Begründungsanforderungen bei der Verhängung von Jugendstrafe
Gesetze: § 18 Abs 2 JGG, § 224 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Magdeburg Az: 22 KLs 3/22vorgehend Az: 6 StR 431/21 Beschlussvorgehend LG Stendal Az: 503 KLs 11/21
Gründe
1Das Landgericht Stendal hatte die Angeklagte im ersten Rechtsgang mit Urteil vom wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt, ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Auf ihre Revision hob der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom (6 StR 431/21) unter Aufrechterhaltung der Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen auf und verwies die Sache an eine Jugendkammer des Landgerichts Magdeburg zurück. Dieses hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung wiederum zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen stach die Angeklagte am Vortag ihres 15. Geburtstags während des Schulunterrichts einem in der Bankreihe vor ihr sitzenden Mitschüler ein Messer kräftig in den Rücken. Der Geschädigte erlitt Verletzungen im Bereich des Rückenmarks, die zu anhaltenden Beschwerden führten. Die Angeklagte war im Tatzeitpunkt aufgrund einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus erheblich in ihrer Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt.
32. Der Schuldspruch hält der rechtlichen Prüfung aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen stand. Demgegenüber kann der Rechtsfolgenausspruch nicht bestehen bleiben.
4a) Der Strafausspruch weist durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
5aa) Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe – deren Anordnung für sich betrachtet keinen rechtlichen Bedenken begegnet – entsprechen nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.
6(1) Nach dieser Vorschrift ist die Höhe der Jugendstrafe in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen daher erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen (vgl. , Rn. 6, NStZ 2022, 755; Beschluss vom – 1 StR 95/16, Rn. 5, NStZ 2016, 683). Auch eine lediglich formelhafte Erwähnung des Erziehungsgedankens genügt nicht (vgl. , Rn. 31; Beschluss vom – 3 StR 400/09, Rn. 2, NStZ 2010, 281).
7(2) Diesen Anforderungen werden die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Es hat hinsichtlich der „zur erzieherischen Einwirkung auf die Angeklagte“ erforderlichen Dauer der Jugendstrafe zu Gunsten der Angeklagten neben den fehlenden Vorstrafen berücksichtigt, dass sie die Tat, die sie inzwischen bereue, im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangen und als solche auch gestanden habe. Zu ihren Lasten hat die Jugendkammer neben den erheblichen Folgen der Tat für den Geschädigten berücksichtigt, dass die Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt und drei Qualifikationstatbestände des § 224 StGB verwirklicht habe. Damit hat das Landgericht – unter lediglich formelhafter Erwähnung des Erziehungsgedankens – ausschließlich Umstände des allgemeinen Strafrechts berücksichtigt, ohne die erzieherische Notwendigkeit der verhängten Jugendstrafe näher zu begründen.
8bb) Rechtsfehlerhaft ist ferner die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in drei Varianten verwirklicht. Aus den von der Revision und dem Generalbundesanwalt zutreffend dargestellten Gründen tragen die Feststellungen nicht die Annahme eines hinterlistigen Überfalls im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
9cc) Zudem hat das Landgericht den bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten im Tatzeitpunkt strafschärfend berücksichtigt, obwohl es insoweit von einem strafbefreienden Rücktritt ausgegangen ist. Auch das ist rechtsfehlerhaft (vgl. , BGHSt 42, 43; Beschluss vom – 3 StR 372/13, Rn. 2, StV 2014, 482).
10b) Die Aufhebung des Strafausspruchs zieht den Wegfall des Maßregelausspruchs nach sich. Dies folgt bereits aus dem im Jugendstrafrecht gemäß § 5 Abs. 3 JGG bestehenden engen Sachzusammenhang zwischen der Verhängung der Jugendstrafe und einer Maßregelanordnung nach § 63 StGB (vgl. , Rn. 9 f.; Beschluss vom – 3 StR 299/13, Rn. 4; MüKoStGB/Laue, 4. Aufl. 2022, § 5 JGG Rn. 26).
11c) Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:210223B6STR493.22.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-35368