BGH Beschluss v. - AnwSt (R) 6/22

Ausschließung eines Rechtsanwaltes aus der Rechtsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen seine anwaltlichen Pflichten

Gesetze: § 249 Abs 1 StPO, § 261 StPO, § 274 StPO, § 337 Abs 1 StPO, § 43 BRAO, § 43a Abs 4 S 1 BRAO, § 43a Abs 5 S 1 BRAO vom , § 43a Abs 6 BRAO, § 45 Abs 2 Nr 2 BRAO vom , § 116 Abs 1 S 2 BRAO, § 263 Abs 1 StGB

Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof Brandenburg Az: AGH II 2/20vorgehend Anwaltsgericht Brandenburg Az: 2 AnwG 2/19

Gründe

1I. Das Anwaltsgericht hat den Rechtsanwalt wegen Verstoßes gegen seine anwaltlichen Pflichten aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen. Die dagegen gerichtete Berufung des Rechtsanwalts hat der Anwaltsgerichtshof mit Urteil vom unter Neufassung des Tenors als unbegründet verworfen. Der Anwaltsgerichtshof hat den Rechtsanwalt für schuldig befunden, durch Betrug zu Lasten einer Mandantin gegen seine Pflicht zur sorgfältigen Behandlung ihm anvertrauter Vermögenswerte (§§ 43, 43a Abs. 5 Satz 1 BRAO [in der bis zum geltenden Fassung, im Folgenden: aF], § 263 Abs. 1 StGB) sowie gegen das Tätigkeitsverbot bei anwaltlicher Vorbefassung (§ 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO aF) verstoßen zu haben. Angesichts der Schwere und Hartnäckigkeit der Pflichtverletzung sowie der fortbestehenden Gefahr ähnlicher Taten hat er die Ausschließung des Rechtsanwalts aus der Rechtsanwaltschaft für erforderlich erachtet. Der Verurteilung liegt der Vorwurf zugrunde, der Rechtsanwalt habe eine Mandantin, die Zeugin A.    , im Anschluss an deren Vertretung bei der Regelung des Nachlasses ihres verstorbenen Ehemanns zur Gewährung eines Darlehens in Höhe von 93.000 € an eine von ihm kontrollierte UG & Co. KG mit der Absicht veranlasst, einen erheblichen Teil des Geldes nicht zurückzuzahlen, sondern für eigene Zwecke zu verwenden.

2Die hiergegen eingelegte Revision des Rechtsanwalts hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluss vom wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.

3Der Rechtsanwalt begehrt nunmehr unter Nachreichung einer Revisionsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und beantragt, ihn unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung freizusprechen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an einen Anwaltsgerichtshof eines anderen Landes zurückzuverweisen.

4Der Generalbundesanwalt beantragt mit Stellungnahme vom , dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben, das angefochtene Urteil auf die Revision mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs zurückzuverweisen.

5II. Der Wiedereinsetzungsantrag und die Revision des Rechtsanwalts haben Erfolg.

61. Dem Wiedereinsetzungsantrag des Rechtsanwalts ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom zu entsprechen. Damit ist der gemäß § 346 Abs. 1 StPO, § 146 Abs. 3 Satz 1BRAO aF (seit : § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO) ergangene Verwerfungsbeschluss des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom gegenstandslos (vgl. , juris Rn. 2 mwN).

7Die Kosten der Wiedereinsetzung sind gemäß § 473 Abs. 7 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO unabhängig vom Ausgang des weiteren Verfahrens nach Wiedereinsetzung dem Rechtsanwalt aufzuerlegen, da sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind (vgl. , juris Rn. 1; , juris Rn. 30; Weyland/Reelsen, BRAO, 10. Aufl., § 116 Rn. 375; Dittmann in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 116 Rn. 32; jeweils mwN).

82. Die Revision des Rechtsanwalts hat bereits mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO durch Verwertung nicht prozessordnungsgemäß als Urkunden in die Hauptverhandlung eingeführter Umsatzlisten einer Bankverbindung der UG & Co. KG Erfolg.

9a) Die Verfahrensrüge ist in zulässiger Weise gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO erhoben.

10Die Revisionsbegründung gibt den Inhalt der einschlägigen Stellen des Protokolls der Hauptverhandlung zutreffend und vollständig wieder, aus denen sich ergibt, dass die Umsatzlisten des Kontos der UG & Co. KG bei der V.                     e.G. (im Folgenden: V. -Konto) nicht verlesen, sondern dem Rechtsanwalt (nur) vorgehalten wurden und er sich dazu nicht geäußert hat. Außerdem enthält sie eine wörtliche Wiedergabe der Stellen der Urteilsbegründung, an denen der Anwaltsgerichtshof diese Umsatzlisten bei seiner Beweiswürdigung verwertet hat.

11b) Die Verfahrensrüge ist auch begründet.

12aa) Die Umsatzlisten des V. -Kontos sind nicht prozessordnungsgemäß als Urkunden in die Hauptverhandlung eingeführt worden.

13Urkunden sind als Beweismittel gemäß § 249 Abs. 1 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen. Wird der Inhalt einer Urkunde (nur) durch Vorhalt in die Hauptverhandlung eingeführt, ist die Urkunde selbst kein Beweismittel, sondern dient lediglich als Vernehmungsbehelf; verwertbares Beweismittel ist in diesem Fall die Erklärung der Person, der der Vorhalt gemacht wird. Nur ihre Aussage wird zum verwertbaren Teil des Inbegriffs der Verhandlung, nicht aber das vorgehaltene Schriftstück (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ 2022, 119 Rn. 8 mwN sowie weitere Nachweise bei Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 249 Rn. 28).

14Hier wurden die Umsatzlisten des V. -Kontos nach dem Protokoll der Hauptverhandlung allein dem angeschuldigten Rechtsanwalt vorgehalten, der sich dazu nicht geäußert hat. Letzteres ergibt sich auch aus den Gründen des angefochtenen Urteils. Soweit dort außerdem angegeben wird, die Umsatzlisten seien durch Verlesung zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden, steht dem die Beweiskraft des Protokolls entgegen (§ 274 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO). Bei der Verlesung von Urkunden handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens gemäß § 273 Abs. 1 Satz 1 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO, die von der Beweiskraft des § 274 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO umfasst ist (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 273 Rn. 7, 9). Eine Berichtigung des Protokolls ist nicht erfolgt.

15Damit durften die Umsatzlisten selbst nicht - wie geschehen - als Urkunden bei der Beweiswürdigung verwertet werden. Da der Rechtsanwalt sich auf den Vorhalt der Listen nicht geäußert hat, liegt auch keine verwertbare Aussage zu deren Inhalt vor.

16bb) Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs beruht auf diesem Verfahrensverstoß, da es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre (§ 337 Abs. 1 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO; vgl. , NStZ-RR 2022, 52 mwN; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 337 Rn. 37).

17(1) Der Inhalt der Umsatzlisten des V. -Kontos war für den Anwaltsgerichtshof das wesentliche Beweismittel, um die Einlassung des Rechtsanwalts, der Darlehensbetrag der Zeugin A.      sei - soweit nicht Teilbeträge an oder für sie ausgekehrt worden waren - auf den Konten der UG & Co. KG bzw. in deren Vermögen noch vorhanden gewesen und nicht für seine Zwecke ausgegeben worden, zu widerlegen. Diese Widerlegung war wiederum wesentliche Grundlage für die Schlussfolgerung des Anwaltsgerichtshofs, der Rechtsanwalt habe von Anfang an beabsichtigt, einen Teilbetrag der Darlehenssumme für sich zu verwenden. Es ist revisionsrechtlich nicht auszuschließen, dass der Anwaltsgerichtshof ohne Berücksichtigung der nicht prozessordnungsgemäß eingeführten Unterlagen zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt wäre.

18(2) Damit besteht die Möglichkeit, dass der Anwaltsgerichtshof ohne Berücksichtigung der Umsatzlisten eine Täuschung der Mandantin durch den Rechtsanwalt bei Abschluss des Darlehensvertrags verneint und ihn infolgedessen nicht des Verstoßes gegen die anwaltlichen Pflichten bei der Behandlung fremder Vermögenswerte durch Betrug zu Lasten der Mandantin gemäß §§ 43, 43a Abs. 5 Satz 1 BRAO aF bzw. (jetzt) § 43a Abs. 7 Satz 1 BRAO, § 263 StGB für schuldig befunden hätte.

19(3) Nach dem gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Recht ist darüber hinaus auch nicht auszuschließen, dass der Anwaltsgerichtshof ohne Berücksichtigung der Umsatzlisten des V. -Kontos auch keinen Verstoß gegen das Tätigkeitsverbot bei anwaltlicher Vorbefassung angenommen hätte.

20(a) Nach dem allgemeinen, auch für das Disziplinarrecht geltenden Grundsatz des § 2 Abs. 3 StGB ist bei einer Änderung des bei Beendigung der Tat geltenden Gesetzes vor der Entscheidung das mildeste Gesetz anzuwenden (sog. Meistbegünstigungsprinzip; vgl. Weyland/Reelsen, BRAO, 10. Aufl., § 114 Rn. 7). Das gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 354a StPO im Fall einer Gesetzesänderung auf dem Gebiet des materiellen Rechts auch noch im Revisionsverfahren, sofern der Revisionsführer - wie hier - eine wirksame Sachrüge erhoben hat (vgl. , BGHSt 26, 94; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a Rn. 1, 9).

21(b) Danach ist hier zu berücksichtigen, dass die der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs zugrundeliegende Regelung des Tätigkeitsverbots bei anwaltlicher Vorbefassung des § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO aF mit Wirkung zum neu geregelt wurde und nach der in § 43a Abs. 6 i.V.m. § 43a Abs. 4 Satz 1 BRAO enthaltenen Neuregelung die nichtanwaltliche Nachbefassung nur noch in den Fällen ausgeschlossen ist, in denen ein Interessenskonflikt vorliegt. In der Gesetzesbegründung ist hierzu ausgeführt, dass ohne einen solchen Interessenskonflikt schutzwürdige Belange der Rechtspflege nicht berührt seien und insbesondere aus Sicht des anwaltlichen Berufsrechts nichts dagegen spreche, dass ein Mandant, der anwaltlich in einer Angelegenheit beraten wurde, im Anschluss von der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt im zulässigen Zweitberuf in derselben Sache betriebswirtschaftlich beraten werde (RegE zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BR-Drucks. 55/21, S. 195 zu Absatz 6, S. 196 zu Nummer 12).

22(c) Feststellungen zu einem Interessenskonflikt des Rechtsanwalts liegen nicht vor. Der Anwaltsgerichtshof ist vielmehr im Gegenteil ausdrücklich unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zu § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO aF davon ausgegangen, dass es für die Geltung des Tätigkeitsverbots gleichgültig sei, ob die spätere zweitberufliche Tätigkeit des Rechtsanwalts sich gegen seinen Mandanten richte, in dessen Interesse liege oder der frühere Mandant mit der Übernahme der sich anschließenden Tätigkeit einverstanden sei. Soweit der Anwaltsgerichtshof außerdem festgestellt hat, dass der Rechtsanwalt von Anfang an beabsichtigt habe, einen Teilbetrag der Darlehenssumme für sich zu verwenden, kann dies nicht zur Begründung eines Interessenskonflikts herangezogen werden, da diese Feststellung - wie oben dargelegt - auf einem Verfahrensfehler beruht.

23(4) Damit besteht letztlich auch die Möglichkeit, dass das Urteil bei richtiger Gesetzesanwendung im Rechtsfolgenausspruch anders ausgefallen wäre.

243. Da bereits die dargestellte Verfahrensrüge insgesamt durchgreift, kann von einer Erörterung der übrigen Verfahrensrügen und der Sachrüge abgesehen werden.

25III. Das angefochtene Urteil ist mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO) und die Sache an einen anderen Senat des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO, § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO).

26Zu der von der Revision angeregten Zurückverweisung an den Anwaltsgerichtshof eines anderen Landes gemäß § 146 Abs. 3 Satz 2 BRAO sieht der Senat keinen Anlass. Aus den von der Revision hierzu vorgetragenen Umständen und Rügen ergibt sich lediglich eine unterschiedliche Würdigung und Bewertung der Ergebnisse der Beweisaufnahme durch den Anwaltsgerichtshof und die Verteidigung, die als solche noch keinen Grund für die Annahme einer "vorurteilsbelastenden örtlichen Atmosphäre" zu Lasten des Rechtsanwalts, einer "einseitigen Manipulation des entscheidungserheblichen Sachverhalts in den Entscheidungsgründen" oder von "wahren Beweggründen außerhalb des Verfahrens" geben und deshalb eine Zurückverweisung an einen Anwaltsgerichtshof eines anderen Landes rechtfertigen könnten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:310123BANWST.R.6.22.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-35798