Online-Plattformen und Erhebung der Mehrwertsteuer
Leitsatz
Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 des Rates vom geänderten Fassung im Hinblick auf die Art. 28 und 397 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom geänderten Fassung sowie auf Art. 291 Abs. 2 AEUV berühren könnte.
Gesetze: EUV 1042/2013 Art 1 Abs 1 Buchst c, EUV 282/2011 Art 9a, EGRL 112/2006 Art 397, EGRL 112/2006 Art 28, AEUV Art 267
Instanzenzug:
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 9a der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2011, L 77, S. 1) in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 des Rates vom (ABl. 2013, L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Durchführungsverordnung Nr. 282/2011).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fenix International Ltd (im Folgenden: Fenix) und den Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung, Vereinigtes Königreich) wegen von ihnen erlassenen Mehrwertsteuerbescheiden für die Monate Juli 2017 bis Januar 2020 und April 2020.
Rechtlicher Rahmen
Das Austrittsabkommen
3 Mit seinem Beschluss (EU) 2020/135 vom über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1, im Folgenden: Austrittsabkommen) hat der Rat der Europäischen Union dieses Abkommen im Namen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) genehmigt. Das Abkommen ist dem Beschluss beigefügt (ABl. 2020, L 29, S. 7).
4 Art. 86 („Vor dem Gerichtshof der Europäischen Union anhängige Rechtssachen“) Abs. 2 und 3 des Austrittsabkommens lautet:
„(2) Der Gerichtshof der Europäischen Union ist weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt werden.
(3) Für die Zwecke dieses Kapitels gilt ein Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zu dem Zeitpunkt als eingeleitet und ein Vorabentscheidungsersuchen zu dem Zeitpunkt als vorgelegt, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs der Europäischen Union registriert wurden.“
5 Gemäß Art. 126 des Austrittsabkommens begann der Übergangszeitraum am Tag des Inkrafttretens dieses Abkommens und endete am .
6 In Anbetracht des Datums der Mehrwertsteuerbescheide, um die es im Ausgangsverfahren geht, gelten für dieses die Bestimmungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom (ABl. 2017, L 348, S. 7) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
7 Die Erwägungsgründe 61 bis 64 der Mehrwertsteuerrichtlinie lauten:
„(61) Eine einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems ist von grundlegender Bedeutung. Zur Erreichung dieses Ziels sollten Durchführungsmaßnahmen erlassen werden.
(62) Insbesondere sollten diese Maßnahmen das Problem der Doppelbesteuerung grenzüberschreitender Umsätze behandeln, das durch eine unterschiedliche Anwendung der Regeln für den Ort der steuerbaren Umsätze durch die Mitgliedstaaten auftreten kann.
(63) Trotz des begrenzten Anwendungsbereichs der Durchführungsmaßnahmen haben solche Maßnahmen Auswirkungen auf den Haushalt, die für einen oder mehrere Mitgliedstaaten bedeutend sein könnten. Durch die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Haushalt der Mitgliedstaaten ist es gerechtfertigt, dass sich der Rat die Durchführungsbefugnisse vorbehält.
(64) Angesichts ihres begrenzten Anwendungsbereichs sollte vorgesehen werden, dass diese Durchführungsmaßnahmen vom Rat auf Vorschlag der [Europäischen] Kommission einstimmig angenommen werden.“
8 Titel IV („Steuerbarer Umsatz“) dieser Richtlinie enthält ein Kapitel 3 („Dienstleistungen“), in dem sich ihr Art. 28 befindet.
9 Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.“
10 Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes“) dieser Richtlinie enthält ein Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung“). Abschnitt 3 dieses Kapitels nennt in seinen neun Unterabschnitten verschiedene Arten von Dienstleistungen, zu denen gemäß Unterabschnitt 8 seit dem Telekommunikationsdienstleistungen, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen sowie elektronisch erbrachte Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige gehören. Dieser Unterabschnitt besteht aus Art. 58 der Mehrwertsteuerrichtlinie, nach dessen Abs. 1 diese Dienstleistungen in dem Mitgliedstaat steuerbar sind, in dem der Nichtsteuerpflichtige ansässig ist, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.
11 Dieser Unterabschnitt wurde mit Wirkung zum durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom (ABl. 2008, L 44, S. 11) geändert, in deren erstem Erwägungsgrund es heißt: „Die Schaffung des Binnenmarkts sowie Globalisierung, Deregulierung und technologischer Wandel haben den Dienstleistungsverkehr sowohl in quantitativer als auch in struktureller Hinsicht erheblich verändert. Immer mehr Dienstleistungen können aus der Ferne erbracht werden.“
12 Art. 220 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Jeder Steuerpflichtige stellt in folgenden Fällen eine Rechnung entweder selbst aus oder stellt sicher, dass eine Rechnung vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder in seinem Namen und für seine Rechnung von einem Dritten ausgestellt wird:
1. Er liefert Gegenstände oder erbringt Dienstleistungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person;
…“
13 In Art. 226 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Unbeschadet der in dieser Richtlinie festgelegten Sonderbestimmungen müssen gemäß den Artikeln 220 und 221 ausgestellte Rechnungen für Mehrwertsteuerzwecke nur die folgenden Angaben enthalten:
…
5. den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Steuerpflichtigen und des Erwerbers oder Dienstleistungsempfängers;
6. Menge und Art der gelieferten Gegenstände beziehungsweise Umfang und Art der erbrachten Dienstleistungen;
…“
14 Art. 397 dieser Richtlinie bestimmt:
„Der Rat beschließt auf Vorschlag der Kommission einstimmig die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen.“
Durchführungsverordnung Nr. 282/2011
15 Die Erwägungsgründe 2, 4 und 5 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 lauten:
„(2) Die [Mehrwertsteuerrichtlinie] legt Vorschriften im Bereich der Mehrwertsteuer fest, die in bestimmten Fällen für die Auslegung durch die Mitgliedstaaten offen sind. Der Erlass von gemeinsamen Vorschriften zur Durchführung der [Mehrwertsteuerrichtlinie] sollte gewährleisten, dass in Fällen, in denen es zu Divergenzen bei der Anwendung kommt oder kommen könnte, die nicht mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu vereinbaren sind, die Anwendung des Mehrwertsteuersystems stärker auf das Ziel eines solchen Binnenmarkts ausgerichtet wird. Diese Durchführungsvorschriften sind erst vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung an rechtsverbindlich; sie berühren nicht die Gültigkeit der von den Mitgliedstaaten in der Vergangenheit angenommenen Rechtsvorschriften und Auslegungen.
…
(4) Das Ziel dieser Verordnung ist, die einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems in seiner derzeitigen Form dadurch sicherzustellen, dass Vorschriften zur Durchführung der [Mehrwertsteuerrichtlinie] erlassen werden, und zwar insbesondere in Bezug auf den Steuerpflichtigen, die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen sowie den Ort der steuerbaren Umsätze. Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß Artikel 5 Absatz 4 des Vertrags über die Europäische Union geht diese Verordnung nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus. Da sie in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist und unmittelbar gilt, wird die Einheitlichkeit der Anwendung am besten durch eine Verordnung gewährleistet.
(5) Diese Durchführungsvorschriften enthalten spezifische Regelungen zu einzelnen Anwendungsfragen und sind ausschließlich im Hinblick auf eine unionsweit einheitliche steuerliche Behandlung dieser Einzelfälle konzipiert. Sie sind daher nicht auf andere Fälle übertragbar und auf der Grundlage ihres Wortlauts restriktiv anzuwenden.“
16 Art. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 bestimmt:
„Diese Verordnung regelt die Durchführung einiger Bestimmungen der Titel I bis V … der [Mehrwertsteuerrichtlinie]“.
17 Die Erwägungsgründe 1 und 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013, die die Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 mit Wirkung zum änderte, lauten:
„(1) Nach der [Mehrwertsteuerrichtlinie] werden ab alle Telekommunikations‑, Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen und elektronisch erbrachten Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, unabhängig davon, wo der Steuerpflichtige ansässig ist, der diese Leistungen erbringt. Die meisten anderen Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige werden weiterhin in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem der Leistungserbringer ansässig ist.
…“
(4) Es ist notwendig, festzulegen, wer für Mehrwertsteuer (MwSt.)‑Zwecke der Leistungserbringer ist, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen oder über das Internet erbrachte Telefondienste einem Leistungsempfänger über Telekommunikationsnetze oder eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht werden.“
18 Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, der durch die Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013 eingefügt wurde, bestimmt:
„(1) Für die Anwendung von Artikel 28 der [Mehrwertsteuerrichtlinie] gilt, dass wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, davon auszugehen ist, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist, es sei denn, dass dieser Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt.
Damit der Anbieter der elektronisch erbrachten Dienstleistungen als vom Steuerpflichtigen ausdrücklich genannter Erbringer der elektronisch erbrachten Dienstleistungen angesehen werden kann, müssen die folgenden Bedingungen erfüllt sein:
Auf der von jedem an der Erbringung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen beteiligten Steuerpflichtigen ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und der Erbringer dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen angegeben sein;
auf der dem Dienstleistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung oder Quittung müssen die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und ihr Erbringer angegeben sein.
Für die Zwecke dieses Absatzes ist es einem Steuerpflichtigen nicht gestattet, eine andere Person ausdrücklich als Erbringer von elektronischen Dienstleistungen anzugeben, wenn er hinsichtlich der Erbringung dieser Dienstleistungen die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert oder die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.
(2) Absatz 1 findet auch A[n]wendung, wenn über das Internet erbrachte Telefondienste einschließlich VoIP-Diensten (Voice over Internet Protocol) über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden und diese Erbringung unter den in Absatz 1 genannten Bedingungen erfolgt.
(3) Dieser Artikel gilt nicht für einen Steuerpflichtigen, der lediglich Zahlungen in Bezug auf elektronisch erbrachte Dienstleistungen oder über das Internet erbrachte Telefondienste einschließlich VoIP-Diensten (Voice over Internet Protocol) abwickelt und nicht an der Erbringung dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen oder Telefondienste beteiligt ist.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
19 Fenix, eine für Mehrwertsteuerzwecke im Vereinigten Königreich registrierte Gesellschaft, betreibt im Internet eine Plattform für ein soziales Netzwerk, die unter dem Namen „Only Fans“ bekannt ist (im Folgenden: Only-Fans-Plattform). Diese Plattform wird „Nutzern“ aus der ganzen Welt angeboten, die in „Gestalter“ und „Fans“ unterteilt sind.
20 Jeder Gestalter verfügt über ein „Profil“, auf das er Inhalte wie Fotos, Videos und Nachrichten hochlädt und sie dort postet. Die Fans können auf die Inhalte zugreifen, die von den Gestaltern, denen sie folgen möchten oder mit denen sie interagieren möchten, hochgeladen wurden, indem sie Zahlungen punktuell oder in einem monatlichen Abonnement leisten. Die Fans können darüber hinaus „Trinkgelder“ oder Spenden geben, für die sie im Gegenzug keine Leistung in Form von Inhalten erhalten.
21 Jeder Gestalter bestimmt den Betrag für das monatliche Abonnement, Fenix legt jedoch sowohl für Abonnements als auch für die „Trinkgelder“ den zu zahlenden Mindestbetrag fest.
22 Fenix stellt nicht nur die Only-Fans-Plattform bereit, sondern auch die Anwendung, die die Finanztransaktionen ermöglicht. Sie ist verantwortlich für den Einzug und die Verteilung der von den Fans geleisteten Zahlungen und nutzt dafür einen Dritten als Zahlungsdienstleister. Fenix legt auch die allgemeinen Nutzungsbedingungen für die Only-Fans-Plattform fest.
23 Fenix behält 20 % aller Beträge, die an einen Gestalter gezahlt werden, ein und stellt diesem den entsprechenden Betrag in Rechnung. Auf diesen Betrag erhebt sie Mehrwertsteuer zu einem Satz von 20 %, die in den von ihr ausgestellten Rechnungen ausgewiesen ist.
24 Alle Zahlungen erscheinen auf dem Bankauszug des betreffenden Fans als Zahlungen, die zugunsten von Fenix geleistet wurden.
25 Am richtete die Steuer- und Zollverwaltung an Fenix Mehrwertsteuerbescheide über die Mehrwertsteuer, die für die Monate Juli 2017 bis Januar 2020 sowie April 2020 zu entrichten war, wobei sie die Auffassung vertrat, dass Fenix im Sinne von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 als im eigenen Namen tätig anzusehen sei. Folglich müsse Fenix die Mehrwertsteuer auf den gesamten von einem Fan erhaltenen Betrag abführen und nicht nur auf die 20 % dieses Betrags, die sie als Vergütung einbehalte.
26 Am erhob Fenix eine Klage beim First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Kammer für Steuersachen], Vereinigtes Königreich), dem vorlegenden Gericht. Mit dieser Klage stellt Fenix im Wesentlichen die Gültigkeit der Rechtsgrundlage der Steuerbescheide, d. h. Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, in Abrede und beanstandet die in den Bescheiden jeweils genannten Beträge.
27 Vor dem vorlegenden Gericht macht Fenix geltend, dass Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie ändere und/oder ergänze, indem er ihm neue Regeln hinzufüge. Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 gehe nämlich über Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie hinaus, indem er vorsehe, dass der Auftragnehmer, der sich an einer elektronischen Dienstleistung beteilige, als Empfänger und Erbringer dieser Dienstleistungen gelte, obwohl die Identität des Leistungserbringers, der der Auftraggeber sei, bekannt sei. Eine solche Bestimmung nehme den Parteien ihre Vertragsfreiheit und sei losgelöst von der geschäftlichen und wirtschaftlichen Realität. Sie ändere grundlegend die Haftung des Auftragnehmers im Mehrwertsteuerbereich, indem sie die Steuerlast auf die im Internet betriebenen Plattformen übertrage, da es praktisch unmöglich sei, die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 aufgestellte Vermutung zu widerlegen. Folglich überschreite dieser Art. 9a die dem Rat nach Art. 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie übertragenen Durchführungsbefugnisse.
28 Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Gültigkeit von Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011.
29 Unter Bezugnahme auf das Urteil vom , Parlament/Kommission (C‑65/13, EU:C:2014:2289), weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass eine Bestimmung zur Durchführung eines Gesetzgebungsakts nur dann rechtmäßig sei, wenn sie die mit diesem Gesetzgebungsakt verfolgten wesentlichen allgemeinen Ziele beachte, für die Durchführung des Gesetzgebungsakts erforderlich oder zweckmäßig sei und ihn nicht ergänze oder ändere, auch nicht in seinen nicht wesentlichen Teilen. Zwar solle Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 eine Maßnahme zur Durchführung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie darstellen, doch lasse sich die Auffassung vertreten, dass der Rat mit dem Erlass von Art. 9a die ihm übertragene Durchführungsbefugnis missachtet habe.
30 Insbesondere könne die in Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 aufgestellte Vermutung für alle an der Dienstleistung beteiligten Steuerpflichtigen gelten, so dass keine technische Maßnahme, sondern eine grundlegende Änderung des sich aus Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebenden Rechtsrahmens vorläge. Des Weiteren scheine die in Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung aufgestellte Vermutung, und insbesondere die Vermutung nach Unterabs. 3 dieser Bestimmung, die Verpflichtung zur konkreten Prüfung der wirtschaftlichen und geschäftlichen Lage des Steuerpflichtigen aufzuheben, die sich jedoch aus Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebe, wie der Gerichtshof im Urteil vom , Henfling u. a. (C‑464/10, EU:C:2011:489), klargestellt habe.
31 Unter diesen Umständen hat das First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 9a der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ungültig, weil er insofern über die in Art. 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegte Durchführungsbefugnis oder ‑pflicht des Rates hinausgeht, als er Art. 28 dieser Richtlinie ergänzt und/oder ändert?
Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs
32 Nach Art. 86 Abs. 2 des am in Kraft getretenen Austrittsabkommens ist der Gerichtshof weiterhin für Vorabentscheidungsersuchen der Gerichte des Vereinigten Königreichs zuständig, die vor Ende des Übergangszeitraums vorgelegt wurden, der gemäß Art. 126 des Abkommens am geendet hat. Nach Art. 86 Abs. 3 dieses Abkommens gilt ein Vorabentscheidungsersuchen zu dem Zeitpunkt als vorgelegt im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels, zu dem die Unterlagen zur Einleitung des Verfahrens von der Kanzlei des Gerichtshofs der Europäischen Union registriert wurden.
33 Im vorliegenden Fall ist das Vorabentscheidungsersuchen, das ein Gericht des Vereinigten Königreichs vorgelegt hat, von der Kanzlei des Gerichtshofs am und damit vor dem Ende des Übergangszeitraums registriert worden.
34 Folglich ist der Gerichtshof dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über dieses Ersuchen zu entscheiden.
Zur Vorlagefrage
35 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ungültig ist, weil der Rat Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergänzt oder geändert hat und damit die Durchführungsbefugnisse, die ihm gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV durch Art. 397 der Richtlinie übertragen wurden, überschritten hat.
Vorbemerkungen
36 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 291 Abs. 1 AEUV die Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union Sache der Mitgliedstaaten ist. Bedarf es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung solcher Rechtsakte der Union, so werden jedoch nach Art. 291 Abs. 2 AEUV mit diesen Rechtsakten der Kommission oder, in entsprechend begründeten Sonderfällen und in den in Art. 24 und 26 EUV vorgesehenen Fällen, dem Rat Durchführungsbefugnisse übertragen.
37 Speziell zu diesem Erfordernis, die Übertragung einer solchen Durchführungsbefugnis an den Rat entsprechend zu begründen, hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass nach Art. 291 Abs. 2 AEUV ausführlich begründet werden muss, warum dem Rat der Erlass von Maßnahmen zur Durchführung eines verbindlichen Rechtsakts der Union anvertraut wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , National Iranian Oil Company/Rat, C‑440/14 P, EU:C:2016:128, Rn. 49 und 50 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Vorliegend überträgt Art. 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie dem Rat eine Durchführungsbefugnis im Sinne von Art. 291 Abs. 2 AEUV. Dieser Art. 397 bestimmt nämlich, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig die zur Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie erforderlichen Maßnahmen beschließt.
39 In diesem Zusammenhang ergibt sich aus den Erwägungsgründen 61 bis 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass der Unionsgesetzgeber der Auffassung war, dass zum einen die Maßnahmen zur Durchführung dieser Richtlinie einheitlich sein müssen, u. a. um dem Problem der Doppelbesteuerung grenzüberschreitender Umsätze zu begegnen, das durch eine unterschiedliche Anwendung der Regeln für den Ort der steuerbaren Umsätze durch die Mitgliedstaaten auftreten kann, und dass zum anderen der Rat für den Erlass solcher Durchführungsmaßnahmen zuständig bleiben muss, da diese Maßnahmen Auswirkungen – mitunter bedeutende – auf die Haushalte der Mitgliedstaaten haben können.
40 Diese Gründe rechtfertigen die sich aus Art. 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergebende Ermächtigung des Rates, die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen zu beschließen, zu denen Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 gehört, mit dem konkret die einheitliche Anwendung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie sichergestellt werden soll.
41 Was zweitens die Grenzen der Durchführungsbefugnisse gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Erlass der wesentlichen Vorschriften einer Materie wie der Mehrwertsteuer der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers vorbehalten ist. Daraus folgt, dass Bestimmungen, die wesentliche Aspekte einer Grundregelung festlegen und deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen, weder in Durchführungsrechtsakten noch in delegierten Rechtsakten gemäß Art. 290 AEUV erlassen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
42 Die Bestimmung der Aspekte einer Materie, die als wesentlich einzustufen sind, muss sich nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können, und verlangt, die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen (Urteil vom , Parlament/Rat, C‑363/14, EU:C:2015:579, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43 Folglich kann der Rat, wenn er aufgrund eines verbindlichen Rechtsakts der Union wie der Mehrwertsteuerrichtlinie befugt ist, Durchführungsmaßnahmen wie Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 zu erlassen, im Rahmen einer solchen Befugnis keine wesentlichen Vorschriften in dieser Materie beschließen, da diese unter Beachtung des anwendbaren Gesetzgebungsverfahrens erlassen werden müssen, d. h. in Bezug auf die Mehrwertsteuerrichtlinie im besonderen Verfahren gemäß Art. 113 AEUV.
44 Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Kommission, wenn ihr Durchführungsbefugnisse übertragen werden, den Inhalt des betreffenden Gesetzgebungsakts zu präzisieren hat, um seine Umsetzung unter einheitlichen Bedingungen in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen. So müssen die Bestimmungen eines von der Kommission erlassenen Durchführungsrechtsakts zum einen die wesentlichen allgemeinen Ziele beachten, die mit dem Gesetzgebungsakt, den diese Bestimmungen präzisieren sollen, verfolgt werden, und zum anderen für die einheitliche Durchführung des Gesetzgebungsakts erforderlich oder zweckmäßig sein; dabei dürfen sie ihn nicht ergänzen oder ändern, auch nicht in seinen nicht wesentlichen Teilen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Parlament/Kommission, C‑65/13, EU:C:2014:2289, Rn. 43 bis 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
45 Diese Erwägungen zu den Grenzen der Durchführungsbefugnisse der Kommission gelten auch dann, wenn solche Befugnisse gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV dem Rat übertragen werden.
46 Zum einen unterscheidet nämlich Art. 291 Abs. 2 AEUV, indem er sich sowohl auf die Kommission als auch auf den Rat bezieht, hinsichtlich der Art und des Umfangs der Durchführungsbefugnisse nicht nach dem Organ, dem sie übertragen werden.
47 Zum anderen ergibt sich aus der Systematik der Art. 290 und 291 AEUV, dass für die Ausübung von Durchführungsbefugnissen durch den Rat keine anderen Bedingungen gelten dürfen, als sie für die Kommission gelten, wenn sie ihre Durchführungsbefugnisse ausüben soll.
48 Indem die Art. 290 und 291 AEUV Durchführungsrechtsakte von delegierten Rechtsakten unterscheiden, zu deren Erlass nur die Kommission unter den in Art. 290 AEUV vorgesehenen Bedingungen befugt ist und die ihr ermöglichen, bestimmte nicht wesentliche Gesichtspunkte eines Gesetzgebungsakts der Union zu ergänzen oder zu ändern, stellen sie nämlich sicher, dass der Rat, wenn ihm vom Unionsgesetzgeber der Erlass von Durchführungsrechtsakten übertragen wird, nicht über die Befugnisse verfügt, die der Kommission im Rahmen des Erlasses delegierter Rechtsakte vorbehalten sind. Daher darf der Rat den Gesetzgebungsakt durch Durchführungsrechtsakte weder ergänzen noch ändern, auch nicht in seinen nicht wesentlichen Teilen.
49 Demnach umfassen die der Kommission und dem Rat nach Art. 291 Abs. 2 AEUV übertragenen Durchführungsbefugnisse im Wesentlichen die Befugnis, Maßnahmen zu erlassen, die für die einheitliche Durchführung der Bestimmungen des Gesetzgebungsakts, auf dessen Grundlage sie erlassen werden, erforderlich oder zweckmäßig sind und sich darauf beschränken, seinen Inhalt unter Beachtung der mit ihm verfolgten wesentlichen allgemeinen Ziele zu präzisieren, ohne ihn in seinen wesentlichen oder nicht wesentlichen Teilen zu ergänzen oder zu ändern.
50 Insbesondere ist davon auszugehen, dass sich eine Durchführungsmaßnahme auf die Präzisierung der Bestimmungen des betreffenden Gesetzgebungsakts beschränkt, wenn sie allgemein oder für bestimmte Sonderfälle nur darauf abzielt, die Tragweite dieser Bestimmungen zu klären oder die Modalitäten ihrer Anwendung festzulegen, sofern diese Maßnahme hierbei jeden Widerspruch zu den Zielen der Bestimmungen vermeidet und den Regelungsgehalt des Rechtsakts oder seinen Anwendungsbereich nicht in irgendeiner Weise verändert.
51 Um festzustellen, ob der Rat beim Erlass von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 die Grenzen der ihm gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV durch Art. 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie übertragenen Durchführungsbefugnisse eingehalten hat, ist daher zu prüfen, ob sich Art. 9a Abs. 1 darauf beschränkt, den Inhalt von Art. 28 dieser Richtlinie zu präzisieren. Dies erfordert, dass geprüft wird, ob Art. 9a Abs. 1 erstens die wesentlichen allgemeinen Ziele der Richtlinie und insbesondere ihres Art. 28 beachtet, zweitens für die einheitliche Durchführung von Art. 28 erforderlich oder zweckmäßig ist und drittens diesen in keiner Weise ergänzt oder ändert.
Zur Beachtung der wesentlichen allgemeinen Ziele der Mehrwertsteuerrichtlinie durch Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011
52 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass mit der Mehrwertsteuerrichtlinie ein gemeinsames Mehrwertsteuersystem geschaffen werden soll. Zum Zweck einer einheitlichen Anwendung dieses Systems, die zu den Zielen dieser Richtlinie gehört, wie u. a. in ihrem 61. Erwägungsgrund ausgeführt wird, müssen die Begriffe, die ihren Anwendungsbereich definieren, wie „steuerbare Umsätze“, „Steuerpflichtige“ und „wirtschaftliche Tätigkeiten“, eine autonome und einheitliche Auslegung erfahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Gmina Wrocław, C‑276/14, EU:C:2015:635, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 Gemäß Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie, der zu ihrem Titel IV („Steuerbarer Umsatz“) gehört, werden Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.
54 Dieser Artikel, der allgemein gefasst ist, ohne Beschränkungen in Bezug auf seinen Anwendungsbereich oder seine Tragweite zu enthalten, und somit alle Dienstleistungskategorien abdeckt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Henfling u. a., C‑464/10, EU:C:2011:489, Rn. 36), schafft die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte (Urteil vom , UCMR – ADA, C‑501/19, EU:C:2021:50, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Dementsprechend bestimmt Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass der Steuerpflichtige, der im Rahmen einer Dienstleistung als Vermittler im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen handelt, als Erbringer dieser Dienstleistungen gilt.
56 Zweitens geht aus den Erwägungsgründen 2, 4 und 5 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 hervor, dass, da es zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anwendung der in der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Regeln in bestimmten Fällen zu Divergenzen kommen kann, die mit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts unvereinbar sind, das Ziel dieser Durchführungsverordnung darin besteht, eine einheitliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems in seiner derzeitigen Form sicherzustellen, indem u. a. in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen Vorschriften zur Durchführung der Mehrwertsteuerrichtlinie erlassen werden, die einzelne Anwendungsfragen klären und so konzipiert sein müssen, dass sie eine unionsweit einheitliche Behandlung der darin geregelten Einzelfälle bewirken.
57 Was insbesondere Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 betrifft, der durch die Durchführungsverordnung Nr. 1042/2013 eingeführt wurde, ergibt sich aus den Erwägungsgründen 1 und 4 der letztgenannten Verordnung, dass es der Rat – in Anbetracht der Entwicklung, die im Rahmen der Mehrwertsteuerrichtlinie u. a. die Besteuerung elektronisch erbrachter Dienstleistungen an Nichtsteuerpflichtige kennzeichnet, die seit dem in dem Mitgliedstaat steuerbar sind, in dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist, seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat, unabhängig davon, wo der Steuerpflichtige ansässig ist, der diese Leistungen erbringt – für notwendig hielt, festzulegen, wer für Mehrwertsteuerzwecke der Leistungserbringer ist, wenn diese Dienstleistungen über Telekommunikationsnetze oder eine Schnittstelle oder ein Portal erbracht werden.
58 In diesem Kontext wird in Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 „für die Anwendung von Artikel 28 der [Mehrwertsteuerrichtlinie]“ und für den Fall, dass elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, angegeben, unter welchen Voraussetzungen davon auszugehen ist, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters tätig ist.
59 Dadurch soll Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ab dem eine einheitliche Anwendung der in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Vermutung gegenüber solchen Steuerpflichtigen und damit des durch diese Richtlinie eingeführten gemeinsamen Mehrwertsteuersystems auf die in Art. 9a Abs. 1 genannten Dienstleistungen sicherstellen, die in den Anwendungsbereich von Art. 28 fallen, der, wie sich aus Rn. 54 des vorliegenden Urteils ergibt, alle Dienstleistungskategorien umfasst.
60 Daraus folgt, dass die Bestimmungen von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 die wesentlichen allgemeinen Ziele der Mehrwertsteuerrichtlinie und insbesondere die ihres Art. 28 beachten.
Zur Erforderlichkeit oder Zweckmäßigkeit von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 für die einheitliche Durchführung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie
61 Wie sich u. a. aus der Begründung des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 bezüglich des Ortes der Dienstleistung (COM[2012] 763 final), der der Einführung von Art. 9a in dieser Durchführungsverordnung zugrunde liegt, ergibt, war es – in Anbetracht der zum in der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgenommenen Änderungen in Bezug auf den Ort der Besteuerung bestimmter Dienstleistungen, darunter Telekommunikationsdienstleistungen und elektronische Dienstleistungen – zur Gewährleistung der Rechtssicherheit für Dienstleistungserbringer und zur Vermeidung von Doppel- oder Nichtbesteuerung, die sich aus unterschiedlichen Anwendungsvorschriften in den Mitgliedstaaten ergeben hätte, unerlässlich geworden, die genannte Durchführungsverordnung zu ändern, um festzulegen, wie die betreffenden Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie anzuwenden sind.
62 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 für die einheitliche Durchführung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie zweckmäßig und sogar erforderlich ist.
Zur Einhaltung des Verbots, den Inhalt von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie zu ergänzen oder zu ändern, durch Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011
63 Nach Ansicht von Fenix ergänzen oder ändern die drei Unterabsätze von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie und halten daher die Grenzen der dem Rat eingeräumten Durchführungsbefugnis nicht ein.
64 Zunächst macht Fenix in Bezug auf Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 zum einen geltend, der Unionsgesetzgeber habe in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht regeln wollen, in welchen Fällen ein an einer Dienstleistung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten tätig werde, woran der Rat durch einen Durchführungsrechtsakt nichts ändern könne, es sei denn, er überschreite seine Befugnisse. Zum anderen gelte die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 aufgestellte Vermutung unabhängig von der vertraglichen und geschäftlichen Realität, was gegen die Rechtsprechung des Gerichtshofs verstoße, und ändere die Haftung des Kommissionärs im Bereich der Mehrwertsteuer grundlegend.
65 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, wenn elektronisch erbrachte Dienstleistungen über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, „davon auszugehen ist, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist, es sei denn, dass dieser Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt“.
66 Aus der Mehrwertsteuerrichtlinie geht keineswegs hervor, dass der Unionsgesetzgeber darauf verzichtet hätte, gegebenenfalls durch Übertragung von Durchführungsbefugnissen an den Rat gemäß Art. 397 der Richtlinie eine einheitliche Anwendung der in Art. 28 der Richtlinie genannten Voraussetzungen sicherzustellen, insbesondere derjenigen, dass der an einer Dienstleistung beteiligte Steuerpflichtige im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung handeln muss, damit er als Erbringer dieser Dienstleistung angesehen werden kann. Dies gilt umso mehr, als diese Voraussetzung von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Vermutung und damit für die einheitliche Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist, die, wie in Rn. 52 des vorliegenden Urteils dargelegt, zu den Zielen dieser Richtlinie gehört.
67 Was insbesondere die Frage angeht, ob Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, so wie vom Rat verfasst, den Inhalt von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergänzt oder ändert, ist erstens festzustellen, dass der Umstand, dass Art. 9a Abs. 1, wie in Rn. 59 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nur einige der in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie genannten Dienstleistungen und damit bestimmte Sonderfälle betrifft, entsprechend Rn. 50 des vorliegenden Urteils keineswegs ausschließt, Art. 9a Abs. 1 als eine bloße Präzisierung des Inhalts von Art. 28 anzusehen.
68 Zweitens ist festzustellen, dass sich Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011, soweit danach „davon auszugehen ist“, dass ein an der Erbringung elektronischer Dienstleistungen beteiligter Steuerpflichtiger „im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist“, darauf beschränkt, die Fälle, in denen die den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie betreffende Voraussetzung für die Anwendung der in diesem Artikel genannten Vermutung als erfüllt gilt, zu präzisieren, ohne den Inhalt des genannten Artikels zu ergänzen oder zu ändern.
69 Insbesondere entspricht die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 enthaltene Vermutung voll und ganz der Logik, die Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie zugrunde liegt. Wie der Generalanwalt in Nr. 75 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sollte nämlich Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie auch vor dem Erlass dieses Art. 9a die Mehrwertsteuerpflicht für Dienstleistungen übertragen, an denen ein Steuerpflichtiger beteiligt ist, der im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig wird.
70 Folglich ändert die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 enthaltene Vermutung nicht die Art der in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Vermutung, sondern beschränkt sich darauf, diese durch vollständige Integration im spezifischen Kontext der Dienstleistungen zu konkretisieren, die elektronisch über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden.
71 Drittens ermöglicht Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 durch den Zusatz „es sei denn, dass dieser Anbieter von dem Steuerpflichtigen ausdrücklich als Leistungserbringer genannt wird und dies in den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien zum Ausdruck kommt“, diese Vermutung zu widerlegen, indem die vertragliche Realität der Beziehungen zwischen den Beteiligten in der Kette der wirtschaftlichen Transaktionen berücksichtigt wird.
72 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass vertragliche Vereinbarungen grundsätzlich die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Transaktionen widerspiegeln, deren Berücksichtigung ein grundlegendes Kriterium für die Anwendung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems darstellt, so dass die einschlägigen Vertragsbestimmungen ein Umstand sind, der bei der Feststellung, wer Erbringer und wer Begünstigter einer „Dienstleistung“ im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ist, zu beachten ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Newey, C‑653/11, EU:C:2013:409, Rn. 42 und 43, sowie vom , Suzlon Wind Energy Portugal, C‑605/20, EU:C:2022:116, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
73 So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthaltene Voraussetzung, wonach der Steuerpflichtige im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden muss, insbesondere auf der Grundlage der Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien zu prüfen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Henfling u. a., C‑464/10, EU:C:2011:489, Rn. 42).
74 Folglich hat der Rat, indem er in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 bestimmt hat, dass die Vermutung, wonach der in dieser Bestimmung genannte Steuerpflichtige im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters der fraglichen Dienstleistungen tätig ist, widerlegt werden kann, wenn aus den vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Parteien hervorgeht, dass der Anbieter ausdrücklich als Erbringer der Dienstleistungen genannt ist, lediglich den Regelungsgehalt von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof präzisiert, um die Umsetzung dieses Artikels unter einheitlichen Bedingungen in der Union sicherzustellen.
75 Sodann ist zu Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 festzustellen, dass nach dieser Bestimmung zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, „[d]amit der Anbieter der elektronisch erbrachten Dienstleistungen als vom Steuerpflichtigen ausdrücklich genannter Erbringer der elektronisch erbrachten Dienstleistungen angesehen werden kann“. Zum einen müssen auf der Rechnung, die von jedem an der Erbringung der elektronisch erbrachten Dienstleistungen beteiligten Steuerpflichtigen ausgestellt oder verfügbar gemacht wird, die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und der Erbringer dieser elektronisch erbrachten Dienstleistungen angegeben sein. Zum anderen müssen auf der dem Dienstleistungsempfänger ausgestellten oder verfügbar gemachten Rechnung oder Quittung die elektronisch erbrachten Dienstleistungen und ihr Erbringer angegeben sein.
76 Wie der Generalanwalt sinngemäß in Nr. 76 seiner Schlussanträge festgestellt hat, steht diese Bestimmung in enger Beziehung zu Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 und folgt dessen Logik, indem sie die Bedingungen für die Rechnungsstellung detaillierter anführt, unter denen der Anbieter elektronisch erbrachter Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen ausdrücklich als Erbringer dieser Dienstleistungen genannt wird.
77 Die Angaben, die gemäß Art. 226 Nr. 5 und 6 der Mehrwertsteuerrichtlinie in der Rechnung enthalten sein müssen – ein Dokument, für das gemäß Art. 220 Nr. 1 der Richtlinie jeder Steuerpflichtige sicherstellen muss, dass es ordnungsgemäß für jede Dienstleistung ausgestellt wird, die er u. a. für einen anderen Steuerpflichtigen erbringt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Evita-K, C‑78/12, EU:C:2013:486, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung) –, gehören zu den Gesichtspunkten, die die Geschäfts- und Vertragsbeziehungen zwischen den verschiedenen Parteien betreffen und die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der fraglichen Umsätze widerspiegeln sollen. Diese Angaben können somit ermöglichen, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern zu beurteilen, die im Rahmen elektronisch erbrachter Dienstleistungen tätig werden.
78 Folglich beschränkt sich Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 darauf, die Gesichtspunkte darzulegen, die mit Blick auf das Erfordernis, die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Umsätze zu berücksichtigen, eine konkrete Beurteilung der Situationen und Bedingungen ermöglichen, bei deren Vorliegen die Vermutung, die sich aus Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 entsprechend der in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Vermutung ergibt, widerlegt werden kann.
79 Da sich somit Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 2 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 auf die Beweise bezieht, die die Widerlegung der in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Vermutung ermöglichen und deren konkrete Beurteilung den Steuerbehörden und Gerichten der Mitgliedstaaten obliegt, kann er als solcher und unter Berücksichtigung der in den Rn. 71 bis 74 des vorliegenden Urteils getroffenen Feststellungen nicht als Ergänzung oder Änderung des in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegten normativen Rahmens angesehen werden.
80 Schließlich ist in Bezug auf Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 darauf hinzuweisen, dass es nach dieser Bestimmung „[f]ür die Zwecke dieses Absatzes … einem Steuerpflichtigen nicht gestattet [ist], eine andere Person ausdrücklich als Erbringer von elektronischen Dienstleistungen anzugeben, wenn er hinsichtlich der Erbringung dieser Dienstleistungen die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert oder die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt“.
81 Aus diesem dritten Unterabsatz ergibt sich somit, dass die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 aufgestellte Vermutung nicht widerlegt werden kann und somit unwiderlegbar wird, wenn einer der im dritten Unterabsatz genannten Fälle auf den Steuerpflichtigen zutrifft. Mit anderen Worten wird bei Dienstleistungen, die elektronisch über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbracht werden, stets davon ausgegangen, dass ein an dieser Erbringung beteiligter Steuerpflichtiger im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anbieters dieser Dienstleistungen tätig ist, so dass er selbst als Erbringer dieser Dienstleistungen gilt, wenn er die Abrechnung mit dem Dienstleistungsempfänger autorisiert, die Erbringung der Dienstleistungen genehmigt oder die allgemeinen Bedingungen der Erbringung festlegt.
82 Entgegen dem Vorbringen von Fenix hat der Rat beim Erlass von Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Durchführungsverordnung die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der Umsätze im spezifischen Kontext der Erbringung von elektronisch über ein Telekommunikationsnetz, eine Schnittstelle oder ein Portal wie einen Appstore erbrachten Dienstleistungen berücksichtigt, so wie Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie dies nach der in Rn. 73 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verlangt.
83 Wenn es einem Steuerpflichtigen, der sich an der Erbringung einer elektronischen Dienstleistung beteiligt, indem er beispielsweise eine Online-Plattform für ein soziales Netzwerk betreibt, gestattet ist, die Erbringung der Dienstleistungen zu genehmigen oder ihre Abrechnung zu autorisieren oder auch die allgemeinen Bedingungen ihrer Erbringung festzulegen, hat er nämlich die Möglichkeit, einseitig wesentliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Dienstleistung festzulegen, und zwar ihre Durchführung und den Zeitpunkt, zu dem sie stattfindet, oder die Bedingungen, unter denen die Gegenleistung fällig wird, oder auch die Regeln, die den allgemeinen Rahmen für diese Dienstleistung bilden. Unter diesen Umständen und in Anbetracht der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität, die sich in ihnen widerspiegelt, ist der Steuerpflichtige als Dienstleistungserbringer im Sinne von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie anzusehen.
84 Es ist daher eindeutig mit Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar, dass ein solcher Steuerpflichtiger der in dieser Bestimmung aufgestellten Vermutung unter den in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 aufgeführten Umständen nicht dadurch entgehen kann, dass er vertraglich einen anderen Steuerpflichtigen als Erbringer der betreffenden Dienstleistungen benennt. Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie kann nämlich keine Vertragsbestimmungen zulassen, die nicht die wirtschaftliche und geschäftliche Realität widerspiegeln.
85 Die Tatsache, dass die in Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 vorgesehenen Umstände in Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht genannt werden, vermag diese Beurteilung nicht zu entkräften.
86 Unter Berücksichtigung der in den Rn. 50 und 82 bis 84 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen genügt nämlich die Feststellung, dass Art. 9a Abs. 1 Unterabs. 3 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 dadurch, dass er diese Umstände ausdrücklich aufführt, den durch Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie geschaffenen Regelungsgehalt nicht verändert, sondern sich im Gegenteil darauf beschränkt, dessen Anwendung für den besonderen Fall der in Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung genannten Dienstleistungen zu konkretisieren.
87 Aus vergleichbaren Gründen ist auch dem Vorbringen von Fenix nicht zu folgen, wonach es gegen Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie verstoßen würde, den in diesem Artikel genannten Steuerpflichtigen als Dienstleistungserbringer zu behandeln, obwohl der Endkunde weiß, dass zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär ein Auftragsverhältnis besteht, und er die Identität des Kommittenten kennt.
88 Es trifft zu, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur dann Anwendung finden kann, wenn es einen Auftrag gibt, zu dessen Ausführung der Kommissionär für Rechnung des Kommittenten bei der Erbringung der Dienstleistung tätig wird (Urteil vom , ITH Comercial Timişoara, C‑734/19, EU:C:2020:919, Rn. 51). Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass der Endkunde trotz der Komplexität der Transaktionsketten, die für die Erbringung elektronischer Dienstleistungen kennzeichnend sein kann, in bestimmten Fällen in der Lage ist, von der Existenz des Auftrags zu wissen und die Identität des Kommittenten zu kennen, reichen diese Umstände allein nicht aus, um auszuschließen, dass der Steuerpflichtige, der sich an der Dienstleistung beteiligt, im Sinne von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Dritten tätig wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Henfling u. a., C‑464/10, EU:C:2011:489, Rn. 43). Es kommt nämlich in erster Linie auf die Befugnisse an, über die dieser Steuerpflichtige im Rahmen der Dienstleistung verfügt, an der er sich beteiligt.
89 Unter diesen Umständen kann der dritte Unterabsatz von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 ebenso wie die ersten beiden Unterabsätze dieser Bestimmung nicht als Ergänzung oder Änderung von Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden.
90 Folglich hat der Rat, indem er Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 erlassen hat, um sicherzustellen, dass Art. 28 der Mehrwertsteuerrichtlinie auf die in der ersteren Bestimmung genannten Dienstleistungen in der Union einheitlich angewandt wird, die Durchführungsbefugnisse, die ihm gemäß Art. 291 Abs. 2 AEUV durch Art. 397 der Richtlinie übertragen wurden, nicht überschritten.
91 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass ihre Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 im Hinblick auf die Art. 28 und 397 der Mehrwertsteuerrichtlinie sowie auf Art. 291 Abs. 2 AEUV berühren könnte.
Kosten
92 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Art. 9a Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1042/2013 des Rates vom geänderten Fassung im Hinblick auf die Art. 28 und 397 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie (EU) 2017/2455 des Rates vom geänderten Fassung sowie auf Art. 291 Abs. 2 AEUV berühren könnte.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2023:127
Fundstelle(n):
FAAAJ-35751