Instanzenzug: Az: 10 U 118/21vorgehend Az: 32 O 54/21
Gründe
1I. Das Landgericht hat die Beklagte mit Urteil vom zur Rückzahlung von Maklerprovisionen in Höhe von 32.184,56 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Gegen das ihr am zugestellte Urteil hat die Beklagte mit dem am bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum mit einem auf dem Postweg bei der Gemeinsamen Briefannahmestelle des Kammergerichts am eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet. Das Kammergericht hat den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit am per Fax und über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) zugestellter Verfügung darauf hingewiesen, dass die Einreichung nicht die von § 130d ZPO vorgegebene elektronische Form wahre und die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, wenn nicht die Berufungsbegründung bis zum Ablauf des zusätzlich in elektronischer Form eingehe.
2Mit dem am über das beA und auf dem Postweg eingegangenen Schriftsatz vom beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, die Ersatzeinreichung des Schriftsatzes vom zuzulassen, und fügte die Berufungsbegründung bei. Mit Verfügung vom wies das Kammergericht darauf hin, dass es darauf ankommen dürfte, ob die technische Störung durch die Beklagtenseite rechtzeitig nach der bereits am erlangten Kenntnis glaubhaft gemacht worden sei, wozu die Ersatzeinreichung keine Angaben enthalte.
3Mit Beschluss vom hat das Kammergericht die Berufung der Beklagten unter Versagung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
4II. Das Berufungsgericht hat die Ablehnung der Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung wie folgt begründet:
5Die Beklagte müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten bei der Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung zurechnen lassen. Dieser habe es zu verantworten, die Möglichkeit, über sein beA gemäß § 130d ZPO ab dem Schriftsätze an das Gericht versenden zu können, nicht überprüft zu haben. Auch seine Schwierigkeiten bei der Behebung der fehlenden Übermittlungsmöglichkeit fielen dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Last.
6III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ablehnenden Beschluss muss ein Zulässigkeitsgrund vorliegen und ordnungsgemäß dargelegt werden (vgl. , juris Rn. 8 und 13; Beschluss vom - I ZB 46/21, juris Rn. 6). Daran fehlt es. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind geklärt. Der von der Rechtsbeschwerde allein geltend gemachte Zulässigkeitsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erfüllt. Das Berufungsgericht ist nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen, und der angefochtene Beschluss verletzt nicht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Es hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vielmehr zu Recht versagt (§ 233 Satz 1 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
71. Hat eine Partei die Berufungsbegründungsfrist versäumt, ist ihr nach § 233 Satz 1 ZPO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten wird der Partei zugerechnet (§ 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden, kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
8Zur Ausräumung eines der Wiedereinsetzung entgegenstehenden Verschuldens muss die Partei die maßgebenden Tatsachen durch eine geschlossene und aus sich heraus verständliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist, darlegen und glaubhaft machen. Die Partei hat somit einen Verfahrensablauf vorzutragen, der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (, juris Rn. 14 mwN). Jedoch darf die Partei erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutern und vervollständigen. Das Gericht ist allerdings nicht verpflichtet, eine Partei nach § 139 ZPO darauf hinzuweisen, dass die Umstände, die zur Fristversäumung geführt haben, vollständig vorgetragen werden müssen (, juris Rn. 10 mwN).
92. Mit diesen Grundsätzen steht die angefochtene Entscheidung im Einklang. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist eine unverschuldete Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht glaubhaft gemacht hat.
10a) Mit dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom erklärte dieser, im Zuge der Übermittlung des Berufungsbegründungsschriftsatzes an das Berufungsgericht am sei erstmals aufgefallen, dass ausgehende Nachrichten nicht hätten gesendet werden können. Das Sicherheitszertifikat für die elektronische Signatur ausgehender Nachrichten sei auf der dazugehörenden Karte des beA nicht korrekt eingebunden gewesen. Dies sei zuvor mangels Übermittlung von Schriftsätzen nicht aufgefallen, weil der Versand von elektronisch und mit dem Zertifikat signierten Nachrichten aus dem beA vor dem hier in Rede stehenden Fristablauf nicht erforderlich gewesen sei.
11b) Aus diesem Vortrag hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei geschlossen, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Fristversäumung verschuldet habe, weil er die Möglichkeit, über sein beA gemäß § 130d ZPO ab dem Schriftsätze an das Gericht versenden zu können, nicht überprüft habe.
12aa) Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde darauf, dass es mangels eines konkreten Anlasses zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des beA an einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten fehle.
13(1) Für die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA gilt nichts wesentlich anderes als bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (vgl. , NJW 2021, 2201 [juris Rn. 21]; Beschluss vom - VII ZR 94/21, NJW 2021, 3471 [juris Rn. 12]; Beschluss vom - VI ZB 78/21, juris Rn. 11; Beschluss vom - XI ZB 18/21, NJW-RR 2022, 1069 [juris Rn. 10]). Eine Fehlfunktion technischer Einrichtungen in der Anwaltskanzlei entlastet den Rechtsanwalt nur dann, wenn die Störung plötzlich und unerwartet aufgetreten ist und durch regelmäßige Wartung der Geräte nicht hätte verhindert werden können. Dabei ist ein Rechtsanwalt bei Ausschöpfung einer Frist bis zum letzten Tag zwar nicht verpflichtet, das Telefax-System stets vorsorglich auf dessen Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Er missachtet aber dann die gebotene Sorgfalt, wenn er wegen eines Versagens des Telefax-Systems konkreten Anlass dafür hat, an dessen verlässlicher Funktionstauglichkeit zu zweifeln (, juris Rn. 12 mwN).
14(2) Im Streitfall ist auf der Grundlage des Vorbringens des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Schriftsatz vom davon auszugehen, dass ein Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit des beA bestand und diese sorgfaltswidrig unterblieben ist. Danach handelte es sich bei der gescheiterten Übermittlung der Berufungsbegründung per beA um den erstmaligen Versuch der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes an ein Gericht und war die fehlerhafte Einbindung des Sicherheitszertifikats für die elektronische Signatur ausgehender Nachrichten auf der dazugehörenden Karte des beA zuvor mangels Übermittlung von Schriftsätzen nicht aufgefallen. Wird ein neuer Übermittlungsweg in Betrieb genommen, stellt dies einen Anlass zur Überprüfung der Funktionsfähigkeit dieses Übermittlungswegs dar. Vor der erstmaligen Nutzung des ab dem für Rechtsanwälte gemäß § 130d Satz 1 ZPO zur Nutzung vorgeschriebenen beA musste ein Rechtsanwalt daher überprüfen, ob dieser Übermittlungsweg funktionsfähig eingerichtet ist.
15bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bedurfte es keines weiteren Hinweises des Berufungsgerichts gemäß § 139 ZPO an die Beklagte zu einem etwaigen Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten. Dem Erfordernis, vor der Verwerfung einer Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist dem Rechtsmittelführer durch einen Hinweis rechtliches Gehör zu gewähren, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu der Fristversäumung zu äußern und einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen (, NJW-RR 2010, 1075 [juris Rn. 7]; zur Verwerfung einer Beschwerde vgl. , NJW-RR 2013, 1281 [juris Rn. 6]), ist im Streitfall durch den Hinweis des Berufungsgerichts vom Genüge getan. Mit dem Hinweis darauf, dass die Berufung als unzulässig zu verwerfen sei, wenn nicht die Berufungsbegründung bis zum Ablauf des in elektronischer Form eingehe, war die Beklagte in die Lage versetzt, sowohl die zur Fristwahrung als auch die im Falle einer Fristversäumung notwendigen rechtlichen Schritte einzuleiten.
16cc) Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, der mehrdeutige Vortrag im Schriftsatz vom habe im Sinne einer Sachverhaltsalternative verstanden werden können, bei der es am Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gefehlt habe, so dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung geboten gewesen sei und der Beklagten auch nach Fristablauf die Erläuterung oder Vervollständigung ihres Vortrags zu gestatten sei. Der Vortrag habe die Deutung offengelassen, dass vor dem zwar keine Schriftsätze, sehr wohl aber Empfangsbekenntnisse erfolgreich versandt worden seien.
17(1) Erkennbar ungenaue oder unklare Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war, dürfen noch nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist erläutert oder vervollständigt werden (, FamRZ 2004, 1552 [juris Rn. 14] mwN). Eine Erläuterungs- oder Ergänzungsbedürftigkeit ist etwa erkennbar, wenn im Wiedereinsetzungsantrag bestimmte durch Anweisung festgelegte Arbeitsroutinen beschrieben wurden, aus denen sich sowohl eine sorgfaltsgemäße als auch eine sorgfaltswidrige Ausführung ergeben kann. In solchen Fällen darf das Gericht nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die sorgfaltswidrige Alternative nicht entkräftet worden sei, und muss auf eine Aufklärung hinwirken. Es würde aber die Hinweispflicht überspannen, wenn das Berufungsgericht den Antragsteller eines Wiedereinsetzungsgesuchs über Lücken in den von ihm dargelegten Sicherungsvorkehrungen aufzuklären hätte. Das Berufungsgericht kann vielmehr im Zweifel davon ausgehen, dass der Antragsteller seiner aus § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebenden Verpflichtung zur vollständigen Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen auch nachgekommen ist (vgl. , NJW-RR 2013, 1393 [juris Rn. 15] mwN).
18(2) Im Streitfall sind die Darlegungen im Schriftsatz vom weder erkennbar lückenhaft noch erläuterungsbedürftig. Darin wird zunächst ausgeführt, dass bei dem Versuch der Übermittlung der Berufungsbegründung per beA am erstmals aufgefallen sei, dass ausgehende Nachrichten nicht hätten gesendet werden können. Soweit nachfolgend mitgeteilt wird, dass am ein Empfangsbekenntnis erfolgreich habe versandt werden können, geht daraus nicht hervor, dass zuvor schon Empfangsbekenntnisse versandt wurden, es sich also nicht um die erste erfolgreich versandte Nachricht handelte. Auch von einer erfolgreichen Inbetriebnahme des beA im Jahr 2021 ist nirgends die Rede.
193. Gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung nach § 130d Satz 2 und 3 ZPO weder vorlagen noch glaubhaft gemacht wurden, wendet sich die Rechtsbeschwerde nicht.
20IV. Danach ist die Rechtsbeschwerde der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:151222BIZB35.22.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-35896