Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - rechtliches Gehör - Fragerecht gegenüber dem Sachverständigen - Darlegung eines sachdienlichen Klärungsbedarfs - offengebliebene Punkte - erläuternde Wiederholung des Gutachtens nicht ausreichend - Erforderlichkeit eines über das Gutachten hinausgehenden Erläuterungsbedarfs
Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, § 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 397 ZPO, § 402 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO, § 411 Abs 4 ZPO, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9, § 2 VersMedV, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: SG Dresden Az: S 39 VE 25/12 Urteilvorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 9 VE 19/20 Urteil
Gründe
1I. In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die Herabbemessung des ihr zuvor zuerkannten Grads der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 auf 0 und die damit verbundene Einstellung einer Rente nach dem Anti-D-Hilfegesetz. Das den Herabbemessungs- und Aufhebungsbescheid teilweise aufgehoben und dahingehend geändert, dass der GdS ab dem noch 20 beträgt. Die auf vollständige Aufhebung dieses Bescheids gerichtete Berufung der Klägerin hat das zurückgewiesen.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit einem Verfahrensmangel begründet.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat den von ihr allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) wegen Verletzung ihres Rechts auf Befragung des Sachverständigen B nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.
4Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, das unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß §§ 116 Satz 2, 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, einem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet ( - juris RdNr 16; - juris RdNr 32). Ein Verstoß gegen das Fragerecht kann im Rahmen der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als Verletzung des nach Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör gerügt werden. Bei einem medizinischen Sachverständigen muss ein - wie die Klägerin - rechtskundig vertretener Beteiligter hierzu die in dem Verfahren auf Grundlage der aktenkundigen medizinischen Sachverständigengutachten und Berichte zu den beabsichtigten Fragen bereits getroffenen oder in Zusammenhang mit diesen Fragen stehenden medizinischen Feststellungen auf dem jeweiligen Fachgebiet näher benennen, sodann auf dieser Basis auf insoweit bestehende Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinweisen und hiervon ausgehend schließlich die konkret - aus seiner Sicht - noch erläuterungsbedürftigen Punkte formulieren. Erst auf Grundlage dieser Darlegungen kann beurteilt werden, ob und inwieweit die (angekündigten) Fragen - wie zwingend notwendig - auch objektiv sachdienlich sind ( - juris RdNr 18 mwN). Sachdienlich iS von § 116 Satz 2 SGG sind Fragen, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind ( - juris RdNr 7; - juris RdNr 6).
5Solche erläuterungsbedürftigen Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten in Bezug auf das vom Sachverständigen B erstattete Gutachten und daran anknüpfende sachdienliche Fragen hat die Klägerin mit der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. In ihrer Begründung führt sie aus, sie habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, "B zu der Bewertung des GdS von 30 v.H. und der von ihm zugrunde gelegten Gesundheitsstörungen der Klägerin ab 2012 anzuhören". Sodann stellt sie sehr ausführlich und detailliert den Verfahrensverlauf einschließlich ihres eigenen Vortrags dar. Insbesondere schildert sie ihre Kritik an dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten und den mündlichen Ausführungen des vom SG gehörten Sachverständigen F, dem das LSG hinsichtlich der GdS-Festlegung auf 20 vH zu Unrecht gefolgt sei. In Auseinandersetzung mit der Ablehnung ihres Antrags auf Anhörung des Sachverständigen B zitiert sie mehrere umfangreiche Passagen aus dessen gegenüber dem LSG erstatteten Gutachten vom . Dies umfasst ua Ausführungen zu den Diagnosen, zur aktuellen Anamnese, zur Bewertung der beschriebenen neuropsychiatrischen Beschwerden als anhaltende Folge der Interferon-Therapien und zur Bewertung des GdS seit Juni 2012 aufgrund einer chronischen Hepatitis C weiterhin mit 30 vH sowie die hierzu vom Sachverständigen in detaillierter Auseinandersetzung mit den vorhergehenden Gutachten abgegebene Begründung. Ausdrücklich weist sie darauf hin, dass das LSG in der Beweisanordnung vom unter Ziff 5 den Sachverständigen B danach gefragt habe, mit welchem GdS die Folgen der Schädigung seit Juni 2012 zu bewerten seien, und ihn aufgefordert habe, dies zu begründen. Dies sei auf den Seiten 9 bis 12 des Gutachtens ausführlich geschehen. Zudem habe der Sachverständige in seinem Gutachten nachvollziehbar, konsistent und plausibel darauf hingewiesen, dass fälschlicherweise in den Gutachten von R und F die extrahepatischen Manifestationen der chronischen Hepatitis C-Virusinfektion und die gesundheitlichen Auswirkungen der Interferon-Therapien überhaupt keine Beachtung gefunden hätten.
6Anders als im Rahmen der Beschwerdebegründung erforderlich, hat die Klägerin damit gerade keinen "sachdienlichen" Klärungsbedarf dargetan, der über die erläuternde Wiederholung des Gutachtens und der dort bereits enthaltenen Gründe hinausgeht (vgl zu dieser Voraussetzung - juris RdNr 9). Vielmehr legt sie nachdrücklich dar, dass B seine Bewertung ihrer Gesundheitsstörungen mit einem GdS von 30 bereits ausführlich und - aus ihrer Sicht überzeugend - begründet hat. Welcher hierüber hinausgehende Erläuterungsbedarf hinsichtlich der GdS-Bewertung des Sachverständigen und der von ihm zugrunde gelegten Gesundheitsstörungen noch bestehen könnte, bleibt in der Beschwerdebegründung offen. Allein die Behauptung, durch die Anhörung des Sachverständigen B "hätte unter Beachtung der VersMedV eine medizinisch präzisere Basis für die Bewertung des GdS für das Landessozialgericht erbracht, als die Übernahme der mündlichen Ausführungen des Herrn F im Rahmen seiner Anhörung in erster Instanz", genügt insoweit nicht. Vielmehr lässt dies darauf schließen, dass sich die Klägerin im Kern ihrer Begründung gegen die Beweiswürdigung des LSG wendet, dass in Bezug auf den GdS nicht der Einschätzung von B gefolgt ist, sondern zum selben Ergebnis gelangte, wie F. Jedoch kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG die Beschwerde nicht auf eine Verletzung der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gestützt werden.
7Dass die Klägerin die Entscheidung des LSG inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BH - juris RdNr 11; - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4).
8Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
9Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
10Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.Kaltenstein Othmer Ch. Mecke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:211222BB9V1222B0
Fundstelle(n):
JAAAJ-33210