Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 1 KLs 750 Js 3435/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen; insoweit ist das Rechtsmittel im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfiel der seit 15 Jahren mit der Tochter der Eheleute G. zusammenlebende und bislang unbestrafte 42-jährige Angeklagte nach mehrjährigem Streit mit seinen „Schwiegereltern“ einen Supermarkt, in dem die Mutter seiner damaligen Lebensgefährtin arbeitete. Er erbeutete dabei 800 Euro, die er nach Bedrohung einer Kassiererin mit einem Hammer aus der Kasse entnahm. Dabei äußerte er: „Das ist mein Geld, was die mir angetan haben!“ Anschließend fuhr er zum Haus der „Schwiegereltern“, schlug die Terassentür ein und zerstörte dort Einbauten und Mobiliar im Wert von 8.000 Euro.
3Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Angeklagte bei Tatbegehung nur vermindert steuerungsfähig gewesen sei. Bei ihm habe zum Tatzeitpunkt eine „Persönlichkeitsstörung mit sowohl schizoiden als auch paranoiden Persönlichkeitszügen (ICD-10: F61.0) vorgelegen …, die zudem querulatorische Züge erkennen“ lasse. Er sehe sich als Opfer übler Machenschaften insbesondere seines „Schwiegervaters“, der sein Auto absichtlich „kaputtrepariert“ habe. Er sei der Meinung, das erbeutete Geld stehe ihm zu, weil andere Institutionen wie Polizei und Justiz versagt hätten und er deshalb zur Selbstjustiz habe greifen müssen.
4Im Rahmen der Unterbringungsentscheidung hat das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – ausgeführt, die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung bestehe „seit Jahrzehnten“ und zeige sich „seit der Jugend als Störung des Charakters, des Denkens, Urteilens und der Wahrnehmung.“ Dabei sei das Ausmaß der Störung nicht lediglich als Persönlichkeitsakzentuierung im Sinne bloßer Rechthaberei und Dominanz zu sehen, sondern wiege vielmehr derart schwer, dass sich „ein Krankheitsbild“ ergebe. Aufgrund der Auswirkungen des Störungsbildes auf das Wirklichkeitserleben des Angeklagten, insbesondere seine unverrückbare Überzeugung, Opfer übler Machenschaften geworden zu sein und von Polizei und Justiz keine Unterstützung zu erfahren, sodass er zur Selbstjustiz habe greifen müssen, seien weitere Übergriffe auf die Familie der bisherigen Lebensgefährtin ebenso zu erwarten wie auf Unbeteiligte. Deshalb sei der Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich. Seine Persönlichkeitsstörung lasse sich nicht medikamentös behandeln, sondern bedürfe einer umfangreichen psychotherapeutischen Aufarbeitung.
52. Die Unterbringungsentscheidung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6a) Zu Recht beanstandet die Revision, dass die Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet ist. Es fehlt bereits an der gebotenen umfassenden Würdigung aller für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten relevanten Faktoren. Das Landgericht hat hierbei unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte trotz einer schweren Störung, die seit Jahrzehnten bestehen soll, strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten ist. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder – wie hier – gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten und hätte deshalb erörtert werden müssen (vgl. nur , StV 2019, 444, 445 f. mwN).
7b) Hinzu kommt, dass nähere Ausführungen dazu fehlen, worauf die Einschätzung des Sachverständigen beruht, diese Persönlichkeitsstörung bestehe beim Angeklagten seit Jahrzehnten, zeige sich seit seiner Jugend und habe deshalb den von § 20 StGB vorausgesetzten Schweregrad. Schließt sich das Tatgericht – wie hier – der Beurteilung eines Sachverständigen an, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist, um dem Revisionsgericht eine Rechtsüberprüfung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. mwN).
83. Da sich der letztgenannte Rechtsfehler insgesamt auf die Schuldfähigkeitsbeurteilung auswirken kann, hebt der Senat auch die Schuldsprüche und die mit der Schuldfähigkeitsprüfung eng verbundenen Feststellungen zur inneren Tatseite auf. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können hingegen bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
94. Die Sache bedarf im Aufhebungsumfang – naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen psychiatrischen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung. Hierbei wird auch näher zu prüfen sein, inwieweit die Taten Ausfluss eines unter § 20 StGB subsumierbaren Störungsbildes sind oder sich etwa normalpsychologisch erklären lassen (vgl. zum symptomatischen Zusammenhang etwa BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 99/22; vom – 2 StR 372/21 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:030123B5STR528.22.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-31779