BGH Beschluss v. - 1 StR 380/22

Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung: Bindungswirkung staatanwaltschaftlicher Zusagen

Gesetze: § 154 Abs 1 StPO, § 257c StPO, § 267 Abs 1 S 1 StPO, § 267 Abs 3 S 1 StPO

Instanzenzug: Az: 27 KLs 10/20

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts ist ergänzend auszuführen:
1. Die – zulässige – Verfahrensrüge, das Landgericht habe dadurch gegen seine Pflicht zur Wahrheitserforschung verstoßen, dass es den Zeugen Rechtsanwalt T.             in Anwesenheit der Staatsanwälte R.   und S.       als Sitzungsvertreter sowie anschließend diese zu demselben Beweisthema, der behaupteten staatsanwaltschaftlichen Zusage der Nichtwiederaufnahme des – mit Abschlussverfügung vor Anklageerhebung im ersten Rechtsgang nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten – Verfahrens bezüglich acht hier streitgegenständlicher bzw. der Nichtverfolgung zum Zeitpunkt der Gespräche (9. und ) bekannter weiterer ebenfalls hier geahndeter drei Steuerstraftaten, vernommen hat (§ 244 Abs. 2, § 58 Abs. 1 StPO; vgl. dazu Rn. 18-22), ist unter einem weiteren Gesichtspunkt unbegründet:
Einer solchen staatsanwaltschaftlichen Zusicherung kommt von vornherein nicht die Bindungswirkung einer gerichtlichen Verständigung (§ 257c StPO) zu (vgl. u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 79; vgl. auch BT-Drucks. 16/12310 S. 13). Durch das „Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren“ vom (BGBl. I S. 2353) ist das (BGHSt 37, 10, 13 f.), wonach die staatsanwaltschaftliche Zusage, das Verfahren bezüglich einer Straftat einzustellen bzw. diese nicht zu verfolgen, einen Vertrauenstatbestand als gewichtigen Strafmilderungsgrund (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) begründen könne, insoweit überholt (vgl. BVerfGE aaO). Bereits sein vormaliger Verteidiger, der mittlerweile verstorbene Rechtsanwalt   H.               , wies den Angeklagten in seiner E-Mail vom (Revisionsbegründung S. 47) auf diesen Gesichtspunkt mit den Worten hin: „Eine rechtliche Bindung ergibt sich hieraus für die Staatsanwaltschaft, hierüber haben wir eingehend gesprochen, allerdings nicht. Die Festschreibung dieser Äußerung ist aber gleichwohl sinnvoll, weil sich hieraus eine psychologische Bindung ergibt.“
Das Urteil des Senats vom – 1 StR 328/19 – im ersten Rechtsgang gab wegen der gewichtigen Teilaufhebung einen sachlichen Anlass (vgl. Rn. 50; , BGHSt 45, 1 Rn. 15), neben den rechtskräftig gewordenen neun Einzelstrafen die (gleichgelagerten) Ertragsteuerhinterziehungsfälle wiederaufzunehmen bzw. zu verfolgen.
Ohnehin hat das Landgericht eine etwaige – freilich mit der E-Mail vom nicht zu vereinbarende – vorübergehende „Erwartung“ des Angeklagten, wegen der verfahrensgegenständlichen elf Steuerstraftaten nicht verfolgt zu werden, strafmildernd berücksichtigt (UA S. 67); nach alledem ist der Gesichtspunkt eines Vertrauensschutzes jedenfalls nicht rechtsfehlerhaft zu Lasten des Angeklagten in der Strafzumessung gewürdigt worden.
2. Aus dem gleichen Grund dringt auch die an dasselbe Beweisthema anknüpfende Rüge, die Vernehmung des Rechtsanwalts T.           durch die beiden genannten Staatsanwälte sowie die anschließende Vernehmung des Staatsanwalts R.   durch den Staatsanwalt S.       verstießen gegen Art. 6 MRK, nicht durch.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:131222B1STR380.22.0

Fundstelle(n):
wistra 2023 S. 387 Nr. 9
wistra 2023 S. 388 Nr. 9
KAAAJ-32819