BGH Beschluss v. - III ZR 242/21

Internationale Zuständigkeit: Schadensersatzklage gegen eine Bank mit weltweiten Niederlassungen

Gesetze: Art 4 Abs 1 EUV 1215/2012, Art 63 Abs 1 Buchst c EUV 1215/2012

Instanzenzug: Az: 5 U 710/20 Urteilvorgehend LG München I Az: 40 O 4474/18

Gründe

1Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

2Entgegen der Ansicht der Beschwerde folgt insbesondere ein Revisionszulassungsgrund nicht daraus, dass das Berufungsgericht die Beklagte in Bezug auf die Frage des Bestehens einer Hauptniederlassung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 351, S. 1; im Folgenden EuGVVO) als sekundär darlegungsbelastet angesehen hat. Es bedarf hierzu keiner Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 und 3 AEUV. Es liegt insoweit ein acte clair vor. Der Gerichtshof hat zum Übereinkommen vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32; EuGVÜ) und zur Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom (ABl. L 12, S. 1; EuGVVO aF) ausdrücklich ausgesprochen, dass das Übereinkommen beziehungsweise die Verordnung nicht die Vereinheitlichung der Verfahrensregeln zum Gegenstand hat, sondern die Verteilung der gerichtlichen Zuständigkeiten für Zivil- und Handelssachen im Verhältnis zwischen den Vertragsstaaten (, GRURInt 2012, 544 Rn. 44 und vom - C-68/93, NJW 1995, 1881 Rn. 35; jew. mwN). Nichts Anderes kann für die aktuelle Fassung der EuGVVO gelten.

3Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass hinsichtlich der Verfahrensregeln auf die für das nationale Gericht geltenden nationalen Rechtsvorschriften zurückzugreifen ist, soweit deren Anwendung nicht die praktische Wirksamkeit der Verordnung - beziehungsweise zuvor des Übereinkommens - beeinträchtigt (vgl. zB , NJW 2015, 1581 Rn. 59 f, 65 und vom aaO Rn. 36; jew. mwN). Dies gilt auch für die Anforderungen, die an den Vortrag zur Darlegung der internationalen Zuständigkeit zu stellen sind (vgl. , NJW 2012, 455 Rn. 12 und vom - I ZR 59/00, NJW-RR 2004, 935; jew. mwN) einschließlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Darlegung und Beweisführung erleichtert werden kann (vgl. aaO Rn. 37 ff; , NJW 2015, 2339 Rn. 28 ff). Darunter fallen auch die Konstellationen, in denen dem Gegner des Beweisführers eine sekundäre Darlegungslast auferlegt wird. Danach werden Schwierigkeiten beim Führen eines Beweises im Falle eines Informationsgefälles, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des betreffenden Geschehensablaufs steht, dadurch ausglichen, dass der Gegner, der anders als der Beweisführer die maßgebenden Tatsachen kennt, dazu im Rahmen des Zumutbaren substantiiert vorzutragen hat, mit der Folge, dass bei mangelnder Substanz das Klägervorbringen als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 2 und 3 ZPO; st. Rspr., vgl. zB Senat, Urteile vom - III ZR 211/20, WM 2023, 134 Rn. 17 und vom - III ZR 24/21, NJW 2022, 2754 Rn. 36, zur Veröffentlichung in BGHZ 234, 102 vorgesehen; , BGHZ 221, 139 Rn. 17; vom - IX ZR 10/17, BGHZ 221, 110 Rn. 45 f; Beschluss vom - IV ZR 103/06, NJW-RR 2008, 343 und Urteil vom - I ZR 79/59, NJW 1961, 826, 828). Dieser Grundsatz ist auch mit dem Zweck der Verordnung, die den Rechtsschutz der in der Europäischen Union ansässigen Personen unter anderem in der Weise verbessern soll, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, ohne weiteres zu vereinbaren. Demgegenüber wird der Beklagte durch das Erfordernis, zu ihm bekannten oder zumutbar zu ermittelnden Tatsachen vorzutragen, nicht unangemessen benachteiligt. Die Vorhersehbarkeit, an welchem Gericht er verklagt werden kann, erschwert dies nicht.

4Ebenso wenig bestehen vernünftige Zweifel daran, dass es sich bei der Hauptniederlassung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO (vgl. dazu Begründung des Kommissionsentwurfs vom , KOM(1999), 348 endg. S. 27), wenn es mehrere Niederlassungen eines Unternehmens gibt, um diejenige handelt, bei der der Schwerpunkt der externen - auf den Markt bezogenen - Geschäftstätigkeit liegt, was durch die dort vorhandenen Personal- und Sachmittel, die für den Umfang des Geschäftsvolumens maßgeblich sind, zum Ausdruck kommt (BAGE 132, 182 Rn. 34 mwN; , NJW-RR 2018, 290 Rn. 19), und dies durch einen Größenvergleich zu ermitteln ist. Sowohl in Anbetracht des Wortlauts der Norm, in der - formuliert im Singular - lediglich von "der Hauptniederlassung" die Rede ist, als auch nach der natürlichen Wortbedeutung ist es ebenso unzweifelhaft, dass es nur eine Hauptniederlassung und nicht mehrere geben kann. Eine mit mehreren Hauptniederlassungen verbundene Vervielfachung der allgemeinen Gerichtsstände stünde auch mit dem Zweck der EuGVVO, Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. zB , EuZW 2021, 890 Rn. 25, 39), nicht in Einklang.

5Die Rechtsprechung des französischen Kassationshofs steht dem - anders als die Beschwerde meint - nicht entgegen. Zwar mag die Erste Zivilkammer des Gerichts in ihrer Entscheidung vom zu Art. 60 Abs. 1 Buchst. c EuGVVO aF noch eine abweichende Definition des Begriffs der Hauptniederlassung verwendet haben (unalex Rechtsprechung, Entscheidung FR-2497). Diese Definition, die eher der einer Hauptverwaltung entspricht, würde aber erst recht dazu führen, dass ein Gerichtsstand nach der EuGVVO nicht begründet ist. Dessen ungeachtet ist die Entscheidung überholt. Mit Urteil vom (unalex Rechtsprechung, Entscheidung FR-2515) hat derselbe Spruchkörper den Begriff der Hauptniederlassung in Übereinstimmung mit der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts als den Ort definiert, an dem die Gesellschaft im Wesentlichen ihre Geschäftstätigkeit ausübt.

6Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:230223BIIIZR242.21.0

Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2023 S. 16 Nr. 35
NJW 2023 S. 8 Nr. 21
VAAAJ-36680