BGH Beschluss v. - XIII ZB 5/20

Abschiebungshaft: Begrenzung der Haft auf maximal sechs Tage nach geplantem Abschiebungstermin

Gesetze: § 26 FamFG, § 417 Abs 2 S 1 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 3 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 4 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG, Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 104 Abs 1 GG, Art 104 Abs 2 S 1 GG

Instanzenzug: LG Mühlhausen Az: 1 T 2/20vorgehend AG Mühlhausen Az: 4 XIV 230/19 B

Gründe

1I. Der Betroffene, ein albanischer Staatsangehöriger, reiste erstmals im August 2017 in das Bundesgebiet ein. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Eine für den geplante Abschiebung und eine für den organisierte freiwillige Ausreise des Betroffenen scheiterten, weil dieser sich jeweils nicht in der Gemeinschaftsunterkunft aufhielt. Am wurde der Betroffene festgenommen.

2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene nach seiner Abschiebung nach Albanien am die Feststellung, dass er durch die angeordnete Haft in seinen Rechten verletzt worden ist.

3II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

41. Das Beschwerdegericht hat den Haftantrag der beteiligten Behörde für zulässig und die Haftanordnung durch das Amtsgericht für rechtmäßig erachtet. Die Behörde habe sich im Haftantrag zu allen nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG erforderlichen Punkten geäußert; die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und ihrer Dauer seien ebenso dargelegt worden wie die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung. Die Dauer der Haft sei verhältnismäßig. Die Behörde habe ausreichend begründet, warum eine Abschiebung erst zu dem benannten Zeitpunkt möglich sei.

52. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

6a) Allerdings fehlt es im Streitfall nicht an einem zulässigen Haftantrag.

7aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in Leerformeln erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13; vom - XIII ZB 36/21, juris Rn. 6 mwN).

8bb) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag der beteiligten Behörde vom .

9(1) Darin wird ausgeführt, nach Auskunft der Zentralen Abschiebestelle beim Thüringer Landesverwaltungsamt sei eine Abschiebung des Betroffenen nach Albanien frühestens am möglich. Eine konkrete Buchungsbestätigung liege jedoch noch nicht vor. Zum Zweck der Abschiebung sei ein EU-Laissez-Passer ausgestellt worden. Die Haft werde vorsorglich bis zum beantragt, da der Betroffene bei Weigerung, das Flugzeug zu betreten, zurück in die Aufnahmeeinrichtung für Abschiebehaft nach Ingelheim verbracht und dann eine neue Abschiebung mit Sicherheitsbegleitung terminiert werden müsse, die eine längere Vorbereitungszeit erfordere.

10(2) Diese Informationen haben dem Haftrichter eine hinreichende tatsächliche Grundlage dafür verschafft, selbständig zu beurteilen, welcher Haftzeitraum (zunächst) notwendig war, um die Abschiebung des Betroffenen sicherzustellen. Dies genügt für einen zulässigen Haftantrag. Dass die von der beteiligten Behörde mitgeteilte Tatsachengrundlage nicht geeignet war, eine Haftanordnung bis zum zu rechtfertigen, ändert an der Zulässigkeit des Haftantrags nichts. Zweck des Begründungserfordernisses ist es, den Richter und den Betroffenen durch die Angaben der Behörde in die Lage zu versetzen, die Rechtmäßigkeit der beantragten Haft zu prüfen. Inwieweit die Angaben in dem Haftantrag der beteiligten Behörde eine tragfähige Grundlage für die beantragte Haft bieten, ist dagegen keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Haftantrags (vgl. , juris Rn. 12 mwN).

11b) Die Haftanordnung stellt sich aber für den Zeitraum ab dem als rechtswidrig dar, weil die vom Amtsgericht festgestellten Tatsachen insoweit eine Inhaftierung des Betroffenen nicht tragen.

12aa) Die Haftgerichte sind nach Art. 20 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und nach § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 167/14, juris Rn. 9; vom - XIII ZB 14/19, NVwZ 2017, 733 [Ls.] = juris Rn. 14).

13bb) Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt hätte lediglich eine Haftanordnung bis zum gerechtfertigt. Nach den Angaben im Haftantrag ging die beteiligte Behörde aufgrund der Auskunft der Zentralen Abschiebestelle beim Thüringer Landesverwaltungsamt davon aus, dass eine Abschiebung des Betroffenen nach Albanien am zwar mangels konkreter Buchungsbestätigung nicht sicher, aber möglich sei. Die Beantragung von Haft nach diesem Datum bis einschließlich hat sie damit begründet, dass der für den geplante unbegleitete Flug möglicherweise wegen einer Weigerung des Betroffenen, das Flugzeug zu betreten, scheitern könnte. Damit ging die beteiligte Behörde zunächst davon aus, dass eine unbegleitete Abschiebung durchgeführt werden könnte. Vor diesem Hintergrund musste das Amtsgericht die Haft zwar nicht auf den begrenzen; es durfte der beteiligten Behörde vielmehr noch einen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen bis zum einräumen. Für einen weitergehenden Zeitaufschlag bietet der festgestellte Sachverhalt jedoch keine Grundlage, sodass sich die angeordnete Haft ab dem als unzulässige Vorratshaft darstellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 167/14, NVwZ 2017, 733 [Ls.] = juris Rn. 13 mwN; vom - XIII ZB 85/19, juris Rn. 20).

14c) Der Mangel ist im Beschwerdeverfahren nicht - was mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 171/18, InfAuslR 2019, 389 juris Rn. 6; vom - XIII ZB 77/19, juris Rn. 11) - geheilt worden. Zwar hat die beteiligte Behörde dem Beschwerdegericht am mitgeteilt, die Zentrale Abschiebestelle habe soeben darüber informiert, dass die geplante Abschiebung des Betroffenen am aus Sicherheitsgründen nicht möglich sei. Der Betroffene müsse nach Rücksprache mit der Bundespolizei begleitet durch Polizeibeamte in das Heimatland abgeschoben werden, da ein Eintrag im INPOL wegen der Verwendung eines Messers vorhanden sei, der keine andere Handlungsweise zulasse. Der Betroffene solle nunmehr im Rahmen eines Sammelcharters unter Begleitung durch die Bundespolizei am nach Albanien abgeschoben werden. Daraus hat das Beschwerdegericht geschlossen, dass sich die bereits im Haftantrag angesprochene Gefahr einer weiteren Verschiebung realisiert habe. Zu diesen neu eingeführten, die Einschätzung seiner Person betreffenden Umständen ist der Betroffene aber - was zwingend erforderlich gewesen wäre (vgl. , juris Rn. 12 mwN) - vom Beschwerdegericht nicht persönlich angehört worden.

153. Im Übrigen wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG von einer Begründung abgesehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:251022BXIIIZB5.20.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-30635