BGH Beschluss v. - 3 StR 75/22

Feststellung eines Hangs bei Tatbegehung aufgrund Betäubungsmittelabhängigkeit

Gesetze: § 64 StGB, § 35 BtMG

Instanzenzug: LG Kleve Az: 223 KLs 12/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung, Diebstahls in zwei Fällen und "unerlaubten" Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die Strafkammer hat ferner festgestellt, dass "die beiden Diebstahlstaten und der unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln (...) aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen" wurden, und die Einziehung des sichergestellten Marihuanas angeordnet. Die dagegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

21. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch im Wesentlichen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Einziehungsentscheidung hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand. Hinsichtlich der in den Fällen II.1 und II.4 der Urteilsgründe verhängten Geldstrafen hat es das Landgericht lediglich rechtsfehlerhaft unterlassen, die Tagessatzhöhe zu bestimmen (§ 40 Abs. 2 StGB). Dies wird durch die Einbeziehung der Geldstrafe in einer Gesamtfreiheitsstrafe nicht entbehrlich. Das Verschlechterungsverbot steht der Nachholung nicht entgegen; nach dem angegriffenen Urteil eingetretene Einkommens- und/oder Vermögensverbesserungen dürfen jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden (, juris Rn. 5 mwN).

32. Auch die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

4a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seiner Jugend regelmäßig Marihuana und Alkohol (bis zu einer halben Flasche Schnaps pro Tag). Aufgrund einer ihm in einem Bewährungsverfahren erteilten Therapieweisung absolvierte er in der Zeit von Mai bis November 2020 eine Alkohol- und Drogenentwöhnungstherapie. Nach Abschluss der Behandlung konsumierte der Angeklagte zwar bis zu seiner Inhaftierung am lediglich zweimal Marihuana, jedoch trank er ab Dezember 2020 erneut täglich bis zu 0,3 Liter Schnaps.

5Das - sachverständig beratene - Landgericht hat sich mit dem Rausch- und Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten lediglich im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung (§§ 20, 21 StGB) auseinandergesetzt. Dabei hat es zwar eine Alkoholabhängigkeit und einen Betäubungsmittelmissbrauch festgestellt, nicht jedoch eine diesbezügliche Beeinträchtigung des Angeklagten bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten. Es lägen schon keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte zur jeweiligen Tatzeit unter Alkohol- oder Drogeneinfluss gestanden habe; jedenfalls könne ausgeschlossen werden, dass die Steuerungsfähigkeit hierdurch beeinträchtigt gewesen sei.

6Gleichwohl hat das Landgericht - ohne Begründung - im Tenor festgestellt, dass der Angeklagte die Taten II.1, II.2 und II.4 "aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen" hat, und dies zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung berücksichtigt.

7b) Die Feststellungen des Landgerichts hätten nahegelegt zu erörtern, ob der Angeklagte gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist. Zum einen liegt mit Blick auf die Alkoholabhängigkeit und den jahrelangen Betäubungsmittelmissbrauch, den der Angeklagte auch nach der Entwöhnungsbehandlung nicht vollständig einstellte, ein Hang im Sinne des § 64 StGB nahe. Zum anderen ist den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen, dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB nicht erfüllt sind. Insbesondere kann angesichts der bisherigen Feststellungen ein symptomatischer Zusammenhang mit den abgeurteilten Taten nicht ausgeschlossen werden. Ein solcher liegt - anders als die Strafkammer offensichtlich meint - nicht nur dann vor, wenn die Taten "im Rausch" begangen wurden (§ 64 Satz 1 Halbsatz 3 Alternative 1 StGB), sondern auch dann, wenn diese auf den Hang zurückgehen (§ 64 Satz 1 Halbsatz 3 Alternative 2 StGB), mithin der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten ebenfalls für die Zukunft zu erwarten ist, also die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzeln findet. Dies liegt bei Delikten nahe, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (, NStZ-RR 2019, 244 mwN). Da das Landgericht - wenngleich ohne Begründung - festgestellt hat, dass die Taten II.1, II.2 und II.4 aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten begangen wurden, und dies zu seinen Gunsten bei der Strafzumessung berücksichtigt hat, hätte es auch nahe gelegen, eine Unterbringung nach § 64 StGB in den Blick zu nehmen, zumal diese Vorrang gegenüber der vollstreckungsrechtlichen Sonderregelung des § 35 BtMG hat, auf die die Feststellung im Tenor ersichtlich zielt (, juris Rn. 4 mwN). Zu berücksichtigen wäre in diesem Zusammenhang zudem gewesen, dass der Angeklagte im Fall II.2 unter anderem Alkohol entwendete und im Fall II.4 in Besitz von Marihuana war.

8Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (, juris Rn. 5 mwN). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Denn die Rechtsmittelbeschränkung bezieht sich - wie der Beschwerdeführer in seiner Replik auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts nochmals ausdrücklich klargestellt hat - auf die Nichtanwendung des § 63 StGB.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:050422B3STR75.22.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-37016