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FG Münster Urteil v. - 4 K 1158/20 L

Gesetze: AO § 69; AO § 191 Abs. 1; FGO § 76; FGO § 102; GmbHG § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3; GmbHG § 35 Abs. 1; AO § 34 Abs. 1 Satz 1

Verfahren

Zur Haftung eines Geschäftsführers nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung

Leitsatz

1. Das Finanzgericht hat gemäß § 76 FGO Feststellungen dazu zu treffen, ob Anlass zur Begründung eines Auswahlermessens durch die Behörde bestanden hätte, etwa weil neben dem in Haftung genommenen Steuerpflichtigen ein weiterer Haftungsschuldner in Betracht kommt. Diesbezüglich kommt es auf die Sachlage an, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung festgestellt wird und nicht – wie bei der Überprüfung einer Ermessensentscheidung – auf die Umstände an, wie sie sich im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung dargestellt haben. Einem Haftungsbescheid wird – ausnahmsweise – der Boden entzogen, wenn das Klageverfahren im Rahmen der Prüfung des Haftungstatbestandes zu anderen Grundlagen der Ermessensentscheidung führt und diese tatsächlichen oder rechtlichen Erkenntnisse eine dem Steuerpflichtigen günstigere Ermessensentscheidung ermöglichen. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen ist (Anschluss an BFH-Rechtsprechung).

2. Die Bestellung eines zunächst wirksam bestellten Geschäftsführers verliert u.a. ihre Wirkung, sobald dieser gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a GmbHG wegen Insolvenzverschleppung (hier: in Gestalt der nicht rechtzeitigen Stellung eines Insolvenzantrags) verurteilt worden ist; das Amt des Geschäftsführers endet kraft Gesetzes von selbst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung. Dies gilt unbeschadet dessen, dass grundsätzlich beim Wegfall des Geschäftsführersamtes ggf. zivilrechtlich ein Gutglaubensschutz nach § 15 HGB oder allgemeine Rechtsscheingrundsätze eingreifen können.

3. Die im Rahmen der Haftungsbegründung von der Finanzbehörde anzustellende Ermessensentscheidung ist fehlerhaft, wenn die Behörde das objektiv bestehende Auswahlermessen nicht erkannt hat bzw. nicht um die Notwendigkeit einer Auswahlentscheidung wusste, sondern davon ausgegangen ist, dass der Betroffenen alleiniger Haftungsschuldner ist (hier: nachträgliche Erkenntnis des Wegfalls der Stellung des Betroffenen als gesetzlicher Vertreter infolge rechtskräftiger Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung).

4. Die (Auswahl-)Ermessensentscheidung muss sich auf den jeweiligen Einzelfall beziehen und kann nicht etwa durch den Hinweis auf weitere potentielle Haftungsschuldner vorweggenommen werden. Eine Auswahlentscheidung kann auch weder im Wege der Ergänzung vollständig nachgeholt noch pauschal dergestalt begründet werden, dass der Betroffene jedenfalls auch dann in Anspruch genommen werden würde, wenn andere Haftungsschuldner existieren würden.

Fundstelle(n):
DStR 2023 S. 1428 Nr. 26
StB 2023 S. 65 Nr. 3
JAAAJ-34380

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