Patentnichtigkeitsklage: Maßgeblicher Zeitpunkt für das Klagehindernis der Anhängigkeit eines Einspruchsverfahrens; Wegfall des Klagehindernisses bei bindender Entscheidung des Europäischen Patentamts über die Aufrechterhaltung des Patents; eingeschränkte Zulässigkeit der Klage - Aminopyridin
Leitsatz
Aminopyridin
1. Für die Beurteilung, ob das Klagehindernis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage. Hierbei sind auch Änderungen zu berücksichtigen, die erst im Laufe des Berufungsverfahrens eingetreten sind (Bestätigung von , GRUR 2011, 848 Rn. 17 - Mautberechnung).
2. Das Klagehindernis fällt weg, wenn das Europäische Patentamt entschieden hat, dass das Patent mit einer geänderten Fassung seiner Ansprüche aufrechterhalten wird, und diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann.
3. In dieser Konstellation ist eine Nichtigkeitsklage nur noch insoweit zulässig, als sie darauf gerichtet ist, den Rechtsbestand des Patents in weitergehendem Umfang zu beseitigen, als dies nach der bindenden Entscheidung des Europäischen Patentamts zu erwarten ist.
Gesetze: § 81 Abs 2 S 1 PatG, Art 101 EuPatÜbk
Instanzenzug: Az: 3 Ni 23/20 (EP) Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 377 536 (Streitpatents), das aus einer Stammanmeldung vom hervorgegangen ist, zwei US-amerikanische Prioritäten vom und in Anspruch nimmt und die Verwendung von Aminopyridin-Zusammensetzungen betrifft.
2Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat das Patent mit Beschluss vom widerrufen. Die Beschwerdekammer hat diese Entscheidung mit Beschluss vom (T 0799/16 - , NiB1) aufgehoben und die Sache an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, mit der Maßgabe, das Streitpatent mit den geänderten Patentansprüchen gemäß dem in der Beschwerdeinstanz gestellten Hauptantrag aufrechtzuerhalten und die Beschreibung anzupassen.
3Patentanspruch 1, auf den drei Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der geänderten Fassung [Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind hervorgehoben]:
A sustained release 4-aminopyridine composition for use in a method of treating increasing walking speed in a patient with multiple sclerosis, wherein said composition is administered twice daily in a dose of 10 milligrams or less of 4-aminopyridine.
4Der in gleicher Weise geänderte Patentanspruch 5 betrifft die Verwendung von 4-Aminopyridin zur Herstellung einer Zusammensetzung mit entsprechenden Merkmalen.
5Mit ihrer am eingereichten Klage hat die Klägerin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents beantragt und geltend gemacht, der angegriffene Gegenstand sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht in der erteilten und hilfsweise in zwei geänderten Fassungen verteidigt.
6Am hat die Beklagte bei der Einspruchsabteilung eine geänderte Fassung der Beschreibung eingereicht. Am hat die Einspruchsabteilung die Beteiligten zur Stellungnahme hierzu aufgefordert. Mit Beschluss vom (NK11) hat sie entschieden, dass unter Berücksichtigung der vorgenommenen Änderungen das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genügen.
7Mit Urteil vom hat das Patentgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt und vorrangig eine Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht beantragt. Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel entgegen.
8Am hat die Einspruchsabteilung förmlich festgestellt, dass die Zwischenentscheidung vom rechtskräftig geworden ist. Am hat die Beklagte Übersetzungen der neuen Anspruchsfassung eingereicht und die vorgesehene Gebühr in Höhe von 80 Euro bezahlt. Mit Beschluss vom hat die Einspruchsabteilung entschieden, dass das Patent in der geänderten Fassung aufrechterhalten wird. Am ist der Hinweis auf diese Entscheidung veröffentlicht worden. Die neue Fassung der Patentschrift (NiB28) ist mittlerweile ebenfalls veröffentlicht.
Gründe
9Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
10I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.
11Die Klage sei gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG unzulässig, weil das Einspruchsverfahren noch anhängig sei.
12Der Ablauf des Einspruchsverfahrens werde nicht nur in Art. 99 bis 101 EPÜ geregelt, sondern auch durch die Regeln 75 ff. der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (AOEPÜ) ausgestaltet. Für den Fall der Aufrechterhaltung eines Patents in beschränkter Form schreibe Regel 82 AOEPÜ ein formalisiertes Verfahren vor. Die endgültige Entscheidung über die Aufrechterhaltung nach Regel 82 Abs. 4 AOEPÜ dürfe erst ergehen, wenn die gemäß Regel 82 Abs. 1 AOEPÜ ergangene Zwischenentscheidung rechtskräftig geworden sei und der Patentinhaber fristgerecht die Gebühr für die Veröffentlichung der geänderten Patentschrift gezahlt sowie eine Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen eingereicht habe. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt würden, werde das Patent gemäß Regel 82 Abs. 3 Satz 2 AOEPÜ widerrufen.
13Dieses Verfahren sei auch dann einzuhalten, wenn die Beschwerdekammer das Verfahren zur weiteren Entscheidung über den Einspruch an die Einspruchsabteilung zurückverweise. Die Einspruchsabteilung sei in dieser Konstellation lediglich an die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer gebunden (Art. 111 Abs. 3 EPÜ). Die darauffolgende Zwischenentscheidung stelle fest, dass die vorliegenden Unterlagen den gesetzlichen Anforderungen genügten. Zur materiell-rechtlichen Änderung des Streitpatents bedürfe es auch bei diesem Verfahrensverlauf einer abschließenden Entscheidung nach Regel 82 Abs. 4 AOEPÜ.
14Dabei handele es sich nicht um eine bloße Formalie. Wegen der Möglichkeit des Widerrufs mangels Zahlung der Veröffentlichungsgebühr oder Vorlage von Übersetzungen bestehe die Gefahr widerstreitender Entscheidungen, solange das Einspruchsverfahren nicht endgültig abgeschlossen sei.
15II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung in der Berufungsinstanz schon deshalb nicht stand, weil das Einspruchsverfahren mittlerweile abgeschlossen ist.
161. Wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, ist das Einspruchsverfahren im Streitfall durch die im Laufe des Berufungsverfahrens ergangene Entscheidung vom über die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung nach Art. 101 Abs. 3 Buchst. a EPÜ und Regel 82 Abs. 4 EPÜAO vom abgeschlossen.
17Mit dieser Entscheidung hat das Streitpatent seine Wirkung verloren, soweit sein Gegenstand über die geänderte Fassung hinausgeht (, GRUR 2012, 753 Rn. 19 - Tintenpatrone III). Jedenfalls damit ist das in § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG normierte Klagehindernis entfallen.
182. Diese Änderung ist bei der Entscheidung über die Berufung zu berücksichtigen.
19a) Die Präklusionsvorschriften in § 117 PatG stehen der Berücksichtigung nicht entgegen.
20Die Klägerin war schon deshalb nicht in der Lage, sich in erster Instanz auf die in Rede stehenden Ereignisse zu berufen, weil diese erst während des Berufungsverfahrens eingetreten sind. Angesichts dessen kann offenbleiben, ob Vortrag zu dem in § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG normierten Klagehindernis überhaupt der Präklusion nach § 117 PatG unterliegt.
21b) Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG sind nachträglich eingetretene Änderungen auch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen.
22Für die Beurteilung, ob das Klagehindernis nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG vorliegt, ist nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Klage (, GRUR 2011, 848 Rn. 17 - Mautberechnung).
23aa) Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach Prozessvoraussetzungen grundsätzlich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen und hierbei auch Änderungen zu berücksichtigen sind, die erst in der Berufungsinstanz eingetreten sind (vgl. nur , GRUR 2005, 502, 503 - Götterdämmerung; Urteil vom - VI ZR 94/95, NJW 1996, 1059, 1060; Urteil vom - VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196, 201).
24bb) Aus dem Sinn und Zweck von § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG ergeben sich keine weitergehenden Beschränkungen.
25Die Vorschrift verfolgt das Ziel, das Patentgericht von dem aufwendigen Nichtigkeitsverfahren zu entlasten, solange ein Einspruchsverfahren anhängig ist (BT-Dr. 8/2087 S. 37 zu § 37 PatG aF). Sie hat ferner den Zweck, einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents zu vermeiden (, GRUR 2011, 848 Rn. 9 - Mautberechnung; Urteil vom - X ZR 29/05, BGHZ 163, 369, 371 = GRUR 2005, 967 - Strahlungssteuerung).
26Diese Zwecke erfordern es nicht, eine Nichtigkeitsklage schon dann abzuweisen, wenn bei deren Einreichung ein Einspruch statthaft oder anhängig war. Das Patentgericht ist auch nicht gehalten, eine bei Einreichung unzulässige Klage so schnell wie möglich abzuweisen. Es ist vielmehr befugt, zumindest so lange abzuwarten, bis das Verfahren ohnehin zur Entscheidung ansteht, und gegebenenfalls in der Sache zu entscheiden, wenn das Klagehindernis bis dahin entfallen ist.
27III. Unabhängig davon hätte das Patentgericht die Klage schon im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht als unzulässig abweisen dürfen.
281. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG kann eine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch eingelegt werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Die Vorschrift gilt grundsätzlich auch für Einspruchsverfahren beim Europäischen Patentamt (, GRUR 2011, 848 Rn. 10 - Mautberechnung; Urteil vom - X ZR 29/05, BGHZ 163, 369, 370 = GRUR 2005, 967 - Strahlungssteuerung).
292. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ist für den Wegfall des durch ein Einspruchsverfahren beim Europäischen Patentamt begründeten Klagehindernisses nicht allein ausschlaggebend, ob das Verfahren formell beendet und das Patent in seinem Rechtsbestand formell eingeschränkt worden ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Einspruchsverfahren einen Stand erreicht hat, in dem die Gefahr widersprechender Entscheidungen oder einer unnötigen Doppelbefassung nicht mehr besteht.
30a) Wie bereits oben dargelegt wurde, dient § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG dem Zweck, das Patentgericht zu entlasten und einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand des Patents zu vermeiden.
31Letzteres beruht auf der Überlegung, dass ein Patent im Einspruchsverfahren einen Inhalt erhalten kann, dem der in einem parallelen Nichtigkeitsverfahren geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegensteht, obwohl dieser zur Nichtigerklärung des Patents in seiner ursprünglich erteilten Fassung führen könnte. Die Durchführung eines Nichtigkeitsverfahrens auf derart unsicherer Grundlage kann zu einem ungerechtfertigten Verlust des Patents in seinem zu Recht erteilten Umfang führen (BGHZ 163, 369, 371 = GRUR 2005, 967 - Strahlungssteuerung).
32b) Diese Zwecksetzung ist auch bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen, zu welchem Zeitpunkt das durch ein Einspruchsverfahren begründete Klagehindernis entfällt. Eine Nichtigkeitsklage darf deshalb nur als unzulässig angesehen werden, solange noch eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich die Gefahren, deren Vermeidung § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG dient, im konkreten Fall verwirklichen können.
33c) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Verwirklichung dieser Gefahren mehr, wenn das Europäische Patentamt entschieden hat, dass das Patent mit einer geänderten Fassung seiner Ansprüche aufrechterhalten wird, und diese Entscheidung nicht mehr angefochten werden kann (ähnlich bereits (EP), juris Rn. 93 ff.; aA Keukenschrijver in Busse, PatG, 9. Aufl. 2020, § 81 Rn. 20).
34aa) In einer solchen Verfahrenslage steht fest, dass das Patent in der erteilten Fassung keinen Bestand haben wird und dass weitergehende Angriffe der Einsprechenden gegen die vom Europäischen Patentamt als rechtsbeständig angesehene Fassung keinen Erfolg haben. Damit ist eine ausreichende Grundlage für die nachfolgende Beurteilung des Patents auf der Grundlage der geänderten Fassung der Patentansprüche in einem Nichtigkeitsverfahren geschaffen.
35(1) Dass es im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens zu Änderungen der Beschreibung kommen kann, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
36Änderungen der Beschreibung können zwar im Einzelfall dazu führen, dass die Patentansprüche anders auszulegen sind als auf der Grundlage der bisherigen Beschreibung. Die Gefahr, dass es zu solchen Änderungen kommt, ist in der hier in Rede stehenden Konstellation jedoch vernachlässigbar.
37Wenn das Europäische Patentamt bindend entschieden hat, dass das Patent in einer bestimmten, geänderten Fassung aufrechtzuerhalten ist, sind die dafür maßgeblichen Feststellungen auch für nachfolgende Entscheidungen über eine Anpassung der Beschreibung bindend (EPA, Beschluss vom - T 843/91, ABl. EPA 1994, 832 unter 3.4.2).
38Dem Patentinhaber ist es mithin verwehrt, die Beschreibung in einer Weise zu ändern, die zu Abweichungen gegenüber dem bereits bindend als rechtsbeständig angesehenen Gegenstand führt. Vorgenommene und vom Europäischen Patentamt gebilligte Änderungen sind im Lichte dieser Bindungswirkung auszulegen und können schon deshalb in aller Regel nicht zu einer geänderten Auslegung der Patentansprüche führen.
39(2) Die Möglichkeit, dass das Patentgericht das angegriffene Patent auch in der vom Europäischen Patentamt aufrechterhaltenen Fassung als nicht rechtsbeständig ansieht, steht einer Nichtigkeitsklage nicht entgegen.
40Diese Gefahr besteht auch dann, wenn das Einspruchsverfahren nach beschränkter Aufrechterhaltung des Patents formell abgeschlossen ist. Sie ist dem Nichtigkeitsverfahren immanent und gehört nicht zu den Gefahren, denen § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG entgegenwirken soll.
41(3) Dass eine Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen des Europäischen Patentamts aussteht, ist bereits mit Blick auf deren informatorischen Charakter (Art. 70 Abs. 1 EPÜ) unerheblich.
42bb) Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bestünde in der in Rede stehenden Verfahrenslage allerdings weiterhin, wenn das Patentgericht gehalten wäre, den Rechtsbestand der - formell noch in Kraft stehenden - erteilten Fassung des Streitpatents zu beurteilen, den das Europäische Patentamt bereits bindend verneint hat.
43Für eine auf dieses Ziel gerichtete Nichtigkeitsklage fehlt es in der genannten Verfahrenslage aber an einem Rechtsschutzbedürfnis. Auch wenn das angegriffene Patent formell noch in vollem Umfang in Kraft steht (dazu , GRUR 2012, 753 Rn. 18 f. - Tintenpatrone III), ist eine Nichtigkeitsklage nur noch insoweit zulässig, als sie darauf gerichtet ist, den Rechtsbestand des Patents in weitergehendem Umfang zu beseitigen, als dies nach der bindenden Entscheidung im Einspruchsverfahren zu erwarten ist.
44Solange das angegriffene Patent formell in Kraft steht, hängt die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage zwar grundsätzlich nicht von einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ab. Vielmehr genügt das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten, nicht schutzfähigen Patents (vgl. zuletzt , GRUR 2022, 1628 Rn. 12 ff. - Stammzellengewinnung). Hieraus ergibt sich aber nicht, dass eine Nichtigkeitsklage auch ohne jegliches Rechtsschutzbedürfnis zulässig ist.
45Das prozessuale Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Rechtsstreitigkeiten in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, für die eine solche Prüfung nicht erforderlich ist ( Rn. 10). Danach besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse daran, die erteilte Fassung eines Patents erneut zur inhaltlichen Überprüfung zu stellen, wenn aufgrund einer bindenden Entscheidung im Einspruchsverfahren feststeht, dass das Patent nur in einer bestimmten, geänderten Fassung aufrechterhalten wird.
46Es ist zwar nicht auszuschließen, dass ein Nichtigkeitsverfahren früher zu einer formellen Einschränkung des Rechtsbestands führt als das formell noch anhängige Einspruchsverfahren. Schon vor dem Eintritt dieser formellen Rechtswirkung stehen einem Verletzungsbeklagten in der in Rede stehenden Konstellation aber ausreichende Mittel zur Verfügung, um sich gegen die weitere Geltendmachung von Rechten aus der erteilten Fassung des Patents zur Wehr zu setzen. Eine Verurteilung wegen Verletzung des Patents in der erteilten Fassung ist in aller Regel ausgeschlossen, wenn feststeht, dass diese Fassung keinen Bestand haben wird. Liegt bereits ein vollstreckbarer Titel vor, ist die Vollstreckung daraus in der Regel jedenfalls dann einzustellen, wenn feststeht oder zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die vom Titel betroffene Ausführungsform die zusätzlichen Merkmale der geänderten Fassung nicht aufweist.
47cc) Vor diesem Hintergrund ist in der in Rede stehenden Verfahrenssituation auch die Gefahr einer unnötigen Befassung des Patentgerichts hinreichend sicher ausgeschlossen.
48(1) Die Gefahr, dass das Patentgericht das angegriffene Patent in einer Fassung beurteilen muss, die der Überprüfung im Einspruchsverfahren nicht standhält, besteht in der in Rede stehenden Konstellation aus den bereits oben aufgezeigten Gründen nicht mehr.
49(2) Dass der weitere Verlauf des Einspruchsverfahrens zum vollständigen Wegfall des Patents führen kann, etwa weil der Patentinhaber eine vom Europäischen Patentamt als erforderlich angesehene Änderung der Beschreibung nicht vornimmt, die Übersetzung der geänderten Patentansprüche in die Amtssprachen des Europäischen Patentamts versäumt oder die vorgesehenen Gebühren nicht zahlt, steht einer Nichtigkeitsklage in dieser Konstellation nicht entgegen.
50Ein solcher Verlauf gehört nicht zu den spezifischen Gefahren, vor denen § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG schützen soll. Er beruht nicht auf einer inhaltlichen Beurteilung des Rechtsbestandes durch das Europäische Patentamt, die die Gefahr abweichender Entscheidungen begründen könnte, sondern im Kern auf der Entscheidung des Patentinhabers.
51Zu vergleichbaren Entwicklungen kann es auch außerhalb der in § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG geregelten Konstellationen kommen, etwa dadurch, dass das Streitpatent durch Nichtzahlung der Jahresgebühr seine Wirksamkeit verliert und die Nichtigkeitsklage mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers unzulässig wird.
52d) Im Streitfall steht aufgrund der im Einspruchsverfahren getroffenen Entscheidungen fest, dass das Streitpatent nur in beschränkter Fassung aufrechterhalten wird.
53aa) Die Entscheidung der Beschwerdekammer, das Streitpatent in der Fassung des Hauptantrags aus dem Beschwerdeverfahren aufrecht zu erhalten, ist für die Einspruchsabteilung nach der Zurückverweisung gemäß Art. 111 Abs. 2 EPÜ bindend (dazu EPA, Beschluss vom - T 843/91, ABl. EPA 1994, 832 unter 3.4; Beschluss vom - T 2558/18, GRUR-RS 2021, 35499 Rn. 86 ff.).
54Der Senat hat dies bereits früher dahin zusammengefasst, dass es sich um eine echte Sachentscheidung handelt, die materiell und formell rechtskräftig ist (, GRUR 2012, 753 Rn. 15 - Tintenpatrone III).
55Die Bindungswirkung besteht nach Art. 111 Abs. 2 Satz 1 EPÜ zwar nur, soweit der Tatbestand derselbe ist. Hieraus ergibt sich jedoch keine Befugnis des Patentinhabers, das Patent nach Zurückverweisung in einer Fassung zu verteidigen, die von derjenigen Fassung abweicht, die die Beschwerdekammer als rechtsbeständig angesehen hat (EPA, Beschluss vom - T 2558/18, GRUR-RS 2021, 35499 Rn. 132 ff.).
56Die Bindungswirkung besteht darüber hinaus auch in einem nachfolgenden Beschwerdeverfahren gegen eine nach Zurückverweisung ergangene Entscheidung der Einspruchsabteilung. Hat die Beschwerdekammer entschieden, dass das Patent in einer bestimmten Fassung aufrecht zu erhalten ist, und die Sache lediglich zur Anpassung der Beschreibung und weiteren Folgeentscheidungen an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, kann weder der Wortlaut der Ansprüche noch die Patentierbarkeit ihres Gegenstands in einem späteren, die zurückverwiesenen Punkte betreffenden Beschwerdeverfahren nochmals angefochten werden (EPA, Beschluss vom - T 843/91, ABl. EPA 1994, 832 unter 3.4.2).
57bb) Dass die Beschwerdekammer im Streitfall nur über die Patentansprüche entschieden hat, nicht aber über Anpassungen der Beschreibung, führt aus den bereits oben dargelegten Gründen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
58IV. Da das Patentgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die Begründetheit der Klage nicht geprüft hat, ist die Sache gemäß § 119 Abs. 3 Satz 1 ZPO zur tatrichterlichen Beurteilung zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
59Eine Zurückverweisung kann zwar gemäß § 119 Abs. 5 Satz 1 PatG unterbleiben, wenn eine Sachentscheidung durch den Bundesgerichtshof sachdienlich ist. Diese Voraussetzung ist aber in der Regel nicht gegeben, wenn es an einer Erstbewertung des Stands der Technik durch das Patentgericht unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit fehlt (, GRUR 2015, 1095 Rn. 39 - Bitratenreduktion I).
60Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine eigene Sachentscheidung des Senats im Streitfall nicht deshalb sachdienlich, weil sich das Patentgericht in seinem gemäß § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis mit dem Stand der Technik auseinandergesetzt hat. Dieser Umstand kann zwar im Einzelfall zur Bejahung der Sachdienlichkeit führen (, GRUR 2020, 728 Rn. 38 - Bausatz). Im Streitfall bilden die kurzen Ausführungen des Patentgerichts aber keine geeignete Grundlage, um über den komplexen Sachverhalt zu entscheiden.
61Entgegen der Auffassung der Beklagten hängt die Entscheidung über die Klage nicht nur von der Beurteilung von Rechtsfragen ab. Um die relevanten Rechtsfragen identifizieren und beantworten zu können, bedarf es einer Würdigung des vorgetragenen Standes der Technik und der Lehre des Streitpatents. Auch im Streitfall ist es zweckmäßig, dass eine solche Würdigung zunächst durch das unter Mitwirkung von technischen Richtern zur Entscheidung berufene Patentgericht erfolgt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:061222UXZR47.22.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-31984