Schätzungsbefugnis für die Umsätze von zwei Chinarestaurants bei Nichtvorlage von Programmierprotokollen für die Kasse und
teilsweise „schwarzen” Wareneinkäufen und Lohnzahlungen
Schätzung nach der Richtsatzsammlung mit Rohgewinnaufschlagssatz 330 %
1. Die Buchführung der ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelnden Inhaberin von zwei Chinarestaurants weist formelle und
materielle Mängel auf, die aufgrund ihrer Schwere zur Schätzung berechtigen, wenn unter anderem
für die elektronisch geführten Kassen keine Programmierprotokolle vorgelegt werden können; dass kein Einkaufsbeleg über den
Erwerb der Kasse und Programmierprotokolle vorgelegt werden können, weil die Kasse in gebrauchtem Zustand erworben wurde,
entlastet die Steuerpflichtige nicht;
eingekaufte Waren teils nicht in der Buchführung erfasst worden sind („Rechnungssplitting),
Löhne „schwarz” gezahlt worden sind.
2. Für die Frage der Berechtigung einer Hinzuschätzung dem Grunde nach kommt es auf ein schuldhaftes Verhalten des Steuerpflichtigen
nicht an. Warum Programmierprotokolle nicht mehr vorgelegt werden können, ist daher ohne Belang. Eine Schätzung ist im Übrigen
auch dann zulässig und der Steuerpflichtige zur Mitwirkung verpflichtet, wenn parallel zum Besteuerungsverfahren ein Steuerstrafverfahren
läuft.
3. Eine – auch bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG zulässige – Schätzung nach der amtlichen Richtsatzsammlung ist die
geeignetste Schätzungsmethode, das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen. Das gilt insbesondere, wenn ein innerer Betriebsvergleich
in Form einer Aufschlagskalkulation aufgrund des von der Steuerpflichtigen hervorgehobenen Büffetangebots ausscheidet, da
die Preise unabhängig von der Menge der von dem einzelnen Kunden verzehrten Speisen festgelegt sind.
4. Eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung ist nicht durchführbar, wenn die Vermögenszuwächse und Geldflüsse nicht
innerhalb des gesamten Haushalts überprüft werden können, weil die Steuerpflichtige sich weigert, sämtliche betrieblichen
und privaten Konten aller Familienmitglieder vorzulegen, und wenn zudem entscheidende Rechengrößen wie z. B. der Anfangsbestand
an Bargeld und die eingenommenen Trinkgelder nicht bekannt und zudem streitig sind.
5. Der vom Finanzamt bei der Richtsatzschätzung für die Streitjahre 2010-2016 verwendete, an der oberen Grenze der Richtsätze
für Restaurants mit asiatischem Speiseangebot liegende Rohgewinnaufschlagssatz von 330 % sowie der vom Finanzamt angenommene
Aufteilungsschlüssel für die Umsätze zum regulären und ermäßigten Steuersatz von 85 % zu 15 % sind nicht zu beanstanden, wenn
die Steuerpflichtige bei der Führung des Restaurants hohe kriminelle Energie gezeigt hat, das Restaurant eine gute zentrale
Lage hat (nur 100 m vom Bahnhof entfernt), über mehr als 100 Sitzplätze verfügt, die Gerichte in der Zubereitung und Präsentation
eher einfach gehalten sind (im Wesentlichen Büffetbetrieb) und wenn bereits der erklärte Umsatz überdurchschnittlich hoch
ist.
6. Das Angebot eines Büffets führt nicht per se zu einem niedrigeren Rohgewinnaufschlagssatz, denn damit einher geht auch
eine Einsparung von Kosten, etwa weil Gerichte nicht einzeln gekocht, angerichtet und serviert werden müssen. Auch der behauptete
Anfall von Essensresten führt nicht zu einer Verringerung des Rohgewinnaufschlagssatzes.
7. Das von der Steuerpflichtigen genannte Verhältnis von Büffet zum Essen à la carte von 99 % zu 1 % ist nicht glaubhaft,
wenn auf der Speisekarte ein umfangreiches Angebot einzelner Gerichte angeboten wird.
8. Im Rahmen der Richtsatzschätzung ist eine Kürzung des gebuchten Wareneinsatzes um weiteren Eigenverbrauch und weiteres
Personalessen nicht geboten, wenn sich die genaue Anzahl der Arbeitnehmer und der Umfang der Verköstigung durch die Betriebe
der Steuerpflichtigen nicht mehr feststellen lassen. Es ist im Rahmen einer Schätzung nicht Aufgabe der Finanzbehörde oder
des Finanzgerichts, jeder einzelnen Rechengröße mit äußerster Akribie nachzugehen, wenn die Steuerpflichtige in ihren Steuererklärungen
zur Vermeidung einer höheren Steuerlast unrichtige Angaben zum Eigenverbrauch bzw. zu den unentgeltlichen Wertabgaben und
der Personalverköstigung gemacht hat.
9. Die Gewinne sind im Rahmen der Richtsatzschätzung nicht um schwarz bezogene Wareneinkäufe zu kürzen. Das gilt ebenso für
die von der Steuerpflichtigen bestrittenen Schwarzlohnzahlungen.
10. Die Beschaffenheit der Buchführung einschließlich der Kasse ist eine „neue Tatsache” (vgl. ; , EFG 2012 S. 1894; ,),
sodass die Bescheide, die nicht (mehr) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen, gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert
werden können.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n): JAAAJ-33531
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