Kanzleiabwicklung wegen Tod des Rechtsanwalts: Festsetzung der Vergütung des Kanzleiabwicklers
Gesetze: § 54 Abs 4 BRAO, § 55 Abs 3 BRAO
Instanzenzug: Anwaltsgerichtshof München Az: BayAGH III - 4 - 2/21 Urteil
Gründe
I.
1Der Kläger wurde mit Verfügung der Beklagten vom zum Abwickler der Kanzlei des am überraschend verstorbenen Rechtsanwalts G. (im Folgenden: Rechtsanwalt G.) bestimmt. Mit Verfügung vom wurde die Bestellung zum Abwickler bis zum verlängert. Eine Einigung über die Höhe der Abwicklervergütung mit dem Erben von Rechtsanwalt G. erfolgte bisher nicht. Der Beigeladene ist der Insolvenzverwalter über den Nachlass von Rechtsanwalt G.
2Mit Bescheid vom setzte die Beklagte die Vergütung auf 30.000 € brutto fest. Auf die Klage des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof den Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Vergütung auf 151.475,10 € brutto festgesetzt wird.
3Die Beklagte beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
4Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 5 VwGO) liegen nicht vor.
51. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
6a) Soweit die Beklagte vorbringt, der Anwaltsgerichtshof hätte sowohl den Kläger als auch die Beklagte zur Vorlage von Unterlagen auffordern und die Beiziehung der Akten anordnen müssen, um den Sachverhalt in Bezug auf die Tätigkeit des Klägers und die Zustände in der abzuwickelnden Kanzlei umfassend aufzuklären, sowie Ermittlungen zum regionalen Bruttoeinkommen durchführen müssen, begründet dies keinen Verstoß gegen den Untersuchungsgrundsatz gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO.
7Danach hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und ist dabei grundsätzlich weder an das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten noch an ihre Beweisanträge gebunden (§ 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Amtsermittlungsgrundsatz wird jedoch - wie sich aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO ergibt - durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten in der Weise begrenzt, dass die Tatsachengerichte nicht in Ermittlungen einzutreten brauchen, die durch das Vorbringen der Beteiligten nicht veranlasst sind. Insofern besteht auch im Verwaltungsprozess eine Prozessförderungspflicht der Beteiligten, wonach jeder Beteiligte grundsätzlich den Prozessstoff, insbesondere die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, umfassend vorzutragen hat (vgl. BayVGH, Beschluss vom - 8 ZB 20.3120, juris Rn. 37).
8Die Rüge der Verletzung des verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatzes erfordert zum einen eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltene Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Zum anderen muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewiesen worden ist oder dass sich dem erstinstanzlichen Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. , juris Rn. 23).
9aa) Aufgrund des Vorbringens der Beteiligten hatte der Anwaltsgerichtshof keinen Anlass, Ermittlungen zur Tätigkeit des Klägers durchzuführen.
10Der Anwaltsgerichtshof hat ausgeführt, dass er angesichts der detaillierten und nachvollziehbaren klägerischen Angaben zur Aktenführung, Mandatsführung und Mandatsabwicklung der abzuwickelnden Kanzlei, denen die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten sei, nicht die Auffassung der Beklagten teile, die abzuwickelnde Kanzlei sei ordentlich organisiert gewesen. Dabei ging es insbesondere darum, dass Rechtsanwalt G. bei ihm eingegangene Fremdgelder häufig nicht unverzüglich an die Berechtigten ausgekehrt oder auf einem Anderkonto verwahrt habe, sondern diese Zahlungseingänge für Ausgaben im Zusammenhang mit dem Kanzleibetrieb oder für private Ausgaben verwendet haben soll und dass er bei fast jedem neuen Mandat alle möglicherweise im Mandat entstehenden Gebühren - häufig unter Ansetzung eines zu hohen Gegenstandswerts - als Vorschuss abgerechnet haben soll. Befreundeten Mandanten habe er hingegen nicht selten zugesagt, keinerlei Kosten zu berechnen. Derartige Absprachen bezüglich eines Vergütungsverzichts seien niemals dokumentiert worden, andere Absprachen zur Vergütung nur selten. In zahlreichen Fällen soll nicht vollständig oder überhaupt nicht über die einzelnen Schritte der Sachbearbeitung informiert worden sein, und in den Akten sollen sich häufig keine Angaben über die Kommunikation zwischen ihm und seinen Mandanten befunden haben. In zahlreichen Mandaten habe der Inhalt des Mandats und der Absprachen erst im Rahmen der Abwicklung erarbeitet werden müssen. Zudem hat der Kläger - was der Anwaltsgerichtshof ausdrücklich aufgeführt hat - die Beklagte mit Schreiben vom über diese problematische Gesamtsituation der abzuwickelnden Kanzlei informiert.
11Die Beklagte hat vor dem Anwaltsgerichtshof zum Beleg ihrer Auffassung, dass eine Kanzlei abzuwickeln gewesen sei, die ordentlich organisiert und geführt gewesen sei, lediglich auf die Kanzleistruktur mit einer angestellten Anwältin und mit Personal, das von der Kanzlei des Klägers übernommen worden sei, hingewiesen.
12Damit ist die Beklagte auf den Vortrag des Klägers nicht eingegangen. Denn der Umstand, dass in einer Kanzlei eine Anwältin angestellt ist und noch anderes Personal beschäftigt wird, kann den vom Kläger geschilderten Missständen im Ansatz nicht entgegenwirken. Denn wenn Rechtsanwalt G. wesentliche Absprachen nicht oder nicht zureichend in den Akten dokumentiert und auch die Korrespondenz mit den Mandanten nur unzureichend geführt hat, nützt vorhandenes Personal nichts. Denn dann gibt es gerade kein Datenmaterial, auf das dieses Personal zugreifen könnte, um den Bearbeitungsstand eines Vorgangs so darzustellen, dass er ohne weiteres erfasst werden kann. Bei dem Vorbringen des Klägers handelte es sich zudem nicht um erstmalig im Gerichtsverfahren erfolgten Vortrag. Vielmehr hätte die Beklagte schon nach dem Schreiben vom Anlass gehabt, bei Zweifeln an den Angaben des Klägers diese näher zu überprüfen. Denn dann hätte sich auch die Frage gestellt, ob der Kläger weiterhin als Abwickler eingesetzt werden sollte.
13Unter diesen Gesichtspunkten durfte der Anwaltsgerichtshof davon ausgehen, dass es sich bei dem Vorbringen der Beklagten zur geordneten Kanzleistruktur um eine bloße Behauptung der Beklagten ohne tatsächliche Grundlage handelte, der nicht weiter nachzugehen war, und dass die Beklagte die detaillierte Schilderung der Gesamtsituation durch den Kläger damit nicht in Abrede gestellt hatte.
14bb) Da der Anwaltsgerichtshof von einer ungeordneten Kanzleistruktur und einer mängelbehafteten und undurchsichtigen Organisation ausgehen durfte, durfte er diese Umstände auch bei der Beurteilung heranziehen, ob der vom Kläger angeführte Zeitaufwand als angemessen anzusehen war.
15Der Anwaltsgerichtshof hat bei dieser Beurteilung zudem darauf Bezug genommen, dass nach dem "Abwicklerlexikon" der Bundesrechtsanwaltskammer der Abwickler einen weit gefassten Pflichtenkatalog abzuarbeiten habe. So sei er den Mandanten gegenüber zur Erfüllung sämtlicher Anwaltspflichten aus dem Mandatsverhältnis verpflichtet, wie sie für den früheren Rechtsanwalt begründet gewesen seien. Er müsse für ordnungsgemäße Rechtsberatung und Vertretung sorgen. In dem "Abwicklerlexikon" ist zudem unter "Abwicklung" ausgeführt, dass die Mandanten ein berechtigtes Interesse daran hätten, dass ihre Rechtsangelegenheiten ohne Zeitverlust und Mehrkosten zu Ende geführt würden. Dies kann bedeuten, dass der Abwickler zum Beispiel Gerichtstermine wahrzunehmen hat, auf die er sich durch Aktenstudium und auch durch Besprechung mit dem Mandanten vorbereiten muss. Von daher spricht die Auflistung derartiger Tätigkeiten durch den Kläger nicht dafür, dass dabei der Bereich der "Abwicklung" verlassen worden wäre. Auch insoweit hat die Beklagte nicht dargelegt, woraus sich ableiten soll, dass der Kläger diese Tätigkeiten für die eigene Kanzlei und nicht als Abwickler erbracht hat.
16Dass dem Anwaltsgerichtshof bei der Einschätzung, ein Zeitaufwand von 1 Stunde 45 Minuten pro Verfahren und ein Gesamtaufwand von 1.731 Stunden für die Abwicklung der Mandate sei schlüssig und plausibel, ein Rechtsfehler unterlaufen wäre, ist daher nicht dargetan. Auch insoweit bestand dann aber kein Anlass, weitere Ermittlungen anzustellen.
17cc) Der Anwaltsgerichtshof musste auch keine weiteren Ermittlungen zum anzusetzenden Bruttoeinkommen durchführen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind bei der Vergütungsfestsetzung zwar regionale Unterschiede in den einzelnen Bezirken zu berücksichtigen. Voraussetzung hierfür ist indes, dass entsprechendes Datenmaterial vorliegt. Aufwändige eigene Erhebungen müssen anlässlich der Festsetzung einer Vergütung gemäß § 53 Abs. 10 Satz 5 BRAO nicht durchgeführt werden (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 52/19, BRAK-Mitt. 2021, 328 Rn. 26).
18Der Anwaltsgerichtshof hat eine weitergehende "Regionalisierung" des durchschnittlichen Bruttoeinkommens nicht vorgenommen, weil die Beklagte keine aussagekräftige Stichprobe und valide Daten für den Bezirk vorgelegt habe. Er hat also gerade darauf abgestellt, dass kein entsprechendes Datenmaterial dafür vorliegt. In der von der Beklagten mit Schriftsatz vom vorgelegten STAR Statistik wird als Jahresgehalt von in Kanzleien angestellten Vollzeit-Anwälten im Jahr 2018 für die "Kammer B. " ein Durchschnitt von 54.000 € angegeben, wobei dieser Wert auf zehn Fällen beruht. Für frei mitarbeitende Rechtsanwälte wird für die "Kammer B. " vermerkt, dass keine Daten bzw. Fälle vorhanden seien. Das durchschnittliche Gehalt von in Kanzleien angestellten Vollzeit-Anwälten für "andere West-Kammern" ist mit 78.000 € angegeben, was auf 305 Fällen beruht. Im Sitzungsprotokoll vom ist ausgeführt, dass die Beklagte auf Frage des Gerichts erklärt habe, dass sie keinen Zugriff auf die Rohdaten der STAR-Statistik habe und deswegen auch nicht wisse, wie sich die Gehälter auf die zehn teilnehmenden Befragten verteilten. Sie könne versuchen, diese Daten bei der Bundesrechtsanwaltskammer zu erhalten. Ob im Landgerichtsbezirk Ba. gegebenenfalls höhere Gehälter bezahlt würden, sei nicht bekannt. Mit Schriftsatz vom hat die Beklagte angegeben, dass sie die von ihr herangezogene STAR-Umfrage als zutreffende, als zulässiges Kriterium heranzuziehende Grundlage für die Bemessung der Pauschale ansehe. Vorsorglich hat sie ein Sachverständigengutachten dafür angeboten, dass ein im Landgerichtsbezirk Ba. angestellter Anwalt durchschnittlich ein Bruttojahresgehalt in einer Spanne von 54.000 € bis 60.000 € beziehe.
19Die Beklagte zeigt nicht auf, warum der Anwaltsgerichtshof sich vor diesem Hintergrund zu weiteren Ermittlungen hätte veranlasst sehen müssen. Zum einen gelang es ihr mit dem Schriftsatz vom nicht, nähere Angaben zum Datenmaterial zu machen. Dass sie auf das Gehalt der Rechtsanwältin J. Bezug nimmt, ändert nichts an dem vom Anwaltsgerichtshof angesprochenen Problem, dass zu den zehn Fällen, auf denen der Wert für die "Kammer B. " beruht, keine näheren Angaben verfügbar sind und dieser Wert für den Anwaltsgerichtshof daher schwer einzuschätzen war. Zum anderen verwies sie auf ein Sachverständigengutachten, das nach der Ausgangslage hier aber eine aufwändige Erhebung dargestellt hätte, die weder von der Beklagten noch vom Anwaltsgerichtshof zu verlangen war.
20b) Der Anwaltsgerichtshof hat auch den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Es bestand kein Anlass, die Beklagte darauf hinzuweisen, dass ihr Vortrag als unzureichend bewertet werden könnte. Die Hinweispflicht (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel in Bezug auf Einzelheiten des Parteivortrags versteht und rechtlich bewertet, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Eine Ausnahme hiervon gilt zwar dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (, juris Rn. 3). Eine solche Ausnahme liegt hier aber nicht vor. Denn die Frage, wie der Vortrag der Beklagten zu werten war, wurde mehrfach im Verfahren thematisiert.
21Der Kläger hat mit Schriftsatz vom ausgeführt, dass mindestens insgesamt 1.731,05 Stunden für anwaltliche Abwicklungstätigkeiten geleistet worden seien. Davon seien 986 laufende Akten betroffen gewesen. Es ergebe sich also eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer pro Akte von ca. 1 Stunde und 45 Minuten. Es bleibe das Geheimnis der Beklagten, weshalb sie diesen Arbeitsaufwand für unangemessen hoch halte und - wiederum ins Blaue hinein - darüber spekuliere, dass der Kläger Zeiten für den "Aufbau eines Verkehrsrechtsreferats" als Abwicklungstätigkeiten betrachte. Auch die pauschale Behauptung, der Kläger habe die Abwicklertätigkeit nicht von seiner Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt klar abgrenzen können, sei unzutreffend. Ganz im Gegenteil seien von Beginn der Abwicklung an sämtliche Arbeitszeiten der für die Abwicklung tätigen Rechtsanwälte eben mit diesem Ergebnis festgehalten worden. Diese Zeiten dienten ausschließlich der Abwicklung. Mit Beschluss vom hat der Anwaltsgerichtshof der Beklagten aufgegeben, mitzuteilen, von welchem erforderlichen Zeitaufwand für den Abwickler nach ihrer Ansicht auszugehen sei. Die Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom ausgeführt, sie gehe pro Akte für eine erste kurze Bestandsaufnahme und Prüfung, ob und wie der laufende Auftrag zu Ende zu führen sei, von einem Zeitaufwand von allenfalls 10 Minuten pro Akte aus. Dazu, wie hoch sie den weiteren Zeitaufwand für die Tätigkeiten ansetzt, die anfallen, wenn der laufende Auftrag tatsächlich zu Ende geführt wird, hat sie sich nicht näher geäußert.
22Der Kläger hat dies mit Schriftsatz vom aufgegriffen und bemängelt, dass die Beklagte entgegen dem Beschluss des Anwaltsgerichtshofs gerade nicht mitteile, von welchem erforderlichen Zeitaufwand für den Abwickler nach ihrer Ansicht insgesamt auszugehen sei.
23Der Beklagten war somit durch den Beschluss des Gerichts klar, dass von ihr erwartet wird, der Berechnung des Klägers eine eigene Berechnung entgegenzustellen. Dass die Abwicklung nicht nur aus einer ersten kurzen Bestandsaufnahme besteht und dass ihre Angabe eines Zeitaufwands von 10 Minuten pro Akte überhaupt nur einen zeitlichen Abschnitt der Abwicklungstätigkeit darstellen konnte, musste ihr bewusst sein. Überdies ist sie durch die Schriftsätze des Klägers auf die Schwachpunkte in ihrem Vortrag hingewiesen worden und musste damit rechnen, dass das Gericht diese Wertung übernehmen könnte.
24Zudem bringt die Beklagte nicht vor, was sie auf einen Hinweis des Gerichts vorgetragen hätte. Sie gibt nur an, dass sie noch ausführlicher zu der nicht gegebenen ausschließlichen Abwicklertätigkeit bei dem vom Kläger angegebenen Stundenaufwand sowie Zeitaufwand vorgetragen hätte, gibt aber weiterhin nicht einmal an, welchen Zeitaufwand sie bei der angegebenen Zahl von Akten für eine Abwicklung für nachvollziehbar hält.
25Auch zu der Frage, welches Bruttogehalt anzusetzen ist, musste der Anwaltsgerichtshof keinen Hinweis erteilen. Denn diese Frage war ausdrücklich Thema in der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof. Durch die Nachfrage des Gerichts zu den Rohdaten, die der STAR-Statistik und dem dort angegebenen Wert für die "Kammer B. " zugrunde lagen, war klar, dass der Anwaltsgerichtshof darin ein Problem sah. Die Beklagte und der Kläger haben sich dazu auch geäußert. Damit war den Beteiligten klar, dass sich ein Urteil mit diesem Punkt auseinandersetzen würde.
262. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 51/21, juris Rn. 11). Diese Anforderung erfüllt das Vorbringen der Beklagten nicht.
27a) Dass der Anwaltsgerichtshof bei der Bemessung der Vergütung vom Durchschnittsgehalt eines in Vollzeit in den westdeutschen Bundesländern angestellten Rechtsanwalts ausgegangen ist, begegnet vorliegend keinen Bedenken. Soweit die Beklagte der Ansicht ist, es sei auf das Gehalt abzustellen, das der Rechtsanwältin J. vom verstorbenen Rechtsanwalt G. und dann vom Kläger gezahlt worden ist, übersieht sie, dass Ausgangspunkt für die Bemessung der Vergütung des Abwicklers die durch ihn ausgeübte Abwicklungsstätigkeit und die in seiner Person gegebene Qualifikation ist (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 52/19, BRAK-Mitt. 2021, 328 Rn. 23). Abzustellen ist somit zunächst auf die Person des Klägers. Der Anwaltsgerichtshof konnte daher das Bruttogehalt bezogen auf den Kläger ansetzen und dann im Rahmen der Abwägung berücksichtigen, dass dieser nur in einem bestimmten Umfang selbst tätig geworden ist und ansonsten bei ihm angestellte Rechtsanwälte eingesetzt hat.
28b) Soweit die Beklagte rügt, der Anwaltsgerichtshof habe zwar angeführt, dass die monatliche Arbeitsbelastung um 17% unter der monatlichen Durchschnittsarbeitszeit gelegen habe und die Abwicklertätigkeit teilweise im Eigeninteresse des Abwicklers geschehen sei, dies jedoch bei der Beurteilung der Angemessenheit nicht berücksichtigt habe, trifft dies nicht zu. Der Anwaltsgerichtshof hat ausdrücklich ausgeführt, dass diese Umstände bei der Festsetzung der monatlichen Pauschale einzustellen seien. Nach Anführung aller einzustellenden Umstände ist der Anwaltsgerichtshof zu dem Ergebnis gekommen, dass "deshalb insgesamt" eine Erhöhung der Monatspauschale von 6.500 € um 50% angemessen und ausreichend sei. Der Anwaltsgerichtshof hat somit lediglich darauf verzichtet, für jeden Umstand einen eigenen Zu- bzw. Abschlag anzusetzen und einzelne Zwischenrechnungen durchzuführen. Er hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass nach Berücksichtigung aller Umstände im Endergebnis eine Erhöhung von 50% vorzunehmen ist.
29c) Bei den Umständen durfte der Anwaltsgerichtshof - wie bereits unter II 1 a aa ausgeführt - auch berücksichtigen, dass die Tätigkeit in Anbetracht der unübersichtlichen Akten- und Mandatsführung von überdurchschnittlicher Schwierigkeit war.
30d) Soweit die Beklagte eine Erhöhung von insgesamt 50% als nicht mehr angemessene Vergütung ansieht, weil der Senat nur eine Erhöhung von 1/3 bei voller zeitlicher Inanspruchnahme und bei ungewöhnlich umfangreichen und aufwändigen Arbeitsleistungen für angemessen erachtet habe (Senat, Beschluss vom - AnwZ (B) 27/92, NJW 1993, 134), hat der Senat in dem zitierten Beschluss auf die Besonderheiten des gegebenen Falles abgestellt und keine allgemein gültige Obergrenze festgesetzt. Mit Beschluss vom hat der Senat im dort zu beurteilenden Fall eine Erhöhung von 60% als gerechtfertigt angesehen, weil die Vertretungstätigkeit der Beigeladenen von besonderen Schwierigkeiten und Problemen geprägt war (AnwZ (Brfg) 52/19, BRAK-Mitt. 2021, 328 Rn. 39 ff.).
31e) Der Vorwurf der Beklagten, der Anwaltsgerichtshof habe nicht berücksichtigt, dass erfahrungsgemäß zu Beginn einer Abwicklertätigkeit erhöhter Arbeitsanfall bestehe, der sich aber im Rahmen der weiteren Abwicklertätigkeit deutlich nach unten reduziere, greift ebenfalls nicht durch. Durch die Berechnung, wie viele der insgesamt geleisteten Stunden durchschnittlich auf einen Monat eines längeren Abwicklungszeitraums entfallen, und durch den Ansatz einer Monatspauschale soll gerade dem Problem der wechselnden Bedingungen einer umfangreichen und länger andauernden Vertretung begegnet werden (vgl. Senat, Beschluss vom - AnwZ (Brfg) 52/19, BRAK-Mitt. 2021, 328 Rn. 24). Aus der Übersicht auf Seite 16 des Schriftsatzes des Klägers vom ergibt sich, dass einige Monate mit stark erhöhtem Arbeitsanfall vorhanden waren und es andererseits auch Monate mit geringem Arbeitsumfang gab. Dass der Anwaltsgerichtshof hier nicht mit Zu- und Abschlägen pro Monat gearbeitet hat, sondern eine durchschnittliche Belastung pro Monat ermittelt hat, entspricht der Rechtsprechung des Senats.
III.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG. Als Streitwert hat der Senat die Differenz zwischen der vom Anwaltsgerichtshof für angemessen gehaltenen Vergütung und der von der Beklagten mit Bescheid vom zugesprochenen Vergütung festgesetzt.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:211222BANWZ.BRFG.16.22.0
Fundstelle(n):
DStR 2023 S. 663 Nr. 12
DStR 2023 S. 664 Nr. 12
DStRE 2023 S. 1268 Nr. 20
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2023 S. 1031
NWB-Eilnachricht Nr. 15/2023 S. 1031
XAAAJ-33279