BGH Beschluss v. - VII ZR 271/19

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei überspannten Substantiierungsanforderungen

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 2 U 113/18 Urteilvorgehend LG Magdeburg Az: 10 O 1176/15

Gründe

I.

1Die Klägerin ist eine auf Kampfmittelräumung und -bergung spezialisierte Unternehmerin. Sie nimmt die Beklagte auf Zahlung restlichen Werklohns in Anspruch.

2Die Klägerin beteiligte sich - soweit im Beschwerdeverfahren von Bedeutung - an einer öffentlichen Ausschreibung von Kampfmittelräumungsarbeiten auf einer 102,0 Hektar großen Teilfläche (Los 3) eines Truppenübungsplatzes der Beklagten in A.        bei M.       . Das Areal war bis zu einer Tiefe von 0,4 m unter der Geländeoberkante von Störkörpern in Gestalt von Kampfmitteln, Kampfmittelteilen sowie von Kampfmittel- und Zivilschrott zu räumen. Die Klägerin erhielt Ende 2013 den Zuschlag auf ihr Angebot und schloss mit der Beklagten einen Einheitspreisvertrag unter Einbeziehung der VOB/B (2012).

3Nach Beginn der Arbeiten stellte sich unter anderem heraus, dass die Störkörper auf einer Teilfläche von 368.556 qm wegen Bodenverfestigungen nicht - wie vertraglich vorgesehen - händisch geborgen werden konnten, sondern mit einem Spezialbagger freigelegt werden mussten.

4Nach Abnahme ihrer Arbeiten legte die Klägerin unter dem ihre Schlussrechnung, mit der sie unter Position .0016 für den Mehraufwand wegen Bodenverfestigungen bei den Räumungsarbeiten - ausgehend von einem Mengenvordersatz von 368.556 qm und einem Einheitspreis von 0,91 €/qm - zusätzlich 335.385,96 € netto in Rechnung stellte. Die Beklagte akzeptierte für den Einsatz des Spezialbaggers lediglich einen Einheitspreis von 0,28 €/qm und kürzte die Schlussrechnung insoweit um 276.306,43 € brutto.

5Die Klägerin hat mit der Klage unter anderem den zwischen den Parteien streitigen Differenzbetrag in Höhe von 276.306,43 € nebst Zinsen geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten - unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils - die Klage insoweit abgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie unter anderem diesen Anspruch weiterverfolgen will.

II.

6Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat im tenorierten Umfang Erfolg und führt insoweit gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

71. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich des Anspruchs auf Vergütung in Höhe von 276.306,43 € (Position .0016) Folgendes ausgeführt:

8Der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf eine weitere Vergütung in Höhe von 276.306,43 € gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B wegen der erschwerten Räumung der Kampfmittel unter Einsatz eines Spezialbaggers zu. Denn sie habe nicht schlüssig dargelegt, jedenfalls nicht nachgewiesen, dass ihre Mehraufwendungen bei den Lohn- und Gerätekosten einen höheren als den von der Beklagten anerkannten Einheitspreis von 0,28 €/qm rechtfertigten.

9a) Allerdings sei der Anspruch gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B - was zwischen den Parteien außer Streit stehe - dem Grunde nach gegeben. Die Beklagte habe unter Anerkennung des von der Klägerin angegebenen Mengenvordersatzes und unter Berücksichtigung eines Einheitspreises in Höhe von 0,28 €/qm eine Mehrvergütung gezahlt. Die Parteien gingen übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass aufgrund von starken Bodenverfestigungen die im Vertrag vorgesehene Ausführungsweise - händisches Aufgraben und Bergung der sondierten Störkörper - nicht möglich, sondern zum Aufgraben der Einsatz eines Spezialbaggers erforderlich gewesen sei. In dem umfangreicheren Baggereinsatz liege eine Änderung des Bauentwurfs, mit der die Beklagte einverstanden gewesen sei.

10b) Die Parteien hätten im Grundsatz weiter Einigkeit darüber erzielt, wie die weitere Vergütung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B zu bemessen sei. Auch sei unstreitig, welche Fläche von der geänderten Ausführungsweise betroffen sei. Streitig sei lediglich die Höhe des zugrunde zu legenden Einheitspreises. Die Differenz der von den Parteien jeweils ermittelten Einheitspreise (0,91 €/qm oder 0,28 €/qm) resultiere dabei allein aus dem unterschiedlichen Ansatz der zusätzlichen Einsatztage für den Spezialbagger einschließlich des Suchtrupps.

11Die Parteien gingen insoweit übereinstimmend davon aus, dass während der Leistungsausführung im Los 3 insgesamt 975 Einsatztage für den Spezialbagger einschließlich des Suchtrupps angefallen seien und davon 160,4 Einsatztage sowie weitere 113 Einsatztage mit den Leistungspositionen .0001 und 0002 bereits vergütet worden und daher abzuziehen seien.

12Abzuziehen seien weiter die Einsatztage aus den Leistungspositionen .0001 bis 0003 (Kampfmittelräumung unter erschwerten Bedingungen). Insoweit habe die Beklagte 546,8 Einsatztage angenommen und auf das von der Klägerin selbst ausgefüllte Formblatt EFB-Preis 2 hinsichtlich der Gesamteinsatztage des Baggers verwiesen. Dass diese Berechnung fehlerhaft sei, zeige die Klägerin nicht schlüssig auf. Das Berufungsgericht könne die diesbezüglichen Darlegungen der Klägerin nicht zweifelsfrei nachvollziehen. In der Anlage K 12 habe die Klägerin gegen die aus ihrem Preisblatt gezogenen Ansätze von Einsatztagen eine kalkulierte Einsatztagezeit von insgesamt 166,76 gesetzt. Worauf diese Zahlenwerte beruhten, sei nicht nachvollziehbar. Sie ergäben sich auch nicht, wenn - entsprechend dem Klagevortrag - die in dem Preisblatt angegebenen Einsatztage als "Mann-Tage" anzusehen seien und wegen der Zusammensetzung eines Suchtrupps aus einem Maschinenführer, einem Sondierer und einem anteilig mit 0,25 zu berücksichtigenden Aufsichtsführer lediglich in einem Verhältnis von 1 zu 2,25 als Baggereinsatztage angesehen würden. Dann ergäben sich für den Bagger ca. 243 Einsatztage (546,8 : 2,25) und nicht 166,76 Einsatztage. Gleiches gelte für die zuletzt von der Klägerin mitgeteilte Verteilung der Stunden auf drei volle Arbeitskräfte. Insoweit ergäbe sich ein Wert von 182,27 Einsatztage (546,8 : 3). Der Verweis der Klägerin auf die in den eigenen Anmerkungen zur Anlage K 12 in Ansatz gebrachten Baggerkosten von 23.679,92 € lasse bei einem Stundenpreis von 17,75 € zwar rechnerisch einen Rückschluss auf 166,76 Einsatztage zu. Der Ausgangsbetrag von 23.679,92 € sei der Angebotskalkulation aber nicht zu entnehmen und bleibe unklar.

13Ausgehend von dem Beklagtenvortrag seien daher weitere 546,8 Einsatztage abzuziehen, was für die Position .0016 zu einer verbleibenden Baggereinsatzzeit von 155 Einsatztagen führe. Lege man dies der Nachtragsangebotskalkulation zugrunde, ergebe sich - was zwischen den Parteien ebenfalls außer Streit stehe - ein Einheitspreis von 0,28 €/qm.

142. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

15a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist danach unter anderem verpflichtet, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung des Gerichts nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (vgl. Rn. 17, NZM 2022, 877; Urteil vom - V ZR 19/20 Rn. 6, juris; Beschluss vom - VII ZR 39/20 Rn. 9, BauR 2021, 1340 = NZBau 2021, 451; Beschluss vom - VII ZR 261/19 Rn. 4, NZBau 2021, 518). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt auch dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (vgl. Rn. 14, BauR 2020, 1035 = NZBau 2020, 293; Beschluss vom - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; Beschluss vom - VII ZR 160/12 Rn. 12, NZBau 2014, 221). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag schlüssig, wenn der Anspruchsteller Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in seiner Person entstanden erscheinen zu lassen. Erfüllt das Parteivorbringen diese Anforderungen, so kann der Vortrag weiterer Einzelheiten oder Erklärungen nicht verlangt werden (vgl. z.B. Rn. 22, BauR 2017, 306; Beschluss vom - VII ZR 160/12 Rn. 12, NZBau 2014, 221).

16b) Nach diesen Maßstäben beanstandet die Beschwerde zu Recht einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

17Das Berufungsgericht hat einen über den von der Beklagten anerkannten Betrag hinausgehenden Vergütungsanspruch der Klägerin gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B als insgesamt nicht schlüssig dargelegt erachtet, weil es den Kern des Vortrags der Klägerin zur - allein streitigen - Höhe des Anspruchs nicht zutreffend erfasst und die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags offenkundig überspannt hat.

18Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B für den umfangreicheren Einsatz eines Spezialbaggers, der - abweichend von der im Vertrag vorgesehenen Ausführungsweise - aufgrund von starken Bodenverfestigungen erforderlich geworden ist. Ferner besteht danach im Grundsatz Einigkeit zwischen den Parteien darüber, wie dieser Anspruch zu bemessen ist und welcher Mengenvordersatz (368.556 qm) für die Bemessung maßgeblich ist. Veranlassung zu einer grundsätzlichen Klärung der Frage, wie der Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B zu bemessen ist, besteht daher im Streitfall nicht. Die Parteien gehen lediglich von einer unterschiedlichen Höhe des Einheitspreises aus, wobei in Bezug auf dessen Bemessung allein der Ansatz der zusätzlich erforderlich gewordenen Einsatztage des Spezialbaggers einschließlich des Suchtrupps streitig ist.

19Das Berufungsgericht hat insoweit den Vortrag der Beklagten zugrunde gelegt, weil es die Darlegungen der Klägerin als insgesamt unschlüssig erachtet hat. Die Beklagte hat von - unstreitig - 975 Gesamteinsatztagen für den Spezialbagger einschließlich des Suchtrupps neben den - ebenfalls unstreitig - abzuziehenden 160,4 und 113 Einsatztagen weitere 546,78 Einsatztage abgezogen, weil diese nach der Kalkulation der Klägerin bereits in den Leistungspositionen .0001 bis 0003 enthalten seien, und ist demgemäß von einem hier maßgeblichen Mehraufwand von nur 155 Einsatztagen ausgegangen. Sie hat dabei die im "Kalkulationsblatt unter Berücksichtigung der EFP-Preise" (Anlage K 12) unter den Zulagepositionen "Erschwertes Bergen" angegebenen Werte zugrunde gelegt und hieraus 546,78 Einsatztage errechnet (vgl. Anlage K 29).

20Die Klägerin hat demgegenüber ausgeführt, die Beklagte habe zu Unrecht 546,78 Einsatztage abgezogen. Tatsächlich seien nur - wie von ihr kalkuliert - weitere 166,76 Einsatztage abzuziehen. Kern ihres Vortrags ist insoweit, dass sich die im "Kalkulationsblatt unter Berücksichtigung der EFP-Preise" (Anlage K 12) angegebenen Werte, aus denen die Beklagte die Zahl von 546,8 Einsatztagen errechnet habe, nicht allein auf den Spezialbagger bezögen, sondern davon - auch - die für den Baggereinsatz erforderlichen Personalstunden für den Suchtrupp, bestehend aus einem Maschinenführer, einem Sondierer und einem anteilig mit 0,25 zu berücksichtigenden Aufsichtsführer, umfasst seien. Kern ihres Vortrags ist weiter, dass sich die ihrer Auffassung nach (nur) in Ansatz zu bringenden 166,76 Einsatztage auch aus den im "Kalkulationsblatt unter Berücksichtigung der EFP-Preise" (Anlage K 12) in der Spalte N für Gerätekosten angegebenen Beträgen, die sie in den Anmerkungen zur Anlage K 12 nach Kosten für den Spezialbagger und weitere Geräte aufgeschlüsselt habe, ergäben. Bei 166,76 Einsatztagen für den Bagger (1.334 Stunden bei einem 8-Stunden-Tag) und einem Stundensatz von 17,75 € komme man auf den in ihrer Anmerkung aufgeschlüsselten Betrag für den Spezialbagger in Höhe von ca. 23.679 €.

21Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Vortrag der Klägerin zur Höhe des Vergütungsanspruchs gemäß § 2 Abs. 5 VOB/B einschließlich der Darlegungen zu den für die Bemessung des Einheitspreises maßgeblichen Einsatztagen des Spezialbaggers - auf der Grundlage der im Übrigen unstreitigen Maßstäbe zur Vergütungsbemessung - schlüssig. Die Klägerin hat ihr Rechenwerk auch hinreichend substantiiert und nachvollziehbar erläutert. Ihr Vortrag ist erkennbar dahin zu verstehen, dass die im "Kalkulationsblatt unter Berücksichtigung der EFP-Preise" (Anlage K 12) unter den Zulagepositionen "Erschwertes Bergen" angegebenen Werte und die daraus errechneten 546,8 Einsatztage sowohl den Spezialbagger als auch das Personal (2,25 Personen) umfassen, mithin die Summe der bei der Ausführung anfallenden Personal- und Baggerzeiten meinen. In diesem Fall ergibt sich ungefähr die von der Klägerin angegebene Zahl von Einsatztagen für den Spezialbagger (546,8:3,25). Auch ihr Vortrag, dass sich die von ihr kalkulierten 166,76 Einsatztage ferner aufgrund der Angaben zu dem Stundensatz (17,75 €) und den Gesamtkosten für den Spezialbagger (ca. 23.679 €) errechnen ließen, ist hinreichend substantiiert und nachvollziehbar. Selbst wenn man insoweit die im "Kalkulationsblatt unter Berücksichtigung der EFP-Preise" (Anlage K 12) in der Spalte N angegebenen Gesamtgerätekosten für "Erschwertes Bergen" in Höhe von 30.640,28 € (ohne Berücksichtigung der Aufschlüsselung dieser Kosten nach Kosten für den Spezialbagger und sonstige Geräte in den Anmerkungen der Klägerin) zugrunde legte, ergäbe sich ein deutlich geringerer Wert als 546,8 Einsatztage.

22c) Das angefochtene Urteil beruht auf diesem Gehörsverstoß. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es deren Vortrag zutreffend erfasst, ihr Rechenwerk für ausreichend substantiiert und nachvollziehbar erachtet hätte und daher - wie erforderlich - den für die Bemessung des Einheitspreises angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben hätte.

III.

23Die Nichtzulassungsbeschwerde ist im Übrigen unbegründet. Sie zeigt insoweit nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:141222BVIIZR271.19.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-30404