BGH Urteil v. - 3 StR 474/19

Divergenzvorlage an den Großen Senat für Strafsachen: Anordnung der Einziehung des durch eine verjährte Straftat erlangten Wertes des Tatertrags im subjektiven Verfahren im Urteil über die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung

Gesetze: § 260 Abs 3 StPO, § 435 StPO, § 76a Abs 2 S 1 StGB, § 132 Abs 2 GVG

Instanzenzug: Az: 2 ARs 405/21 Beschlussvorgehend Az: 3 StR 474/19 Beschlussvorgehend Az: 3 StR 474/19 Urteilvorgehend Az: 13 KLs 143 Js 38100/10 Urteilnachgehend Az: 3 StR 474/19 Urteil

Gründe

I.

11. Das Landgericht hat den Angeklagten S.     wegen bandenmäßiger Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in zwei Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einstellung zweier Vorwürfe wegen Verjährung und Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Angeklagte B.    hat es wegen Beihilfe zur bandenmäßigen Ausfuhr von Gütern aufgrund erschlichener Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz in drei Fällen, davon in einem Fall in sechs tateinheitlichen Fällen sowie in einem Fall in drei tateinheitlichen Fällen, unter Freispruch im Übrigen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung beider Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die Einziehungsbeteiligte hat das Landgericht die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 3.730.044 € angeordnet. Weitere Angeklagte sind freigesprochen worden.

2Die gegen das Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hatten keinen Erfolg. Die Entscheidung über das Rechtsmittel der Einziehungsbeteiligten gegen die Einziehung des Wertes des aus Tat 1 der Urteilsgründe Erlangten in Höhe von 690.699 € hat der Senat vorbehalten und die weitergehende Revision der Einziehungsbeteiligten ebenfalls verworfen (vgl. , BGHSt 66, 83).

3Nach den vom Landgericht zu Tat 1 der Urteilsgründe getroffenen, für das Vorlageverfahren relevanten Feststellungen und Wertungen führte die Einziehungsbeteiligte im Mai 2006 auf der Grundlage einer erschlichenen Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz Waffen nach Mexiko aus und erlöste dadurch einen Umsatz in Höhe von mindestens 690.699 € netto. Der Angeklagte deckte als Vertriebsleiter die Ausfuhren und schritt bewusst pflichtwidrig nicht ein. Das Landgericht hat das Verfahren gegen ihn wegen einer hierdurch begangenen Straftat nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 9 AWG aF wegen Eintritts der Strafverfolgungsverjährung in seinem verfahrensabschließenden Urteil eingestellt (§ 260 Abs. 3 StPO). Gegenüber der Einziehungsbeteiligten hat es in demselben Urteil die Einziehung der aus den Ausfuhren erzielten Umsatzerlöse angeordnet.

4Dieser Entscheidung war kein förmlicher Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchführung eines selbständigen Einziehungsverfahrens (§ 435 Abs. 1 Satz 1 StPO) vorausgegangen. Weder in der Anklageschrift noch im weiteren Verfahren hat die Anklagebehörde zum Ausdruck gebracht, sie begehre eine Einziehungsentscheidung im objektiven Verfahren. Sie hat lediglich nach dem gerichtlichen Hinweis, die durch die Staatsanwaltschaft zunächst erstrebte Geldbuße gegen die Nebenbeteiligte nach § 30 OWiG komme nicht in Betracht, angeregt, die bislang als Nebenbeteiligte geführte Gesellschaft als Einziehungsbeteiligte zu beteiligen und einen entsprechenden rechtlichen Hinweis zu einer möglichen Einziehungsanordnung (alternativ zu einer Unternehmensgeldbuße) zu erteilen. Dabei hat sie darauf hingewiesen, die mögliche Verjährung einzelner Taten stehe gemäß § 76a Abs. 2 StGB einer Einziehung nicht entgegen. In ihrem Schlussvortrag hat die Anklagebehörde hinsichtlich Tat 1 der Urteilsgründe keinen Antrag auf Verurteilung einzelner Angeklagter gestellt, das hieraus durch die Einziehungsbeteiligte Erlangte von ihrem Antrag auf Einziehung des Wertes von Taterträgen jedoch nicht ausgenommen.

52. Der Senat beabsichtigt, die Revision der Einziehungsbeteiligten auch hinsichtlich der Tat 1 der Urteilsgründe zu verwerfen. Daran hat er sich durch Rechtsprechung des 1., 4. und 5. Strafsenats gehindert gesehen, nach der die selbständige Anordnung der Einziehung des Tatertrags oder dessen Wertes aus einer verjährten Straftat gemäß § 76a Abs. 1 Satz 1 StGB nur im selbständigen Einziehungsverfahren nach §§ 435 ff. StPO zulässig sei (vgl. , juris Rn. 22; Beschlüsse vom - 1 StR 489/18, juris Rn. 7; vom - 4 StR 75/20, NStZ 2021, 222 Rn. 13; vom - 5 StR 486/19, NStZ 2020, 271 Rn. 19). Auf seine Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 und 3 GVG (, NStZ 2022, 252; dazu einerseits El-Ghazi, NStZ 2022, 255 f.; Lantermann, NStZ-RR 2022, 85 f.; andererseits Zivanic, JR 2022, 196, 197 ff.) hat der 1. Strafsenat mit näherer Begründung erklärt, dass er an seiner Rechtsprechung festhalte (, NStZ-RR 2022, 255). Der 4. und 5. Strafsenat haben sich dagegen der sich aus dem Anfragebeschluss ergebenden Rechtsauffassung unter Aufgabe entgegenstehender Rechtsprechung angeschlossen (BGH, Beschlüsse vom - 4 ARs 15/21; vom - 5 ARs 28/21, wistra 2022, 165). Der 6. Strafsenat hat mitgeteilt, seine Rechtsprechung stehe der beabsichtigten Entscheidung nicht entgegen ().

II.

6Der Senat hält an seiner im Anfragebeschluss dargelegten Rechtsauffassung fest und nimmt auf die dort dargelegten Gründe Bezug. Die vom 1. Strafsenat (, NStZ-RR 2022, 255) dagegen vorgebrachten Argumente geben im Ergebnis keinen Anlass für eine abweichende Bewertung. Hierfür ist Folgendes von Belang:

71. Der gesetzlichen Konzeption ist nicht zu entnehmen, dass der durch eine verjährte Straftat erlangte Wert von Taterträgen nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nur dann eingezogen werden kann, wenn die Staatsanwaltschaft in Ausübung ihres Ermessens einen Antrag auf Einziehung im selbständigen Verfahren gemäß § 435 StPO stellt.

8§ 76a StGB eröffnet die Möglichkeit für eine selbständige Einziehung, falls wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden kann. § 435 StPO stellt dazu ein Verfahren bereit, in dem eine Einziehung selbständig außerhalb eines gegen einen individuellen Angeklagten geführten Verfahrens angeordnet werden kann. Dass eine selbständige Einziehungsanordnung (§ 76a StGB) ausschließlich in einem solchen selbständigen Einziehungsverfahren nach § 435 StPO, nicht aber in einem noch anhängigen - subjektiven - Verfahren gegen eine bestimmte Person zulässig ist, folgt nicht aus dem Wortlaut von § 76a StGB und § 435 StPO. Gesetzessystematik, -entstehung und -zweck ergeben dies ebenso wenig.

9Bereits für die frühere Rechtslage war in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass eine selbständige Einziehung auch in einem gegen eine bestimmte Person gerichteten subjektiven Verfahren möglich sein kann und es dafür nicht stets eines objektiven selbständigen Einziehungsverfahrens bedarf (vgl. , BGHSt 6, 62; vom - 3 StR 26/66, BGHSt 21, 367, 370; vom - 1 StR 456/68, NJW 1969, 1818; vom - 3 StR 273/79 [S], juris Rn. 8; Beschluss vom - 3 StR 295/88, BGHSt 36, 51, 58 f.; RG, Urteile vom - Rep. 2493/01, RGSt 34, 388, 389; vom - III 991/32, RGSt 66, 419, 422). Dass davon im Zuge der Neuregelungen durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom (BGBl. I S. 872) abgerückt werden sollte, ist weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Vielmehr knüpfen diese ausdrücklich an den früheren Regelungsgehalt des § 440 StPO aF an (s. BT-Drucks. 18/9525 S. 91).

10Zudem geht die Begründung des Gesetzentwurfs zur späteren Änderung des § 435 StPO durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom in Bezug auf das Ermittlungsverfahren ausdrücklich davon aus, dass die allgemeinen Strafverfahrensvorschriften anwendbar bleiben, so lange das subjektive Strafverfahren geführt wird (s. BT-Drucks. 19/27654 S. 109). Mithin liegt nahe, dass diese Erwägungen gleichfalls für das gerichtliche Verfahren gelten und in einem Urteil, das in einem subjektiven Verfahren ergeht, die selbständige Einziehung angeordnet werden kann, wenn der Verurteilung der angeklagten Person die Verfolgungsverjährung entgegensteht.

11Hierfür spricht überdies, dass es etwa im subjektiven Verfahren ebenfalls möglich ist, neben dem Freispruch eines Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit eine Einziehungsentscheidung zu treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 118/19, juris Rn. 1; vom - 3 StR 535/16, juris Rn. 1, 16; zur Einziehung bei einer Rauschtat , BGHSt 31, 80; s. auch LK/Lohse, StGB, 13. Aufl., § 76a Rn. 45; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 76a Rn. 11), ohne dass hierfür der Weg eines - bei Schuldunfähigkeit ebenfalls zur Verfügung stehenden - selbständigen Einziehungsverfahrens beschritten werden müsste.

12Ferner betrifft der nach § 435 Abs. 1 StPO erforderliche Antrag der Staatsanwaltschaft die Frage, ob ein selbständiges Einziehungsverfahren eingeleitet werden soll. Er ist nach § 76a Abs. 2 Satz 1 StGB nicht materiellrechtliche Voraussetzung für eine selbständige Einziehung.

13Wäre eine solche ausschließlich in einem selbständigen Einziehungsverfahren zulässig, könnte dies im Übrigen zur Folge haben, dass in Bezug auf dieselbe Tat beide Verfahren geführt werden müssten. Da sowohl für eine etwaige Verfolgungsverjährung als auch für die Voraussetzungen der Einziehung auf den konkreten Straftatbestand abzustellen ist (vgl. etwa , juris Rn. 13 mwN; vom - 3 StR 295/21, NJW 2022, 3092 Rn. 13 mwN), kommt in Betracht, dass lediglich das die Einziehung ermöglichende Delikt verjährt ist, damit zusammentreffende Straftatbestände aber weiter verfolgbar sind (vgl. zu einer solchen Konstellation , NStZ-RR 1999, 10).

142. Dem Grundsatz des fairen Verfahrens kann bei der selbständigen Einziehung im subjektiven Verfahren ausreichend Rechnung getragen werden (vgl. El-Ghazi, NStZ 2022, 255 f.). Über die einem Einziehungsbeteiligten gemäß §§ 424 ff. StPO zustehenden Verfahrensrechte hinaus kommt namentlich in Betracht, ihn auf die Möglichkeit einer selbständigen Einziehung hinzuweisen und so Gelegenheit zu geben, seine Rechtsverteidigung im subjektiven Verfahren darauf einzustellen. Da einem Einziehungsbeteiligten gemäß § 427 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich die gleichen Befugnisse wie einem Angeklagten zustehen, ist nicht ersichtlich, dass es aus Gründen der Verfahrensfairness eines objektiven Verfahrens bedarf.

153. Für die rechtliche Beurteilung, ob eine selbständige Einziehung im subjektiven Verfahren zulässig ist, ist nicht von entscheidender Bedeutung, inwieweit ein etwaiges Antragserfordernis nach § 435 Abs. 1 Satz 1 StPO bei einem Übergang ins objektive Verfahren praktikabel umsetzbar ist. Ist aus Rechtsgründen ein objektives Verfahren nicht erforderlich, kommt es auf das Maß des damit einhergehenden Aufwands nicht an.

164. Ob der Gesetzgeber ein Antragserfordernis als unentbehrlich angesehen hat, wenn vom subjektiven Verfahren in ein (teilweises) selbständiges Verfahren übergegangen wird, ist für die hier in Rede stehende Frage nicht maßgeblich. Diese betrifft gerade die Konstellation, dass eine selbständige Einziehung in einem subjektiven Verfahren, nicht in einem selbständigen Einziehungsverfahren angeordnet werden soll.

III.

17Der Senat legt die streitige - gegenüber dem Anfragebeschluss modifiziert gefasste - Rechtsfrage wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung vor.

18Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich, da es an einem Antrag der Staatsanwaltschaft im Sinne des § 435 Abs. 2 StPO fehlt und die in Rede stehende Einziehungsentscheidung nach der vom Senat nicht vertretenen Auffassung keinen Bestand haben könnte.

19Die Zulässigkeit der Divergenzvorlage ist nicht von der noch ausstehenden Antwort des 2. Strafsenats auf den Anfragebeschluss des Senats vom abhängig. Gemäß § 132 Abs. 3 GVG ist das mit negativem Ergebnis durchgeführte Anfrageverfahren zwar Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz. Ein solches negatives Ergebnis steht hier jedoch bereits fest, nachdem der 1. Strafsenat mit Beschluss vom (1 ARs 13/21) an seiner von der Anfrage abweichenden Rechtsprechung festgehalten hat. Die zu beseitigende Divergenz besteht daher unabhängig von der Antwort des 2. Strafsenats. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung sieht der Senat ausnahmsweise davon ab, eine Antwort weiter abzuwarten (vgl. , juris Rn. 58).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:120123B3STR474.19.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 159 Nr. 4
wistra 2023 S. 3 Nr. 4
SAAAJ-37264