Privatrechtlich organisierte Person ist funktional eine Behörde (i. S. d. § 1 Abs. 4 VwVfG)
Leitsatz
Eine beliehene juristische Person des Privatrechts ist jedenfalls dann eine Bundesbehörde im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO, wenn sie durch Gesetz in die Bundesverwaltung organisatorisch eingegliedert ist.
Gesetze: Art 87 Abs 3 S 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 17a Abs 2 S 3 GVG, § 52 Nr 2 S 1 VwGO, § 52 Nr 2 S 2 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 83 S 1 VwGO, § 1 Abs 4 VwVfG, § 24 Abs 1 VerpackG, § 24 Abs 2 S 1 VerpackG, § 24 Abs 3 S 3 VerpackG, § 24 Abs 4 VerpackG, § 26 Abs 1 S 1 VerpackG, § 26 Abs 1 S 2 Nr 25 VerpackG, § 29 Abs 1 S 1 VerpackG, § 29 Abs 2 VerpackG, § 29 Abs 3 S 1 VerpackG, § 29 Abs 3 S 2 VerpackG, § 29 Abs 3 S 3 VerpackG, § 30 Abs 2 VerpackG, § 31 VerpackG
Instanzenzug: Az: 14 K 1009/22 Beschluss
Gründe
I
1Die Klägerin stellt verschiedene alkoholfreie Getränkeprodukte her. Sie begehrt die Verpflichtung der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister, ihr die Einordnung der Getränkeverpackungen des Getränks "PriSecco Cuvée Nr. 11 unreifer Apfel/Eichenlaub" als nicht pfandpflichtig zu erteilen. Die Beklagte ist eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Osnabrück, die durch das Verpackungsgesetz mit der Wahrnehmung im Einzelnen aufgeführter hoheitlicher Aufgaben beliehen ist.
2Entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid des Umweltbundesamtes hat die Klägerin, deren Sitz im Verwaltungsgerichtsbezirk Stuttgart liegt, Klage beim Verwaltungsgericht Osnabrück erhoben. Mit Beschluss vom hat sich das Verwaltungsgericht Osnabrück für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Stuttgart verwiesen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat sich mit Beschluss vom für örtlich unzuständig erklärt und dem Verweisungsbeschluss wegen eines Verstoßes gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters die Bindungswirkung abgesprochen. Zugleich hat das Verwaltungsgericht Stuttgart das Bundesverwaltungsgericht angerufen, um das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu bestimmen.
II
31. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Osnabrück und dem Verwaltungsgericht Stuttgart gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO zuständig. Nach dieser Vorschrift wird, wenn verschiedene Verwaltungsgerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht von dem nächsthöheren Gericht bestimmt. Das ist im vorliegenden Fall des negativen Kompetenzkonflikts zwischen Verwaltungsgerichten verschiedener Bundesländer das Bundesverwaltungsgericht als das gemeinsame nächsthöhere Gericht.
42. Über die auf Einordnung von Einweggetränkeverpackungen als nicht pfandpflichtig gerichtete Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht Stuttgart legt zwar zutreffend dar, dass das Verwaltungsgericht Osnabrück bei Klageerhebung nach § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig war (a). Dem Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück kann aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Stuttgart nicht die Bindungswirkung des § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG abgesprochen werden (b).
5a) Nach § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO ist bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde oder einer bundesunmittelbaren Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat. Dies gilt nach § 52 Nr. 2 Satz 2 VwGO auch bei Verpflichtungsklagen. Die privatrechtlich organisierte Beklagte ist funktional eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG, weil sie Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Sie nimmt zudem - wie es für die zuständigkeitsbegründende Anknüpfung an den Sitz der Behörde (Konzentrationsprinzip) in § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO maßgeblich ist - als Zentrale Stelle ihre Aufgabe bundesweit wahr. Sie ist auch durch die Vorschriften des Verpackungsgesetzes (Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen - VerpackG) vom (BGBl. I S. 2234), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 4363), sowohl hinsichtlich der Art und Weise ihrer Errichtung als Privatrechtssubjekt als auch hinsichtlich der Überwachung der Aufgabenerfüllung und der Eingriffsbefugnisse des Umweltbundesamtes, dem nicht nur die Rechts-, sondern auch die Fachaufsicht über die Zentrale Stelle obliegt, in besonderer Weise organisatorisch in die Bundesverwaltung eingegliedert.
6Gemäß § 24 Abs. 1 VerpackG hatten Hersteller, Vertreiber oder Interessenverbände bis zum unter dem Namen Zentrale Stelle Verpackungsregister eine rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts zu errichten. Die Satzung der Beklagten, die für ihre Existenz konstitutiv ist, sowie jegliche Satzungsänderung bedurften bzw. bedürfen gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 VerpackG des Einvernehmens bzw. der Zustimmung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Das Fachministerium kann sein Einvernehmen oder seine Zustimmung unter den in § 24 Abs. 4 VerpackG genannten Voraussetzungen jederzeit widerrufen. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 VerpackG ist die Zentrale Stelle mit der Wahrnehmung der in Satz 2 aufgeführten hoheitlichen Aufgaben beliehen. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 VerpackG untersteht die Zentrale Stelle hinsichtlich der ihr nach § 26 Abs. 1 VerpackG übertragenen Aufgaben der Rechts- und Fachaufsicht des Umweltbundesamtes. Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Zentralen Stelle unterliegt der Prüfung durch den Bundesrechnungshof (§ 29 Abs. 2 VerpackG). Erfüllt die Zentrale Stelle die ihr nach § 26 Abs. 1 VerpackG übertragenen Aufgaben nicht oder nicht ausreichend, ist das Umweltbundesamt befugt, die Aufgaben selbst durchzuführen oder im Einzelfall durch einen Beauftragten durchführen zu lassen (§ 29 Abs. 3 Satz 1 VerpackG). Für diesen Fall trifft die Zentrale Stelle nach § 29 Abs. 3 Satz 2 VerpackG geeignete Vorkehrungen, um die Arbeitsfähigkeit des Umweltbundesamtes oder des von ihm beauftragten Dritten sicherzustellen.
7Diese umfassende rechtliche Eingliederung in die Bundesverwaltung und die bundesweite Tätigkeit rechtfertigen es, die Beklagte für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit den in § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO genannten Bundesbehörden und sonstigen bundesunmittelbaren öffentlich-rechtlichen Einrichtungen organisationsrechtlich gleichzustellen (vgl. zur Vertretungsbefugnis nach § 67 Abs. 4 VwGO auch 3 B 71.97 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 93). Die Konzentration der Streitigkeiten gegen Entscheidungen der Zentralen Stelle bei dem Verwaltungsgericht, in dessen Bezirk die Zentrale Stelle ihren Sitz hat, ist auch aus den von der Beklagten in der Beschwerdeerwiderung näher dargelegten Gründen sachgerecht und trägt insbesondere dem mit § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO verfolgten Anliegen der Spezialisierung Rechnung (vgl. 1 C 39.72 - juris Rn. 12).
8Die Konzentration der Zuständigkeit bei einem Gericht entspricht dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Allerdings ist die Gesetzesbegründung zum Verpackungsgesetz nicht frei von Widersprüchen hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung der Beklagten. So finden sich in der Gesetzesbegründung Aussagen dafür, dass der Gesetzgeber die Zentrale Stelle nicht als Behörde im organisatorischen Sinne ansieht, sondern sich bewusst dagegen entschieden hat, weil der Gesetzeszweck "mit einer staatlichen Behörde nicht in der gleichen Weise herzustellen" wäre wie mit einer privaten Stiftung (BT-Drs. 18/11274 S. 124). An anderer Stelle bezeichnet die Gesetzesbegründung die Zentrale Stelle dagegen als "reine Bundesbehörde", die keine organisatorische Vermischung mit Landesbehörden aufweise (BT-Drs. 18/11274 S. 53, 131). Unabhängig hiervon bringt die Gesetzesbegründung jedoch eindeutig zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber des Verpackungsgesetzes eine Konzentrationswirkung bei einem Gericht angestrebt hat, wie die ausdrücklich erwähnte Anlehnung der Zentralen Stelle an das Konzept des Elektro-Altgeräte-Registers zeigt, für das das Verwaltungsgericht Ansbach eine Zuständigkeit in Anwendung des § 52 Nr. 2 VwGO bejaht (VG Ansbach, Beschluss vom - AN 11 S 07.01627, AN 11 S 07.01634 - juris Rn. 12).
9b) Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses wird nur bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen. So liegt es, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ( 7 AV 1.21 - juris Rn. 6). Das ist hier nicht der Fall.
10In der Rechtsprechung und Literatur wird die Frage, ob ein Beliehener als Bundesbehörde im Sinne des § 52 Nr. 2 VwGO anzusehen ist, unterschiedlich beantwortet und überwiegend verneint (vgl. Verweisungsbeschluss S. 2 ff., der den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom - 6 K 28/20 - <juris Rn. 11 ff.> mit entsprechenden Nachweisen zitiert; a. A. etwa - juris Rn. 5 ff.). Dieser Mehrheitsmeinung in Schrifttum und Literatur hat sich das Verwaltungsgericht Osnabrück angeschlossen und hierbei auf den ausführlich begründeten Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf Bezug genommen und sich diesen zu eigen gemacht. Dass dem Verwaltungsgericht Düsseldorf eine andere Fallkonstellation hinsichtlich des Beliehenen und dessen Eingliederung in die behördliche Struktur zugrunde lag, führt dabei nicht auf eine Unhaltbarkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück. Für das Verwaltungsgericht war - wie es durch Kursivschrift unterstreicht - maßgeblich, dass es sich bei der Zentralen Stelle um eine Stiftung bürgerlichen Rechts und eben nicht des öffentlichen Rechts handelt (BA S. 2). Ein solches Privatrechtssubjekt könne keine Bundesbehörde sein, unabhängig davon, dass es aufgrund eines Bundesgesetzes gegründet und beliehen worden sei und ihm seitens des Bundes eine Vielzahl hoheitlicher Aufgaben überwiesen worden sei (BA S. 10). Damit geht das Gericht erkennbar davon aus, dass auch bei einer weitgehenden Eingliederung eines Beliehenen in eine Bundesbehörde, dieser nur im funktionalen Sinne Behördeneigenschaft erlangt, sie aber im organisationsrechtlichen Sinne nie erlangen kann. Diese Auffassung ist jedenfalls nicht unvertretbar. Darauf, ob sie mehr oder weniger überzeugend ist, kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an. Entsprechendes gilt, soweit das Verwaltungsgericht Osnabrück davon ausgeht, die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 52 Nr. 3 Satz 2 Alt. 1 VwGO. Seine Auffassung, die Zuständigkeit der bundesweit tätigen Zentralen Stelle erstrecke sich auf "mehrere" Verwaltungsgerichtsbezirke im Sinne dieser Vorschrift, ist entgegen dem Vorbringen der Beklagten mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar und wird auch vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, auf das das Verwaltungsgericht Bezug nimmt, vertreten ( - BRS 76 Nr. 127 S. 677). Es ist ebenso noch vertretbar, dass das Verwaltungsgericht davon ausgeht, § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO finde auch auf kraft Bundesrecht Beliehene Anwendung. Die Auffassung, es sei für die Zuständigkeitsbestimmung allein entscheidend, dass es sich insoweit nicht um eine Bundesbehörde im Sinne des § 52 Nr. 2 Satz 1 VwGO handele, wird in der Rechtsprechung und Literatur vertreten ( 14 K 260.12 - NVwZ-RR 2013, 485 <486>; Redeker/von Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 52 Rn. 14; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 26; Stuttmann, DVBl. 2011, 1202 <1203 f.>).
11Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren nach § 53 VwGO ist gerichtskostenfrei und stellt hinsichtlich der Anwaltskosten dieselbe Angelegenheit dar wie das Verfahren, für das der Gerichtsstand bestimmt werden soll (§ 16 Nr. 3a RVG). Die Kosten des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Gerichts sind damit Teil der Kosten des zugrundeliegenden Hauptsacheverfahrens.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:090123B10AV1.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 8
SAAAJ-33421