BVerwG Beschluss v. - 2 B 12/22

Bestimmung des Gegenstands einer Disziplinarklage

Gesetze: § 52 Abs 1 S 2 BDG, § 60 Abs 2 S 1 BDG, § 99 Abs 1 BBG 2009, § 100 Abs 2 S 1 BBG 2009

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Az: 82 D 3.19 Urteilvorgehend Az: 18 K 2873/16.OB

Gründe

11. Der Rechtsstreit betrifft ein beamtenrechtliches Disziplinarklageverfahren.

2Der 1982 geborene Beklagte steht als Polizeimeister (Besoldungsgruppe A 7 BBesO) im Dienst der Klägerin. Im März 2010 wurde er zum Auswärtigen Amt abgeordnet, um an der Deutschen Botschaft in T. eingesetzt zu werden; die Abordnung wurde am aus Eigenschutzgründen vorzeitig beendet.

3Ende September 2010 leitete die Klägerin ein Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs ein, der Beklagte habe während seines dienstlichen Aufenthalts im Iran seinen entblößten Oberkörper in einem Gastronomiebetrieb nach dem Konsum einer mitgebrachten Flasche Wodka zur Schau gestellt und sich bei einer Fahrt in T. mit nacktem Oberkörper aus dem Schiebedach des Fahrzeugs der Botschaft herausgelehnt (Vorwurf Nr. 1), er habe anlässlich eines Grillabends in der HOD-Unterkunft seinen Penis entblößt, einem schlafenden Kollegen an den Kopf gehalten und andere zum Fotografieren aufgefordert (Vorwurf Nr. 2) und er habe vor seiner Ausreise Alkohol an eine iranische Ortskraft verkauft (Vorwurf Nr. 3). Gegenstand der mit dem Ziel der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erhobenen Disziplinarklage sind neben diesen Sachverhalten der Vorwurf, der Beklagte habe entgegen ausdrücklicher Untersagung ein Einsatzvideo einer Hundertschaft der Bundespolizei (Verschlusssache) von einem Monitor abgefilmt, mit Kommentaren auch zu Einheitsbezeichnungen und Funkrufnamen versehen und in das Internet eingestellt (Vorwurf Nr. 4), er habe Informationen zu polizeilichen Maßnahmen an Dritte weitergegeben, wodurch der Ermittlungserfolg vereitelt worden sei (Vorwurf Nr. 5), der Beklagte habe auf seinem Facebook-Account ein Foto eines deutlich erkennbaren Bundespolizisten ohne dessen Einwilligung in Einsatzuniform gezeigt (Vorwurf Nr. 6) und er sei ohne Genehmigung einer Nebentätigkeit - Auftritt in einer Fernsehserie als Nebendarsteller in der Rolle eines Polizeibeamten - nachgegangen (Vorwurf Nr. 7).

4Das Verwaltungsgericht ist nur von einem Teil der dem Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen ausgegangen und hat dessen monatliche Dienstbezüge für die Dauer von drei Jahren um ein Zwanzigstel gekürzt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Dabei ist das Berufungsgericht in Bezug auf Teile des Vorwurfs Nr. 1 sowie im Hinblick auf die Vorwürfe Nr. 2, 4 und 6 von schuldhaften Dienstpflichtverletzungen des Beklagten ausgegangen. In Bezug auf den Vorwurf Nr. 7 hat das Oberverwaltungsgericht - wie bereits das Verwaltungsgericht - angenommen, die Nebentätigkeit als Darsteller in der Fernsehserie sei als künstlerische Tätigkeit i. S. v. § 100 Abs. 1 Nr. 2 BBG zu werten und damit nicht genehmigungspflichtig. Der Beklagte habe jedoch schuldhaft gegen die ihm nach § 100 Abs. 2 Satz 1 BBG obliegende Pflicht zur vorherigen Anzeige der Nebentätigkeit verstoßen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei auch diese Pflichtverletzung Gegenstand der erhobenen Disziplinarklage.

52. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Sie hat weder eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage dargelegt (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) noch einen Verfahrensmangel aufgezeigt, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

6a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 m. w. N.). Die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei auf die mit der Beschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

7Die von der Beschwerde bezeichnete Frage,

"ob die Pflicht, eine Nebentätigkeit ohne Genehmigung nach § 99 Abs. 1 BBG auszuüben mit der Plicht, eine nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeit im Sinne von § 100 Abs. 1 Nr. 2 BBG nach § 100 Abs. 2 BBG vor ihrer Aufnahme anzuzeigen, auf denselben Tatsachen im Sinne von § 52 Abs. 1 BDG beruhen (kann)",

genügt diesen Anforderungen nicht. Dies folgt bereits daraus, dass die Antwort auf die benannte Frage von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt und damit einer Grundsatzrüge nicht zugänglich ist. Unabhängig hiervon kann die Frage, soweit sie im konkreten Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, anhand der normativen Vorgaben und der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung eindeutig beantwortet und mit dem Berufungsurteil bejaht werden.

8Nach § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG muss die Klageschrift den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beamten, den bisherigen Gang des Disziplinarverfahrens, die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass sich der Beamte gegen die gegen ihn erhobenen disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Zugleich werden durch eine den Anforderungen des § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG genügende Klageschrift Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festgelegt. Denn nach § 60 Abs. 2 Satz 1 BDG dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder einer Nachtragsdisziplinarklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Zwar ist es nicht erforderlich, dass die Klageschrift die angeschuldigten Sachverhalte disziplinarrechtlich zutreffend würdigt. Aufgrund des doppelten Zwecks der Disziplinarklageschrift muss der Dienstherr aber erkennen lassen, gegen welche Dienstpflichten das angeschuldigte Verhalten des Beamten verstoßen soll und ob dem Beamten Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last gelegt wird ( 2 A 11.10 - juris Rn. 28 m. w. N.).

9Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Disziplinarklageschrift, denn der einheitliche Lebenssachverhalt der Ausübung einer Nebentätigkeit in der Rolle eines Polizeivollzugsbeamten ohne Anzeige oder Genehmigung der Nebentätigkeit ist von der Disziplinarklageschrift umfasst (vgl. 2 B 69.16 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 Rn. 18). Unbeschadet der - nicht leicht zu beantwortenden - Rechtsfrage, ob die Nebentätigkeit genehmigungs- oder nur anzeigepflichtig ist, enthält die Disziplinarklage den Lebenssachverhalt, aus dem das Dienstvergehen hergeleitet wird und lässt hinreichend klar erkennen, welche konkreten Handlungen dem Beklagten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. hierzu 2 B 59.10 - juris Rn. 5).

10In der Disziplinarklageschrift vom ist dem Beklagten unter Vorwurf Nr. 7 ein "Verstoß gegen die aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG folgende Wohlverhaltenspflicht, gegen die aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG resultierende Folgepflicht sowie gegen die aus § 99 Abs. 1 BBG folgende Pflicht, eine Nebentätigkeit nicht ohne Genehmigung durchzuführen, durch Teilnahme als Nebendarsteller in der Rolle eines Polizeivollzugsbeamten der Landespolizei in einer am ausgestrahlten Folge einer Fernsehserie" zur Last gelegt worden. In der Begründung ist darauf verwiesen, dass der Beklagte in der am ausgestrahlten Folge der RTL-Serie "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" als Darsteller in einer Nebenrolle als Polizeibeamter aufgetreten sei. Eine Anzeige bzw. eine Genehmigung für die Nebentätigkeit habe nicht vorgelegen (Disziplinarklageschrift S. 14). Es spreche für eine gewisse Instinktlosigkeit, wenn ein Polizeivollzugsbeamter eine Nebentätigkeit als Darsteller eines Polizeivollzugsbeamten ausübe. Gerade im Zeitalter des "Reality-TVs" sei naheliegend, dass von Zuschauern angenommen werde, der deutlich identifizierbare Beklagte sei in seiner dienstlichen Funktion als Polizeivollzugsbeamter aufgetreten. Derartiges sei nicht genehmigungsfähig.

11Unbeschadet der Frage, ob die Nebentätigkeit genehmigungspflichtig ist oder nur einer Anzeigepflicht unterliegt, ist ihre Aufnahme ohne vorherige Unterrichtung der Dienstbehörde von der Disziplinarklage umfasst. Es ist gerade Sinn und Zweck des Anzeige- und Genehmigungserfordernisses, dem Dienstherrn eine Prüfung, ob die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigen kann und daher versagt werden muss, vor ihrer Aufnahme zu ermöglichen (vgl. 2 B 4.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 59 Rn. 35). Im Übrigen war dem Beklagten insoweit nicht nur ein Verstoß gegen § 99 Abs. 1 BBG zur Last gelegt, sondern auch eine Verletzung der Pflichten aus § 61 Abs. 1 Satz 3 und § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG vorgeworfen worden.

12b) Die Beschwerde hat auch keinen Verfahrensmangel aufgezeigt, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann. Das Berufungsurteil verstößt weder gegen den Überzeugungsgrundsatz noch stellt es sich als Überraschungsentscheidung dar.

13aa) Wie bereits ausgeführt, war dem Beklagten hinsichtlich des Vorwurfs Nr. 7 in der Disziplinarklage vorgehalten worden, in der am ausgestrahlten Folge der Fernsehsendung "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" als Darsteller mitgewirkt, und damit eine Nebentätigkeit ausgeübt zu haben. Ausdrücklich heißt es hierzu: "Eine Anzeige bzw. eine Genehmigung für die Nebentätigkeit lag nicht vor."

14Ausgehend hiervon bedurfte es keines Hinweises, dass das Berufungsgericht auch bei Annahme einer fehlenden Genehmigungspflicht für die benannte Nebentätigkeit von einem Pflichtenverstoß ausgeht. Vielmehr musste ein gewissenhafter Beteiligter hiermit schon angesichts des in der Disziplinarklage enthaltenen Vorwurfs rechnen. Dass das Verwaltungsgericht die Nebentätigkeit als nicht genehmigungspflichtig angesehen hat, ändert hieran nichts. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts bindet die Berufungsinstanz nicht; vielmehr dient die von der Klägerin eingelegte Berufung gerade der Nachprüfung des in der Vorinstanz gefundenen Ergebnisses. Prozessstoff sind dabei die in der Disziplinarklage dargestellten Handlungen; diese begrenzen den Disziplinarvorwurf und die Disziplinargewalt des Gerichts (§ 60 Abs. 2 Satz 1 BDG). Innerhalb dieser Schranken hat das Berufungsgericht aber eine eigenständige Entscheidung zu treffen (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 BDG).

15Die Feststelllungen des Berufungsgerichts sind auch nicht aktenwidrig, sondern explizit bereits in der Disziplinarklage enthalten. Im Übrigen hat der Beklagte den Umstand, dass er die Nebentätigkeit nicht angezeigt hatte, zu keinem Zeitpunkt bestritten.

16bb) Dem Berufungsurteil haftet schließlich auch kein "Denkfehler" an. Mit dem Vortrag, das Berufungsgericht schließe die Verantwortlichkeit des Beklagten für die Einstellung des Videos ins Internet (Vorwurf Nr. 4) aus dem Fehlen ausreichender Anhaltspunkte für eine Veröffentlichung durch Dritte, ist der behauptete Verstoß gegen die Denkgesetze bereits nicht schlüssig dargetan. Denn damit hat die Beschwerde keinen Schluss aufgezeigt, der schlechterdings nicht gezogen werden kann. Ein Tatsachengericht hat aber nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung der Beschwerde unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom - 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 und vom - 2 B 37.21 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 100 Rn. 15 m. w. N.). Derartiges zeigt die Beschwerde nicht auf.

17Unabhängig davon hat sich das Berufungsgericht zur Begründung seiner Auffassung nicht allein auf die fehlende Wahrscheinlichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs gestützt. Vielmehr hat das Berufungsgericht ausdrücklich eigenständige Feststellungen getroffen und sich hierfür auf Zeugenaussagen im Disziplinarverfahren und die Persönlichkeitsstruktur des Beklagten mit seinem "Drang, sich selbst darzustellen und mitzuteilen", gestützt. Diese tatrichterliche Würdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere zeigt die abweichende Würdigung des Beweisergebnisses durch die Beschwerde keinen Verfahrensfehler auf.

18Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde waren die im behördlichen Disziplinarverfahren sowie vor dem Verwaltungsgericht durchgeführten Zeugenvernehmungen auch zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gemacht worden (UA S. 13). Dass in der Berufungsinstanz eine eigenständige Würdigung vorzunehmen ist und ein gewissenhafter Beteiligter jedenfalls mit einer dem Disziplinarklagevorwurf entsprechenden Auffassung rechnen muss, ist bereits dargetan worden. Dies gilt auch hinsichtlich der Ausführungen zum Vorwurf Nr. 4.

19cc) Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl. § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

203. Die Kostenentscheidung beruht auf § 3 BDG i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren streitwertunabhängige Gerichtsgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 Satz 1 BDG erhoben werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:090223B2B12.22.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-36746