Beginn der Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen den Fahrzeughersteller in einem sog. Dieselfall
Leitsatz
Zur Frage des Verjährungsbeginns in einem sogenannten Dieselfall (hier EA189).
Gesetze: § 31 BGB, § 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 5 U 89/20vorgehend LG Dessau-Roßlau Az: 4 O 695/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb in den Jahren 2010 und 2013 bis 2015 fünf Pkw VW Touran mit Dieselmotoren der Baureihe EA189, deren Hersteller die Beklagte ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnete mit Bescheid vom an, die unzulässige Abschalteinrichtung, mit denen die Motoren ausgestattet waren, zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückgewiesen. Der Senat hat die Revision zugelassen, soweit die Berufung gegen die Abweisung des Klageantrags 1c zurückgewiesen worden ist, und im Übrigen die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers zurückgewiesen. Soweit die Revision zugelassen ist, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag 1c weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers ist begründet.
I.
5Das Landgericht hat ausgeführt, dass dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch zustehe. Das Berufungsgericht hat - soweit im vorliegenden Zusammenhang relevant - ausgeführt, dass der Durchsetzbarkeit des Anspruchs die Einrede der Verjährung entgegenstehe. Die subjektiven Voraussetzungen des Verjährungsbeginns seien bereits im Jahr 2015 eingetreten, während die Klage erst am eingereicht worden sei. Der Kläger habe im Jahr 2015 aus den Medien Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal erlangt. Die Medien hätten ab Ende September 2015 regelmäßig und umfangreich über die weiteren Entwicklungen im sogenannten Abgasskandal berichtet, so auch darüber, dass die Beklagte am bekanntgegeben habe, dass die Steuerungssoftware auch in anderen Dieselfahrzeugen des Volkswagenkonzerns vorhanden sei. Im Oktober 2015 sei berichtet worden, dass das Kraftfahrt-Bundesamt den Rückruf von betroffenen Autos in Deutschland angeordnet habe. Da nach der Medienberichterstattung in eine Vielzahl von Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit der unzulässigen Software ausgestattete Dieselmotoren eingebaut gewesen seien, habe sich dem Kläger aufdrängen müssen, dass auch er durch den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung in die Dieselmotoren seiner Fahrzeuge geschädigt worden sein und deshalb einen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte haben könnte. Diesem Verdacht hätte er zur Meidung grober Fahrlässigkeit bereits im Jahr 2015 nachgehen müssen. Welche Fahrzeuge konkret betroffen seien, habe nachfolgend auf der Webseite von VW eingesehen werden können.
II.
6Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegensteht.
71. Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch gemäß § 826, § 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
8In Fällen der vorliegenden Art genügt es für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom "Diesel-" bzw. "Abgasskandal" im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 212/20, VersR 2022, 393 Rn. 14; vom - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 20 ff.; , VersR 2022, 899 Rn. 17). Eine entsprechende Kenntnis des Klägers hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
92. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht von einer - gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehenden - grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs im Zeitraum bis Ende 2015 ausgegangen.
10a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 14; , VersR 2022, 899 Rn. 23; jew. mwN). Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage - sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage - zu erheben (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 15; , VersR 2022, 899 Rn. 24; jeweils mwN).
11Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung vom Schadenshergang oder von der Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 16; , VersR 2022, 899 Rn. 25; jeweils mwN).
12b) Danach war der Kläger nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten zu ermitteln, ob sein Fahrzeug von dem sogenannten Dieselskandal betroffen war. Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der von der Beklagten gestellten Webseite im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Schon mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015, was das Berufungsgericht nicht hinreichend in Bedacht genommen hat, nicht schlechterdings unverständlich (vgl. dazu , VersR 2022, 899 Rn. 27; vom - III ZR 226/20, VersR 2022, 1250 Rn. 21 f.).
III.
13Daher ist die angegriffene Entscheidung insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung sowie Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:131222UVIZR1186.20.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-31208