Aufhebung eines Beschlusses ohne ausreichende tatsächliche Feststellungen
Leitsatz
Ein die Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwerfender Beschluss muss jedenfalls die die Verwerfung tragenden Feststellungen enthalten, weil anderenfalls dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Entscheidung nicht möglich ist (im Anschluss an , NJW-RR 2022, 644 Rn. 14; vgl. auch , juris Rn. 10, 12).
Gesetze: § 520 Abs 2 S 3 ZPO, § 522 Abs 1 S 2 ZPO, § 577 Abs 2 S 3 ZPO, § 577 Abs 2 S 4 ZPO
Instanzenzug: Az: 5 S 20/21vorgehend Az: 30 C 79/20
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt die Beklagte auf Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und bestimmt, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II.
2Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, welches erneut über die Zulässigkeit der Berufung (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZB 56/20, NJW 2022, 400 Rn. 17, 19) und gegebenenfalls über deren Begründetheit zu entscheiden haben wird.
31. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
42. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Der angefochtene Beschluss ist wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben, weil er keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen enthält und das Rechtsbeschwerdegericht deshalb zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage ist (vgl. hierzu , juris Rn. 4 mwN).
5a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (siehe nur Senatsbeschluss vom - VIII ZB 96/20, NJW-RR 2022, 644 Rn. 14 mwN). In einem die Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO verwerfenden Beschluss ist zwar die Wiedergabe des Sachverhalts und der Anträge nicht ausnahmslos erforderlich. Der Beschluss kann sich etwa bei Verwerfung der Berufung wegen nicht gewahrter Berufungsfrist (§ 517 ZPO) oder Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) auf die entscheidungserheblichen Umstände beschränken. Die Entscheidung des Berufungsgerichts muss aber auch in diesen Fällen jedenfalls die die Verwerfung tragenden Feststellungen enthalten, weil anderenfalls dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Entscheidung nicht möglich ist (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZB 96/20, aaO; siehe auch , juris Rn. 12; jeweils mwN).
6b) Diesen Anforderungen genügt der angefochtene Beschluss nicht.
7Das Berufungsgericht hat in den Gründen lediglich ausgeführt, dass die Berufungsbegründung nicht innerhalb der Frist des § 520 ZPO eingegangen und deshalb die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen sei. Die prozessualen Vorgänge, aufgrund derer es zu dieser Würdigung gelangt ist, hat es hingegen nicht wiedergegeben. Sie lassen sich auch nicht im Wege einer Bezugnahme auf Aktenteile entnehmen (vgl. hierzu , juris Rn. 4 mwN). In den Gründen wird allein auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen, dem sich der für die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses maßgebliche prozessuale Sachverhalt jedoch nicht entnehmen lässt.
8Ob das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, dass die Voraussetzungen für eine Verwerfung der Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorliegen, hat das Rechtsbeschwerdegericht auch nicht von Amts wegen anhand der Akte zu prüfen. Hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen und wird diese Entscheidung mit einem Rechtsmittel angegriffen, ist die Zulässigkeit der Berufung in der Revisions- oder Rechtsbeschwerdeinstanz keine Prozessfortsetzungsbedingung, sondern alleiniger Verfahrensgegenstand. Es gelten die Vorschriften der § 559 Abs. 1, § 577 Abs. 2 Satz 4 ZPO; eine Prüfung von Amts wegen findet nicht statt (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 40/03, BGHZ 156, 165, 168 f.; vom - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rn. 10; vom - VIII ZB 37/19, ZInsO 2021, 1700 Rn. 23 mwN). Das Rechtsbeschwerdegericht ist nicht gehalten, die fehlenden Feststellungen des Berufungsgerichts selbst zu treffen (vgl. , juris Rn. 16).
93. Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben; sie ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:221122BVIIIZB28.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 10 Nr. 4
NJW-RR 2023 S. 208 Nr. 3
EAAAJ-30394