BGH Beschluss v. - 1 StR 336/22

Gewerbsmäßiger Bandenbetrug: Tateinheitliche Verurteilung eines Bandenmitglieds beim sog. Stoßbetrug

Leitsatz

1. Im Tatkomplex des sogenannten „Stoßbetruges“ hält die Bewertung der Konkurrenzverhältnisse der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand: Erschöpfen sich die Tatbeiträge im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebes“, sind diese Tathandlungen als uneigentliches Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat i. S. d. § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten des Täters oder Teilnehmers kommt es dabei nicht darauf an, ob die anderen Beteiligten, die die tatbestandlichen Ausführungshandlungen vornehmen, (Mit-)Täter oder Gehilfen sind oder ob es sich um gutgläubige Werkzeuge handelt.

2. Lässt sich nicht klären, durch wie viele Handlungen i. S. d. §§ 52, 53 StGB ein Angeklagter als Mittäter oder Gehilfe die festgestellte Tat gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat. Da weitergehende Feststellungen in einem neuen Rechtsgang, die eine tatmehrheitliche Begehung der Betrugstaten durch den Angeklagten tragen, auszuschließen sind, ist der Schuldspruch entsprechend abzuändern. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der für die Betrugstaten verhängten Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

3. Dass das Landgericht bei Bestimmung des Einziehungsumfangs nur auf das Ergebnis einer ordnungsgemäßen Saldierung von Umsatzsteuer und Vorsteuer ohne die unberechtigten Vorsteuerabzüge abgestellt und dabei die etwaige Auszahlung eines Guthabens unberücksichtigt gelassen hat, beschwert die Einziehungsbeteiligte nicht. Sollte sich im neuen Rechtsgang ergeben, dass das Finanzamt tatsächlich den zu Unrecht geltend gemachten Überschuss auszahlte, wird nicht – wie an sich geboten – der gesamte unberechtigte Vorsteuerabzugsbetrag einzuziehen sein; dem stünde das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) entgegen.

Gesetze: § 52 Abs 1 StGB, § 53 StGB, § 263 Abs 5 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Bochum Az: II-13 KLs 16/20

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in 54 Fällen und wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen wegen der erlangten Waren mit einem Betrag von 393.344,01 € angeordnet, gegen die Einziehungsbeteiligte in Höhe einer ersparten Umsatzsteuerzahllast mit einem Betrag von 11.229,94 €. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge – unter Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligte – den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2a) Im Tatkomplex des sogenannten „Stoßbetruges“ hält die Bewertung der Konkurrenzverhältnisse der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand, obwohl das Landgericht den richtigen Maßstab zugrunde gelegt hat (UA S. 84 f.). Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt:

„aa) Sind mehrere Personen an einer Deliktsserie beteiligt, so ist bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses für jeden Täter oder Teilnehmer gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge des Beteiligten. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte der Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden (). Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. nur , BGHSt 49, 177, 182 f.; Beschlüsse vom - 3 StR 434/10; vom - 4 StR 346/11). Erschöpfen sich die Tatbeiträge im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten ‚Geschäftsbetriebes‘, sind diese Tathandlungen als - uneigentliches - Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 365/14, NStZ 2015, 334 mwN; vom - 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341 f.). Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten des Täters oder Teilnehmers kommt es dabei nicht darauf an, ob die anderen Beteiligten, die die tatbestandlichen Ausführungshandlungen vornehmen, (Mit-)Täter oder Gehilfen sind oder ob es sich um gutgläubige Werkzeuge handelt (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 263 Rn. 203; Sternberg-Lieben/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage, § 52 Rn. 20 f.). Lässt sich nicht klären, durch wie viele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB ein Angeklagter als Mittäter oder Gehilfe die festgestellte Tat gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat ( mwN).

bb) Das Landgericht hat festgestellt, dass es zu 54 Bestellungen von Baustoffen bei insgesamt elf Lieferanten kam. Vorgenommen wurden diese Bestellungen gemäß dem gemeinsamen Tatplan durch zwei ehemalige Mitangeklagte (UA S. 20). Sämtliche Bestellungen gingen dabei auf sogenannte Bestelllisten zurück, die von dem Angeklagten erstellt worden waren. So übergab der Angeklagte den vorgenannten Mitangeklagten zunächst eine erste Liste mit Baustoffen, die nach Art, Menge, Preis und Lieferant konkret vorgegeben waren, weil lediglich der Angeklagte die erforderliche Sachkenntnis im Baustoffhandel besaß. Diese und nachfolgende Listen arbeiteten die beiden ehemaligen Mitangeklagten jeweils ab. Wie viele Listen der Angeklagte insgesamt oder mindestens schrieb, konnte nicht mehr festgestellt werden. Fest steht jedoch, dass nicht für jede Bestellung eine eigene Liste erstellt wurde und dass auf Listen mit mehreren Bestellungen diese nicht etwa zusammengefasst, sondern getrennt nach einzelnen Bestellungen mit jeweiliger Ware, Menge, Preis und Lieferant vorgegeben waren.“

3cc) Da weitergehende Feststellungen in einem neuen Rechtsgang, die eine tatmehrheitliche Begehung der Betrugstaten durch den Angeklagten tragen, auszuschließen sind, ist der Schuldspruch entsprechend abzuändern. Nicht einmal mindestens zwei Betrugstaten sind anzunehmen, weil nicht aufzuklären ist, auf welche Lieferungen sich die erste – offensichtlich nicht auffindbare (vgl. insbesondere UA S. 69 zweiter Absatz aE, S. 85 zweiter Absatz) – Liste bezog. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Änderung des Schuldspruchs zieht den Wegfall der für die Betrugstaten verhängten Einzelstrafen und der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

4b) Soweit der Angeklagte im Fall B. der Urteilsgründe wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden ist (§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Variante 3, Satz 2, § 150 Abs. 1 Satz 3, § 168 AO; § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG; § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB), begegnet bereits der Schuldspruch durchgreifenden Bedenken:

5aa) Aus der am für die C.         GmbH auf elektronischem Weg abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2016, mit welcher der Angeklagten einen in Höhe von 29.220,24 € unberechtigten Vorsteuerabzug aus 21 Eingangsscheinrechnungen geltend machte, ergab sich ein Überhang an Vorsteuern in Höhe von 17.990,30 €. Die nach § 168 Satz 2 AO für die Tatvollendung erforderliche Zustimmung des Finanzamts (dazu zuletzt Rn. 18 mN) ist weder ausdrücklich festgestellt noch lässt sie sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Zwar wird in der Beweiswürdigung zum Beleg der festgestellten Berechnungsgrundlagen ein ‚entsprechender Steuerbescheid‘ (UA S. 76) erwähnt. Dieser wird aber weder mit Datum noch in sonstiger Weise als Zustimmungsakt präzisiert. Im Gegenteil wurde das Steuerstrafverfahren am und damit bereits vor Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung eingeleitet (UA S. 46); dass das Finanzamt dennoch der Umsatzsteuerjahreserklärung zustimmte, versteht sich daher gerade nicht von selbst.

6bb) In entsprechender Anwendung des § 357 Satz 1 StPO kann damit auch die gegen die C.            GmbH wegen der Umsatzsteuerersparnis angeordnete Einziehung (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB) keinen Bestand haben (vgl. zur Erstreckung auf die Einziehungsbeteiligte: BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 101/22 Rn. 9; vom – 1 StR 506/20 Rn. 24 und vom – 3 StR 286/18 Rn. 15; je mwN). Denn die Einziehung ersparter Steueraufwendungen setzt Tatvollendung voraus ( Rn. 25-28; Beschluss vom – 1 StR 515/21 Rn. 15).

7Dass das Landgericht bei Bestimmung des Einziehungsumfangs nur auf das Ergebnis einer ordnungsgemäßen Saldierung von Umsatzsteuer (22.752,12 €) und Vorsteuer (11.522,18 €) ohne die unberechtigten Vorsteuerabzüge (29.220,24 €) abgestellt und dabei die etwaige Auszahlung eines Guthabens unberücksichtigt gelassen hat, beschwert die Einziehungsbeteiligte nicht. Sollte sich im neuen Rechtsgang ergeben, dass das Finanzamt tatsächlich den zu Unrecht geltend gemachten Überschuss in Höhe von 17.990,30 € auszahlte, wird nicht – wie an sich geboten – der gesamte unberechtigte Vorsteuerabzugsbetrag in Höhe von 29.220,24 € einzuziehen sein; dem stünde das Verbot der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) entgegen, dem zufolge nicht mehr als ein Betrag von 11.229,94 € abgeschöpft werden darf.

8c) Um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie Sachverhaltsermittlung im Steuerhinterziehungsfall zu ermöglichen, hebt der Senat vorsorglich insoweit alle Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Übrigen sind ergänzende Feststellungen möglich, soweit sie zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:220323B1STR336.22.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 286 Nr. 7
BAAAJ-38165