn. 9; zur Beschwer vgl. , NJW-RR 2018, 384 Rn. 8; aA MünchKommZPO/Krüger, 6. Aufl., § 544 Rn. 5).

73. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 91a Abs. 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit in Höhe von 8.500 € übereinstimmend für erledigt erklärt haben, entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufzuheben.

8a) Die (übereinstimmende) Erledigung der Hauptsache kann auch während des Verfahrens über eine Nichtzulassungsbeschwerde erklärt werden. Soweit durch die übereinstimmenden Erklärungen der Parteien der Rechtsstreit insgesamt erledigt ist, ist über alle bisher entstandenen Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Vorinstanzen, gemäß § 91a Abs. 1 ZPO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. Dabei ist zu berücksichtigen, wie das Beschwerde- und ein sich gegebenenfalls daran anschließendes Revisionsverfahren mutmaßlich ausgegangen wären, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre (vgl. , juris Rn. 2; Beschluss vom - VIII ZR 110/21, juris Rn. 6). Abzustellen ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen (vgl. VIa ZR 121/22, juris Rn. 1 mwN; BeckOK ZPO/Jaspersen, 47. Edition [Stand: ], § 91a Rn. 29).

9Eine Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO hat allerdings nicht den Zweck, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden. Grundlage der Kostenentscheidung ist deshalb lediglich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, ohne dass in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang des Rechtsstreits bedeutsamen Rechtsfragen zu klären wären (vgl. , AG 2020, 126 Rn. 3; Beschluss vom - VII ZR 100/21, juris Rn. 2; Beschluss vom - VIa ZR 3/21, juris Rn. 4; Beschluss vom - VII ZR 133/21, juris Rn. 2; Beschluss vom - VIII ZR 110/21, juris Rn. 7). Danach kommt eine Kostenaufhebung in Betracht, wenn der Ausgang des Rechtsstreits im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen wegen einer nicht hinreichend geklärten Rechtslage oder aufgrund tatsächlicher Unwägbarkeiten bei summarischer Prüfung offen ist ( aaO, mwN).

10Nach diesen Grundsätzen entspricht es billigem Ermessen, den Kläger und die Beklagte mit den auf den Teilbetrag von 8.500 € entfallenden Kosten des Rechtsstreits jeweils hälftig zu belasten. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB dahin auszulegen ist, dass dem Erwerber eines Kraftfahrzeugs auch bei fahrlässigem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein deliktischer Schadensersatzanspruch zu gewähren ist, war wegen der im Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärungen ausstehenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-100/21 nicht abschließend geklärt. Die Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde, das Berufungsgericht habe gehörswidrig in entscheidungserheblicher Weise den Darlegungen des Klägers keine greifbaren Anhaltspunkte für den Einbau einer unzulässigen prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung entnommen, erscheint bei summarischer Prüfung unbegründet.

114. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, §§ 3, 4 Abs. 1 Halbsatz 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:270323BVIAZR660.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-38181