BGH Urteil v. - VIa ZR 115/22

Instanzenzug: Az: I-12 U 21/21vorgehend LG Kleve Az: 3 O 516/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasrückführung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb im Februar 2011 von einem Händler einen neuen VW Tiguan Sport & Style 4MOTION 2,0 l TDI zum Preis von 33.078,91 €. Das Fahrzeug ist mit einem Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Dieser enthielt eine Motorsteuerungssoftware, die das Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus auf dem Prüfstand erkannte und in diesem Fall einen geringeren Stick-oxidausstoß als im Normalbetrieb bewirkte. Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet. Die Klägerin erfuhr spätestens durch ein Kundenanschreiben im Jahr 2016 von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs.

3Mit ihrer im Jahr 2020 erhobenen Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe von 13.679,45 € nebst Zinsen und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen sowie die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels zur Zahlung von 11.522,05 € nebst Zinsen ab dem "Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung" des Fahrzeugs verurteilt und den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Der Anspruch der Klägerin aus §§ 826, 31 BGB sei nicht durchsetzbar, weil er vor Klageerhebung verjährt sei. Der Klägerin stehe allerdings ein Herausgabeanspruch nach § 852 Satz 1 BGB in Höhe von 11.522,05 € zu. "Erlangt" im Sinne des § 852 Satz 1 BGB habe die Beklagte den von der Klägerin gezahlten und vom Händler an sie weitergeleiteten Bruttokaufpreis (33.071,91 €). Diesen könne die Klägerin abzüglich der Nutzungsvorteile beanspruchen, die ausgehend von einer geschätzten Gesamtfahrleistung von 250.000 km und unter Berücksichtigung einer Laufleistung von 162.920 km im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung 21.556,86 € betrügen. Eine Händlermarge habe die Beklagte nicht geltend gemacht. Sie habe - trotz entsprechender Aufforderung durch die Klägerin auf Seite 5 ihres Schriftsatzes vom - nicht vorgetragen, sie habe den Kaufpreis nicht in Gänze erhalten. Zinsen seien gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB seit dem , dem Zeitpunkt der Klagezustellung, zu zahlen.

II.

7Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

81. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des von ihr für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs habe, dem die Beklagte die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB entgegenhalten könne (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 24 ff. mwN). Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen.

92. Ebenfalls zutreffend ist das Berufungsgericht von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 852 Satz 1 BGB in den Fällen des sogenannten "Diesel-skandals" ausgegangen. Insbesondere ist der Anwendungsbereich der Vorschrift entgegen der Ansicht der Revision nicht - einen Anspruch der Klägerin ausschließend - teleologisch zu reduzieren (vgl. VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 54 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 12). Dass die Klägerin das Fahrzeug über eine Absatzkette im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung erworben habe ( VIa ZR 57/21, aaO, Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27 f.), zieht die Revision nicht in Zweifel.

103. Durchgreifenden Bedenken begegnet indessen die Bezifferung des Restschadensersatzanspruchs durch das Berufungsgericht. Denn es hat rechtsfehlerhaft verkannt, dass es, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat ( VIa ZR 122/22, WM 2022, 2237 Rn. 27 mwN), dem Geschädigten als der für den Grund und die Höhe eines Restschadensersatzanspruchs nach §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB darlegungs- und beweispflichtigen Partei obliegt, Vortrag zu dem nach Eintritt der Verjährung noch durchsetzbaren Umfang ihres Restschadensersatzanspruchs und damit zu dem Gegenstand und der Höhe des vom Schädiger erlangten Vermögensvorteils zu halten. Dies schließt Vortrag zu einer Händlermarge mit ein, die zur Ermittlung des Händlereinkaufspreises von dem vom Geschädigten gezahlten Kaufpreis abzuziehen ist. Zur Verteidigung kann sich der beklagte Hersteller gegenüber dem Tatsachenvortrag des Geschädigten im Grundsatz auf ein einfaches Bestreiten beschränken. Eine sekundäre Darlegungslast trifft ihn entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts nur, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 36 f. mwN). Die zuletzt genannte Voraussetzung ist jedenfalls nicht erfüllt, solange der Geschädigte sich die erforderlichen Informationen durch eine Nachfrage bei seinem Verkäufer selbst beschaffen kann.

11Dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ist im Revisionsverfahren auch ohne ausgeführte Verfahrensrüge der Revision beachtlich, weil er hier das sachliche Recht betrifft und § 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB verletzt, nicht § 286 ZPO (vgl. , NJW 2004, 2232, 2233; Urteil vom - X ZR 150/11, NJW 2014, 2275 Rn. 11). Dass die Klägerin vorgetragen habe, die Beklagte habe den von der Klägerin gezahlten Händlerverkaufspreis in Gänze erhalten, und die Beklagte diesen Vortrag nicht bestritten habe, ergeben die - aufgrund der konkreten Bezugnahme auf das anderslautende schriftsätzliche Vorbringen der Klägerin im Übrigen widersprüchlichen und auch deshalb nicht bindenden (vgl. , BGHZ 224, 89 Rn. 34 ff.) - Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

124. Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung überdies nicht stand, soweit das Berufungsgericht der Klägerin Zinsen bereits ab dem zuerkannt hat. Die Klage ist der Beklagten am zugestellt worden. Prozesszinsen kann die Klägerin daher nach §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, § 187 Abs. 1 BGB nicht ab dem , sondern erst ab dem verlangen (vgl. , NJW-RR 1990, 518, 519; , BAGE 96, 228, 233).

III.

13Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das die erforderlichen Feststellungen zur Höhe eines Anspruchs der Klägerin aus §§ 826, 852 Satz 1, § 818 Abs. 1 BGB nachzuholen haben wird.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:191222UVIAZR115.22.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-33705