BSG Urteil v. - B 11 AL 32/21 R

Bemessung des Arbeitslosengeldes - Mindestbemessungsentgelt - Arbeitslosengeldvorbezug - Gleichwohlgewährung - rechtswidrig festgesetztes Bemessungsentgelt - Bestandsschutz

Gesetze: § 151 Abs 4 SGB 3, § 157 Abs 3 SGB 3

Instanzenzug: SG Detmold Az: S 4 AL 206/16 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 9 AL 139/19 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 4.3. bis zum unter Berücksichtigung des Bemessungsentgelts aus einem früher erworbenen Anspruch.

2Der damalige Arbeitgeber kündigte das Beschäftigungsverhältnis des Klägers fristlos zum . Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und meldete sich am arbeitslos. Die Beklagte bewilligte vorläufig Alg ab dem (Bescheid vom ). Am nahm der Arbeitgeber die fristlose Kündigung zurück, woraufhin der Kläger seine Arbeit wieder aufnahm. Die Beklagte hob die Bewilligung des Alg ab wieder auf (Bescheid vom ). Sodann bewilligte die Beklagte dem Kläger endgültig Alg für die Zeit vom 21.5. bis zum auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 143,70 Euro (Bescheid vom ).

3Der Kläger bezog vom - unterbrochen im Mai und Juni 2015 wegen Zahlung von Übergangsgeld - bis zur Anspruchserschöpfung am Krankengeld. Zum meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg, das die Beklagte vom bis zum auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts von 116,82 Euro bewilligte (Bescheid vom ).

4Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch machte der Kläger geltend, dem Anspruch auf Alg ab sei das Bemessungsentgelt aus dem Bescheid vom zugrunde zu legen.

5Am nahm der Kläger wieder eine Beschäftigung auf. Die Beklagte bewilligte ihm Alg aufgrund eines täglichen Bemessungsentgelts iHv 128,36 Euro für die Zeit vom 4.3. bis (Änderungsbescheid vom , Aufhebungsbescheid vom und Änderungsbescheid vom ).

6Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte als im Übrigen unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom ). Das Bemessungsentgelt iHv 128,36 Euro sei als Grundlage für die Höhe des Alg zutreffend ermittelt worden. Zwar habe der Kläger innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Leistungsanspruchs Alg nach einem Bemessungsentgelt iHv 143,70 Euro erhalten. Grundsätzlich sei dieses Entgelt nach Maßgabe des § 151 Abs 4 SGB III zugrunde zu legen. Allerdings sei dieses Bemessungsentgelt nicht richtig berechnet worden. Das richtige Bemessungsentgelt hätte 128,36 Euro täglich betragen müssen. Demzufolge sei der Bescheid vom materiell rechtswidrig gewesen. Die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs 4 SGB III binde nicht an eine rechtswidrige Bemessung des Vorbezugs.

7Das SG hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten geändert und diese verurteilt, dem Kläger höheres Alg nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften ab nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 143,70 Euro zu gewähren (Gerichtsbescheid vom ).

8Gegen den ihr am zugestellten Gerichtsbescheid des SG, in dem dieses über das Rechtsmittel der Berufung belehrt hat, hat die Beklagte am Berufung eingelegt, die sie nach einem Hinweis des LSG auf die Zulassungsbedürftigkeit der Berufung zurückgenommen hat. Auf die am eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das LSG die Berufung zugelassen (Beschluss vom ). Im sich anschließenden Berufungsverfahren hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide geändert und Alg auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts iHv 129,43 Euro bewilligt (Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom ).

9Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Auch ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes Bemessungsentgelt entfalte im Rahmen des § 151 Abs 4 SGB III Bindungswirkung, solange und soweit der frühere Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Höhe des Alg nicht mit Wirkung für die Vergangenheit oder die Zukunft aufgehoben worden sei.

10Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 151 Abs 4 SGB III. Diese Regelung stelle nicht auf ein rechtswidrig zu hoch festgesetztes, sondern auf das tatsächlich zutreffende Arbeitsentgelt ab.

11Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Detmold vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

13Der Kläger verteidigt die Berufungsentscheidung.

Gründe

14Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen, nachdem das SG die Beklagte zur Gewährung von Alg für die Zeit vom 4.3. bis unter Berücksichtigung des Bemessungsentgelts, das dem Bewilligungsbescheid vom zugrunde gelegt worden war, verurteilt hatte.

151. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom in der Fassung der Änderungs- bzw Aufhebungsbescheide vom , und (§ 86 Halbsatz 1 SGG) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) und in der Fassung des mündlichen Verwaltungsakts vom 153 Abs 1 iVm § 96 Abs 1 SGG). Die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG, dass sie im Wege des Teilanerkenntnisses die angefochtenen Bescheide dahingehend abändere, dass als Bemessungsentgelt ein Betrag von 129,43 Euro zugrunde gelegt werde, stellt einen solchen mündlichen Verwaltungsakt dar (zu einer anderen Konstellation vgl - SozR 4-4200 § 22 Nr 118 RdNr 12).

162. Der Sachentscheidung des LSG stand nicht entgegen, dass die Beklagte ihre zunächst eingelegte Berufung zurückgenommen hatte. Zwar bewirkt die Zurücknahme der Berufung den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs 3 Satz 1 SGG). Ein Beteiligter, der eine Berufung zurücknimmt, kann diese dann nicht erneut einlegen, auch wenn die Berufungsfrist noch nicht verstrichen ist ( - BSGE 19, 120 [120 ff] = SozR Nr 4 zu § 156 SGG = juris RdNr 13 ff; - juris RdNr 26). Nimmt - wie hier die Beklagte - ein Beteiligter allerdings eine zulassungsbedürftige, aber (noch) nicht zugelassene Berufung zurück und erreicht anschließend im Wege der - aufgrund der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung des SG noch fristgerechten - Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich die Zulassung der Berufung, verdrängt diese Berufungszulassung durch das LSG die Wirkung des Rechtsmittelverlusts der (ersten) Berufungsrücknahme. Die Regelung des § 145 Abs 5 SGG, nach der das Beschwerdeverfahren nach der Berufungszulassung durch das LSG als Berufungsverfahren fortgesetzt wird, geht § 156 Abs 3 Satz 1 SGG vor ( - juris RdNr 15; - juris RdNr 11; jeweils zum identischen § 156 Abs 2 Satz 1 SGG aF).

173. a) Zu Recht sind die Beklagte und die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Alg für die Zeit vom 4.3. bis hat. Die - auch in einem Höhenstreit stets zu prüfenden (stRspr; vgl nur - SozR 4-4300 § 151 Nr 2 RdNr 10 mwN; zuletzt etwa - RdNr 12 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - Anspruchsvoraussetzungen für Alg liegen dem Grunde nach vor. Der Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit setzt gemäß § 137 SGB III (anwendbar ist hier das SGB III in der seit dem geltenden Fassung des Gesetzes vom , BGBl I 2854) voraus, dass der Arbeitnehmer (1.) arbeitslos ist, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt hat. Der Kläger hat sich zum persönlich arbeitslos gemeldet (§ 141 SGB III). Er war auch beschäftigungslos (§ 138 Abs 1 Nr 1 SGB III). Dass der Kläger nach den Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum arbeitsunfähig war und daher möglicherweise der Arbeitsvermittlung objektiv nicht zur Verfügung stand, sodass er allein deswegen nicht arbeitslos war (§ 138 Abs 1 Nr 3 SGB III), ist unschädlich, weil nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG die Voraussetzungen des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III für eine Nahtlosgewährung vorlagen. Soweit die Voraussetzungen des § 145 Abs 1 Satz 1 SGB III erfüllt sind, wird hierdurch auch bewirkt, dass die Voraussetzung des § 138 Abs 1 Nr 2 SGB III (Eigenbemühungen) ebenfalls nicht erfüllt sein muss (vgl Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 145 RdNr 36; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 145 RdNr 35, Stand Juli 2013; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 145 RdNr 39, Stand September 2019).

18Der Kläger erfüllt auch die Anwartschaftszeit. Diese hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt im Grundsatz zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 143 Abs 1 SGB III in der vom bis geltenden Fassung des Gesetzes vom , BGBl I 2854). Danach verläuft die Rahmenfrist hier vom bis . Der Kläger stand in dieser Zeit schon aufgrund des sich unmittelbar an seine versicherungspflichtige Beschäftigung anschließenden Bezugs von Krankengeld (vom - unterbrochen im Mai und Juni 2015 - bis ) mehr als zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis (§ 26 Abs 2 Nr 1 SGB III).

19b) Zu Unrecht hat die Beklagte das Alg nur auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts iHv 129,43 Euro gewährt. Vielmehr war nach § 151 Abs 4 SGB III ein Bemessungsentgelt iHv 143,70 Euro täglich zu berücksichtigen.

20Die Höhe des Alg bestimmt sich nach § 149 SGB III, wonach das Alg für Arbeitslose, abhängig davon, ob sie ein Kind iS des § 32 Abs 1, 3 bis 5 EStG haben, 60 % (allgemeiner Leistungssatz) oder 67 % (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) beträgt, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltzeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 150 Abs 1 SGB III). Das Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs 1 Satz 1 SGB III). Haben Arbeitslose aber innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Alg bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist (§ 151 Abs 4 SGB III).

21Im vorliegenden Fall ist das Bemessungsentgelt nach § 151 Abs 4 SGB III zu bestimmen, da dessen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind (dazu (1)). Zu Recht ist das LSG von der Rechtsfolge ausgegangen, dass das Bemessungsentgelt zu berücksichtigen ist, welches bei der Bewilligung des Alg für die Zeit ab dem zugrunde gelegt worden ist, unabhängig davon, ob diese Bewilligung der Höhe und dem Grunde nach rechtmäßig war (dazu (2)).

22(1) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 151 Abs 4 SGB III sind jedenfalls dann erfüllt, wenn innerhalb des Zweijahreszeitraums vor der Entstehung des Alg-Anspruchs Alg aufgrund entsprechender Bewilligung tatsächlich an den Betroffenen ausgezahlt worden ist (vgl zum Begriff "beziehen" in § 26 Abs 2 SGB III Schneil in BeckOGK Sozialrecht, § 26 SGB III RdNr 24, Stand Dezember 2021; Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 26 RdNr 100, Stand März 2019; Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 26 RdNr 28; vgl zum Anwendungsbereich im Übrigen - SozR 4-4300 § 151 Nr 2 RdNr 17 ff; - RdNr 16 ff - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

23Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat im maßgeblichen Zweijahreszeitraum ( bis ) Alg bezogen, denn ihm wurde aufgrund des Bescheids vom für die Zeit vom 21.5. bis Alg ausgezahlt. Unschädlich ist, dass es sich im vorliegenden Fall um einen Fall der Gleichwohlgewährung nach § 157 Abs 3 SGB III gehandelt hat (vgl Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 151 RdNr 110, Stand März 2019; Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 47), dass also der Alg-Anspruch wegen eines Arbeitsentgeltanspruchs gegen den Arbeitgeber ruhte, aber dennoch zur Auszahlung gelangte; auch in einer solchen Konstellation wird Alg "bezogen". Bei der Gleichwohlgewährung handelt es sich nicht um eine "besondere Art" von Alg, sondern lediglich um eine Ausnahme von dem Ruhenstatbestand des § 157 Abs 1 SGB III (B. Schmidt, NZA 2002, 1380 [1382]). Seine Bewilligung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats endgültig und bleibt selbst dann rechtmäßig, wenn der Arbeitgeber der BA die geleisteten Zahlungen später vollständig erstattet (vgl nur - SozR 4-4300 § 124 Nr 6 RdNr 30 ff mwN). Wie der Gesetzgeber inzwischen klargestellt hat, entfällt in einem solchen Fall lediglich die Minderung der Anspruchsdauer (§ 148 Abs 3 SGB III idF des AWStG vom , BGBl I 1710; dazu BT-Drucks 18/8042 S 28).

24(2) Als Rechtsfolge des § 151 Abs 4 SGB III ist mindestens auf das Entgelt abzustellen, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Bewilligung dem Grunde oder der Höhe nach rechtmäßig war (ebenso - juris RdNr 30; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 151 RdNr 112, Stand März 2019; Brackelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Aufl 2019, § 151 RdNr 32; Brand in ders, SGB III, 9. Aufl 2021, § 151 RdNr 22; Lüdtke/Steinecke in Böttiger/Körtek/Schaumberg, SGB III, 3. Aufl 2019, § 151 RdNr 10; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 84, Stand Juni 2021; aA - juris RdNr 41; Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 45; Rolfs in BeckOGK Sozialrecht, § 151 SGB III RdNr 43, Stand März 2022; ambivalent Kallert in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 22).

25Nach Auffassung des Senats ist bereits der Wortlaut des § 151 Abs 4 SGB III eindeutig. Er stellt nicht auf das Entgelt ab, nach dem das Alg zuletzt zu bemessen "war", sondern auf das Entgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden "ist" (vgl 9b RAr 18/90 - SozR 3-4100 § 44 Nr 7 S 23 f = juris RdNr 13 zu § 44 Abs 3 Nr 1 AFG in der vom bis geltenden Fassung [Bemessung des Unterhaltsgelds nach Bezug von Alg oder Arbeitslosenhilfe]; - SozR 3-4100 § 112 Nr 29 S 135 ff = juris RdNr 18 ff zu § 112 Abs 5 Nr 8 AFG in der vom bis geltenden Fassung [Bemessung des Alg nach Bezug von Unterhaltsgeld]; anders aufgrund bereichsspezifischer entstehungsgeschichtlicher und systematischer Erwägungen - SozR 3-4100 § 136 Nr 12 S 65 ff = juris RdNr 16 ff und - SozR 4-4300 § 200 Nr 1 RdNr 15 = juris RdNr 25 zu § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG in der vom bis geltenden Fassung bzw § 200 Abs 1 Satz 1 SGB III in der vom bis geltenden Fassung [Bemessung der Arbeitslosenhilfe nach vorherigem Bezug von Alg]). Es wäre dem Gesetzgeber ohne Weiteres möglich, durch eine andere Formulierung des Normtexts den Bestandsschutz auf die Höhe des rechtmäßigen Bemessungsentgelts zu begrenzen.

26Diese Auslegung wird nach Auffassung des Senats auch durch den in den entstehungsgeschichtlichen Materialien verlautbarten Sinn und Zweck des § 151 Abs 4 SGB III gestützt. § 151 Abs 4 SGB III entspricht dem bis zum geltenden § 131 Abs 4 SGB III. Jene Vorschrift ist zum durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2848) eingefügt worden und geht auf § 133 Abs 1 SGB III idF des AFRG vom (BGBl I 594) zurück. Die damals vorgenommene Ergänzung der Bemessungsvorschriften um eine Bestandsschutzregelung ist damit begründet worden, dass Arbeitslose, die ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäftigung beenden, in der sie ein geringeres Entgelt erzielen, als es der Bemessung des Alg zugrunde lag, vor Nachteilen bei erneutem Beschäftigungsverlust geschützt werden sollten; zudem sollten Hemmnisse, die einer Rückkehr in das Erwerbsleben entgegenstehen könnten, beseitigt werden (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom , BT-Drucks 13/4941 S 178). Die Regelung will Arbeitslose also motivieren, auch geringer entlohnte Beschäftigungen aufzunehmen ( - SozR 4-4300 § 151 Nr 2 RdNr 21; - RdNr 20 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Dieser Zweck wird gerade dann erreicht, wenn die Bezieher von Alg sich ohne Einschränkungen bei ihrer Lebensplanung darauf einstellen und davon ausgehen können, dass sich das ihnen bei erneuter Arbeitslosigkeit als Entgeltersatzleistung zustehende Alg weiterhin nach dem Arbeitsentgelt richtet, das der bisherigen Leistung zugrunde gelegen hat. Die hier gefundene Auslegung führt schließlich auch zur Verwaltungsvereinfachung, die das generelle Ziel der Neuregelung der Bemessungsvorschriften ab dem war (vgl Begründung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BT-Drucks 15/1515 S 1 f, 71 ff). Denn es bedarf danach im Rahmen des § 151 Abs 4 SGB III keiner Überprüfung, ob eine bindende Leistungsbewilligung dem Grunde und der Höhe nach zutreffend gewesen ist.

27Ob diese Zwecke in jedem Einzelfall erreicht werden, ist für die notwendigerweise abstrakte Auslegung der Norm ohne Bedeutung. Dass der Zweck des § 151 Abs 4 SGG, Arbeitslose zu motivieren, auch geringer entlohnte Beschäftigungen aufzunehmen ( - SozR 4-4300 § 151 Nr 2 RdNr 21; - RdNr 20 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), im vorliegenden Fall möglicherweise nicht erreicht werden konnte, falls der Kläger noch gar nicht vor der Entscheidung stand, ob er eine andere, ggf geringer entlohnte Beschäftigung aufnehmen soll (vgl zu den Obliegenheiten während eines Kündigungsschutzprozesses aber Meßling in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl 2021, 3. Teil A, Vorbemerkung, RdNr 27), ist daher unbeachtlich.

28(3) Da der Bewilligungsbescheid vom nicht aufgehoben oder abgeändert worden ist, haben SG und LSG zu Recht auf das Bemessungsentgelt abgestellt, das der Alg-Bewilligung im Bescheid vom zugrunde lag, also ein Bemessungsentgelt iHv 143,70 Euro. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG liegt dieser Betrag über dem Bemessungsentgelt, das ohne Anwendung des § 151 Abs 4 SGG zugrunde zu legen wäre, und ist daher maßgeblich.

294. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.Söhngen                Schmidt                Burkiczak

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:220922UB11AL3221R0

Fundstelle(n):
JAAAJ-32465