EuGH Urteil v. - C-705/20

Staatliche Beihilfen - Nichtbesteuerung passiven Einkommens aus Zinsen und Nutzungsentgelten - Anrechnung der im Ausland entrichteten Steuer zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Leitsatz

Der Beschluss (EU) 2019/700 der Kommission vom über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar
ist dahin auszulegen, dass:
er dem nicht entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, wenn diese Vorschrift zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Transaktionen durchgeführt wurden, anwendbar war.

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Beschlusses (EU) 2019/700 der Kommission vom über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar (ABl. 2019, L 119, S. 151).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fossil (Gibraltar) Ltd und dem Commissioner of Income Tax (Kommissar für Einkommen-/Körperschaftsteuer, Gibraltar) wegen der Erfüllung der Pflicht zur Rückforderung staatlicher Beihilfen nach Art. 1 des Beschlusses 2019/700.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EU) 2015/1589

3 Der 25. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) bestimmt:

„Bei rechtswidrigen Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind, sollte wirksamer Wettbewerb wiederhergestellt werden. Dazu ist es notwendig, die betreffende Beihilfe einschließlich Zinsen unverzüglich zurückzufordern. Die Rückforderung hat nach den Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts zu erfolgen. Die Anwendung dieser Verfahren sollte jedoch die Wiederherstellung eines wirksamen Wettbewerbs durch Verhinderung der sofortigen und tatsächlichen Vollstreckung des Beschlusses der [Europäischen] Kommission nicht erschweren. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, sollten die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Beschlusses der Kommission treffen.“

4 Art. 16 („Rückforderung von Beihilfen“) dieser Verordnung sieht vor:

„(1) In Negativbeschlüssen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern … Die Kommission verlangt nicht die Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts verstoßen würde.

(3) Unbeschadet einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Artikel 278 AEUV erfolgt die Rückforderung unverzüglich und nach den Verfahren des betreffenden Mitgliedstaats, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung des Beschlusses der Kommission ermöglicht wird. Zu diesem Zweck unternehmen die betreffenden Mitgliedstaaten im Fall eines Verfahrens vor nationalen Gerichten unbeschadet des Unionsrechts alle in ihren jeweiligen Rechtsordnungen verfügbaren erforderlichen Schritte einschließlich vorläufiger Maßnahmen.“

Beschluss 2019/700

5 Am leitete die Kommission ein förmliches Prüfverfahren ein, um zu untersuchen, ob die Nichtbesteuerung passiver Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten durch den Income Tax Act 2010 (Einkommen-/Körperschaftsteuergesetz – das Gesetz über die Besteuerung von Gesellschaften in Gibraltar –, im Folgenden: ITA 2010) bestimmten Kategorien von Unternehmen einen selektiven Vorteil verschafft und damit gegen das Beihilferecht der Union verstößt.

6 Am unterrichtete die Kommission das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland über ihren Beschluss, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV auf die Steuervorbescheidspraxis in Gibraltar auszuweiten, insbesondere auf die Erteilung von 165 Steuervorbescheiden.

7 Am erließ die Kommission den Beschluss 2019/700. Sie stellte im Wesentlichen fest, dass zum einen die „Ausnahmeregelung“ für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten, die in Gibraltar aufgrund des ITA 2010 im Zeitraum von 2011 bis 2013 bestand, eine rechtswidrig durchgeführte Beihilferegelung darstelle, die nicht mit dem Binnenmarkt vereinbar sei, und zum anderen, dass fünf Unternehmen mit Sitz in Gibraltar, die an niederländischen Kommanditgesellschaften (Commanditaire Vennootschappen) beteiligt waren und Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielten, Steuervorbescheide erteilt wurden und diese steuerliche Behandlung durch die Regierung von Gibraltar rechtswidrige Einzelbeihilfen darstelle, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien.

8 Art. 1 des Beschlusses 2019/700 bestimmt:

„(1) Die staatliche Beihilferegelung in Form der Ausnahmeregelung für passive Zinsen, die nach dem [ITA 2010] im Zeitraum vom bis zum in Gibraltar Anwendung fand und von Gibraltar rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV eingeführt wurde, ist im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.

(2) Die staatliche Beihilferegelung in Form der Ausnahmeregelung für Nutzungsentgelte, die nach dem [ITA 2010] im Zeitraum vom bis zum in Gibraltar Anwendung fand und von Gibraltar rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV eingeführt wurde, ist im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.“

9 Art. 2 des Beschlusses bestimmt:

„Die Einzelbeihilfen, die fünf an niederländischen Kommanditgesellschaften (Commanditaire Vennootschappen) beteiligten gibraltarischen Unternehmen, die Einkünfte aus Nutzungsentgelten und passiven Zinsen erzielen, von der Regierung Gibraltars auf der Grundlage der … Steuervorbescheide … gewährt und die rechtswidrig unter Verstoß gegen Artikel 108 Absatz 3 AEUV vom Vereinigten Königreich durchgeführt wurden, sind im Sinne von Artikel 107 Absatz 1 AEUV mit dem Binnenmarkt unvereinbar.“

10 Nach Art. 5 Abs. 1 des Beschlusses 2019/700 hat das Vereinigte Königreich u. a. alle mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfen zurückzufordern, die auf der Grundlage der in Art. 1 des Beschlusses genannten Beihilferegelungen gewährt wurden.

11 Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses 2019/700 sieht vor:

„(1) Das Vereinigte Königreich übermittelt der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses die folgenden Informationen:

b) Liste der Empfänger, die auf der Grundlage der in Artikel 1 genannten Beihilferegelungen Beihilfen erhalten haben, sowie die folgenden Informationen für jeden Empfänger und für jedes relevante Steuerjahr:

– Höhe der erzielten Gewinne (getrennt nach den Gewinnen aus Nutzungsentgelten und den Gewinnen aus passiven Zinserträgen), Steuerbemessungsgrundlage, anzuwendender Einkommen-/Körperschaftsteuersatz, Höhe der gezahlten Einkommen-/Körperschaftsteuer und Betrag der entgangenen Steuer;

– Gesamtbetrag der erhaltenen Beihilfen;

d) Gesamtbetrag (Nennbetrag und Rückforderungszinsen), der von jedem Empfänger (für alle Steuerjahre, auf die sich die Rückforderung erstreckt) zurückzufordern ist;

f) Unterlagen, die belegen, dass Rückzahlungsanordnungen an die Empfänger ergangen sind.“

12 Abschnitt 10 („Rückforderung der Beihilfe“) des Beschlusses 2019/700 enthält Angaben zur Höhe der Einzelbeihilfen, die die nationalen Behörden von den Empfängern der Beihilfen zurückzufordern haben. Insbesondere heißt es in den Erwägungsgründen 223, 224 und 226:

„(223) In Bezug auf rechtswidrige staatliche Beihilfen steuerlicher Art sollte der zurückzuzahlende Betrag auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen der tatsächlich gezahlten Steuer und dem Betrag berechnet werden, der ohne die steuerliche Vorzugsbehandlung hätte gezahlt werden müssen.

(224) Um zu einem Steuerbetrag zu gelangen, der ohne die steuerliche Vorzugsbehandlung hätte entrichtet werden müssen, sollten die Behörden des Vereinigten Königreichs in diesem Fall die Steuerschuld der Unternehmen, die von den betreffenden Maßnahmen profitierten, für jedes Steuerjahr, in dem sie von diesen Maßnahmen profitieren, neu bewerten.

(226) Der Betrag der entgangenen Steuer für ein bestimmtes Steuerjahr ist wie folgt zu berechnen:

  • Anfangs sollten die Behörden des Vereinigten Königreichs den Gesamtgewinn des betreffenden Unternehmens für das entsprechende Steuerjahr ermitteln (einschließlich der Einkünfte aus Nutzungsentgelten und/oder passiven Zinserträgen);

  • auf der Grundlage dieses Gewinns sollten die Behörden des Vereinigten Königreichs die Steuerbemessungsgrundlage des betreffenden Unternehmens für das jeweilige Steuerjahr berechnen;

  • die Steuerbemessungsgrundlage ist mit dem für das jeweilige Steuerjahr geltenden Körperschaftsteuersatz zu multiplizieren;

  • schließlich sollten die Behörden des Vereinigten Königreichs die Körperschaftsteuer, die das Unternehmen für das jeweilige Steuerjahr gegebenenfalls bereits gezahlt hat, abziehen.“

Nationales Recht

Die Gibraltar Constitution Order 2006

13 Das Regierungs- und Verwaltungssystem von Gibraltar ist in der am in Kraft getretenen Gibraltar Constitution Order 2006 (Verordnung über die Verfassung von Gibraltar von 2006) geregelt.

14 Section 47 (3) dieser Verordnung sieht vor:

„Unbeschadet der Verantwortung des Vereinigten Königreichs für die Wahrung des Rechts der Europäischen Union durch Gibraltar verbleiben Angelegenheiten, die nach dieser Verfassung in die Zuständigkeit der Minister der Regierung von Gibraltar fallen, auch dann in dieser Zuständigkeit, wenn sie im Zusammenhang mit der Europäischen Union stehen.“

ITA 2010

15 Das ITA 2010 trat am in Kraft und löste das vorhergehende Gesetz über die Besteuerung von Gesellschaften in Gibraltar aus dem Jahr 1952 (Income Tax Act 1952) ab. Mit dem ITA 2010 wurde ein allgemeiner Körperschaftsteuersatz von 10 % eingeführt, der für alle Unternehmen in Gibraltar gilt, mit Ausnahme von öffentlichen Versorgungsunternehmen, Telekommunikationsdiensten und Unternehmen, die eine beherrschende Stellung auf dem Markt innehaben und missbrauchen; diese unterliegen einem Körperschaftsteuersatz von 20 %.

16 Die nach dem ITA 2010 steuerpflichtigen Gesellschaften sind Gesellschaften, die ihren gewöhnlichen Sitz in Gibraltar haben, sowie Gesellschaften, die ihren gewöhnlichen Sitz nicht in Gibraltar haben, dort aber über eine Zweigniederlassung oder eine Agentur Handel treiben.

17 Das ITA 2010 führt eine territoriale Besteuerung ein, wonach Gewinne oder Erträge nur besteuert werden, wenn das daraus erzielte Einkommen „in Gibraltar erzielt oder bezogen“ wird. Nach Section 74 des ITA 2010 bezieht sich die Wendung „in … erzielt oder bezogen“ auf den Ort, an dem die Tätigkeiten, die zu den betreffenden Gewinnen oder Erträgen führen, ausgeführt werden; dieser Ort wird normalerweise von Fall zu Fall bestimmt. Diese Bestimmung sieht außerdem vor, dass Tätigkeiten, die nach dem in Gibraltar geltenden Recht einer Lizenz und Regulierung bedürfen, als in Gibraltar ausgeführt betrachtet werden.

18 Gemäß der ursprünglichen Fassung des ITA 2010 (in Kraft getreten am ) waren passive Zinserträge und Nutzungsentgelte – unabhängig von der Einkommensquelle oder der Anwendung des Territorialitätsprinzips – nicht steuerpflichtig. 2013 wurde das ITA 2010 mit Wirkung zum geändert; gemäß diesen Änderungen sind alle Zinserträge aus konzerninternen Darlehen zu einem allgemeinen Steuersatz von 10 % zu besteuern, soweit die Zinserträge je zinszahlendem Unternehmen einen Schwellenwert von 100 000 Pfund Sterling (GBP) pro Jahr übersteigen. Im Übrigen sind aufgrund von im Jahr 2013 erfolgten Änderungen des ITA 2010, die am in Kraft traten, alle von einem in Gibraltar registrierten Unternehmen erhaltenen oder zu erhaltenden Nutzungsentgelte ebenfalls zu einem Steuersatz von 10 % zu besteuern.

19 Section 37 („Steuererleichterung aufgrund im Ausland gezahlter Steuern“) (1) des ITA 2010 sieht vor:

„Vorbehaltlich der Abs. 2 und 8 hat, wer die nach diesem Gesetz geschuldete Steuer für Gewinne oder Erträge, die in Gibraltar, in einem anderen Staat, einem anderen Gebiet oder nach einer anderen Rechtsordnung erwirtschaftet wurden, im Abzugsweg oder anderweitig entrichtet hat oder wer eine solche Steuer schuldet und zur Zufriedenheit des Commissioner [of Income Tax] nachweisen kann, dass die Steuer auf das Einkommen in dem anderen Staat, dem anderen Gebiet oder nach der anderen Rechtsordnung im Abzugsweg oder anderweitig für dieselben Gewinne oder Erträge entrichtet wurde oder dass eine solche Steuer geschuldet wird, Anspruch auf eine Ermäßigung der nach diesem Gesetz geschuldeten Steuer, die für die genannten Gewinne und Erträge entrichtet wurde oder die dafür geschuldet wird, und zwar in Höhe des niedrigeren der folgenden Beträge:

  1. die Steuer, die nach diesem Gesetz für die genannten Gewinne oder Erträge geschuldet wird;

  2. die auf das genannte Einkommen im anderen Staat, im anderen Gebiet oder in der anderen Rechtsordnung geschuldete Steuer.“

20 Section 37 (8) des ITA 2010 bestimmt:

„Dieser Artikel gilt nur für die Steuer, die in einem Staat entrichtet wird, in dem die Einnahmen aus der zugrundeliegenden geschäftlichen Tätigkeit erzielt oder bezogen werden, auf der die in Abs. 1 genannten Gewinne oder Erträge beruhen.“

21 Zur Umsetzung des Beschlusses 2019/700 wurde das ITA 2010 durch die Income Tax (Amendment) Regulations 2019 (Verordnung von 2019 über die Einkommensteuer [Änderung]) dahin geändert, dass die rückwirkende Besteuerung von Nutzungsentgelten, die zwischen dem und dem eingenommen wurden, ermöglicht wird.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

22 Fossil (Gibraltar), eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, wird zu 100 % von der Fossil Group Inc. gehalten, einer Gesellschaft mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika, die im Bereich der Entwicklung und Herstellung von Modeartikeln tätig ist. Fossil (Gibraltar) nimmt Nutzungsentgelte ein, die auf die weltweite Benutzung von Marken, Mustern und Modellen zurückgehen, die sich im Eigentum der Fossil Group befinden.

23 Fossil (Gibraltar), die nicht in der in Rn. 6 des vorliegenden Urteils erwähnten Liste der 165 Steuervorbescheide enthalten ist, hat Nutzungsentgelte eingenommen, die nach dem ITA 2010 nicht besteuert wurden. Sie führte aber alle von ihr eingenommenen Entgelte in ihrer Steuererklärung in den Vereinigten Staaten an, wo auf diese Entgelte eine Steuer in Höhe von 35 % entrichtet wurde.

24 Am übersandte der Commissioner of Income Tax, der in Gibraltar für die Erhebung der Steuer auf Gewinne und Erträge zuständig ist, der Kommission eine Liste der Beihilfeempfänger, die auch den Namen Fossil (Gibraltar) enthielt, und übermittelte auch die Berechnung des Betrags der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe.

25 Mit Schreiben vom schlug der Commissioner of Income Tax der Kommission eine Anpassung des Betrags der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe vor. Die vorgeschlagene Anpassung berücksichtigte eine zusätzliche Steuer, die die Fossil Group infolge der Anwendung der amerikanischen Rechtsvorschriften für beherrschte ausländische Unternehmen in den Vereinigten Staaten entrichtet hatte.

26 In zwei Schreiben vom 13. Mai und vom vertrat die Generaldirektion (GD) „Wettbewerb“ der Kommission die Auffassung, dass diese Anpassung abzulehnen sei.

27 Mit Schreiben vom wies die GD Wettbewerb darauf hin, dass der Commissioner of Income Tax bei der Festsetzung der geschuldeten Steuer die Steuer, die in den Vereinigten Staaten auf die Einkünfte von Fossil (Gibraltar) aus Nutzungsentgelten entrichtet worden sei, nicht berücksichtigen könne.

28 Nach Ansicht der GD Wettbewerb dient die im 226. Erwägungsgrund des Beschlusses 2019/700 dargelegte Methode zur Berechnung der geschuldeten Steuer zwecks Rückforderung der Beihilfe nicht dazu, den Abzug von in den Vereinigten Staaten nach den amerikanischen Rechtsvorschriften über beherrschte ausländische Unternehmen entrichteten Steuern zu gestatten. Die in diesen Vorschriften vorgesehene Steuer entspreche einer eigenen Steuerlogik – der Betrugsbekämpfung –, so dass sie keine Auswirkungen auf die dem Beschluss 2019/700 zugrunde liegenden Erwägungen und auf die Methode zur Berechnung der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe habe. Die Dienststellen der Kommission wiesen u. a. darauf hin, dass Rn. 102 der Mitteilung der Kommission über die Rückforderung rechtswidriger und mit dem Binnenmarkt unvereinbarer staatlicher Beihilfen (ABl. 2019, C 247, S. 1), wonach ein Mitgliedstaat bei der Berechnung der Höhe der zurückzufordernden Beihilfe berücksichtigen kann, ob der Empfänger einer rechtswidrigen Beihilfe auf die erhaltene Beihilfe Steuern gezahlt hat, im Ausgangsverfahren nicht anwendbar sei, da Fossil (Gibraltar) keine derartigen Steuern entrichtet habe.

29 Nachdem die Kommission die Berechnung der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe durch den Commissioner of Income Tax abgelehnt hatte, forderte dieser Fossil (Gibraltar) am erneut zur Rückzahlung der Beihilfe auf.

30 Am erhob Fossil (Gibraltar) beim vorlegenden Gericht Klage gegen diese Rückforderungsanordnungen.

31 Vor diesem Gericht vertrat der Commissioner of Income Tax die Auffassung, dass er dem Standpunkt der GD Wettbewerb zu folgen habe. Obwohl die in Section 37 des ITA 2010 vorgesehene Steuererleichterung als solche nicht von der GD Wettbewerb geprüft worden sei, mache der von ihr vertretene Standpunkt die Anwendung dieser Bestimmung unmöglich.

32 Fossil (Gibraltar) trug ihrerseits vor, dass zwar die in Rn. 21 des vorliegenden Urteils erwähnte nationale Regelung zur Einkommensteuer nunmehr die rückwirkende Besteuerung von Nutzungsentgelten erlaube, die zwischen 2011 und 2013 eingenommen worden seien, der Commissioner of Income Tax aber nach innerstaatlichem Recht und im Einklang mit Art. 16 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 befugt bleibe, bei der Besteuerung dieser Einkünfte jede im Rahmen des ITA 2010 verfügbare Steuerermäßigung zu gewähren. Im Beschluss 2019/700 sei nicht auf die Anwendung von Section 37 des ITA 2010 oder auf die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Unionsrecht eingegangen worden. Der Commissioner of Income Tax verwechsle die im Beschluss 2019/700 vorgesehene Berechnung der im Rahmen der Rückforderung der Beihilfe geschuldeten Steuer mit den Steuerermäßigungen, die die Behörden Gibraltars nach dem ITA 2010 auf den zurückzufordernden Bruttobetrag anwenden könnten.

33 Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Würde die Gewährung einer Steuerermäßigung nach dem ITA 2010 für in den Vereinigten Staaten auf Einkommen von Fossil (Gibraltar) aus Nutzungsentgelten entrichtete Steuern durch den Commissioner of Income Tax gegen den Beschluss 2019/700 verstoßen, oder steht der Beschluss ihr in anderer Weise entgegen?

Zur Vorlagefrage

34 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Beschluss 2019/700 dahin auszulegen ist, dass er dem entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht.

35 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die vom vorlegenden Gericht formulierte und vom Gerichtshof zu beantwortende Frage auf der Prämisse beruht, dass Section 37 des ITA 2010, die einen Mechanismus für die Anrechnung der in einem Drittstaat entrichteten Steuer vorsieht, um Doppelbesteuerungen zu vermeiden, im Ausgangsverfahren anwendbar ist.

36 Zwar haben der Commissioner of Income Tax und die Kommission geltend gemacht, dass die erforderlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Anrechnungsmechanismus nach Section 37 des ITA 2010 im Ausgangsverfahren nicht erfüllt seien. Die hierzu vorgetragenen Erwägungen laufen jedoch darauf hinaus, die Beurteilung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht in Frage zu stellen, das zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Section 37 des ITA 2010 im Rahmen des Ausgangsverfahrens erfüllt seien.

37 Es ist jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts und nicht des Gerichtshofs, die Richtigkeit dieser Beurteilung des nationalen Rechts zu prüfen. Art. 267 AEUV sieht nämlich ein Verfahren des unmittelbaren Zusammenwirkens des Gerichtshofs und der Gerichte der Mitgliedstaaten vor. Im Rahmen dieses Verfahrens, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, fällt jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts, das im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat, während der Gerichtshof nur befugt ist, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Unionsvorschrift zu äußern (Urteile vom , Gauweiler u. a., C‑62/14, EU:C:2015:400, Rn. 15, und vom , Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 28).

38 Im vorliegenden Fall ist, ausgehend von der Prämisse, dass Section 37 des ITA 2010 im Ausgangsverfahren anwendbar ist, zu prüfen, ob die Gewährung einer Ermäßigung des Betrags der von Fossil (Gibraltar) zurückzufordernden Beihilfe auf der Grundlage dieser Bestimmung geeignet ist, die wirksame Durchführung der im Beschluss 2019/700 enthaltenen Rückforderungsanordnung zu beeinträchtigen.

39 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Aufhebung einer rechtswidrigen Beihilfe durch Rückforderung die logische Folge der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit ist. Folglich hat der Mitgliedstaat, an den eine Entscheidung gerichtet ist, die ihn zur Rückforderung rechtswidriger Beihilfen verpflichtet, nach Art. 288 AEUV alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Durchführung der Entscheidung sicherzustellen. Er muss die geschuldeten Beträge tatsächlich wiedererlangen, um die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit der rechtswidrigen Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde (Urteil vom , Kommission/Spanien, C‑529/09, EU:C:2013:31, Rn. 90 und 91 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Durch die Rückzahlung der Beihilfe verliert der Empfänger den Vorteil, den er auf dem Markt gegenüber seinen Mitbewerbern besessen hat, und die Lage vor der Gewährung der Beihilfe wird wiederhergestellt (Urteil vom , Unicredito Italiano, C‑148/04, EU:C:2005:774, Rn. 113).

40 Gemäß Art. 16 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589 hat die Rückforderung einer durch Entscheidung der Kommission für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilfe, wie sich auch aus dem 25. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, unverzüglich und nach den Verfahren des innerstaatlichen Rechts des betreffenden Mitgliedstaats zu erfolgen, sofern diese Verfahren die sofortige und tatsächliche Vollstreckung dieser Entscheidung ermöglichen; diese Bedingung spiegelt die Erfordernisse des in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Effektivitätsgrundsatzes wider (vgl. entsprechend Urteil vom , Kommission/Spanien, C‑529/09, EU:C:2013:31, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41 Zum Zweck der Berechnung der zurückzufordernden Beihilfe muss das nationale Gericht die Gesamtheit der ihm zur Kenntnis gebrachten relevanten Umstände berücksichtigen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vom nationalen Gericht durchgeführte Berechnung angesichts der Gesamtheit dieser Umstände einen Beihilfebetrag ergibt, der unter dem Betrag liegt, der sich ergibt, wenn der Beschluss der Kommission, mit dem die Rückforderung der als mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärten Beihilfe angeordnet wird, isoliert betrachtet wird, oder gar einen Betrag gleich null ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Mediaset, C‑69/13, EU:C:2014:71, Rn. 36 und 37).

42 Der Gerichtshof hat daher klargestellt, dass die Wiederherstellung der früheren Lage bedeutet, dass so weit wie möglich eine Rückkehr zu der Lage erfolgt, die bestanden hätte, wenn die fraglichen Transaktionen ohne Gewährung der streitigen Beihilfe durchgeführt worden wären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Unicredito Italiano, C‑148/04, EU:C:2005:774, Rn. 117).

43 Zwar können die zurückzuzahlenden Beträge nicht unter Berücksichtigung hypothetischer Transaktionen bestimmt werden, die die Unternehmen hätten durchführen können, wenn sie sich nicht für die Form einer durch eine Beihilfe gestützte Transaktion entschieden hätten, doch können sich die Empfänger einer Beihilfe im Stadium der Rückforderung auf die im nationalen Recht vorgesehenen Abzüge und Ermäßigungen berufen, wenn erwiesen ist, dass sie angesichts der konkret durchgeführten Transaktionen tatsächlich Anspruch darauf gehabt hätten. Die Wiederherstellung der früheren Lage erfordert lediglich, dass im Stadium der Rückforderung der Beihilfe durch die nationalen Behörden gegebenenfalls eine steuerliche Vorzugsbehandlung berücksichtigt wird, die ohne die rechtswidrige Beihilfe nach mit dem Unionsrecht vereinbaren nationalen Vorschriften im Zusammenhang mit der tatsächlich durchgeführten Transaktion gewährt worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Unicredito Italiano, C‑148/04, EU:C:2005:774, Rn. 114 bis 119).

44 Dies vorausgeschickt, ist als Erstes zu der Frage, ob der Beschluss 2019/700 als solcher der nach Section 37 des ITA 2010 beantragten Ermäßigung entgegensteht, darauf hinzuweisen, dass die Kommission in diesem Beschluss zum einen die Beihilferegelung in Form der Nichtbesteuerung des passiven Einkommens aus Zinsen und Nutzungsentgelten und zum anderen die Einzelbeihilfen in Form von fünf der 165 Steuervorbescheide, die im Beschluss der Kommission vom zur Ausweitung des in Rn. 6 dieses Urteils genannten Verfahrens nach Art. 108 Abs. 2 AEUV angeführt sind, für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt hat.

45 In Bezug auf die Maßnahmen der Nichtbesteuerung von passivem Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten, die alleiniger Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, geht aus dem Beschluss 2019/700 hervor, dass diese Maßnahmen als verbotene staatliche Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft wurden, u. a., weil dadurch ein selektiver Vorteil gewährt wurde.

46 Insbesondere wurde berücksichtigt, dass diese Nichtbesteuerung gegen den allgemeinen Grundsatz verstößt, dass die Körperschaftsteuer von allen Steuerpflichtigen erhoben wird, die in Gibraltar Einkommen erzielen oder beziehen. Der Kommission zufolge „sollten passive Zinsen und Nutzungsentgelte … in der Regel in den Anwendungsbereich der Besteuerung fallen“ (82. Erwägungsgrund des Beschlusses 2019/700). Die Verringerung der Steuerbelastung, die die Unternehmen andernfalls zu tragen hätten, stelle also einen Vorteil dar (83. Erwägungsgrund des Beschlusses), der prima facie selektiv sei, da er hauptsächlich multinationalen Konzernen zugutekomme (Erwägungsgründe 103 und 104 des Beschlusses). Im 107. Erwägungsgrund des Beschlusses führt die Kommission aus, dass im Hinblick auf eine Nichtbesteuerung das Argument der Notwendigkeit der Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht stichhaltig sei, „da die (ausländische) zahlende Einheit im Allgemeinen berechtigt ist, die Zinsen oder Nutzungsentgelte für Steuerzwecke abzuziehen“.

47 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass im Beschluss 2019/700 lediglich festgestellt wird, dass bestimmte Arten von Einkünften, im vorliegenden Fall jene, die durch passive Zinsen und Nutzungsentgelte erzielt werden, in Gibraltar nicht der Körperschaftsteuer unterliegen.

48 Der Beschluss 2019/700 erlegt den zuständigen nationalen Behörden zwar die Rückforderung der Steuer auf, die ohne die Befreiung für passives Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten zu erheben gewesen wäre (223. Erwägungsgrund des Beschlusses), äußert sich aber nicht zur Möglichkeit, nach den Gesetzen von Gibraltar vorgesehene Abzüge und Ermäßigungen geltend zu machen, die bei der Berechnung der geschuldeten Steuer anwendbar gewesen wären. Dieser Beschluss, insbesondere sein 226. Erwägungsgrund, steht dem also nicht entgegen, dass gemäß dem Grundsatz, der durch die in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung entwickelt wurde, ein Mechanismus wie der in Section 37 des ITA 2010 vorgesehene zur Anwendung kommt. Er stellt auch nicht in Frage, dass die Steuerverwaltung von Gibraltar in Anwendung dieses Mechanismus im Ausland auf Nutzungsentgelte gezahlte Steuern auf die Steuer anrechnen kann, die in Gibraltar auf diese Nutzungsentgelte zu entrichten ist.

49 Was die Stellungnahmen betrifft, die sich aus den Schreiben der Kommission an die nationalen Behörden im Rahmen der Schriftwechsel zur Sicherstellung der sofortigen und tatsächlichen Durchführung des Beschlusses 2019/700 ergeben und die in den Rn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils genannt sind, so zählen diese nicht zu den Handlungen, die auf der Grundlage der Verordnung 2015/1589 erlassen werden können; sie können nicht dazu führen, den Inhalt dieses Beschlusses zu ergänzen oder zu ändern, und sind als in keiner Weise verbindlich anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Mediaset, C‑69/13, EU:C:2014:71, Rn. 24 bis 28).

50 Als Zweites ist zu prüfen, ob die Berücksichtigung einer auf der Grundlage von Section 37 des ITA 2010 gewährten Steuergutschrift im Stadium der Rückforderung der Beihilfe dazu führt, dass die Wirksamkeit des Beschlusses 2019/700 beeinträchtigt wird, da Fossil (Gibraltar) dadurch in eine Lage versetzt würde, die günstiger ist als jene, in der sie sich befunden hätte, wenn die fraglichen Transaktionen ohne Gewährung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beihilfemaßnahmen durchgeführt worden wären.

51 Wie im 25. Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1589 dargelegt, sollte der betreffende Mitgliedstaat „alle erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Wirksamkeit des Beschlusses der Kommission treffen“, mit dem die Rückforderung einer mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe angeordnet wird.

52 Wie in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt, muss der betreffende Mitgliedstaat die geschuldeten Beträge tatsächlich wiedererlangen, um die Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen, die durch den mit der rechtswidrigen Beihilfe verbundenen Wettbewerbsvorteil verursacht wurde. Zwar bedeutet ein solches Erfordernis notwendigerweise, dass ein Mitgliedstaat die Tragweite eines Beschlusses der Kommission nicht durch den Erlass von Ausgleichsmaßnahmen umgehen darf, durch die die Folgen dieses Beschlusses aufgehoben würden, doch kann es die Empfänger der fraglichen Beihilfen nicht davon abhalten, im Stadium der Rückforderung nach nationalem Recht vorgesehene Abzüge und Ermäßigungen in Anspruch zu nehmen, wenn im Hinblick auf die konkret durchgeführten Transaktionen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Durchführung dieser Transaktionen tatsächlich Anspruch auf diese Abzüge oder Ermäßigungen bestand.

53 Insbesondere beeinträchtigt dieses Erfordernis nicht von vornherein die Anwendung eines Mechanismus wie des in Section 37 des ITA 2010 vorgesehenen, der es erlaubt, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ein und desselben Einkommens im Hinblick auf eine Steuer, die von einer natürlichen oder juristischen Person in einem Staat oder in einem Gebiet entrichtet wurde, in dem das Einkommen erzielt oder bezogen wurde, eine Ermäßigung zu gewähren.

54 Als Drittes und Letztes ist zu prüfen, ob der Beschluss 2019/700, mit dem die Regelung über die Nichtbesteuerung von passiven Einkommen aus Zinsen und Nutzungsentgelten als staatliche Beihilfe eingestuft wird, insbesondere soweit sie von dem im Steuerrecht von Gibraltar verankerten Territorialitätsgrundsatz abweicht, erweiternd bedingt, dass Section 37 des ITA 2010, auf die sich Fossil (Gibraltar) im Ausgangsverfahren beruft, als eine solche Regelung anzusehen ist und folglich als verbotene staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu betrachten ist.

55 Somit ist für den Fall, dass sich Fossil (Gibraltar) zum Zeitpunkt der fraglichen Transaktionen tatsächlich auf die Anwendung von Section 37 des ITA 2010 berufen kann, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, zu untersuchen, ob die in dieser Bestimmung vorgesehene Anrechnung einer im Ausland entrichteten Steuer auf Nutzungsentgelte eine verbotene staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen kann.

56 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach seiner Rechtsprechung im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwar nicht über die Vereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsnormen mit dem Unionsrecht oder über die Auslegung nationaler Vorschriften entscheiden kann; er ist aber befugt, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die es diesem ermöglichen, über die bei ihm anhängige Rechtssache zu entscheiden. In Bezug auf staatliche Beihilfen kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht vor allem die Hinweise zur Auslegung geben, aufgrund deren dieses Gericht feststellen kann, ob eine nationale Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne des Unionsrechts angesehen werden kann (Urteil vom , Paint Graphos u. a., C‑78/08 bis C‑80/08, EU:C:2011:550, Rn. 34 und 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

57 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Einstufung einer nationalen Maßnahme als „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle nachstehend genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil verschafft werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteil vom , World Duty Free Group und Spanien/Kommission, C‑51/19 P und C‑64/19 P, EU:C:2021:793, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58 Insbesondere in Bezug auf nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Maßnahme, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besserstellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschafft und daher eine „staatliche Beihilfe“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen kann. Als staatliche Beihilfe gelten dabei insbesondere Maßnahmen, die die von einem Unternehmen regelmäßig zu tragenden Belastungen vermindern und somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen nach Art und Wirkungen gleichstehen. Dagegen stellt ein Steuervorteil, der aus einer unterschiedslos für alle Wirtschaftsteilnehmer geltenden allgemeinen Maßnahme resultiert, keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar (Urteil vom , Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59 Gleichzeitig liegt außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale jeder Steuer aufgrund der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten in deren Ermessen, das in jedem Fall im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss. Dies gilt u. a. für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands (Urteil vom , Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 38).

60 Wie die Generalanwältin in Nr. 59 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, ist die Entscheidung, welche ausländischen Steuern auf die inländische Steuerschuld angerechnet werden können und unter welchen Voraussetzungen dies möglich sein soll, eine allgemeine Entscheidung, die in das Ermessen des Mitgliedstaats zur Bestimmung der grundlegenden Merkmale der Steuer fällt.

61 Eine Maßnahme wie die in Section 37 des ITA 2010 vorgesehene, die Doppelbesteuerungen dadurch vermeiden will, dass sie einen Mechanismus der Anrechnung der von einem Steuerpflichtigen im Ausland gezahlten Steuern auf die in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, fällt grundsätzlich unter die Steuerautonomie der Mitgliedstaaten und kann nicht als verbotene staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV eingestuft werden, außer es wird nachgewiesen, dass sie auf diskriminierenden Parametern beruht. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Unionsrecht in diesem Bereich nur die Beseitigung selektiver Vorteile bezweckt, von denen bestimmte Unternehmen zum Nachteil anderer, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, profitieren könnten (Urteil vom , Kommission/Polen, C‑562/19 P, EU:C:2021:201, Rn. 41).

62 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass der Beschluss 2019/700 dahin auszulegen ist, dass er dem nicht entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, wenn diese Vorschrift zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Transaktionen durchgeführt wurden, anwendbar war.

Kosten

63 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Der Beschluss (EU) 2019/700 der Kommission vom über die staatliche Beihilfe SA.34914 (2013/C) des Vereinigten Königreichs betreffend das Körperschaftsteuersystem in Gibraltar
ist dahin auszulegen, dass:
er dem nicht entgegensteht, dass die nationalen Behörden, die mit der Rückforderung einer rechtswidrigen und mit dem Binnenmarkt unvereinbaren Beihilfe vom Empfänger betraut sind, eine nationale Vorschrift anwenden, die einen Mechanismus zur Anrechnung der von diesem Empfänger im Ausland entrichteten Steuern auf die von ihm in Gibraltar geschuldeten Steuern vorsieht, wenn diese Vorschrift zu dem Zeitpunkt, zu dem die fraglichen Transaktionen durchgeführt wurden, anwendbar war.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2022:680

Fundstelle(n):
VAAAJ-33754