Tatbestand
1Das Verfahren betrifft die Verpflichtung zur Duldung einer Covid-19-Impfung.
2Der ... geborene Antragsteller ist Berufssoldat im Dienstgrad eines Oberstleutnants. Er wird derzeit als ... beim ... der Bundeswehr verwendet.
3Mit Wirkung vom trat im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung nach Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses, des Hauptpersonalrates und der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Änderung der Allgemeinen Regelung (AR) A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil" in Kraft. Dadurch wurde die Impfung gegen den Covid-19-Erreger in die Liste der Basisimpfungen in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 aufgenommen. Nach Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 erfordern die Covid-19-Impfstoffe eine oder zwei Teilimpfungen sowie Auffrischimpfungen gemäß den aktuellen nationalen Empfehlungen. Nach Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000 ist für alle Kräfte (Einheiten und Einzelpersonen), die für Hilfs- und Unterstützungsleistungen im Inland eingesetzt werden - die sogenannten "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" - die Basisimmunisierung erforderlich. Nr. 210 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" sieht vor, dass alle Soldaten die angewiesenen Impf- und Prophylaxemaßnahmen und Impfungen der "Hilfs- und Katastrophenkräfte Inland" zu dulden haben. Nach Nr. 406 ZDv A-840/8 sind damit alle aktiven Soldaten duldungspflichtig zu impfen, sofern in der Person des Soldaten keine individuelle medizinische Kontraindikation vorliegt.
4Mit Schriftsatz vom erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die Änderungen der AR A1-840/8-4000 sowie die damit in Zusammenhang stehende Befehlsgebung im ... der Bundeswehr. Die Covid-19-Impfung erfülle nicht die Voraussetzungen nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG. Sie verhindere eine Infektion oder Erkrankung nicht und bekämpfe diese auch nicht. Dass die Impfung die Gefahr der Ansteckung anderer Personen ausschließe oder verringere bzw. die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufes vermindere, sei nicht belegt. Ihn beunruhigten Informationen über Neben- und Langzeitwirkungen, nicht durchgeführte Studien zu Kontraindikationen, das vollständige Fehlen von Langzeitstudien und die mangelnde Erfahrung mit den neuartigen mRNA-Impfstoffen. Die Impfung beeinträchtige Leib und Leben unzumutbar und stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Grundrechte dar. Es handele sich nicht um eine Impfung im herkömmlichen Sinne, sondern um die experimentelle Verabreichung einer genbasierten Substanz, die nur bedingt zugelassen worden sei. Die konsequente Testung vor Präsenzveranstaltungen und die Einhaltung der Abstandsregeln gebe eine ausreichende Sicherheit.
5Das Bundesministerium der Verteidigung hat die Beschwerde als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewertet und mit Stellungnahme vom dem Senat vorgelegt. Soweit sich die Beschwerde des Antragstellers gegen den Amtsbefehl 20/2021 richtete, hat der Generalinspekteur der Bundeswehr sie mit - hier nicht streitgegenständlichem - Bescheid vom zurückgewiesen.
6Im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller im Wesentlichen geltend gemacht, er würde durch die Auferlegung einer als Duldungspflicht bezeichneten Impfpflicht unmittelbar in seinen Rechten beeinträchtigt. Das Basisimpfschema sei als Allgemeinverfügung zu qualifizieren. Die Pflicht, die Covid-19-Impfung zu dulden, sei nicht durch die Gesunderhaltungspflicht des § 17a SG gerechtfertigt. Die Duldungspflicht verletze seine Menschenwürde sowie seine Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Glaubensfreiheit und Berufsfreiheit. Sie verstoße weiter gegen Art. 1 und 3 Abs. 2 Buchst. a bis c und Art. 9 der Europäischen Grundrechtscharta. Durch diese Grundrechtsgarantien würden im Rahmen der Medizin eine freie Einwilligung vorgeschrieben, eugenische Praktiken untersagt und die Nutzung des menschlichen Körpers zur Gewinnerzielung verboten. Die Impfung greife auch in das von Art. 2 EMRK gewährleistete Recht auf Leben ein. Verstoßen werde auch gegen Art. 7 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, der medizinische Versuche ohne Zustimmung der Betroffenen verbiete. Verstoßen werde des Weiteren gegen die Resolution 2361 (2021) der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom , die in Nr. 7.3.1 und 7.3.2 die Freiwilligkeit von Covid-19-Impfungen und ein Verbot der Diskriminierung von Impfgegnern gefordert habe. Die Duldungspflicht verletze ferner die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts. Insbesondere sei ein Verstoß gegen Art. 5 des europäischen Übereinkommens über Menschenrechte und Biomedizin und gegen Art. 6 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung über Bioethik und Menschenrechte der Vereinten Nationen festzustellen.
7Bei den mRNA-Impfstoffen handele es sich nicht um herkömmliche Impfstoffe, sondern um genbasierte experimentelle Substanzen. Die Injektion dieser Stoffe stelle eine Gentherapie dar, die zu Unrecht als Impfstoff deklariert worden sei. Dadurch sei es möglich geworden, die Substanzen ohne mehrjährige Erprobung zuzulassen. Es sei aber nur eine bedingte Zulassung erfolgt mit der Konsequenz, dass die Erforschung der Impfnebenwirkungen und -komplikationen in einem großen Feldversuch bei der Anwendung in der Gesamtbevölkerung nachgeholt werde. Die Impfkampagne stelle vor diesem Hintergrund ein medizinisches Experiment dar, ohne dass Impfwillige darüber aufgeklärt würden, dass sie an einer noch laufenden Studie teilnehmen würden. Ihre Einwilligung könne daher nicht freiwillig sein. Zur Teilnahme an einem wissenschaftlichen Experiment dürfe niemand genötigt werden. Im Widerspruch dazu würden die Soldaten unter Verstoß gegen § 17a Abs. 5 SG i. V. m. § 630c Abs. 2 BGB unzureichend über die Impfrisiken aufgeklärt, weil das Aufklärungsblatt des Sanitätsdienstes unvollständig sei. Ferner würden sie rechtswidrig durch die Androhung erheblicher beruflicher Nachteile und straf- und disziplinarrechtlicher Folgen zu einer Impfung gezwungen.
8In der Durchführung der Impfkampagne lägen Verstöße gegen den Nürnberger Kodex sowie weitere durch den Internationalen Strafgerichtshof zu verfolgende Straftaten. Der Impfstoff Comirnaty enthalte für die Behandlung von Menschen nicht zugelassene Nanolipide als Trägersubstanzen. Die Verwendung dieses Impfstoffes stelle eine Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 3a, Abs. 3 AMG dar, weil der Impfstoff durch die Abweichung von den allgemein anerkannten pharmazeutischen Regeln in seiner Qualität erheblich gemindert sei. Die als Trägersubstanzen genutzten Nanolipide seien als neuartige Hilfsstoffe nicht im Arzneibuch enthalten und nicht ausreichend untersucht. Sie würden Entzündungen auslösen und seien vermutlich für schwere Impfkomplikationen verantwortlich. Die mRNA-Impfstoffe seien zudem als Biowaffen anzusehen und nach Art. 1 der Biowaffenkonvention verboten.
9Durch die Verbreitung von SARS-CoV-2 sei keine außergewöhnliche Notlage entstanden, die die zur Eindämmung der Pandemie beschlossenen Maßnahmen einschließlich der soldatenrechtlichen Impfduldungspflicht rechtfertigen könnten. Die meisten Menschen seien gegen das Virus durch ihr Immunsystem bereits ausreichend geschützt. Im Übrigen gebe es gute Behandlungs- und konventionelle Präventionsmöglichkeiten. Die Einsatzfähigkeit der Truppe sei nicht gefährdet. Entsprechende Gefährdungen würden auch nicht drohen. Insbesondere seien das Gesundheitssystem und auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr nicht an der Belastungsgrenze.
10Die Impfung begründe dagegen erhebliche Gefahren für Leib und Leben Geimpfter. Europaweit sei es - Stand - zu 18 928 Todesfällen und 1 823 219 Verletzungen im Zusammenhang mit den Impfungen gekommen. Zwischen der Übersterblichkeit und der Impfkampagne gebe es einen die Kausalität indizierenden zeitlichen Zusammenhang. Impfkomplikationen und -nebenwirkungen würden von den Gesundheitsbehörden nur unzureichend erfasst. Die tatsächliche Gefährlichkeit der Impfstoffe und ihre Nebenwirkungen würden der Öffentlichkeit gegenüber verschleiert. Die Impfkomplikationen würden in der deutschlandweiten Statistik des Paul-Ehrlich-Instituts verharmlost. Dies habe eine von der BKK ProVita herausgegebene Studie ergeben.
11Die in Rede stehenden Impfstoffe hätten auch nicht den behaupteten Nutzen. Ein positiver Effekt auf das Infektionsgeschehen sei nicht belegt. Vor einer Infektion oder Erkrankung würden die Stoffe nicht schützen. Sie würden auch keine sterile Immunität erzeugen. Dass sie zu milderen Verläufen führten, sei nicht nachgewiesen. Vielmehr werde die Einsatzfähigkeit durch die Impfung gefährdet. Es sei nicht auszuschließen, dass erst durch die Impfung schwere Verläufe hervorgerufen würden. Falls das Verteidigungsministerium keine Daten über Impfschäden erhoben haben sollte, liege hierin ein Verstoß gegen die Fürsorgepflicht. In diesem Fall sei eine Bewertung des Nutzens der Impfung für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gar nicht möglich. Die Gesundheits- und Umweltrisiken durch die Freisetzung genetisch veränderter Organismen sei noch unbekannt. Im Hinblick darauf, dass die Impfstoffe derzeit fast keinen Nutzen brächten, sei das Gesundheitsrisiko unannehmbar hoch. Die Teilnahme an der Impfung sei daher unzumutbar im Sinne des § 17a Abs. 4 Satz 2 SG.
12Der Antragsteller beantragt,
die Anweisung der Bundesverteidigungsministerin vom zur Aufnahme der Covid-19-Impfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A 1-840/8-4000" aufzuheben.
13Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
14Der Antrag sei bereits unzulässig. Es liege keine anfechtbare dienstliche Maßnahme vor, weil die Erlassregelung der Aufnahme der Covid-19-Impfung in den Katalog der Basisimpfungen nicht unmittelbar in die Rechtssphäre des Soldaten hineinwirke. Es bestehe schon kraft Gesetzes eine Duldungspflicht, die von der ZDv A-840/8 nur wiederholt werde. Die Duldungspflicht des einzelnen Soldaten hänge von weiteren Umsetzungsakten - dem Befehl eines militärischen Vorgesetzten und der Ermessensausübung eines Impfarztes nach Prüfung einer medizinischen Kontraindikation - ab. Es fehle jedenfalls noch die Prüfung der medizinischen Kontraindikation durch den Impfarzt.
15Jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der generell durchzuführenden Basisimpfungen rechtmäßig sei. Das Grundrecht des Soldaten auf körperliche Unversehrtheit sei durch § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG wirksam eingeschränkt worden. Die Vorschrift erlaube die Durchführung ärztlicher Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten. Die Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 werde im Infektionsschutzgesetz als Verhütungsmaßnahme begriffen und falle darum auch bei § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG unter diesen Begriff. Dafür sei es nicht erforderlich, dass die Maßnahme einen vollständigen Schutz gegen eine Infektion biete. Dies sei auch bei anderen Impfstoffen - etwa gegen Influenza, Typhus und Cholera - nicht der Fall. Es genüge, wenn die Impfung die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung oder die Wahrscheinlichkeit schwerer Verläufe reduziere. Bereits der individuelle Schutz vor schweren Verläufen und die Verringerung der Transmission des Erregers trage maßgeblich zur Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten bei. Dem stehe auch die vielen Impfstoffen immanente Notwendigkeit einer Auffrischung oder Anpassung an mutierte Erreger nicht entgegen.
16Die Pflicht, die Impfung zu dulden, diene der Sicherstellung der Auftragserfüllung der Streitkräfte und sei Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber den Soldaten. SARS-CoV-2 begründe ernste Gesundheitsgefahren auch für Soldaten. Eine Infektion könne zu schweren Krankheitsverläufen oder zum Tod führen. Dies gelte nicht nur für vulnerable Gruppen, sondern auch für ansonsten gesunde Personen zwischen 17 und 65 Jahren. Militärisches Personal sei durch die Besonderheiten des Dienstbetriebs einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt.
17Die Impfung diene in erster Linie der Verhütung einer Übertragung des Virus und in zweiter Linie der Vermeidung schwerer Krankheitsverläufe, insbesondere der Hospitalisierung und intensivmedizinischer Behandlung. Auch hinsichtlich der Omikron-Variante von SARS-CoV-2 senke die Impfung - vor allem bei aktuell aufgefrischtem Impfschutz - das Risiko einer symptomatischen und vor allem einer schweren Erkrankung deutlich. Optimal seien präventivmedizinische Zwecke durch eine Impfung im Verbund mit anderen Hygienemaßnahmen zu erreichen. Diese allein - insbesondere Homeoffice und hohe Testfrequenzen - seien aber nicht ausreichend.
18Soweit der Antragsteller auf die allgemeinen Impfrisiken und -nebenwirkungen abstelle, habe eine grundsätzliche Risikoabwägung bereits bei der Zulassung der Impfstoffe stattgefunden. Die Impfstoffanwendung werde zudem durch die zuständigen europäischen Stellen und das Paul-Ehrlich-Institut laufend überwacht. Nach dessen Sicherheitsbericht vom habe es bei einer Verabreichung von mehr als 123 Millionen Impfstoffdosen in 0,16 % der Fälle Meldungen über Komplikationen, in 0,02 % Meldungen über schwerwiegende Reaktionen und 15 Meldungen zu Todesfällen gegeben. In drei Fällen werde auch ein tatsächlicher Zusammenhang zur Impfung angenommen. Zusammenfassend komme das Paul-Ehrlich-Institut zu der Auffassung, dass schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten auftreten und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfung nicht ändern würden. Spätere Sicherheitsberichte ergäben kein grundlegend anderes Bild. Die Studie der BKK ProVita beruhe nicht auf aussagefähigen Daten und erlaube daher nicht den Schluss auf eine höhere als die vom Paul-Ehrlich-Institut bei seiner Risikobewertung berücksichtigte Zahl von Impfnebenwirkungen. Auch das Bundesverfassungsgericht sei in seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht vom von der Fachexpertise des Paul-Ehrlich-Instituts und der Verlässlichkeit der Risikoeinschätzung ausgegangen.
19Das Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr überwache fortlaufend Meldungen zu Impfnebenwirkungen und aktualisiere nach Maßgabe der fortlaufend aktualisierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission regelmäßig seine fachlichen Hinweise. Neben dieser grundsätzlichen Risikoabwägung erfolge in jedem Einzelfall eine individuelle Risikoabwägung durch die Kontraindikationsprüfung des zuständigen Impfarztes. Bei der Nutzen-Risiko-Bewertung der Impfstoffe seien Impfnebenwirkungen und -komplikationen in Relation zur Menge der verabreichten Impfdosen zu beurteilen. Der zeitliche Zusammenhang von Nebenwirkungen mit der Impfung beweise nicht stets den kausalen Zusammenhang. In die Risikobewertung müsse auch das Risiko schwerer Folgen einer Covid-19-Erkrankung eingestellt werden. Hiernach sei die Duldungspflicht verhältnismäßig und nach der Nutzen-Risiko-Bewertung der fachlich zuständigen Stellen zumutbar. Auch diese Einschätzung habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht bestätigt.
20Im Frühjahr 2022 ist der proteinbasierte Impfstoff Nuvaxovid des Herstellers Novavax auch in Deutschland auf den Arzneimittelmarkt gekommen, der auf dem klassischen Wirkprinzip der Totimpfstoffe basiert. Der Antragsteller sieht auch diesen Impfstoff als unzumutbar an.
21Der Antragsteller hat gleichzeitig mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorläufigen Rechtsschutz beantragt (1 W-VR 3.22). Der Senat hat das Verfahren mit dem Antrag eines anderen Luftwaffenoffiziers (1 WB 2.22) durch Beschluss vom zur gemeinsamen Verhandlung verbunden und darüber an vier Verhandlungstagen verhandelt und Sachverständigenbeweis erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Gründe
22Der Antrag hat keinen Erfolg.
231. Er ist zwar zulässig. Die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der grundsätzlich verpflichtenden Basisimpfungen stellt eine unmittelbar geltende dienstliche Maßnahme dar (a), von der der Soldat betroffen ist (b) und deren Aufhebung nach § 17 Abs. 3 i. V. m. § 21 Abs. 1 und 2 WBO beim Bundesverwaltungsgericht beantragt werden kann (c).
24a) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WBO (hier i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO) kann ein Soldat die Wehrdienstgerichte anrufen, wenn sein Antrag eine Verletzung seiner Rechte oder eine Verletzung von Vorgesetztenpflichten ihm gegenüber zum Gegenstand hat, die im Zweiten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Soldatengesetzes mit Ausnahme der §§ 24, 25, 30 und 31 geregelt sind. Daraus folgt, dass der Soldat nur solche dienstlichen Maßnahmen und Unterlassungen (§ 17 Abs. 3 WBO) seiner militärischen Vorgesetzten einer gerichtlichen Überprüfung unterziehen kann, die unmittelbar gegen ihn gerichtet sind oder die - obwohl an andere Soldaten gerichtet - in Form einer Rechtsverletzung oder eines Pflichtenverstoßes in seine Rechtssphäre hineinwirken (vgl. 1 WB 28.17 - BVerwGE 164, 304 Rn. 13).
25Hiernach ist der Antrag statthaft, weil die in Nr. 2001 AR A1-840/8-4000 enthaltene Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der Basisimpfungen unmittelbar die Pflicht zur Duldung begründet. Zwar ist die Pflicht eines Soldaten, ärztliche Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten gegen seinen Willen zu dulden, bereits gesetzlich in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG geregelt. Das Gesetz legt indessen nicht fest, welche Impfungen im Einzelnen durchzuführen sind. Vielmehr überlässt es diese Entscheidung dem Dienstherrn, der unter Berücksichtigung der an bestimmten Orten bei bestimmten Einsätzen drohenden Gesundheitsgefahren über die notwendigen Impfungen für die Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr entscheidet.
26Mit der Aufnahme der Covid-19-Impfung in den Katalog der Basisimpfungen im November 2021 ist die Pflicht zur Duldung für diese Impfung aktiviert worden. Denn die Basisimpfungen sind nach der Regelungstechnik des Erlasses für alle militärischen Kräfte vorgeschrieben, die im Inland im Rahmen der Hilfs- und Katastrophenschutzaufgaben der Bundeswehr (Art. 35 GG) zum Einsatz kommen (Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000). Dabei zählen alle aktiven Soldatinnen und Soldaten zum "Hilfs- und Katastrophenschutz Inland", sodass sie für das dafür vorgesehene Impfschema duldungspflichtig sind (Nr. 406 ZDv A-840/8).
27Die Duldungspflicht gilt unmittelbar mit Inkrafttreten des Erlasses. Denn das ärztliche Impfpersonal ist ab diesem Zeitpunkt verpflichtet, die vorgeschriebenen Impfmaßnahmen durchzuführen (Nr. 208 ZDv A-840/8), und die Disziplinarvorgesetzten sind für die Kontrolle des Fortschritts der Impfungen und die zeitgerechte Vorstellung der Soldatinnen und Soldaten zu diesen Impfungen verantwortlich (Nr. 801 ZDv A-840/8). Zwar kann die Duldungspflicht nach § 17a Abs. 4 Satz 2 SG in Sonderfällen zeitweise oder auf Dauer entfallen, wenn die ärztliche Impfung aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist. Diese Dispensmöglichkeit ändert jedoch nichts an dem Grundsatz, dass mit der Aufnahme einer Impfung in die Liste der vorgeschriebenen Basisimpfungen eine Dienstpflicht zur Teilnahme an der entsprechenden Impfung ausgelöst wird und dass allgemeine Einwendungen gegen diese Impfung von dem zuständigen Truppenarzt nicht berücksichtigt werden.
28b) Da unmittelbar geltende Erlasse und Befehle häufig Ausnahmen oder Beschränkungen des Anwendungsbereichs enthalten, muss der Antragsteller hinreichend substantiiert darlegen, dass und inwiefern er von der beanstandeten Regelung unmittelbar betroffen ist (vgl. 1 WB 25.15 - NZWehrr 2015, 255 f.). Dieser Pflicht ist der Antragsteller nachgekommen, indem er auf seine Zugehörigkeit zum impfpflichtigen Personenkreis, auf die ihm für die Covid-19-Impfung gesetzte Nachweisfrist und das Fehlen von bekannten Kontraindikationen hingewiesen hat.
29c) Eine Frist für die Einlegung des Antrags war nicht zu beachten, da es sich bei der Festlegung des Katalogs der Basisimpfungen um eine Daueranordnung handelt (vgl. 1 WB 28.17 - BVerwGE 164, 304 Rn. 15). Denn alle betroffenen Soldatinnen und Soldaten müssen sich nicht nur einmal gegen Covid-19 impfen lassen, sondern je nach medizinischer Erforderlichkeit Auffrischimpfungen durchführen (vgl. Nr. 1080 AR A1-840/8-4000). Auch die in dem Erlass geregelten Verpflichtungen zur Feststellung des Impfstatus, zur Überwachung der Impfungen auf Kontrollblättern und zu deren Durchführung gelten auf unbestimmte Zeit. Der Antrag auf Aufhebung dieser dauerhaften Duldungspflicht ist formgerecht eingelegt und dem Bundesverwaltungsgericht, das dafür nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WBO erst- und letztinstanzlich zuständig ist, vorgelegt worden.
302. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen ist rechtmäßig. Die diesbezügliche Ermessensentscheidung des Bundesministeriums der Verteidigung beruht auf sachgerechten Erwägungen und ist weiterhin verhältnismäßig. Die entsprechende Änderung der Allgemeinen Regelungen (AR) A1-840/8-4000 ist insbesondere formell rechtmäßig.
31a) Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur der allgemeine Verwaltungserlass zur Aufnahme der Covid-19-Schutzimpfung in die Liste der verpflichtenden Basisimpfungen. Darin sind noch nicht alle für den einzelnen Soldaten maßgeblichen Fragen geregelt. Insbesondere wird der zu verwendende Impfstoff nicht definitiv festgelegt. Dies geschieht erst, wenn der jeweilige Soldat keinen gültigen Impfnachweis vorlegt, wenn der Truppenarzt dessen medizinische Impftauglichkeit feststellt und den infrage kommenden Impfstoff bestimmt. Dann befiehlt der Disziplinarvorgesetzte einzelfallbezogen gegenüber dem betroffenen Soldaten die Duldung einer bestimmten Impfung mit einem konkreten Impfstoff. Da ein entsprechender Befehl als Einzelfallanordnung mit der Beschwerde und einem Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung angegriffen werden kann, sind die Besonderheiten einzelner Impfstoffe und insbesondere die Frage einer individuellen medizinischen Kontraindikation, die eine persönliche Unzumutbarkeit nach § 17a Abs. 4 Satz 2 SG begründen kann, nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
32Die Rechtmäßigkeit der allgemeinen Anordnung einer Schutzimpfung ist allerdings keine völlig abstrakte Frage, sondern jeweils auf eine konkrete übertragbare Krankheit und auf die dafür vorhandenen konkreten Impfstoffe bezogen. Daher müssen die zu erwartenden Nebenwirkungen, die bei den zur Verfügung stehenden und nach Mitteilung des Dienstherrn eingesetzten Impfstoffen auftreten, schon bei Erlass der allgemeinen Verwaltungsvorschrift in die Rechtmäßigkeitsprüfung einbezogen werden. Das Bundesministerium der Verteidigung hat dazu ausgeführt, dass die Bundeswehr vorwiegend die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna verwendet und bei der Auswahl der Impfstoffe im Einzelfall die medizinisch-fachlichen Vorgaben, insbesondere die Altersempfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut, beachtet. Dies folgt auch aus Nr. 1080 bis 1084 AR A1-840/8-4000.
33b) Die Rechtsgrundlage für den Verwaltungserlass besteht einerseits in der allgemeinen Befehls- und Weisungsbefugnis des Vorgesetzten für dienstliche Fragen nach § 10 Abs. 4 SG und andererseits in der speziellen Regelung des § 17a SG, der dem einzelnen Soldaten die Dienstpflicht auferlegt, sich gesund zu erhalten und ärztliche Maßnahmen zur Verhinderung übertragbarer Krankheiten zu dulden. Durch das Zusammenspiel dieser Vorschriften hat der Gesetzgeber festgelegt, dass die Duldung von ärztlichen Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten eine persönliche Dienstpflicht jedes einzelnen Soldaten ist und dass die Vorgesetzten die Durchführung solcher Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben anordnen, organisieren und regeln.
34c) Für den Erlass ist das Bundesministerium der Verteidigung als höchste vorgesetzte Stelle, die der nach Art. 65a GG mit Befehls- und Kommandogewalt ausgestatteten Verteidigungsministerin untersteht, letztverantwortlich. Es hat gemeinsam mit dem Kommando Sanitätsdienst die allgemeinen Regelungen (AR) A1-840/8-4000 zur Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-840/8 "Impf- und weitere ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" nach einem ordnungsgemäßen Verfahren am geändert. Dabei wurden - wie vorgeschrieben - die Hauptschwerbehindertenvertretung, der Hauptpersonalrat und der Gesamtvertrauenspersonenausschuss nach § 38 Abs. 3 Satz 3 SBG beteiligt. Während die Hauptschwerbehindertenvertretung und der Hauptpersonalrat ohne Vorbehalte zugestimmt haben, hat der Gesamtvertrauenspersonenausschuss Einwände erhoben und das Schlichtungsverfahren nach § 38 Abs. 4 Satz 1 SBG eingeleitet. Schließlich hat der Schlichtungsausschuss am der Aufnahme der Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus einschließlich der Boosterimpfungen in das Impfschema zugestimmt und die künftige Aufnahme einer Risikoanalyse gefordert. Auf der Grundlage dieser Empfehlung hat das Bundesministerium der Verteidigung nach § 38 Abs. 4 Satz 4 SBG die Verwaltungsvorschrift am folgenden Tag erlassen. Einer nochmaligen Befassung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses bedurfte es nicht.
353. Die Anordnung der Covid-19-Schutzimpfung beruht auf einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage. Nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG muss ein Soldat ärztliche Maßnahmen gegen seinen Willen dulden, wenn sie der Verhütung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dienen. Diese Rechtsnorm genügt dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot (a) und der auch im Demokratieprinzip wurzelnden Wesentlichkeitstheorie (b). Sie stellt eine zulässige Beschränkung der Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit (c) und Berufsfreiheit (d) dar.
36a) Nach dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können. Dabei sind die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm rechtfertigen soll. Allerdings fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist. Das Bestimmtheitsgebot schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln nicht aus. Der Gesetzgeber muss in der Lage bleiben, der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden. Dabei lässt sich der Grad der für eine Norm jeweils erforderlichen Bestimmtheit nicht abstrakt festlegen, sondern hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Tatbestands einschließlich der Umstände ab, die zur gesetzlichen Regelung geführt haben. Gegen die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe bestehen keine Bedenken, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehung anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normzusammenhangs oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt (vgl. , 502/16 - BVerfGE 149, 293 Rn. 77 f. m. w. N.).
37Nach diesen Maßstäben ermöglicht es § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG dem einzelnen Soldaten zwar nicht, dem Gesetz selbst einen abschließenden Katalog an duldungspflichtigen ärztlichen Eingriffen zu entnehmen. Vielmehr sind die verwendeten Begriffe "Maßnahmen", "Verhütung oder Bekämpfung" und "übertragbare Krankheiten" eher allgemeine Umschreibungen von einer gewissen Spannweite. Allerdings gibt es für die Entscheidung des Gesetzgebers, die notwendigen ärztlichen Maßnahmen nicht konkret im Einzelnen aufzulisten, sondern abstrakt zu umschreiben, gute Gründe. Die Norm dient der Abwehr einer Vielzahl nicht abschließend vorhersehbarer Gefahren, die mit der Infektion von Soldaten für sie selbst und für die Einsatzfähigkeit ihrer militärischen Verbände verbunden sind. Die Infektionsgefahren sind je nach Ort und Zeit eines militärischen Einsatzes unterschiedlich. Bei einem Auslandseinsatz in Afrika kann beispielsweise eine Malariaprophylaxe geboten sein, die im militärischen Alltag im Inland nicht veranlasst ist. Auch die möglichen Gefahrenabwehrmaßnahmen sind abhängig von den in einem Szenario tatsächlich zur Verfügung stehenden medizinischen Ressourcen und Handlungsoptionen. Dies legt es nahe, der Exekutive - wie im gesamten Gefahrenabwehrrecht - einen Ermessensspielraum bei der Festlegung der im Einzelnen notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen einzuräumen und nur den Handlungsrahmen gesetzlich abzustecken.
38Dieser Handlungsrahmen ist bei § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG durch Auslegung bestimmbar, weil die Schlüsselbegriffe der Norm den Grundbegriffen des Infektionsschutzgesetzes entsprechen und dort teilweise gesetzlich definiert sind (vgl. § 2 IfSG). Dementsprechend hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits in den 60er Jahren entschieden, dass sich die Bestimmung des Soldatengesetzes an der Begriffsbildung des Bundesseuchengesetzes - dem Vorläufer des heutigen Infektionsschutzgesetzes - orientiert ( 1 WDB 11.68 - BVerwGE 33, 339). Da sich der Begriff der übertragbaren Krankheiten auch in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG findet, ist er zudem durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konturiert (vgl. u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 124 - 126). Aber auch der zunächst weit erscheinende Begriff der ärztlichen Maßnahmen ist durch Auslegung gut eingrenzbar. Damit sollte nach dem historischen Willen des Gesetzgebers (BT-Drs. 2/2140 S. 8) in erster Linie die Durchführung von Schutzimpfungen ermöglicht werden (vgl. 1 WB 149.78 - BVerwGE 63, 278 <284 f.>). Schwerwiegendere Eingriffe werden durch die Verweisung in § 17a Abs. 2 Satz 3 SG auf die in § 25 Abs. 3 Satz 3 IfSG vorgesehenen rechtlichen Grenzen für ärztliche Eingriffe ohne Zustimmung des Betroffenen ausgeschlossen. Demnach sind erhebliche invasive Eingriffe ebenso wie eine Narkose erfordernde Behandlungen gegen den Willen des Soldaten unzulässig.
39b) Die Regelung des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG entspricht auch dem im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip enthaltenen Gebot an den Gesetzgeber, die wesentlichen Fragen selbst zu regeln und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen (sog. Wesentlichkeitstheorie). Wann es aufgrund der Wesentlichkeit einer Frage der Regelung des parlamentarischen Gesetzgebers bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des Regelungsgegenstandes ab. Dabei bedeutet "wesentlich" im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Als wesentlich sind also Regelungen zu verstehen, die für die Verwirklichung von Grundrechten erhebliche Bedeutung haben und sie besonders intensiv betreffen. Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden muss (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 1322/12 u. a. - BVerfGE 139, 19 Rn. 52 und vom - 1 BvR 2649/21 - NVwZ 2022, 950 Rn. 125).
40Nach diesen Maßstäben hat der Gesetzgeber mit § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG die wesentliche Grundentscheidung für die Impfpflicht der Soldatinnen und Soldaten selbst getroffen. Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des Berufsbildes der Soldatinnen und Soldaten die körperliche Einsatzfähigkeit als wesentliches Merkmal angesehen. Er hat die Pflicht zur Gesunderhaltung als allgemeinen Grundsatz des militärischen Dienstes und die Bereitschaft zur Duldung der für die Gesunderhaltung notwendigen Infektionsschutzmaßnahmen als besondere Ausprägung dieses Prinzips normiert. Dabei ging es ihm insbesondere um die Bereitschaft zur Durchführung der zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erforderlichen Schutzimpfungen (BT-Drs. 2/2140 S. 8).
41Eine nähere gesetzliche Ausgestaltung der im Einzelnen notwendigen Schutzimpfungen bedurfte es angesichts der Eigenart des Regelungsgegenstandes nicht. Zum einen ging es schon bei Einführung der Duldungspflicht für Infektionsschutzmaßnahmen (früher Seuchenbekämpfungsmaßnahmen), die es seit Bestehen der Bundeswehr gibt, von vornherein nicht nur um die Duldung einer einzigen Impfung, sondern angesichts der Bedrohung durch verschiedene übertragbare Krankheiten um die Hinnahme einer Mehrzahl denkbarer Infektionsschutzmaßnahmen. Zum anderen orientiert sich die Erforderlichkeit von Schutzimpfungen und sonstigen Infektionsschutzmaßnahmen - wie ausgeführt - am jeweiligen militärischen Einsatz und an den sich ändernden Gesundheitsgefährdungen. Eine konkrete Auflistung einzelner Impfzwecke und Impfstoffe im Soldatengesetz stünde stets in der Gefahr, dem aktuellen Infektionsgeschehen und den konkreten Einsatzerfordernissen nicht gerecht zu werden.
42Daher konnte es der Gesetzgeber bei der abstrakten Umschreibung der gesetzlichen Duldungspflicht belassen und musste selbst nur den besonders grundrechtsrelevanten Rechtsrahmen (ärztliche Überwachung, einzelfallbezogene Zumutbarkeitsprüfung, nicht-invasive Maßnahmen, Infektionsschutzzweck) vorgeben. Die Umsetzung dieser Vorgaben in den sich wandelnden militärischen Einsatzszenarien und epidemischen Bedrohungslagen konnte der Gesetzgeber angesichts der Besonderheiten des militärischen Regelungsbereichs der Exekutive überlassen. Dafür sprach, dass Dienstpflichten in der Bundeswehr allgemein durch Dienstanweisungen und Befehle konkretisiert werden, auch soweit es die Gesunderhaltung und den Dienstsport betrifft. Außerdem führt die Bundeswehr durch eigene Ärzte und Bundeswehrkrankenhäuser die medizinische Betreuung durch und kann aufgrund der Expertise einer eigenen Sanitätsakademie eine fachgerechte Abstimmung der militärischen und medizinischen Belange gewährleisten.
43Besteht somit nach der Wesentlichkeitstheorie keine Notwendigkeit, die im militärischen Bereich erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen im Soldatengesetz einzeln gesetzlich zu bestimmen, ist auch eine ausdrückliche Erwähnung der Covid-19-Schutzimpfung in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG nicht erforderlich. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das SARS-CoV-2-Virus ein neuartiger Erreger ist, an den bei Erlass der Vorschrift niemand gedacht hat. Denn die inhaltliche Offenheit des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG dient gerade dazu, auf neue Infektionsgefahren flexibel reagieren zu können. Deswegen macht auch der Umstand, dass bei der Bekämpfung des Virus eine neue Impfstofftechnologie zur Anwendung gekommen ist, eine ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht erforderlich. Die Bewertung der Effektivität und Sicherheit der Impfstoffe ist ebenfalls aus Gründen der Flexibilität und Sachnähe der Exekutive überlassen worden. Der politische Streit um die Einführung einer allgemeinen Covid-19-Impfpflicht ist schließlich - wie ausgeführt - für sich genommen kein Umstand, der für die verfassungsrechtliche Bewertung der Notwendigkeit einer ergänzenden gesetzlichen Regelung ausschlaggebend sein kann.
44c) Die Norm des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG begegnet auch keinen durchgreifenden grundrechtlichen Bedenken. Sie greift allerdings in die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ein.
45aa) Die Vorschrift berührt das Grundrecht der Soldatinnen und Soldaten auf körperliche Unversehrtheit in zweierlei Hinsicht. Sie gestattet Eingriffe in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Freiheit jedes Menschen, autonom über die bei ihm durchzuführenden medizinischen Untersuchungs-, Vorsorge- und Heilmaßnahmen zu entscheiden (körperliches Selbstbestimmungsrecht, vgl. - BVerfGE 128, 282 <300>). Während die Durchführung einer Schutzimpfung ansonsten von der Einwilligung des Einzelnen, das heißt seiner individuellen und subjektiven Nutzen-Risiko-Bewertung abhängt, ermöglicht es § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG dem Dienstherrn, dem Soldaten "gegen seinen Willen" Schutzimpfungen und andere Infektionsschutzmaßnahmen im Interesse der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr verpflichtend auf der Grundlage einer das Einzel- wie das Gesamtinteresse berücksichtigenden Nutzen-Risiko-Abwägung aufzuerlegen.
46Zum anderen ermöglicht das Gesetz auch die mit Schutzimpfungen und anderen ärztlichen Infektionsschutzmaßnahmen verbundenen Eingriffe in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte körperliche Integrität (vgl. dazu - BVerfGE 128, 282 <300>). Denn Impfstoffe führen zu Veränderungen im Körper. Sie bewirken die Bildung von Antikörpern gegen bestimmte Erreger; schon diese intendierte körperliche Reaktion ist häufig mit einer vorübergehenden Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens verbunden (sog. Impfreaktionen). Daneben können aber fast alle zugelassenen Impfstoffe in Einzelfällen gravierende unerwünschte Auswirkungen (sog. Impfkomplikationen) verursachen.
47Der Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kann auch nicht mit dem Argument bestritten werden, dass für den Fall der Impfverweigerung kein unmittelbarer Zwang vorgesehen ist. Zwar ist weder in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG noch an anderer Stelle des Soldatengesetzes eine Zwangsimpfung vorgesehen. Darum wird körperlicher Zwang in Nr. 209 ZDv A-840/8 ausdrücklich untersagt. Ein Eingriff in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG liegt jedoch nicht nur bei körperlichem, sondern auch bei psychisch vermitteltem Zwang vor, der insbesondere durch die Androhung von Strafen vermittelt wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 244 ff. und vom - 1 BvR 2649/21 - NVwZ 2022, 950 Rn. 113 f.). Dem steht die Androhung von Disziplinarmaßnahmen gleich. Aus der Ausgestaltung der soldatenrechtlichen Impfpflicht als Dienstpflicht folgt, dass eine vorsätzliche Verweigerung eines entsprechenden Befehls als Dienstvergehen geahndet werden kann ( 2 WNB 8.20 - Buchholz 449 § 17a SG Nr. 1 Rn. 14). Das Bundesministerium der Verteidigung hat für den Fall der Impfverweigerung die disziplinarrechtliche Ahndung auch angedroht.
48Dem Eingriffscharakter einer Impfpflicht steht auch nicht entgegen, dass sie zum Zwecke der Verhinderung einer symptomatischen oder schweren Infektionserkrankung vorgenommen wird. Eine schädigende Zielrichtung ist nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines Eingriffes in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ( u. a. - FamRZ 2021, 1564 Rn. 57). Die Freiheitsrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der - jedenfalls in den Augen Dritter - den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwiderläuft. Dies umfasst das Recht, auf medizinischen Schutz zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn dies nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt ist ( - BVerfGE 142, 313 Rn. 74).
49bb) Der Gesetzgeber hat allerdings nicht - wie der Antragsteller meint - in das Grundrecht auf Leben eingegriffen. Da es um eine vorbeugende medizinische Maßnahme geht, bildet das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit als spezielles Grundrecht den Prüfungsmaßstab (vgl. Gebhard, Impfpflicht und Grundgesetz, 2022, S. 138 ff.). Dies hat seinen Grund darin, dass es bei Heileingriffen und vorbeugenden medizinischen Maßnahmen um eine Verbesserung des Gesundheitszustands oder um eine Verringerung des Risikos schwerer Erkrankungen geht. Eine Erhöhung des Sterblichkeitsrisikos wird weder bezweckt noch bewirkt, sodass kein finaler Eingriff in das Grundrecht auf Leben vorliegt. Der unvermeidliche Umstand, dass es bei Impfungen in seltenen Fällen zu tödlich verlaufenden Komplikationen kommen kann, ändert am Charakter der Impfungen als medizinische Heileingriffe und am grundrechtlichen Prüfungsmaßstab des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit nichts.
50Die Vorschrift des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG greift auch nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Soldatinnen und Soldaten ein, weil die Impfstoffe nach dieser Vorschrift nicht unter physischem Zwang verabreicht werden und keine persönlichkeitsverändernde Wirkung haben (anders bei Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvL 8/15 - BVerfGE 142, 313 Rn. 74 und vom - 2 BvR 1866/17 u. a. - FamRZ 2021, 1564 Rn. 58).
51Ein Eingriff in das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG ist gleichfalls nicht intendiert und vorliegend nicht plausibel dargelegt.
52cc) Die Regelung des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG greift allerdings in das Grundrecht auf Berufsfreiheit ein, indem sie den Soldatinnen und Soldaten die Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen als Dienstpflicht vorschreibt.
53Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet die Freiheit der beruflichen Betätigung. Unter Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 3102/13 - BVerfGE 141, 121 Rn. 32 ff. und vom - 1 BvR 1679/17, 2190/17 - BVerfGE 155, 238 Rn. 92). Der Schutz dieses Grundrechts ist umfassend angelegt, wie die ausdrückliche Erwähnung von Berufswahl, Wahl von Ausbildungsstätte und Arbeitsplatz und Berufsausübung zeigt (vgl. - BVerfGE 113, 29 <48>). Der Schutzbereich erfasst auch Berufe im öffentlichen Dienst, wie das Wehrdienstverhältnis der Soldaten ( - BVerfGE 7, 377 <397 f.>; - BVerfGE 16, 6 <21>). Dem steht Art. 33 GG nicht entgegen, der für Berufe im öffentlichen Dienst lediglich Sonderregelungen ermöglicht und die Berufsfreiheit entsprechend modifiziert ( - BVerfGE 7, 377 <397 f.>).
54Die Pflicht zur Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen, insbesondere von Schutzimpfungen, hat eine objektiv berufsregelnde Tendenz (vgl. dazu u. a. - BVerfGE 111, 191 <213>). Sie greift als fortlaufende Dienstpflicht in erster Linie in den Bereich der beruflichen Betätigung ein. Die Pflicht zur Duldung von Schutzimpfungen aktualisiert sich im beruflichen Alltag der Soldatinnen und Soldaten meist im Rahmen allgemeiner medizinischer Gesundheitsuntersuchungen oder im zeitlichen Vorfeld von bestimmten Auslandseinsätzen.
55Die Freiheit der Berufswahl wird durch § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zwar nicht unmittelbar eingeschränkt, weil die Bereitschaftserklärung zur Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen nicht Voraussetzung für die Begründung des Wehrdienstverhältnisses ist. Die Vorschrift greift jedoch mittelbar in die Freiheit der Berufswahl ein. Denn die Verweigerung der Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen hat - wie ausgeführt - als Dienstpflichtverletzung disziplinarrechtliche Folgen und kann jedenfalls im Extremfall der wiederholten Befehlsverweigerung auch zur Beendigung des Wehrdienstverhältnisses führen. Dies betrifft den von der Wahlfreiheit umfassten Schutz vor Aufgabe des frei gewählten Berufs (vgl. u. a. - BVerfGE 149, 126 Rn. 38). Zudem bewirkt § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG mittelbar, dass Personen, die bestimmte oder alle Schutzimpfungen ablehnen, der Zugang zum Soldatenberuf faktisch verwehrt ist.
56d) Der mit § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG verbundene Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und auf Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
57aa) Der Gesetzgeber ist grundsätzlich berechtigt, entsprechende freiheitsbeschränkende Regelungen zu erlassen. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung "durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden". Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG gestattet es ebenfalls, in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit "auf Grund eines Gesetzes" einzugreifen. Bereits bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates stand den Müttern und Vätern des Grundgesetzes die Einführung einer gesetzlichen Impfpflicht als möglicher Anwendungsfall einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme vor Augen (JÖR <N. F.> 1, S. 60). Deswegen haben der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht die in der Nachkriegszeit fortgeltende allgemeine Impfpflicht gegen Pocken, die noch auf dem Impfgesetz vom 8. April 1874 (RGBl. S. 31) beruhte, als verfassungsmäßig angesehen (vgl. BGH, Gutachten vom - VRG 5/51 - BGHSt 4, 375 ff.; 1 C 170.56 - BVerwGE 9, 78 ff.).
58Der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG ist nicht als reiner Verwaltungsvorbehalt zu verstehen. Der Gesetzgeber kann es zwar der Exekutive gestatten, zum Schutz gewichtiger Gemeinwohlziele oder der Grundrechte anderer in die Freiheit der Person oder die körperliche Unversehrtheit einzugreifen. Er kann den Eingriff aber auch selbst ganz oder teilweise durch das Gesetz vornehmen ( u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 269 - 272 zu sog. selbstvollziehenden Gesetzen). Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit der Begründung einer dienstrechtlichen Duldungspflicht den Eingriff in das körperliche Selbstbestimmungsrecht der Soldaten zu einem gewichtigen Teil selbst vorgenommen. § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG ersetzt die Einwilligung der Soldaten in ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen und verpflichtet sie daher, die mit dem ärztlichen Eingriff - hier der Schutzimpfung - verbundenen Risiken und Nebenwirkungen wie im Falle der Einwilligung hinzunehmen. Der Anteil der Exekutive an dem Grundrechtseingriff besteht darin, die im Einzelnen erforderlichen Maßnahmen festzulegen. Der Dienstherr bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen die nach Art, Zeit und Ort des Einsatzes der Bundeswehreinheiten zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft notwendigen und medizinisch zumutbaren Schutzimpfungen beziehungsweise anderweitigen Infektionsschutzmaßnahmen. Er aktualisiert dabei die gesetzliche Duldungspflicht.
59bb) Die gesetzliche Regelung ist auch formell ordnungsgemäß zustande gekommen. Bereits im Soldatengesetz von 1957 war in § 17 Abs. 4 Satz 3 SG a. F. eine Duldungspflicht für ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen vorgesehen. Mit dem Gesetz zur nachhaltigen Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr vom (BGBl. I S. 1147) wurden zur Verbesserung der rechtssystematischen Klarheit und der Rechtsanwenderfreundlichkeit die gesundheitlichen Rechte und Pflichten der Soldatinnen und Soldaten in eine neue Vorschrift überführt, wobei hinsichtlich der Duldungspflicht nur redaktionelle und sprachliche Anpassungen vorgenommen wurden (BT-Drs. 19/9491 S. 103, 104). Bei diesem Gesetz sind die für Bundesgesetze geltenden Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften beachtet worden. Wie schon in der Vorgängerregelung hat der Bundesgesetzgeber seinen Willen, das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit einzuschränken mit § 17a Abs. 2 Satz 2 SG im Gesetz selbst zum Ausdruck gebracht und damit das in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltene Zitiergebot beachtet. Einer zusätzlichen Erwähnung des Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG bedurfte es nicht. Denn Berufsregelungen im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG sind nicht als Einschränkungen im Sinne von Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG zu verstehen ( - BVerfGE 7, 377 <403 f.>; - BVerfGE 13, 97 <122>).
60cc) Die soldatenrechtliche Pflicht zur Duldung von Schutzimpfungen ist auch materiell-rechtlich verfassungsgemäß. Sie verfolgt gewichtige und legitime Gemeinwohlziele. Dazu zählt allerdings nicht der Schutz der Volksgesundheit, weil eine berufsspezifische Impfpflicht vorliegt.
61(1) Dass die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr einer weitgehenden Impfpflicht unterworfen werden, dient in erster Linie der in Art. 87a Abs. 1 GG vorausgesetzten Funktionsfähigkeit der Bundeswehr (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 170.84 - BVerwGE 83, 191 <192> und vom - 2 WNB 8.20 - DÖD 2021, 194 Rn. 7). Die soldatenrechtliche Impfpflicht fußt auf der Erkenntnis, dass die Schlagkraft militärischer Verbände ganz wesentlich von der Gesundheit und körperlichen Einsatzfähigkeit jedes einzelnen Soldaten abhängt. Militärische Einheiten sind so zusammengesetzt, dass Soldatinnen und Soldaten mit unterschiedlichen Befähigungen arbeitsteilig zusammenwirken. Beispielsweise hängt die Einsatzbereitschaft eines Panzers nicht nur davon ab, dass der Panzerfahrer dienstfähig ist. Sie entfällt auch dann, wenn der Panzerschütze, der Funker oder der Kommandant ausfallen. Übliche krankheitsbedingte Ausfälle können durch Personalreserven abgedeckt werden. Die Verbreitung übertragbarer Krankheiten in einer militärischen Einheit kann aber zum gleichzeitigen Ausfall einer großen Zahl von Soldatinnen und Soldaten führen und die Einsatzbereitschaft der gesamten militärischen Einheit infrage stellen (vgl. Metzger, in: Eichen/Metzger/Sohm, SG, 4. Aufl. 2021, § 17a Rn. 7).
62(2) Die Pflicht zur Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen dient ferner dem Schutz der Grundrechte anderer Soldatinnen und Soldaten. Eine Vielzahl von Infektionserregern ist unmittelbar oder mittelbar von Mensch zu Mensch übertragbar, sodass die Durchführung einer Schutzimpfung etwa gegen Influenza auch das Erkrankungsrisiko anderer Soldatinnen und Soldaten reduziert. Da viele Soldaten sich aufgrund ihrer Kasernierung oft längere Zeit mit anderen Kameraden in denselben Räumen aufhalten und bei Übungen und Einsätzen etwa in Panzern, U-Booten oder Hubschraubern in unmittelbarer räumlicher Nähe eng mit ihren Kameraden zusammenarbeiten, besteht zwischen ihnen ein überdurchschnittlich hohes Übertragungsrisiko. Schutzimpfungen können in diesen Fällen einen Beitrag dazu leisten, dass die Weitergabe (Transmission) des Erregers erschwert oder verhindert wird; dies dient dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit anderer Soldaten, deren Impfschutz etwa durch mangelnde Bildung von Antikörpern oder durch Zeitablauf unzureichend ist oder zum Beispiel wegen einer medizinischen Kontraindikation fehlt.
63(3) Unabhängig davon muss die in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG normierte Pflicht im Kontext der besonderen Stellung der Soldatinnen und Soldaten als Staatsdiener gesehen werden. Diese Vorschrift gestaltet das Berufsbild der Soldatinnen und Soldaten aus. Sie stehen als Hoheitsträger gemäß Art. 33 Abs. 4 GG, § 1 Abs. 1 Satz 2 SG in einem besonderen öffentlichen Dienst- und Treueverhältnis (vgl. 2 C 1.13 - BVerwGE 149, 117 Rn. 61). Gerade weil militärische Verbände stets einsatzbereit sein müssen, um für unterschiedliche, nicht vorhersehbare Einsätze militärischer oder ziviler Art (vgl. Art. 35 GG) schnell zur Verfügung zu stehen, gehört die Bereitschaft des einzelnen Soldaten, auf seine körperliche Einsatzfähigkeit zu achten und sie nach Möglichkeit zu gewährleisten, zu seinen besonderen Dienstpflichten; diese für das militärische Dienst- und Treueverhältnis spezifische Dienstpflicht ist einfach-rechtlich in § 17a Abs. 1 SG als allgemeine Gesunderhaltungspflicht normiert worden. Sie findet im Dienstalltag der Soldatinnen und Soldaten beispielsweise darin ihren Niederschlag, dass sie im Dienst zur Erhaltung ihrer Fitness und Gesundheit Sport treiben und Sportprüfungen ablegen müssen. Sie dürfen weder im Dienst noch außer Dienst Drogen zu sich nehmen und müssen im Einsatz ein Alkoholverbot beachten. Die von § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG geforderte Bereitschaft, sich der Gesunderhaltung dienenden Impfungen zu unterwerfen, ist ein Ausfluss dieser allgemeinen Gesunderhaltungspflicht.
64dd) Die gesetzliche Normierung einer allgemeinen Duldungspflicht in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG für ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen entspricht auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie dient dem Schutz verfassungsrechtlich gewichtiger Güter und ist zur Verfolgung dieser Zwecke im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, erforderlich sowie angemessen.
65(1) Das mit der Duldungspflicht verfolgte Ziel der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ist ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang. Insbesondere in Art. 87a GG hat der Verfassungsgeber eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für eine wirksame militärische Landesverteidigung getroffen. Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben verfassungsrechtlichen Rang ( u. a. - BVerfGE 69, 1 <21 f.>). Ebenso hat die Schutzpflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Bezug auf die Gesundheit anderer Personen, die einer Gefährdung nicht ausweichen können, verfassungsrechtlichen Rang (vgl. u. a. - FamRZ 2021, 1564 Rn. 64). Dem Rechtsgedanken, dass die Verpflichtung zum Erhalt der eigenen Einsatzbereitschaft dem spezifischen Dienst- und Treueverhältnis des Soldaten nach Art. 33 Abs. 4 GG innewohnt, kommt bei der Frage der Einschränkbarkeit der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 12 Abs. 1 GG ebenfalls verfassungsrechtliche Bedeutung zu.
66(2) Der Gesetzgeber konnte davon ausgehen, dass die Einführung einer berufsspezifischen Duldungspflicht für Schutzimpfungen ein geeignetes Mittel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und der Gesundheit anderer Soldaten ist. Dem Gesetzgeber steht bei der Beurteilung der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit einer Maßnahme ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 185, 204, 217). Seine Annahme ist naheliegend, dass im beruflichen Alltagsleben der Soldaten in Kasernen und bei Übungen und Einsätzen ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht und dass die Durchführung von ärztlichen Schutzimpfungen und anderen Infektionsschutzmaßnahmen einen gewichtigen Beitrag zur Reduzierung von Gesundheitsrisiken und zum Erhalt der Einsatzbereitschaft leistet.
67(3) Der Gesetzgeber konnte die Begründung einer berufsbezogenen Duldungspflicht für Schutzimpfungen als erforderlich ansehen. Ein milderes gleich wirksames Mittel ist nicht ersichtlich. Die Einführung eines freiwilligen Impfangebots wäre nicht gleich effektiv. Denn dies gewährleistet gerade nicht, dass der größtmögliche Schutz vor Infektionsgefahren besteht.
68(4) Schließlich konnte der Gesetzgeber die Einführung einer allgemeinen Duldungspflicht für ärztliche Schutzimpfungen auch als angemessene Maßnahme bewerten. Der Gesetzgeber hat dem Gesundheitsschutz der Betroffenen dadurch Rechnung getragen, dass die Impfung nur durch Ärzte erfolgt, die vor dem medizinischen Eingriff die besonderen gesundheitlichen Risiken des Einzelnen prüfen. Er hat die Duldungspflicht dadurch schonend ausgestaltet, dass sie nur Schutzimpfungen und wenig belastende ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen umfasst (§ 17a Abs. 2 Satz 3 SG i. V. m. § 25 Abs. 3 IfSG). Zudem hat er die Duldungspflicht dadurch begrenzt, dass die Soldaten nach § 17a Abs. 4 Satz 2 SG keine Maßnahmen dulden müssen, die eine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit begründen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn beim Einzelnen eine medizinische Kontraindikation vorliegt ( 2 WNB 8.20 - Buchholz 449 § 17a SG Nr. 1 Rn. 14). Damit geht die Impfpflicht der Soldatinnen und Soldaten nicht über das Maß hinaus, das anderen Berufsgruppen bei einer verpflichtenden Schutzimpfung abverlangt wird (vgl. § 20 Abs. 6 Satz 2, Abs. 8 Satz 4 IfSG).
69Schließlich fließt die besondere Einsatzorientierung des soldatischen Dienst- und Treueverhältnisses (Art. 33 Abs. 4 GG) in die Abwägung mit ein. Soldaten müssen von Berufs wegen bei militärischen Einsätzen - insbesondere bei Auslandsmissionen und im Fall der Landesverteidigung - erhebliche Gesundheitsrisiken hinnehmen (vgl. 2 WNB 8.20 - DÖD 2021, 194 Rn. 6). Dieser besondere Einsatzbezug des Soldatenberufs rechtfertigt es, den Soldaten im Interesse ihrer Einsatzfähigkeit eine Impfpflicht aufzuerlegen, die anderen Staatsbürgern nicht abverlangt wird.
70Für die Angemessenheit der gesetzlichen Regelung des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG spricht schließlich, dass der Gesetzgeber die Einzelheiten der Impfpflicht ins pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn gestellt hat. Dies ermöglicht dem Dienstherrn flexible und situationsabhängige Entscheidungen und eröffnet Raum, Besonderheiten des Einzelfalls gerecht zu werden. Zugleich findet auch Grundrechtsschutz durch Verfahren statt. Denn die allgemeine Einführung neuer Impfungen unterliegt - wie unten näher ausgeführt wird - der Mitbestimmung der Soldatinnen und Soldaten. Zugleich wird eine gerichtliche Kontrolle der Verhältnismäßigkeit bestimmter Infektionsschutzmaßnahmen ermöglicht. Der einzelne Soldat kann trotz Vorliegens einer berufsbezogenen Impfpflicht im Rahmen der Wehrbeschwerde und des wehrdienstgerichtlichen Antragsverfahrens Grundrechtsschutz im Einzelfall erlangen. Die wehrdienstgerichtliche Kontrolle hat sich in der Vergangenheit bewährt und wichtige Klarstellungen zur Verhältnismäßigkeit von Infektionsschutzmaßnahmen erbracht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WDB 11.68 - BVerwGE 33, 339 zur Tetanusimpfung, vom - 1 WB 142.82 - und vom - 1 WB 108.80 - zur Pockenschutzimpfung sowie vom - 1 WB 170.84 - BVerwGE 83, 191 zur TBC-Reihenuntersuchung).
71Schließlich hat der Dienstherr dem Umstand, dass die Soldatinnen und Soldaten im Rahmen ihres Dienst- und Treueverhältnisses Impfungen zu dulden haben, auch dadurch Rechnung getragen, dass er den Soldaten im Falle eines Impfschadens neben den jedermann zustehenden infektionsschutzrechtlichen Ausgleichsansprüchen (vgl. Dutta, NJW 2022, 649) auch einen soldatenversorgungsrechtlichen Anspruch eingeräumt hat. Die Duldung einer dienstlich angeordneten Impfung ist als Wehrdienstverrichtung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG anerkannt, sodass im Falle eines Impfschadens nach § 85 SVG ein versorgungsrechtlicher Ausgleich wegen einer Wehrdienstbeschädigung gewährt wird (vgl. - juris Rn. 28 ff.).
72ee) Durch die Begründung einer gesetzlichen Duldungspflicht für ärztliche Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten wird auch nicht der nach Art. 19 Abs. 2 GG unantastbare Wesensgehalt der betroffenen Grundrechte verletzt. Ein Eingriff in den unantastbaren Wesensgehalt der körperlichen Unversehrtheit liegt schon deswegen nicht vor, weil die dienstrechtliche Duldungspflicht nicht gegen den Willen des Soldaten mit physischem Zwang durchgesetzt wird und auf diese Weise das Selbstbestimmungsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht völlig ausgeschlossen wird (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom - Nr. 47621/13 u. a. - NJW 2021, 1657 LS 5).
73Auch hinsichtlich der körperlichen Integrität wird der Wesensgehalt des Grundrechts nicht verletzt. Denn die mit einer Impfung üblicherweise verbundenen Nebenwirkungen führen nur zu geringen Beeinträchtigungen des körperlichen Wohlbefindens. Auch wenn in verhältnismäßig wenigen Fällen Impfkomplikationen mit schweren Erkrankungen oder tödlichen Verläufen auftreten, bewahren diese Schutzimpfungen typischer Weise in einer weit größeren Zahl von Fällen die Soldatinnen und Soldaten davor, aufgrund einer Infektion schwer zu erkranken oder zu sterben. Aufgrund des präventiv-medizinischen Charakters der Maßnahme kann nicht von einem Eingriff in den Wesensgehalt des Grundrechts gesprochen werden (vgl. 1 C 170.56 - BVerwGE 9, 78 <79>).
74Auch hinsichtlich der Berufsfreiheit liegt keine Verletzung der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG vor. Denn die mit § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG verbundenen Beschränkungen beruhen auf vernünftigen Gemeinwohlgründen und führen nicht zu unüberwindbaren objektiven Hindernissen bei der Berufsausübung oder Berufswahl.
754. Die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen ist gleichfalls eine materiell-rechtmäßige dienstliche Maßnahme.
76a) Das Bundesministerium der Verteidigung hat auf der Grundlage des § 10 Abs. 4 i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, welche ärztlichen Schutzimpfungen und Infektionsschutzmaßnahmen im Einzelnen nach Art, Zeit und Ort des Einsatzes der Bundeswehreinheiten zur Erhaltung der Einsatzbereitschaft notwendig und medizinisch zumutbar sind. Die angefochtenen Dienstvorschriften können gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens verkannt oder überschritten worden sind oder ob das Bundesministerium der Verteidigung von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Wie für jedes den Bürger belastende hoheitliche Tätigwerden gilt dabei der verfassungskräftige Grundsatz des Übermaßverbots, auf dessen Beachtung auch der Soldat, der die gleichen staatsbürgerlichen Rechte wie jeder andere Staatsbürger besitzt (§ 6 Satz 1 SG), einen Anspruch hat (vgl. 1 WB 170.84 - BVerwGE 83, 191 <193>).
77Wird eine Maßnahme - wie die Durchführung von Basisimpfungen - nicht einmalig, sondern auf unbestimmte Dauer angeordnet, ist der Dienstherr verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme fortlaufend zu überwachen. Er muss insbesondere überprüfen, ob eine einmal festgelegte Duldungspflicht für eine Impfung weiterhin geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Bei der gerichtlichen Kontrolle von Dauerverwaltungsakten kommt es darauf an, dass sie sich nicht nur zum Zeitpunkt des Erlasses, sondern auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtmäßig erweisen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 32.14 - juris Rn. 3 und vom - 1 WRB 2.21 - BVerwGE 174, 94 Rn. 31). Weil die Duldungspflicht für Schutzimpfungen auch in die Grundrechte der Soldaten auf körperliche Unversehrtheit und auf Berufsfreiheit eingreift, ist eine fortdauernde Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer verpflichtenden Impfanordnung und eine ständige Überwachung der Impfsicherheit auch unter dem grundrechtlichen Aspekt der Schutzpflicht des Staates für die Gesundheit des Einzelnen sowie unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn rechtlich geboten.
78Dabei kann die Frage, welche Gefahren von einem Krankheitserreger ausgehen und welche vor- und nachteiligen Auswirkungen von einer Schutzimpfung zu erwarten sind, nur vor dem Hintergrund des jeweils aktuellen Stands der wissenschaftlichen Erkenntnis und mit Blick auf die im jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehenden und zum Einsatz bestimmten Impfstoffe beurteilt werden. Im Laufe der Zeit kann sich eine anfänglich positive Nutzen-Risiko-Bewertung für einen Impfstoff ändern, weil bisher unbekannte Nebenwirkungen auftreten oder die Wirksamkeit des Impfstoffs aufgrund einer Mutation des Erregers nachlässt. Ferner kann die Entwicklung eines effektiveren oder nebenwirkungsärmeren Impfstoffs Anlass zu einem Wechsel des Präparats geben. Das Soldatengesetz betraut in § 10 Abs. 4 i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG die militärischen Vorgesetzten mit der Anordnung und Organisation der duldungspflichtigen Infektionsschutzmaßnahmen, sodass ihnen hinsichtlich der Frage, ob bei einem bestimmten Erreger eine Schutzimpfung geboten ist, ein Entschließungsermessen und bei der Auswahl der Impfstoffe ein Auswahlermessen zukommt.
79Ferner obliegt es der militärischen Führung, die von einem Krankheitserreger ausgehenden Gefahren für die Gesundheit der Soldaten, die voraussichtliche Wirksamkeit eines Impfstoffs und die Gefahr von Nebenwirkungen im Rahmen einer Gesamtprognose einzuschätzen. Da die Bundeswehr über eigene Bundeswehrkrankenhäuser, wissenschaftliche Institute und eine Sanitätsakademie verfügt, besitzt die militärische Führung auch eine ausreichende fachliche Expertise bei der durchaus komplexen medizinischen Einschätzung der von einzelnen Krankheitserregern ausgehenden Gefahren, der Effektivität von Impfstoffen und der Risiken von Impfnebenwirkungen. Weil diese Prognoseentscheidungen nach § 10 Abs. 4 i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG dem Dienstherrn obliegen, steht ihm hinsichtlich der Gefahrenlage, der Effektivität der Impfstoffe und der von ihnen ausgehenden Risiken ein Prognosespielraum zu. Das Wehrdienstgericht kann bei der gerichtlichen Kontrolle einer Impfanordnung nicht seine Einschätzung von der Gefährlichkeit eines Erregers, von der Effektivität eines Impfstoffs oder von dessen Risiken zugrunde legen. Vielmehr ist die gerichtliche Kontrolle darauf beschränkt, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gefassten oder beibehaltenen Impfanweisungen des Dienstherrn auf Prognose- und Ermessensfehler zu überprüfen.
80b) Das Bundesministerium der Verteidigung hat bei der Einführung der Duldungspflicht für die Covid-19-Schutzimpfung die gesetzlichen Grenzen seines von § 10 Abs. 4 SG eröffneten Ermessens nicht überschritten und insbesondere den von § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG vorgegebenen Handlungsrahmen beachtet. Denn die Anordnung dieser Impfung dient der Verhütung einer übertragbaren Krankheit.
81aa) Von einer übertragbaren Krankheit ist - wie ausgeführt - im Soldatenrecht in Anlehnung an das Infektionsschutzrecht (§ 2 Nr. 3 IfSG) und das Verfassungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG) die Rede, wenn eine Erkrankung, das heißt ein behandlungsbedürftiger pathologischer Zustand, von unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragbaren Krankheitserregern oder deren toxischen Produkten verursacht wird (vgl. u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 124). Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein Krankheitserreger im Sinne des § 2 Nr. 1 IfSG, der vorwiegend über die Atemluft (Aerosole) von Mensch zu Mensch übertragen wird und bei einem erheblichen Anteil der Betroffenen die Krankheit Covid-19 (coronavirus disease 2019) verursacht. Die an ihr Erkrankten müssen in einer nicht geringen Anzahl von Fällen stationär und auch intensivmedizinisch behandelt werden; die Krankheit kann trotz Behandlung zum Tode führen. Eine Infektion kann zudem erhebliche langfristige Leiden ("Long-Covid") nach sich ziehen (vgl. u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 126). Nach Erkenntnissen des Bundesamts für Statistik hat Covid-19 in den Jahren 2020 und 2021 zu einer erheblichen Übersterblichkeit, das heißt zu einer Zunahme der Sterberate um 3 % beziehungsweise 4 % über das demografisch zu erwartende Maß, geführt (vgl. www.destatis.de, Pressemitteilung Nr. 014 vom ).
82bb) Die Covid-19-Schutzimpfung stellt auch eine Maßnahme zur Verhütung dieser Krankheit dar. Die Unterscheidung zwischen Verhütungs- und Bekämpfungsmaßnahmen in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG orientiert sich an der Systematik des Infektionsschutzgesetzes, das in seinem vierten Abschnitt die Maßnahmen der Verhütung (§§ 16 ff. IfSG) und im fünften Abschnitt die Maßnahmen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§§ 24 ff. IfSG) regelt. Ebenso wie im früheren Bundesseuchengesetz dienen Verhütungsmaßnahmen der Vorbeugung und der Verhinderung des Auftretens einer übertragbaren Krankheit, während Bekämpfungsmaßnahmen die Verbreitung einer bereits aufgetretenen Infektionskrankheit eindämmen oder unterbinden sollen (vgl. 1 C 60.67 - BVerwGE 39, 190 <192 f.>; - NJW-RR 2020, 1226 Rn. 28; Mers, in: Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 16 Rn. 2). Schutzimpfungen sind in § 20 IfSG und damit im Abschnitt über die Verhütung übertragbarer Krankheiten untergebracht. Ihre Einordnung als Verhütungsmaßnahme bleibt - wie § 20 Abs. 2a IfSG zeigt - auch dann bestehen, wenn die mit einer Schutzimpfung verbundene individuelle Prophylaxe gegen das Coronavirus zugleich der Eindämmung der Covid-19-Pandemie dient.
83Soweit die Impfstoffe gegen das Coronavirus schon nach den Herstellerangaben keinen 100%igen Schutz vor Infektionen gewähren, ändert dies am Charakter der Schutzimpfung als Verhütungsmaßnahme nichts. Denn es ist weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zwingend, eine Maßnahme nur dann als Verhütungsmaßnahme anzusehen, wenn sie einen vollständigen Schutz gewährt. Vielmehr fallen darunter auch weniger effektive vorbeugende Maßnahmen. Auch die von § 20 Abs. 2a IfSG für eine Covid-19-Schutzimpfung vorgegebenen Impfziele lassen eine Empfehlung nicht nur bei vollständiger Unterbindung der Transmission, sondern auch bei der Reduktion schwerer oder tödlicher Krankheitsverläufe zu.
84cc) Die Covid-19-Schutzimpfung soll schließlich nach der klaren Regelung in Nr. 208 ZDv A-840/8 durch den Arzt verabreicht werden. Dies entspricht § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG, der nur ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen zulässt. Entscheidend ist dabei die vom medizinischen Sachverstand des Arztes getragene Kontrolle des Impfvorgangs, die den Soldaten vor Fehlern in der Impfstoffauswahl und -dosierung bewahren soll. Diese Kontrolle kann auch gewährleistet sein, wenn der Arzt die Impfdosis nicht selbst verabreicht, sondern dies anordnet (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 104). Soweit der Antragsteller meint, aufgrund der von ihm angenommenen Gefährlichkeit und Schädlichkeit der Impfstoffe könne die Verabreichung der Covid-19-Impfung nie eine ärztliche Maßnahme sein, verkennt er den Regelungsgehalt der Vorschrift, die nur die Durchführung der Maßnahme regelt und nicht deren Gegenstand.
85dd) Die Covid-19-Impfung "dient" schließlich auch der Verhütung einer Erkrankung. Dies folgt daraus, dass § 20 Abs. 2a IfSG die Impfung als mögliche Prophylaxemaßnahme nennt. Die auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency - EMA) zugelassenen Impfstoffe sind auf ihre Wirksamkeit gegen das Virus SARS-CoV-2 bereits bei der Zulassung geprüft worden und sind daher dazu bestimmt, einen Beitrag zur Vorbeugung gegen die Erkrankung an Covid-19 zu erbringen. Dass diese Schutzimpfung auch objektiv betrachtet einen Beitrag zur Covid-19-Prophylaxe erbringen kann, steht - wie unten näher ausgeführt wird - auch zur Überzeugung des Gerichts fest.
86c) Die Aufnahme der Covid-19-Schutzimpfung in den Katalog der verpflichtend durchzuführenden Basisimpfungen ist eine Ermessensentscheidung, die dem Zweck der Ermächtigung entspricht (§ 40 VwVfG). Sie dient dem Normzweck des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG, die gesundheitliche Einsatzbereitschaft der Soldaten zu erhalten. Die Basisimpfungen sind nach Nr. 2023 und 2024 AR A1-840/8-4000 für alle militärischen Kräfte vorgeschrieben, die im Inland im Rahmen der Hilfs- und Katastrophenschutzaufgaben der Bundeswehr (Art. 35 GG) zum Einsatz kommen. Durch die Orientierung an den "Hilfs- und Katastrophenkräfte(n) Inland" bringt die Allgemeine Regelung zum Ausdruck, dass der Dienstherr die Basisimpfungen für alle Soldaten und Soldatinnen für erforderlich hält, deren Einsatzort das Inland ist und die gegenwärtig auch für Amtshilfe und Katastrophenschutzeinsätze bereitstehen. Dass die Hauptaufgabe der Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 2 GG die Landesverteidigung ist und dass die Bundeswehr nach Art. 87a Abs. 4 i. V. m. Art. 91 Abs. 2 GG unter engen Voraussetzungen auch zur Verstärkung der Polizeikräfte eingesetzt werden kann, bleibt dabei nicht unberücksichtigt. Vielmehr wird lediglich ausgedrückt, dass die Basisimpfungen dem Zweck dienen, die Einsatzbereitschaft für alle - auch zivile - Verwendungen der Bundeswehr im Inland sicherzustellen.
87d) Der Dienstherr konnte bei der Einfügung der Covid-19-Impfung in den Katalog der Basisimpfungen im November 2021 auch davon ausgehen, dass sie dem Zweck der Gesunderhaltung der Soldatinnen und Soldaten und der Erhaltung der Einsatzbereitschaft der Inlandskräfte dienen würde. Für die Annahme eines solchen Nutzens einer Impfung ist es nicht erforderlich, dass aufgrund eines übertragbaren Krankheitserregers bereits konkret eine Epidemie im Einsatzgebiet der Streitkräfte droht oder dass die Einsatzbereitschaft bestimmter Verbände der Bundeswehr akut gefährdet ist. Vielmehr genügt eine allgemeine Gefahrenlage im Einsatzgebiet, um vor dem Hintergrund der Gesunderhaltungspflicht jedes einzelnen Soldaten eine vorbeugende Schutzimpfung als angezeigt erscheinen zu lassen. Findet etwa ein Auslandseinsatz in einem afrikanischen Land statt, in dem immer wieder Malaria-Erkrankungen auftreten, dann genügt dieses allgemeine Gefahrenwissen, um eine Impfung als vorbeugende Infektionsschutzmaßnahme für erforderlich zu halten, ohne dass es auf den Nachweis eines aktuellen Malaria-Ausbruchs am konkreten Einsatzort ankäme.
88aa) Im November 2021 lag nicht nur eine solche allgemeine, sondern eine konkrete Gefahr im Inland vor. Sie hatte bereits über einen längeren Zeitraum bestanden. Nachdem das SARS-CoV-2-Virus im Januar 2020 erstmals in Deutschland nachgewiesen wurde, verbreitete es sich rasch. Bereits am stellte der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest (BT-Prot. 19/154 S. 19191). Parallel zu dieser mehrfach verlängerten Feststellung wurden durch Bund und Länder zahlreiche Infektionsschutzmaßnahmen erlassen, insbesondere Abstandsgebote, Maskenpflichten, Ausgangsbeschränkungen, Gastronomieschließungen, Beherbergungsverbote, Schulschließungen und Reiseverbote. Auch nach Zulassung von mehreren Impfstoffen gegen Covid-19 im Winter 2020/2021 führte die auf Freiwilligkeit basierende Durchführung von Schutzimpfungen zu keiner endgültigen Eindämmung der Pandemie.
89Vielmehr kam es im Herbst 2021 zu einer vierten Infektionswelle, in der die Delta-Variante des Virus vorherrschte. Sie sorgte für einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen. Im November/Dezember 2021 war die Lage nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts sehr besorgniserregend und ließ eine weitere Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle erwarten, was das Institut in seinen im Internet veröffentlichten Wöchentlichen Lageberichten zur Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19) vom 2., 9. und für die Kalenderwochen 47 (22. bis 28. November), 48 (29. November bis 5. Dezember) und 49 (6. bis 12. Dezember) zusammengefasst und statistisch unterlegt hat. Danach waren die Infektionszahlen wieder deutlich angestiegen und betrugen in allen drei Kalenderwochen über 400 Infektionen pro 100 000 Einwohner. Diese sich verschärfende Lage machte sich auch bei der wachsenden Anzahl schwerer Erkrankungs- und Todesfälle bemerkbar (vgl. dazu - NVwZ 2022, 950 Rn. 158 m. w. N.). Vor diesem Hintergrund war auch die Einschätzung des Dienstherrn gerechtfertigt, dass die pandemische Bedrohung im November 2021 fortbestand und dass im Hinblick auf die Gesunderhaltung der Soldaten und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr Handlungsbedarf bestand. Ob eine Überlastung des Gesundheitswesens und der Krankenhäuser unmittelbar bevorstand, ist hierfür nicht maßgeblich. Daher kommt es auf die vom Parteisachverständigen Tom Lausen hierzu vorgelegten Daten nicht an.
90bb) Der Dienstherr durfte dabei auf die Belastbarkeit des vom Robert-Koch-Institut und der Ständigen Impfkommission erhobenen und bewerteten Datenmaterials vertrauen. Beide verfügen hierfür über die notwendigen personellen und sachlichen Ressourcen, sind in ihren Beurteilungen unabhängig und international vernetzt. Bei dem Robert-Koch-Institut (RKI) handelt es sich um das Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten. Zu seinen wichtigsten Arbeitsbereichen gehören die Bekämpfung von Infektionskrankheiten und die Analyse langfristiger gesundheitlicher Trends in der Bevölkerung. Die dort tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die vielschichtigen Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit, erarbeiten und überprüfen evidenzbasierte Empfehlungen und entwickeln neue Methoden für den Gesundheitsschutz (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 138, 160).
91Bei der Ständigen Impfkommission (STIKO) handelt es sich um ein politisch und weltanschaulich neutrales, 1972 gegründetes Expertengremium, das beim Robert-Koch-Institut im Fachgebiet Impfprävention angesiedelt ist und einen optimalen Einsatz verfügbaren Impfstoffs gewährleisten soll. Seine Empfehlungen gelten als medizinischer Standard (vgl. auch - NJW 2017, 2826 Rn. 25). Die dort ehrenamtlich Tätigen sind Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen der Wissenschaft und Forschung, aus dem Bereich des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der niedergelassenen Ärzteschaft. Bei ihrer Tätigkeit sind sie nur ihrem Gewissen verantwortlich und zur unparteiischen Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet (§ 2 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung der STIKO). Bei ihrer Aufgabenerfüllung benutzt die Ständige Impfkommission Kriterien der evidenzbasierten Medizin, bezieht insbesondere die Bewertungen des Paul-Ehrlich-Instituts zur Sicherheit von Impfstoffen mit ein und führt eine unabhängige epidemiologische Nutzen-Risiko-Abwägung durch. Dabei hat die Ständige Impfkommission nicht nur den Nutzwert einer Impfung für die Einzelnen, sondern auch für die Gesamtbevölkerung im Blick (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 139).
92Bei den Sitzungen der Ständigen Impfkommission nimmt zur Berücksichtigung des Aspekts der Impfstoffsicherheit stets ein Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts beratend teil. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen. Daneben ist das Paul-Ehrlich-Institut eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das Paul-Ehrlich-Institut weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 138).
93Das Bundesministerium der Verteidigung konnte bei seiner Einschätzung der Gefahrenlage auf die Expertise des Robert-Koch-Instituts und bei der Beurteilung des Nutzens einer Covid-19-Impfung auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zurückgreifen. Deren Einschätzungen wurden vom Sanitätsdienst der Bundeswehr, der über eine eigene fachliche Expertise verfügt, nach Aktenlage aufmerksam verfolgt und inhaltlich geteilt. Danach bestand im Herbst 2021 auch für die bei der Bundeswehr am stärksten vertretene Altersgruppe der 18- bis 59-jährigen Personen im "Einsatzgebiet Inland" eine erhebliche Gefahr der Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus und das Risiko, in dessen Folge schwer zu erkranken.
94cc) Die Gefahrenlage durch das SARS-CoV-2-Virus hat sich zwar insgesamt in den vergangenen Monaten erheblich entspannt. Die aktuelle Situation Anfang Juli 2022 ist dadurch geprägt, dass mit der Omikron-Variante des Coronavirus eine besonders leicht übertragbare Virusvariante vorherrscht; weil die vorhandenen Impfstoffe eine Infektion mit dieser Variante nur eingeschränkt hindern, gibt es einerseits mehr Neuinfektionen als früher. Andererseits werden gegenwärtig unter der Omikron-Variante seltener als früher schwere Verläufe festgestellt, weswegen trotz der gestiegenen Zahl der Infektionen bislang keine Überlastung der Krankenhäuser aufgetreten ist. Dies hat seine Ursache zum einen darin, dass die Omikron-Variante einen im Durchschnitt milderen Verlauf nimmt. Zum anderen trifft sie auf einen hohen Prozentsatz von Personen, die bereits geimpft sind oder aufgrund einer vorangegangenen Infektion Antikörper gebildet haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Omikron-Variante für ungeimpfte Personen und vulnerable Gruppen völlig ungefährlich geworden wäre. Vielmehr hat sich an der grundsätzlichen Gefährlichkeit der Covid-19-Erkrankung nach aktuellem Wissensstand nichts geändert (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 164).
95dd) Soweit der Antragsteller im vorliegenden Verfahren ausgeführt hat, dass die Erkrankung an Covid-19 nicht gefährlicher sei als ein Schnupfen und dass insbesondere für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aufgrund ihres Alters und ihrer Fitness kein nennenswertes Risiko einer schweren Erkrankung bestehe, trifft dies nicht zu. Zum einen sind schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle im gesamten Verlauf der Pandemie auch bei jungen Erwachsenen und berufstätigen Personen unter 60 Jahren aufgetreten. Betroffen waren nicht nur ältere Personen und Menschen mit speziellen Vorerkrankungen. Diese Einschätzung wurde in der Hauptverhandlung durch den Sachverständigen Privatdozent Dr. med. Ole Wichmann, Leiter Fachgebiet Impfprävention beim Robert-Koch-Institut, bestätigt. Unter der Omikron-Variante seien in der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen zwar weniger schwere Verläufe als unter der Delta-Variante zu beobachten. Hospitalisierung sei überwiegend in der Altersgruppe über 60 Jahre zu beobachten. Das Risiko eines schweren oder eines tödlichen Verlaufs bestehe jedoch in geringem Maße weiterhin. In der 13. bis 16. Meldewoche 2022 seien beispielsweise acht Personen in diesem Altersband im Zusammenhang mit Covid-19 verstorben.
96Zum anderen sind in der Bundeswehr auch ältere Soldatinnen und Soldaten beschäftigt sowie Personen mit Vorerkrankungen, bei denen eine erhöhte Gefahr eines gefährlichen Verlaufs der Covid-19-Erkrankung besteht. Dies hat seinen Grund darin, dass die Altersgrenze für die meisten Stabsoffiziere über dem 60. Lebensjahr liegt und dass etliche Soldaten im Laufe ihres Berufslebens trotz Dienstsport und Gesunderhaltungsbemühungen erkranken und danach ein risikoerhöhendes Grundleiden (z. B. Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems, Herzkreislauferkrankungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, chronische Leber- oder Nierenerkrankungen) besitzen. Ferner gibt es auch in der Bundeswehr Soldaten mit erhöhten Risiken aufgrund Rauchens oder Übergewichts (Adipositas).
97Nicht zuletzt besteht für die Soldaten aller Altersgruppen die Gefahr, nach einem milden oder symptomlosen Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion an Long-Covid beziehungsweise Post-Covid zu erkranken. Dabei umfasst die übliche Klassifikation unter dem Begriff Long-Covid alle im Anschluss an eine akute Covid-19-Erkrankung vier Wochen nach Symptombeginn noch bestehenden Symptome. Als Post-Covid-Syndrom werden Beschwerden bezeichnet, die noch mehr als zwölf Wochen nach Beginn der SARS-CoV-2-Infektion vorhanden sind und nicht anderweitig erklärt werden können. Zu den Symptomen des Post-Covid-Syndroms gehören unter anderem Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Muskelschwäche oder eine Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und Covid-19, Stand: ). Bisherige Studien legen nahe, dass die Zahl der von einem "Post-Covid-Syndrom" betroffenen Personen in der für den Soldatenberuf typischen Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen gemessen an ihrer Hospitalisierungsrate deutlich erhöht ist und nicht nur Risikogruppen betrifft. Der Leiter der Long-Covid-Station des Bundeswehrkrankenhauses Ulm Prof. Dr. Dr. Steinestel hat in der mündlichen Verhandlung über Fälle betroffener Soldatinnen und Soldaten berichtet und im Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom vorgetragen, dass hiervon überwiegend ungeimpfte Patienten betroffen seien.
98Insgesamt konnte und kann der Dienstherr somit von einer nicht nur abstrakten, sondern konkreten gesundheitlichen Gefahrenlage durch das SARS-CoV-2-Virus für die Soldaten der Bundeswehr ausgehen.
995. Der Dienstherr konnte und kann die Covid-19-Schutzimpfung auch als verhältnismäßige Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte und zum Schutz der Grundrechte anderer ansehen.
100a) Die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen war und ist geeignet, den Gesetzeszweck des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zu erreichen. Die diesbezüglichen Annahmen und Prognosen des Dienstherrn beruhen auf hinreichend tragfähigen Grundlagen.
101aa) Der Dienstherr konnte im November 2021 zum Zeitpunkt der Änderung der Allgemeinen Regelung A1-840/8-4000 "Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen" davon ausgehen, dass eine Impfung zum Schutz der Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten beiträgt und damit auch die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte sichert. Die damals zugelassenen Impfstoffe boten nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts bei Infektionen mit der Delta-Variante des Virus eine sehr hohe Wirksamkeit von etwa 90 % gegen eine schwere Infektion (z. B. Behandlung im Krankenhaus) und eine gute Wirksamkeit von etwa 75 % gegen eine symptomatische Covid-19-Infektion (vgl. www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID/Impfen/gesamt.html und RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom , S. 28 f. mit Aufschlüsselung nach Altersgruppen). Im November 2021 ging eine deutliche fachwissenschaftliche Mehrheit davon aus, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und auch das Virus seltener übertragen können als nicht geimpfte oder nicht genesene Personen. Angenommen wurde auch, dass dann, wenn sich Geimpfte infizieren, sie weniger und nur für einen kürzeren Zeitraum als nicht Geimpfte infektiös sind und eine Covid-19-Schutzimpfung zum Schutz anderer beiträgt (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 173 m. w. N.).
102Im Rahmen der Eignungsprognose musste der Dienstherr auch nicht von der Aufnahme der Covid-19-Impfung in den Katalog der Basisimpfungen Abstand nehmen, weil die Wirksamkeit der Impfung gegen die im November 2021 noch neuartige Omikron-Variante unsicher war. Er durfte berücksichtigen, dass damals die Delta-Variante des Virus mehr als 99 % sämtlicher Neuinfektionen ausmachte und das weitere Infektionsgeschehen zumindest noch für einen gewissen Zeitraum prägen würde. Außerdem konnte er auf Grundlage der damals verfügbaren wissenschaftlichen Daten von einer jedenfalls nach einer Auffrischimpfung guten Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe auch gegen die Omikron-Variante des Virus ausgehen (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 174 m. w. N.).
103bb) Der Dienstherr kann auch davon ausgehen, dass die Eignung der mRNA-Impfstoffe über den Winter 2021/2022 hinaus bis heute erhalten geblieben ist. Das Robert-Koch-Institut geht davon aus, dass die verfügbaren Impfstoffe auch unter der Dominanz der Omikron-Variante für vollständig geimpfte Personen aller Altersgruppen - insbesondere nach einer Auffrischimpfung - weiterhin einen sehr guten Schutz gegenüber einer schweren Covid-19-Erkrankung vermitteln (RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom , S. 4). Die Ständige Impfkommission empfiehlt ebenfalls seit dem Herbst 2021 eine Auffrischimpfung (Booster-Impfung) mit einem mRNA-Impfstoff für alle Erwachsenen, wobei für unter 30-Jährige nur Comirnaty und für ab 30-Jährige auch Spikevax befürwortet wird (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 48/2021 vom , S. 3 ff.).
104Für die Wirksamkeit einer solchen Dreifach-Impfung gegenüber der Omikron-Variante spricht die vom Bundesministerium der Verteidigung zitierte Studie aus Israel. Der Sachverständige Dr. Wichmann hat in der mündlichen Verhandlung vom bestätigt, dass der Schutz vor schweren Infektionen nach einer Booster-Impfung stabil hoch bleibt. Ein solcher Schutz liege bei zehn und mehr Wochen noch bei 88 %. In der Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen liege der Schutz vor einer Hospitalisierung nach 100 Tagen bei 76 %. Eine genauere Abschätzung zu den Langzeitwirkungen der Impfung unter der Omikron-Variante sei derzeit noch nicht möglich. Auch aus dem Covid-19-Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom geht hervor, dass die verfügbaren Impfstoffe weiterhin eine erhebliche Wirksamkeit in Bezug auf den Krankheitsverlauf haben. Danach lag die Impfeffektivität gegenüber einer Hospitalisierung bei 18- bis 59-Jährigen nach längeren Zeitintervallen im Falle der Booster-Impfung bei 61 % (RKI, Wöchentlicher Lagebericht vom , S. 28 f.).
105Der Sachverständige hat auch die Ausführungen von Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel im Schreiben des Bundesministeriums der Verteidigung vom bestätigt, dass die Covid-19-Impfung nach dem derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis auch einen gewissen Schutz vor dem Post-Covid-Syndrom bietet. Erste Forschungsergebnisse der Long-Covid-Ambulanz des Bundeswehrkrankenhauses Ulm lassen ebenso wie wissenschaftliche Arbeiten aus anderen Ländern den Schluss zu, dass die Covid-19-Schutzimpfung die Prävalenz, Dauer und Schwere von Long-Covid signifikant reduziert. Da die allgemeine Erforschung dieser neuartigen Erkrankung aber noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, ist dies eine vertretbare, aber wissenschaftlich noch nicht vollständig gesicherte Prognose.
106Auch die Annahme des Bundesministeriums der Verteidigung, dass die Covid-19-Impfung gegenüber einer Infektion mit der Omikron-Variante noch einen relevanten Schutz vermittelt, ist epidemiologisch gut vertretbar. Das Robert-Koch-Institut hat im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ausgeführt, nach seinen Schätzungen liege der Schutz vor einer Covid-19-Infektion zehn Wochen nach der Booster-Impfung noch bei 50 bis 60 %. Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ist von einem Wert von 40 bis 70 % ausgegangen ( - NVwZ 2022, 950 Rn. 184 und juris Rn. 51). Auch wenn der Schutz vor einer Infektion nach einiger Zeit nachlässt, kann und muss davon ausgegangen werden, dass die durch das Impfserum ausgelöste Antikörper-Bildung noch einen relevanten Beitrag zur Infektionsverhinderung leistet ( - NVwZ 2022, 950 Rn. 184 f.).
107Dass damit auch eine Reduktion des Transmissionsrisikos unter dreifach-geimpften Personen verbunden ist, ist gleichfalls - auch bei Berücksichtigung wissenschaftlicher Bewertungsunsicherheiten - eine vertretbare Prognose. Die hierzu vom Bundesministerium der Verteidigung vorgelegte Darstellung in der mündlichen Verhandlung vom mit einer behaupteten Reduktion des Übertragungsrisikos von 77 % im Vergleich zu Ungeimpften ist von dem Sachverständigen Dr. Wichmann zwar in der mündlichen Verhandlung vom nicht bestätigt worden. Er hat jedoch unter Verweis auf Haushaltsstudien aus Norwegen und Dänemark ausgeführt, dass nach drei bis vier Monaten ein Transmissionsschutz bestehe, der sich bei 20 bis 40 % bewege. Die Ständige Impfkommission begründet ihre Impfempfehlung ebenfalls mit der damit verbundenen Reduzierung der Transmission (RKI, Epidemiologisches Bulletin 21/2022 vom , S. 4 f.). Diesem Aspekt hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht Bedeutung beigemessen ( - NVwZ 2022, 950 Rn. 185).
108b) Der Dienstherr konnte die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen auch als erforderliche Maßnahme ansehen. Ihm standen und stehen keine gleich wirksamen und weniger belastenden Mittel zur Verfügung.
109aa) Insbesondere sind reine Verhaltensregeln, wie etwa das Abstandhalten, das Tragen einer (medizinischen) Schutzmaske, die Einhaltung von Hygieneregeln, regelmäßiges Lüften oder das Einsetzen eines Luftfilters, nicht gleich wirksam (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 210 und vom - 1 BvR 2649/21 - NVwZ 2022, 950 Rn. 197). Die konsequente Einhaltung dieser Regeln ist zum einen nur schwer zu gewährleisten. Zum anderen kann dadurch nur das Infektions- und Transmissionsrisiko reduziert werden. Im Fall einer Erkrankung ändern diese Maßnahmen aber an der Schwere des Verlaufs nichts. Das Bundesministerium der Verteidigung hat daher zutreffend ausgeführt, dass es sich bei diesen vorbeugenden Maßnahmen nur um komplementäre, nicht aber um alternative Schutzmaßnahmen handelt.
110Auch die Verpflichtung, sich vor Dienstantritt zu testen, stellt kein gleich effektives Mittel dar, um den Zweck von § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG zu erreichen. Für die Bundeswehr als Arbeitgeber ist zwar die ausreichende Beschaffung von Antigen-Schnelltests möglich und wirtschaftlich zumutbar. Selbst durchgeführte Antigentests bergen allerdings das Risiko einer bewussten oder unbewusst fehlerhaften Anwendung und sind insbesondere bei geringer Viruslast im Frühstadium einer Infektion fehleranfällig (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 210 und vom - 1 BvR 2649/21 - NVwZ 2022, 950 Rn. 193 m. w. N.). PCR-Tests bieten zwar einen zuverlässigeren Nachweis, stehen aber wegen mangelnder Testkapazitäten nicht für das gesamte Bundeswehrpersonal täglich zur Verfügung. Im Übrigen stellen sie angesichts des hohen zeitlichen, organisatorischen und kostenmäßigen Aufwands keine realistische Alternative dar (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 194 ff.). Jedenfalls kann auch diese Form der Covid-19-Testung vor Dienstantritt nur die Verbreitung der Infektion im Dienst verhindern; eine Reduzierung des Infektionsrisikos und eine Vorbeugung gegen schwere Krankheitsverläufe bewirken diese Tests nicht, sodass auch sie nur als ein zusätzliches Instrument der Infektionsverhütung anzusehen sind.
111bb) Als gleichwertige Alternative zur Impfung kommt die medikamentöse Covid-19-Therapie nach dem derzeitigen Stand der Forschung ebenfalls nicht in Betracht. Entsprechende Therapien versprechen nach wie vor weder eine sichere Heilung nach einer Covid-19-Infektion noch eine mit der gebotenen Eindeutigkeit festzustellende sichere Vermeidung von schweren bis hin zu tödlichen Krankheitsverläufen. Gleichzeitig können die derzeitigen Therapien nicht das Transmissionsrisiko senken (RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und Covid-19, Stand Nr. 14; - NVwZ 2022, 950 Rn. 198). Das gilt auch für das mittlerweile zugelassene Medikament Paxlovid und erst recht für nichtzugelassene Mittel wie zum Beispiel Chlordioxidlösung oder die anderen vom Antragsteller vorgeschlagenen alternativen Therapieansätze.
112Das seitens des Antragstellers ins Spiel gebrachte Einnehmen von Vitamin D ist kein gleich geeignetes Mittel. Zwar ist eine ausreichende Vitamin-D-Versorgung wichtig für ein gut funktionierendes Immunsystem (vgl. RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und Covid-19, Stand Nr. 20). Der präventive Effekt dieses Hausmittels gegen Covid-19 ist jedoch nicht nachgewiesen. Der Sachverständige Dr. Wichmann hat in der mündlichen Verhandlung dazu ausgeführt, dass die Ständige Impfkommission alternative Präventionsmaßnahmen durchaus prüfe; Erfolg versprechende alternativ-medizinische Medikamente präventiver Art lägen derzeit allerdings nicht vor.
113cc) Schließlich kann auch die Beschränkung der Covid-19-Impfung auf bestimmte Gruppen von Soldaten oder auf bestimmte Szenarien nicht als milderes und gleich wirksames Mittel angesehen werden. Eine Beschränkung auf ältere und vulnerable Soldaten wäre nicht gleich effektiv. Zum einen haben auch jüngere und gesunde Soldatinnen und Soldaten ohne Impfung ein höheres Risiko einer schweren Erkrankung. Zum anderen würde bei einer Impfung nur weniger Soldaten eine erhöhte Infektions- und Transmissionsgefahr bestehen, die eine Erhöhung der Ausfallzeiten im Bereich der gesamten Bundeswehr nach sich ziehen würde. Mit einer Beschränkung der Impfung auf bestimmte Bereiche oder Einsätze - wie den Sanitätsdienst oder bei Auslandseinsätzen - wäre derselbe Nachteil verbunden.
114Keine gleich effektive Option wäre es auch, die Impfung von einer vorherigen Bestimmung der im Blut der Soldatinnen und Soldaten vorhandenen Antikörper abhängig zu machen. Denn es gibt keine wissenschaftlich klar definierte Menge an Antikörpern, ab der ein ausreichender Schutz auch ohne Impfung vorhanden ist (RKI, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und Covid-19, Stand , Nr. 18). Außerdem würde eine laufende Überprüfung der Antikörper-Titer bei ca. 180 000 Soldatinnen und Soldaten einen unverhältnismäßigen Aufwand verursachen.
115c) Schließlich konnte und kann das Bundesministerium der Verteidigung die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der Basisimpfungen auch als angemessene Maßnahme ansehen. Die Angemessenheit und damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne erfordern, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen (stRspr, vgl. u. a. - BVerfGE 155, 119 <178>).
116aa) Die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen aktualisiert und erweitert die gesetzlich vorgesehenen Eingriffe in die Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten. Der damit verbundene zusätzliche Eingriff in die Berufsfreiheit ist allerdings durch die gesetzliche Ausgestaltung der Gesunderhaltung als eine das Berufsbild der Soldaten prägende Dienstpflicht weitgehend vorgezeichnet. Die mit einer weiteren Impfung für die Ausübung des Soldatenberufs verbundene Belastung wiegt für sich genommen nicht besonders schwer. Bei der Beurteilung der Schwere des Eingriffs ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Verweigerung der Covid-19-Impfung schwerwiegende berufliche Konsequenzen hat. Kommt es zu infektionsbedingten Beeinträchtigungen der Dienst- und Erwerbsfähigkeit erwachsen nach § 17a Abs. 4 Satz 1 SG aus der fehlenden Teilnahme an der Schutzimpfung erhebliche versorgungsrechtliche Nachteile. Die Eingriffstiefe erhöht sich weiter dadurch, dass eine Verweigerung der Impfung eine Dienstpflichtverletzung darstellt, die - wie ausgeführt - dienstrechtliche Konsequenzen in Form eines Disziplinarverfahrens nach sich zieht und im Extremfall auch zur Entfernung aus dem Dienst führen kann.
117bb) Der Eingriff in das körperliche Selbstbestimmungsrecht führt dazu, dass der einzelne Soldat die Freiheit verliert, selbst eine Abwägung zwischen den mit einer Covid-19-Infektion verbundenen Gefahren einerseits und den Chancen und Risiken einer Schutzimpfung andererseits zu treffen. Dieser Eingriff in die Entscheidungsautonomie ist zwar ebenfalls gesetzlich vorgezeichnet, weil § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG gerade eine Verlagerung der Entscheidung über Nutzen und Risiken von Infektionsschutzmaßnahmen auf die militärischen Vorgesetzten vornimmt, um durch ein einheitliches Vorgehen eine infektionsbedingte Schwächung der Einsatzfähigkeit der Soldaten und ihrer militärischen Verbände zu verhindern.
118Bei der Gewichtung der Schwere des Eingriffs einer zusätzlichen Impfung ist allerdings vorrangig das von Art. 2 Abs. 2 GG geschützte körperliche Integritätsinteresse in den Blick zu nehmen. Der Dienstherr muss bei der Aufnahme einer neuen Impfung in die Liste der verpflichtenden Schutzimpfungen die drohenden gesundheitlichen Belastungen überprüfen. Je höher die mit einer Impfung verbundenen Gesundheitsrisiken sind und je geringer der Mehrwert einer Impfung für die militärische Einsatzbereitschaft ist, desto eher ist eine Schutzimpfung unangemessen.
119Im vorliegenden Fall konnte der Dienstherr davon ausgehen, dass die mit einer mRNA-Impfung verbundenen typischen Impfreaktionen nicht schwerwiegend sind. Sie sind auf die Immunantwort des Körpers auf die Verabreichung des Impfstoffes zurückzuführen. Zwar klingen diese nach relativ kurzer Zeit vollständig ab. Dies lässt aber die mit der Immunantwort nicht selten einhergehenden Nebenwirkungen wie etwa Kopf- und Gliederschmerzen unberührt, die die Betroffenen auch über mehrere Tage in ihrem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigen können. Diese auch bei anderen Impfungen auftretenden, eher harmlosen Impfreaktionen erhöhen das Gewicht des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit nicht maßgeblich (vgl. u. a. - NJW 2022, 2904 Rn. 143).
120Daneben können im Einzelfall aber auch schwerwiegende und/oder länger andauernde Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen eintreten. Zwar handelt es sich bei den gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen zunächst nur um Verdachtsfälle, die nur zu einem Teil auch nachweislich zwingend kausal auf die Impfung zurückzuführen sind. Auch waren die gemeldeten schwerwiegenden Nebenwirkungen sehr selten und in der Regel nicht von Dauer. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass eine Impfung im ganz extremen Ausnahmefall auch tödlich sein kann (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 207 f.).
121Allerdings ist das Risiko eines schweren oder tödlichen Verlaufs statistisch betrachtet nicht hoch. Nach dem Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom gab es bei den bis März 2022 durchgeführten ca. 172,1 Millionen Impfungen 296 233 Meldungen über mögliche Impfkomplikationen (Verdachtsfälle). Davon waren 0,02 % Berichte über schwere Impfkomplikationen, deren Kausalität allerdings nicht weiter erforscht ist. Die schwerwiegendsten Komplikationen betrafen allergische Schocks (anaphylaktische Reaktionen), Entzündungen des Herzmuskels und des Herzbeutels (Myokarditis/Perikarditis) und lebensbedrohliche Blutgerinnselbildungen (Thrombosen), insbesondere Hirnblutgerinnsel (Sinusvenenthrombosen). Es gab 2 810 Verdachtsmeldungen über tödliche Verläufe. Davon hat das Paul-Ehrlich-Institut in 116 Fällen, in denen Patienten in zeitlich plausiblem Abstand zur jeweiligen Impfung an bekannten Impfrisiken verstorben sind, den Zusammenhang mit der Impfung als möglich oder wahrscheinlich bewertet (vgl. PEI, Sicherheitsbericht vom - Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor Covid-19, S. 8 f.).
122Soweit der Antragsteller von einer wesentlich höheren Zahl an Impfgeschädigten und Impftoten ausgeht und die Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts in Zweifel zieht, kann dem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, das unten näher dargestellt wird, nicht gefolgt werden. Auch wenn schwere Impfkomplikationen danach nur in zwei von 10 000 Fällen auftreten und die Gefahr eines tödlichen Verlaufs unter einem Millionstel liegt, erhöht dieser Umstand die Eingriffstiefe erheblich.
123cc) In die Abwägung der Angemessenheit der Maßnahme ist aber auch der Nutzen der Impfung einzubeziehen. Der Dienstherr konnte im November 2021 bei Bewertung des militärischen Nutzens davon ausgehen, dass die Covid-19-Schutzimpfung für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewichtige Vorteile mit sich bringen würde. Bekanntlich absolvierte die Bundeswehr im Jahr 2021 verschiedene In- und Auslandseinsätze. Sie war im Rahmen der Katastrophenhilfe im Inland insbesondere bei der Beseitigung der Überschwemmungsschäden im Ahrtal involviert und erbrachte im Rahmen der Amtshilfe zahlreiche Unterstützungseinsätze in Gesundheitsämtern, Impfzentren und Pflegeeinrichtungen. Ferner führte sie Auslandseinsätze im Rahmen von NATO- und UNO-Missionen etwa in Mali durch oder leistete internationale Hilfe bei der Pandemiebekämpfung in Portugal. Vor dem Hintergrund einer drohenden Verschärfung der pandemischen Lage im Winter 2021/2022 konnte die größtmögliche Erhaltung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr als besonders vordringlich angesehen werden, weil mit einer Fortführung einer erheblichen Anzahl von Inlandseinsätzen und diverser Auslandseinsätze zu rechnen war.
124Der Nutzen der Covid-19-Impfung für die allgemeine Einsatzfähigkeit der Bundeswehr konnte auch als hoch eingestuft werden. Zwar versprach die Impfung - wie ausgeführt - unter der Dominanz der Deltavariante keinen vollständigen Schutz, sondern nur einen 90%igen Schutz gegen schwere Verläufe und einen 75%igen Schutz gegen symptomatische Erkrankungen. Unter dem Gesichtspunkt der allgemein-militärischen Einsatzfähigkeit ist aber auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verhinderung eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung als bedeutender Vorteil einzustufen. Eine Reduzierung schwerer Verläufe bewirkt nicht nur für die infizierten Soldatinnen und Soldaten einen geringeren Leidensdruck und eine kürzere Leidenszeit. Zugleich bedeutet dies für den Dienstherrn kürzere Ausfallzeiten mit insgesamt höherer Einsatzbereitschaft. Hinzu kommt, dass eine 75%ige Reduzierung symptomatischer Erkrankungen ein gewichtiges Weniger an Ausfallzeiten durch Erkrankung und Quarantäne verspricht. Gleichzeitig wird mit der Reduzierung symptomatischer Erkrankungen auch eine Verringerung der Transmission des Virus innerhalb der Truppe erreicht, was die Gefahr einer Infektion anderer Soldaten mindert, Angehörige vulnerabler Gruppen innerhalb der Streitkräfte schützt und der Einsatzbereitschaft der Verbände insgesamt zugutekommt.
125Vor dem Hintergrund bestehender und fortzuführender Inlandseinsätze im Bereich der zivilen Gesundheitsämter, Impfzentren und Pflegeeinrichtungen konnte auch die mit der Schutzimpfung der Soldaten verbundene Verringerung der Transmissionsgefahr als wesentlicher Faktor zur Optimierung der Inlandseinsätze begriffen werden. Denn bei diesen Unterstützungseinsätzen im Gesundheitsbereich bestand einerseits ein erhöhtes Risiko des Zusammentreffens mit Infizierten und andererseits die Gefahr der Übertragung des SARS-CoV-2-Virus auf Angehörige vulnerabler Gruppen. Dabei hatte der bestmögliche Schutz vulnerabler Personen besondere Priorität. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht mit Recht hervorgehoben (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 228 ff.). Diese Erwägungen gelten im Übrigen auch für die Sanitätsversorgungszentren und Krankenhäuser der Bundeswehr, in denen der Schutz vulnerabler Gruppen ebenfalls besonders im Vordergrund steht.
126Schließlich konnte der Dienstherr auch davon ausgehen, dass die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Gruppe der Basisimpfungen positive Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Ausland haben würde. Zum einen sind zahlreiche Auslandseinsätze der Bundeswehr bei NATO- und UNO-Missionen durch das äußerst beengte Zusammenleben von Soldaten in besonders gesicherten Camps geprägt, in denen zwangsläufig eine erhöhte Infektionsgefahr besteht. Die Erkrankung eines Soldaten an Covid-19 erfordert häufig eine rasche Rückholung des Betroffenen zur medizinischen Behandlung und eine Isolation von Kontaktpersonen. Dies schwächt die Einsatzkontingente erheblich, sodass einer bestmöglichen Prävention eine besonders hohe Bedeutung zukommt. Zum anderen war ein Auslandseinsatz im Winter 2021/2022 schon aus rechtlichen Gründen in zahlreichen ausländischen Staaten nur mit einer Covid-19-Impfung möglich. Wie das Schweizer Bundesverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, war der Nachweis einer vollständigen Covid-19-Impfung in zahlreichen ausländischen Staaten Ein- und Durchreisevoraussetzung, sodass Soldaten ohne Impfnachweis vielerorts nicht einreisen konnten und damit nicht auslandsverwendungsfähig waren (BVGer, Urteil vom - A-4619/2021 - UA S. 15 ff.). Daher war die Durchführung einer Covid-19-Impfung schon vor deren Aufnahme in die Reihe der Basisimpfungen auch in der Bundeswehr regelmäßig Voraussetzung für die Teilnahme an einem Auslandseinsatz. Mit ihrer Aufnahme in die Basisimpfungen entfiel aber die Notwendigkeit, vor dem Einsatz das Wirksamwerden der Impfung abzuwarten, und es erweiterte sich das für Auslandseinsätze schnell verfügbare Personal.
127Dieses besondere militärische Interesse an der Covid-19-Impfung besteht auch zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung im Wesentlichen fort. Zwar hat das öffentliche Interesse dadurch an Gewicht eingebüßt, dass die vorhandenen mRNA-Impfstoffe bei der Verhütung der Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus weniger effektiv sind. Insbesondere hat der zeitliche Schutz gegen die Infektion und Transmission nachgelassen. Auch hat die Bundeswehr im März 2022 die Amtshilfeeinsätze im Inland im Bereich des Gesundheitswesens beendet. Jedoch hat sich die militärische Bedrohungslage seit dem Beginn des Ukraine-Krieges verändert und eine Verlegung von Verbänden der Bundeswehr zur Erfüllung einsatzgleicher Verpflichtungen im Bereich der NATO wahrscheinlicher werden lassen. Ein Wegfall der Impfnachweispflicht für die Einreise in ausländische Staaten ist bis dato überwiegend nicht erfolgt. Auch ist eine bestmögliche Prävention bei einsatzgleichen Verwendungen und Auslandseinsätzen weiterhin geboten.
128dd) Bei Abwägung der privaten Interessen des Antragstellers, sich nicht dem Nebenwirkungsrisiko einer Covid-19-Impfung auszusetzen und seine persönliche Abwägungsentscheidung zwischen dem Impf- und dem Erkrankungsrisiko zu treffen, konnte und kann der Dienstherr von einem Überwiegen des öffentlichen Interesses ausgehen. Dabei fällt es ins Gewicht, dass der Antragsteller den Beruf des Soldaten freiwillig ergriffen und dass schon zu Beginn seines Berufslebens die Verpflichtung zur Gesunderhaltung und zur Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen bestanden hat. Die Durchführung von Schutzimpfungen entspricht der langjährig gelebten Praxis der Bundeswehr, der sich der Antragsteller bislang nicht verschlossen hat. Die Corona-Pandemie und die Entwicklung einer Covid-19-Impfung war für den Antragsteller zwar so wenig vorhersehbar wie für den Rest der Bevölkerung. Er konnte aber wissen, dass das dienstliche Impfkonzept nicht starr ist, sondern geänderten Gegebenheiten angepasst werden kann. Insofern musste er damit rechnen, bei Auftreten einer neuartigen Erkrankung eine weitere Impfung dulden zu müssen (vgl. BVGer, Urteil vom - A-4619/2021 - UA S. 20).
129Für die Angemessenheit der Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Allgemeine Regelung A1-840/8-4000 spricht ferner, dass den Soldatinnen und Soldaten nur ein Impfrisiko abverlangt wird, das die Mehrheit der Bevölkerung freiwillig zur Bekämpfung der Pandemie einzugehen bereit ist. Die Ständige Impfkommission als unabhängiges Expertengremium hat die Covid-19-Impfung unter Einschluss der Auffrischimpfung bereits im November 2021 für alle Erwachsenen empfohlen und hält daran weiterhin fest. Die Durchführung der Impfung entspricht damit dem in der Bundesrepublik Deutschland ganz allgemein anerkannten medizinischen Standard (vgl. - BGHZ 144, 1 <9>; u. a. - NJW 2022, 2904 Rn. 136). Außerdem hat der Gesetzgeber mit § 20a IfSG auch anderen Berufsgruppen - wenn auch aus anderen Gründen - eine Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen Covid-19 auferlegt. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ohne rechtfertigenden Grund ein besonderes Risiko auferlegt und ein unzumutbares Sonderopfer abverlangt werden würde.
130Hinzu kommt, dass die Duldungspflicht in Bezug auf die Covid-19-Schutzimpfung nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG das Selbstbestimmungsrecht der Soldatinnen und Soldaten nicht völlig ausschaltet. Die Duldungspflicht ist - wie ausgeführt - keine Zwangsimpfung und wird nicht mit körperlicher Gewalt durchgesetzt, sodass ein Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG erhalten bleibt (vgl. - NVwZ 2022, 950 Rn. 221). Den Soldatinnen und Soldaten wird auch kein bestimmter Impfstoff aufoktroyiert. Zwar sieht die Allgemeine Regelung A1-840/8-4000 nicht vor, dass der einzelne Soldat bei der Durchführung der Impfung durch den Truppenarzt ein Wahlrecht hinsichtlich des zur Anwendung kommenden Impfstoffes besitzt. Er hat jedoch nach der Erlasslage die Möglichkeit, sich selbst bei einem niedergelassenen Arzt oder in einem Impfzentrum um die Durchführung der Impfung zu kümmern und dabei den Impfstoff zu bestimmen. Nur wenn er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, muss er die Impfung mit dem vom Truppenarzt aus den Bundeswehrbeständen ausgewählten Impfstoff, das heißt nunmehr regelmäßig mit einem mRNA-Impfstoff, dulden.
131Die Allgemeine Regelung ermöglicht es damit insbesondere Gegnern der von der Bundeswehr verwendeten mRNA-Impfstoffe, sich mit einem nicht genetisch operierenden Impfstoff (Nuvaxovid) behandeln zu lassen. Der Nachweis einer entsprechenden Impfung wird - wie das Bundesministerium der Verteidigung im Verfahren bestätigt hat - grundsätzlich akzeptiert. Damit wird die Entscheidungsautonomie der Soldatinnen und Soldaten aus Art. 2 Abs. 2 GG bei der Wahl des Impfstoffes respektiert.
132Zur Verhältnismäßigkeit des Erlasses trägt auch bei, dass die Truppenärzte verpflichtet sind, bei der Verwendung der Impfstoffe die jeweils aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu beachten (Nr. 1082 AR A1-840/8-4000). Durch die fortlaufende Beachtung aktueller Impfempfehlungen und Impfwarnungen erfolgt eine weitere Risikominimierung. Das Bundesministerium der Verteidigung hat im Verfahren mit Schriftsatz vom darauf hingewiesen, dass diese Regelung auch in der Praxis ernst genommen wird. Im Hinblick auf die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission kommt derzeit bei den jüngeren Soldatinnen und Soldaten nur der Impfstoff von BioNTech/Pfizer und bei den über 30-Jährigen auch der Impfstoff von Moderna zur Anwendung. Zugleich trägt zur Angemessenheit der allgemeinen Aufnahme der Covid-19-Schutzimpfung in die Liste der Basisimpfungen bei, dass in jedem Einzelfall eine Überprüfung von medizinischen Kontraindikationen durch den Truppenarzt erfolgt (Nr. 210 ZDv A-840/8) und damit eine individuelle Unzumutbarkeit im Sinne des § 17a Abs. 4 Satz 2 SG vermieden wird. Im Übrigen greifen auch bei der Covid-19-Impfung die übrigen bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG erwähnten Mechanismen (Rechtsschutz, Entschädigung etc.) zur Abmilderung des Eingriffs ein.
1336. Allerdings ist das Bundesministerium der Verteidigung auch in Zukunft verpflichtet, die Aufrechterhaltung der Covid-19-Impfung zu evaluieren und zu überwachen. Denn Daueranordnungen müssen - wie oben ausgeführt - stets daraufhin überprüft werden, ob sie angesichts veränderter Umstände weiterhin verhältnismäßig und ermessensgerecht sind. Diese allgemein bestehende Überwachungspflicht wird dadurch verstärkt, dass der Staat nach Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 2 GG auch zum Schutz der Gesundheit und als Dienstherr zur Fürsorge gegenüber seinen Soldatinnen und Soldaten verpflichtet ist. Diese Überwachungspflicht hat bei der Covid-19-Impfung besondere Bedeutung, weil es sich um eine vergleichsweise neue Erkrankung handelt, weil die vorhandenen Impfstoffe auf einer für diesen Zweck noch nicht genutzten Technologie beruhen, weil die weltweite Erforschung der Erkrankung und des Erregers in vergleichsweise kurzer Zeit neue wissenschaftliche Erkenntnisse liefert und weil die in Wellen verlaufende pandemische Verbreitung der Erkrankung durch einen ständigen Wandel des Virus geprägt ist. Es liegt also eine sehr volatile Lage vor, die immer wieder zu einer erneuten Bewertung, Überprüfung und Anpassung der im Zusammenhang mit der Covid-19-Impfungen stehenden Entscheidungen zwingt.
134Dabei zeichnet sich aktuell eine Entwicklung ab, die verschiedentlich als Übergang einer Pandemie in eine Endemie gedeutet wird. Einerseits lässt die Gefährlichkeit des Coronavirus durch seine Mutationen in einer nicht genau bestimmbaren Weise nach. Andererseits verbreitet es sich häufiger und entwickelt sich zu einer in Europa dauerhaft präsenten Gesundheitsgefahr, die - wie die Influenza - saisonal im Winter höher ist als im Sommer. Andererseits ist aktuell eine ebenfalls nicht exakt bestimmbare Verringerung der Effektivität der vorhandenen Impfstoffe zu verzeichnen, die sich in einem immer schneller nachlassenden Schutz vor Infektion und Transmission und einem eher langsamer nachlassenden Schutz vor schweren Verläufen ausdrückt.
135Das Nachlassen der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus und die Verringerung der Effektivität der aktuell verfügbaren Impfstoffe sind Umstände, die eine erneute Ermessensentscheidung insbesondere für die Anordnung weiterer Auffrischimpfungen angezeigt erscheinen lassen. Nach den derzeitigen Erkenntnissen der Ständigen Impfkommission schützt eine Infektion mit SARS-CoV-2 nicht nachhaltig vor dem Virus, während ein durch Impfungen verstärkter mindestens dreifacher Kontakt mit dem SARS-CoV-2-Virus einen relativ guten Schutz vor schweren Verläufen bietet (vgl. RKI, Epidemiologisches Bulletin 21/2022 vom , S. 44 ff.). Vor diesem Hintergrund muss die pauschale Entscheidung in der Nr. 1080 AR A1-840/8-4000 für alle weiteren Auffrischimpfungen gemäß den nationalen Empfehlungen daraufhin überprüft werden, inwieweit weitere Impfungen als zwingende Basisimpfungen für alle Soldatinnen und Soldaten bei einer Nutzen-Risiko-Abwägung im Sinne des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG ermessensgerecht sind. Da außerdem auch vom Gesamtvertrauenspersonenausschuss eine Evaluierung gefordert und im Schlichtungsverfahren eine präzisere Risikoanalyse beschlossen worden ist, wäre eine Beteiligung des Gesamtvertrauenspersonenausschusses bei der Ermessensentscheidung über diese Frage zielführend.
1367. Die oben geschilderten tatsächlichen Einschätzungen und Prognosen des Dienstherrn sind nach dem Ergebnis der vom Gericht durchgeführten Beweisaufnahme durch die Einwendungen von Seiten des Antragstellers nicht erschüttert worden.
137a) Wie oben ausgeführt konnte sich der Dienstherr auf die fachlichen Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts bei der Einordnung der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus und der Sicherheit der Covid-19-Impfstoffe verlassen. Denn beim Robert-Koch-Institut handelt es sich um die Fachbehörde zur Erforschung von Infektionskrankheiten und beim Paul-Ehrlich-Institut um die federführende Bundesbehörde zur Überwachung der Impfstoffsicherheit ( - NVwZ 2022, 950 Rn. 223). Beide Fachbehörden beschäftigen eine Vielzahl hochspezialisierter Experten, die laufend die einschlägigen wissenschaftlichen Forschungsergebnisse auswerten und sich auf europäischer und internationaler Ebene mit den Überwachungsbehörden anderer Länder und der Europäischen Union austauschen. Sie werten in beträchtlichem Umfang nur ihnen zur Verfügung stehende Gesundheitsdaten aus und verfügen dadurch über Informationsquellen, die anderen Forschungsstellen nicht zugänglich sind. Die von ihnen veröffentlichten Fachinformationen zur Gefährlichkeit des Coronavirus, zur Verbreitung von Covid-19, zu den zugelassenen Impfstoffen und Medikamenten können daher von den Dienststellen der Bundeswehr als der Allgemeinheit zugänglich gemachte amtliche Auskünfte und damit nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwVfG als Beweismittel verwertet werden.
138aa) Im Prozess vor den Wehrdienstgerichten sind amtliche Auskünfte ebenfalls als Beweismittel zugelassen. Dies folgt daraus, dass § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO für Fragen des Prozessrechts ergänzend auf die Verwaltungsgerichtsordnung verweist und dass im Verwaltungsprozess die Verwendung amtlicher Auskünfte als ein selbständiges Beweismittel anerkannt ist, das in § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 99 Abs. 1 Satz 1 sowie § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358a Satz 2 Nr. 2 ZPO erwähnt ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 9 B 144.86 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 48 S. 30 und vom - 5 B 49.09 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 116 Rn. 5). Amtliche Auskünfte können je nach ihrem Inhalt den Zeugenbeweis oder - wie hier bei fachwissenschaftlichen Informationen - den Sachverständigenbeweis ersetzen (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 98 Rn. 65). Treten amtliche Auskünfte an die Stelle von Sachverständigengutachten, bedarf die durch sie geklärte Frage im Allgemeinen keiner Klärung durch Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens (vgl. 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302 S. 5).
139Die Einholung eines weiteren Gutachtens kann in Anlehnung an § 98 VwGO i. V. m. § 412 Abs. 1 ZPO nur geboten sein, wenn das Gericht die amtliche sachverständige Auskunft für ungenügend hält ( 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4). Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird. Die Verpflichtung zur ergänzenden Begutachtung folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter die amtliche Auskunft als Erkenntnisquelle für unzureichend hält (stRspr, vgl. 7 C 8.11 - Buchholz 419.01 § 26 GenTG Nr. 1 Rn. 37 und Beschluss vom - 7 B 15.21 - juris Rn. 26 m. w. N.).
140Der erkennende Senat hat nach entsprechenden Hinweisen verschiedene amtliche Fachinformationen, insbesondere die wöchentlichen Lageberichte des Robert-Koch-Instituts und die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts, beweisrechtlich als sachverständige Auskünfte herangezogen. Die wissenschaftliche Überzeugungskraft dieser amtlichen Auskünfte konnte - wie im Folgenden näher ausgeführt wird - durch den Antragsteller und die in seinem Namen auftretenden Parteisachverständigen nicht erschüttert werden. Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung der amtlichen Fachinformationen und zur Auseinandersetzung mit dem Sachvortrag des Antragstellers mehrere Fachleute des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts als Sachverständige angehört, die ergänzende Fragen beantworten und Unklarheiten ausräumen konnten.
141bb) Aus den vom Antragsteller geforderten und vom Bundesministerium der Verteidigung mit Schriftsatz vom vorgelegten eigenen Daten der Bundeswehr zu Impfkomplikationen ergeben sich keine Befunde, die die Aussagekraft und Verwertbarkeit der Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts als sachverständige amtliche Auskunft in Frage stellen würden.
142Die Ärzte des Sanitätsdienstes der Bundeswehr sind in gleicher Weise wie zivile Ärzte verpflichtet, den Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfkomplikation) an das Gesundheitsamt zu melden (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG), das seinerseits die Meldung in pseudonymisierter Form über die zuständige Landesbehörde an das Paul-Ehrlich-Institut übermittelt (§ 11 Abs. 4 IfSG). Die auf diesem Weg gemeldeten Fälle werden zugleich vom Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr erfasst. Danach ergaben sich seit Beginn der Impfungen bei der Bundeswehr (Januar 2021) bis zum (ca. 480 000 Impfungen) auf dem Meldeweg der Bundeswehr 54 Verdachtsfälle, die sich auf alle eingesetzten Impfstoffe (pharmazeutische Unternehmer: AstraZeneca/BioNTech/Johnson & Johnson/Moderna) verteilen. Als Impfkomplikationen genannt sind grippale Symptome/Kopfschmerz/Lymphadenopathie (18 Meldungen, 8/4/-/6), Hautreaktionen (10 Meldungen, -/2/-/8), anaphylaktische Reaktionen (4 Meldungen, -/1/1/2), Myokarditis (5 Meldungen, 1/2/-/2), Myokarditis mit Begleitperikarditis (3 Meldungen, -/3/-/-), Thrombosen (5 Meldungen, 3/-/-/2) sowie 1 Meldung eines Todesfalls mit unbekannter Kausalität (Moderna); 8 weitere Meldungen betreffen verschiedene geringfügigere Beschwerden. Das Bundesministerium der Verteidigung hat ferner ausgeführt, dass sämtliche Sicherheitshinweise des Paul-Ehrlich-Instituts umgesetzt würden, wie zum Beispiel der Stopp des Einsatzes von Vektorimpfstoffen und des mRNA-Impfstoffs Spikevax bei jüngeren Altersgruppen, nachdem dort höhere Komplikationsraten bekannt geworden seien.
143Zu dem Verdachtsfall eines Todesfalls hat das Bundesministerium der Verteidigung in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass bei dem "deutlich über 50-jährigen" Soldaten eine Vorerkrankung vorgelegen habe und im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung ein Vorhofflimmern entstanden sei. Soweit der Antragsteller beanstandet, dass eine Obduktion nicht stattgefunden habe, konnte nicht geklärt werden, ob eine solche rechtlich wie tatsächlich überhaupt in Betracht kam. Unabhängig davon ist darauf hinzuweisen, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr insoweit über keine anderen oder weitergehenden Eingriffsrechte und Untersuchungsmöglichkeiten verfügt als sie im zivilen Bereich bestehen.
144Insgesamt ergeben sich aus den mitgeteilten Daten keine nach Quantität oder Qualität wesentlichen Abweichungen von den allgemeinen Melderaten, wie sie in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts zur Ermittlung von Risikosignalen ausgewertet werden (siehe zuletzt den 18. Sicherheitsbericht vom , S. 3 ff.). Auch der Einwand, Soldaten würden Impfkomplikationen häufig nicht oder nur zurückhaltend melden, ist nicht plausibel. Die Möglichkeit, wegen einer Wehrdienstbeschädigung Ansprüche nach dem Soldatenversorgungs- und dem Bundesversorgungsgesetz geltend zu machen, ist allgemein, namentlich im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, bekannt. Impfschäden können nicht nur Versorgungsansprüche nach dem Infektionsschutzrecht (hier insbesondere § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a IfSG), sondern als Wehrdienstbeschädigung im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG auch - zum Teil weitergehende - dienstrechtliche Versorgungsansprüche auslösen (vgl. z. B. - juris Rn. 50 m. w. N.). Es ist fernliegend, anzunehmen, dass Soldaten auf solche Ansprüche verzichten wollten und die anspruchswahrende Meldung von Impfkomplikationen unterließen.
145b) Im Hinblick auf die übereinstimmende Einschätzung des Robert-Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts konnte der Dienstherr - wie ausgeführt - im November 2021 davon ausgehen, dass von dem SARS-CoV-2-Virus eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten und damit für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr ausging, weil in vielen Fällen das menschliche Immunsystem alleine zur Abwehr nicht ausreichte (RKI, Epidemiologisches Bulletin 48/2021 vom , S. 15 f.). Diese unter der Dominanz der Delta-Variante des Virus getroffene Einschätzung wird von den beiden Fachbehörden - wie ausgeführt - auch im Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung aufrechterhalten. Dass derzeit die ganz überwiegende Mehrzahl der Infektionen einen milden Verlauf nimmt, kann nicht - wie der Antragsteller vermutet - darauf zurückgeführt werden, dass die Omikron-Variante des Coronavirus an sich bereits ungefährlich sei. Denn mittlerweile ist nach dem aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts etwa drei Viertel der deutschen Bevölkerung (76,2 %) zweifach und mehr als die Hälfte (61,6 %) sogar dreifach geimpft. In der für die Bundeswehr besonders relevanten Altersgruppe der 18- bis 59-Jährigen sind etwa vier Fünftel geimpft und ca. 16 % ungeimpft (RKI, Wöchentlicher Lagebericht zu Covid-19 vom , S. 20). Hinzu kommt, dass eine zahlenmäßig nicht klar erfasste Bevölkerungsgruppe genesen ist. Das Virus trifft also in vielen Fällen auf Personen mit einer unterschiedlich hohen Anzahl von Antikörpern, die bereits bei der Infektion vorhanden sind und die Immunabwehr stärken. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Omikron-Variante des Virus keine schweren Verläufe verursacht, wenn sie auf Personen trifft, deren Immunabwehr unvorbereitet oder aus anderen Gründen geschwächt ist (vgl. RKI, Risikobewertung zu Covid-19 vom ).
146aa) Die Richtigkeit dieser Gefahrenprognose konnte insbesondere nicht durch den vom Antragsteller als Parteisachverständigen beigezogenen Prof. Dr. med. Sucharit Bhakdi erschüttert werden. Dieser bis zu seiner Pensionierung als Institutsleiter an der Universität Mainz tätige Mikrobiologe und Mediziner hat zwar in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass das Virus aufgrund seiner Verwandtschaft zu alltäglichen Coronaviren vom Immunsystem Ungeimpfter problemlos erkannt werde. Gerade junge Menschen hätten eine Hintergrundimmunität, die eine ernstliche Erkrankung verhindere, sodass eine Impfung nicht notwendig sei.
147Diese These vom Ausreichen der körpereigenen Immunabwehr vermag jedoch nicht zu überzeugen. Sie gilt ohnedies nur für junge Menschen und nicht für ältere oder immungeschwächte Personen. Wie bereits ausgeführt finden sich in der Bundeswehr aber nicht nur junge, sondern auch ältere Soldaten. Einige gehören aufgrund von Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren zu den sogenannten vulnerablen Gruppen. Zudem ist die These vom Ausreichen der vorhandenen Hintergrundimmunität auch für junge Menschen nicht bewiesen. Oberstarzt Prof. Dr. med. Roman Wölfel, Leiter des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr, hat in der mündlichen Verhandlung und im Schriftsatz des Bundesministeriums der Verteidigung vom überzeugend dargelegt, dass die von Prof. Dr. Bhakdi für seine Behauptung herangezogene Studie (Killingley et al., Nature Medicine, 2021) seine Einschätzung nicht stützt. Denn in der Studie werden keine Messwerte zur vorhandenen Hintergrundimmunität junger Menschen erhoben oder ausgewertet.
148Ebenso wenig konnte Prof. Dr. Bhakdi seine Einschätzung belegen, dass bei einer Covid-19-Erkrankung schwere Krankheitsfolgen nur durch Behandlungsfehler, insbesondere eine zu frühe oder unnötige künstliche Beatmung, verursacht werden. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass der nicht selbst kurativ tätige Prof. Dr. Bhakdi diese Einschätzung auf eine wissenschaftlichen Standards genügende Datenerhebung stützen kann.
149bb) Auch die vom Antragsteller beigezogene Parteisachverständige Dr. med. vet. Susanne Wagner konnte die These von der relativen Ungefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus nicht überzeugend belegen. Sie hat selbst eingeräumt weder über eine humanmedizinische Ausbildung noch über eine spezielle virologische Expertise zu verfügen. Sie werte allerdings die Wochenberichte des Robert-Koch-Instituts aus. Ihre Annahme, dass im Allgemeinen nur Menschen mit Übergewicht oder Angst an Covid-19 erkrankten, entspricht jedoch weder der Beschreibung vulnerabler Gruppen durch das Robert-Koch-Institut noch dem breiten fachwissenschaftlichen Konsens.
150cc) Schließlich konnte der Antragsteller den Senat auch nicht von seiner These überzeugen, die Gefährlichkeit und Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus werde aufgrund der Anwendung nicht aussagefähiger Antigen- und PCR-Tests völlig überschätzt, sodass in Wahrheit keine Corona-Pandemie, sondern eine Testpandemie vorläge. Die hierzu vorgelegten Gutachten von Frau Prof. Dr. rer. hum. biol. Ulrike Kämmerer sowie ihre Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom zeigen zwar einige Schwächen der Antigen- und PCR-Testung auf. Insbesondere weisen Antigen- und PCR-Tests unterschiedlich hohe Messungenauigkeiten auf. Ferner belegen PCR-Tests unmittelbar nur das Vorhandensein des abgetöteten Virus in den entnommenen Proben, nicht die Infektiosität des Probanden. Hierzu hat Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel in der mündlichen Verhandlung aber zutreffend erwidert, dass in den PCR-Tests zwar richtigerweise nur für SARS-CoV-2 typische Nukleotidsequenzen nachgewiesen werden. Jedoch sei bei einer bestimmten Höhe der nachgewiesenen Viruslast eine Aussage über eine Infektiosität der Person möglich.
151Das Bundesministerium der Verteidigung hat zudem im Schriftsatz vom aufgezeigt, dass das von Dr. Victor Corman und Prof. Dr. Christian Drosten entwickelte PCR-Nachweisverfahren seit seiner Entwicklung, wie im wissenschaftlichen Prozess üblich, auf seine Eignung als Diagnostikverfahren mehrfach unabhängig durch empirische Studien überprüft worden ist. Dabei sind die methodischen Beschränkungen und die grundsätzliche Robustheit dieses PCR-Tests für den Nachweis von SARS-CoV-2 nachgewiesen worden. Soweit Frau Prof. Dr. Kämmerer, die selbst nicht auf dem Gebiet der Virologie forscht, dies in Frage stellt, beruhen ihre Einwände nicht auf eigenen empirischen Studien, sondern auf einer selektiven Auswertung der einschlägigen medizinischen Literatur.
152Aus diesen Gründen folgt der Senat der Einschätzung von Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel, dass Frau Prof. Dr. Kämmerer aus ihren richtigen Grundannahmen unzutreffende Schlüsse zieht. Es leuchtet ein, dass der Nachweis einer erheblichen Konzentration an für SARS-CoV-2 typischen Nukleotidsequenzen ein Indikator für die Wirksamkeit des Virus in einem Organismus ist. Zur korrekten Quantifizierung der in Rede stehenden Konzentration sind für die Testlabore einheitliche Standards entwickelt worden, bei denen der sogenannte Ct-Wert eine erhebliche Rolle spielt. Wie Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, arbeiten akkreditierte Labore nach einheitlichen Qualitätsstandards, deren Einhaltung überwacht wird. Dass es in Einzelfällen zu Anwendungsfehlern kommen mag, diskreditiert nicht das diagnostische System als solches. Auch Frau Prof. Dr. Kämmerer konnte keine plausiblen Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass in einer erheblichen Zahl von Fällen PCR-Tests fehlerhaft durchgeführt werden, sodass die aus ihnen ermittelten Infiziertenzahlen ergebnisrelevant deutlich überhöht wären.
153Dass die durch PCR-Tests ermittelten Gensequenzen für SARS-CoV-2 nicht hinreichend spezifisch wären, wird durch Frau Prof. Dr. Kämmerer ebenfalls nicht wissenschaftlich fundiert aufgezeigt. Aus diesem Grund ist ihre Folgerung, in die Zahl der SARS-CoV-2-Infizierten würde einfließen, was vor dem Auftreten von SARS-CoV-2 als Erkältung oder Influenza erfasst worden wäre, nicht plausibel. Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Zweifel, dass die in Deutschland durchgeführten PCR-Tests, deren Ergebnisse in die Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts zur Gefahrenlage und zur Wirksamkeit der Impfstoffe einfließen, geeignet sind, verlässliche Indikatoren für Infektionen mit SARS-CoV-2 zu liefern. Sie bilden - wie vom Robert-Koch-Institut angenommen - den "Goldstandard für den Nachweis von SARS-CoV-2". Dass handelsübliche Antigen-Schnelltests weniger verlässliche Ergebnisse liefern, ist unstrittig, aber auch unerheblich, weil die Einschätzungen des Robert-Koch-Instituts maßgeblich auf den durch PCR-Tests ermittelten Werten beruhen.
154c) Ferner konnten die Einwendungen des Antragstellers und der von ihm beigezogenen Parteisachverständigen zur Unwirksamkeit und Gefährlichkeit der mRNA-Impfstoffe nicht überzeugen.
155aa) Insbesondere konnte Prof. Dr. Bhakdi in der mündlichen Verhandlung vom seine These, die mRNA-Impfstoffe hätten nie zum Schutz gegen eine Infektion beigetragen, nicht wissenschaftlich fundiert belegen. Er hat nie selbst irgendwelche Studien über das SARS-CoV-2-Virus oder die Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen durchgeführt und auch in seiner mehr als ein Jahrzehnt zurückliegenden aktiven Dienstzeit nicht über Coronaviren geforscht. Zum Nachweis seiner These hat er dem Senat zwar ein Bündel von rund einem Dutzend Textauszügen und Abdrucken aus fachwissenschaftlichen Aufsätzen übergeben, in denen er meist einzelne Sätze oder Abschnitte markiert hat. Allerdings vertritt keine dieser Publikationen Prof. Dr. Bhakdis These von der vollständigen Unwirksamkeit der mRNA-Impfstoffe. Seine sehr selektive Textexegese dieser Publikationen kann jedoch einen empirischen Nachweis für die behauptete Unwirksamkeit der mRNA-Impfstoffe nicht ersetzen.
156Das Vorbringen von Prof. Dr. Bhakdi ist schon aus diesem Grund nicht geeignet, die sachverständige Einschätzung des Robert-Koch-Instituts und der herrschenden fachwissenschaftlichen Meinung zur Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe zu erschüttern. Soweit Prof. Dr. Bhakdi auf methodische Fehler einer an einer Zulassungsstudie beteiligten Forschungseinrichtung (Ventavia Research Group) verweist, ist durch das Bundesministerium der Verteidigung mit Schriftsatz vom nachvollziehbar erläutert worden, dass die durch Investigativjournalisten erhobenen Einwände nur einen kleineren Teil der Probanden betreffen und daher keinen Einfluss auf die Ergebnisse der Gesamtstudien haben. Prof. Dr. Bhakdi konnte den Senat auch nicht davon überzeugen, dass die verwendeten Impfstoffe keine Verbesserung der Immunantwort auf das SARS-CoV-2-Virus bewirken. Dies ist weder durch seine Behauptung, die Schutzimpfungen würden nicht zur Bildung von Schleimhaut-Antikörpern führen, dargetan, noch ist nachgewiesen, dass die Übertragung von SARS-CoV-2 unter Geimpften nicht erheblich geringer oder sogar höher ist als unter Ungeimpften. Prof. Dr. Bhakdi bezieht sich zum Beleg seiner Einschätzung auf Veröffentlichungen, die nach den nachvollziehbaren und schlüssigen Erläuterungen von Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel in der mündlichen Verhandlung und im Schriftsatz vom die Behauptungen stützende Daten gar nicht enthalten bzw. Prof. Dr. Bhakdis Schlussfolgerungen nicht tragen.
157bb) Soweit der Antragsteller befürchtet, die mRNA-Impfstoffe führten zu einer Veränderung der menschlichen Genome, hat sich dafür in der mündlichen Verhandlung ebenfalls kein wissenschaftlich tragfähiger Anhaltspunkt ergeben. Die Wirkungsweise von mRNA-Impfstoffen besteht darin, dass die im Impfstoff enthaltene Boten-Ribonukleinsäure (messenger Ribonucleic Acid = mRNA) eine genetische Information enthält. Damit bewegt sie die menschliche Gewebezelle, in die sie nach der Impfung eindringt, dazu, ein bestimmtes Protein herzustellen, das äußerlich mit seiner spitzen Form der Eiweißhülle des SARS-CoV-2-Virus entspricht. Dieses sogenannte Spikeprotein wird vom menschlichen Immunsystem als Fremdeiweiß erkannt; in der Folge bildet das Immunsystem Antikörper und Abwehrzellen gegen das Spikeprotein. Gelangt später im Rahmen einer Infektion das SARS-CoV-2-Virus in einem ähnlichen Spikeprotein-Mantel in den menschlichen Körper, wehren die vorhandenen Antikörper und Abwehrzellen das Virus mit dem Spikeprotein-Mantel ab.
158Nach der vielfach beschriebenen Wirkungsweise der mRNA-Technologie gelangt die Boten-Ribonukleinsäure nicht in den Zellkern der Gewebezelle und verändert das darin enthaltene Erbgut nicht. Vielmehr wendet sich die künstliche mRNA ebenso wie die körpereigene mRNA an die für die Eiweißproduktion zuständigen Teile der Zelle, die Ribosomen. Dort wird die Botschaft der künstlichen mRNA abgelesen und das Spikeprotein produziert (vgl. RKI, Homepage, FAQ, Was wissen wir über mRNA-Impfstoffe?). Im Einklang mit diesen amtlichen Fachinformationen führte der Sachverständige Dr. med. Dirk Mentzer, Leiter des Referats Pharmakovigilanz im Paul-Ehrlich-Institut, in der mündlichen Verhandlung vom aus, dass die in der Impfdosis enthaltene mRNA nur kurzzeitig in der menschlichen Zelle verweile und nach kurzer Zeit nicht mehr nachweisbar sei. Ein Einbau in das menschliche Genom finde nicht statt.
159Das Vorbringen des Antragstellers, es handele sich bei der Impfung mit einem mRNA-Impfstoff um eine Gentherapie, die das menschliche Genom verändere, ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Parteisachverständigen Prof. Dr. Bhakdi nicht beachtlich wahrscheinlich. Soweit sich Prof. Dr. Bhakdi auf eine Studie zur Einbringung von mRNA-Impfstoffen in Leberkrebszellen bezieht (Alden et al., Curr. Issues Mol. Biol., 2022), ist durch Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel im Schriftsatz vom überzeugend entgegnet worden, dass die methodischen Fehler der fraglichen Studie bereits im fachwissenschaftlichen Schrifttum aufgezeigt wurden und dass ihre Ergebnisse von anderen Forschern bislang nicht reproduziert werden konnten. Unabhängig davon besteht ihr in weiteren Studien nicht validiertes Ergebnis darin, dass nach dem Einbringen eines mRNA-Impfstoffs in einer Kultur von Leberkrebszellen DNA-Fragmente festgestellt wurden. Dieses Studienergebnis trägt die Schlussfolgerungen von Prof. Dr. Bhakdi nicht. Denn die Arbeit liefert keinen Nachweis dafür, dass die beobachteten DNA-Fragmente in den Zellkern wandern und in die DNA-Sequenz integriert werden.
160cc) Für die wiederholt vorgetragene These des Antragstellers, die mRNA-Impfung bewirke im menschlichen Körper die Produktion toxischer Spikeproteine, fehlen ebenfalls ausreichende wissenschaftliche Belege. Auch in diesem Kontext konnten die Fachleute des Sanitätsdienstes der Bundeswehr nachweisen, dass die diesbezüglichen Thesen von Prof. Dr. Bhakdi durch Daten der von ihm angeführten Studien nicht untermauert werden. Soweit Prof. Dr. Bhakdi auf Thrombosen, Lungenembolien, Leberentzündungen, Myo- oder Perikarditis als Folge der in Rede stehenden Impfung verweist, zeigt er zwar zutreffend mögliche Risiken einer Impfung auf. Diese sind aber - wie die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts und die Erläuterungen des Sachverständigen Dr. Mentzer sowie die mündlichen und schriftlichen Erläuterungen von Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel ergaben - in der fachwissenschaftlichen Bewertung der Impfrisiken als solche bekannt. Dass diese Impfkomplikationen kausal auf einer besonderen Toxizität der vom Körper produzierten Spikeproteine beruhen, ist damit nicht belegt.
161dd) Schließlich hat sich im Rahmen der Beweisaufnahme auch der vom Antragsteller mehrfach vorgetragene Verdacht nicht erhärtet, die in den mRNA-Impfstoffen verwendeten Nanolipide seien hoch entzündungserregend und besonders gesundheitsschädlich. Es trifft zwar zu, dass in den Impfstoffen "Comirnaty" und "Spikevax" jeweils unterschiedliche Nanolipide als äußere Hülle der mRNA verwendet werden. Denn ohne diese Verpackung würde die sehr empfindliche Boten-Ribonukleinsäure Transportschäden erleiden und ihren intrazellulären Wirkort nicht unversehrt erreichen. Bei diesen Nanolipiden handelt es sich um Substanzen im Größenbereich von Millionstel-Millimetern (Nano), die aus bestimmten Fetten (Lipos) bestehen. Die Nanolipide sind körpereigenen Lipiden sehr ähnlich und werden in dem körpereigenen Fettstoffwechsel abgebaut. Die Transfertechnologie mit Nanolipiden findet schon seit über 20 Jahren in anderen pharmazeutischen Bereichen Anwendung, ohne dass deren gesundheitliche Verträglichkeit in Frage gestellt worden wäre (PEI, Was wissen wir über die Sicherheit der Lipidnanopartikel in mRNA-Impfstoffen? Homepage-Beitrag vom ).
162Eine besondere Schädlichkeit der in den mRNA-Impfstoffen enthaltenen Nanolipide ist bislang ebenfalls nicht wissenschaftlich belegt. Die von Prof. Dr. Bhakdi zum Nachweis in diesem Kontext angeführte Studie (Ndeupen et al., iScience, 2021) belegt keine Fehleinschätzungen in der Risikobewertung. Die Studie beschäftigt sich mit Tierexperimenten an Mäusen, denen mRNA-Impfstoffe in hoher Konzentration unter die Haut, in die Muskeln sowie in die Nase und Atemwege gespritzt worden sind. Die entzündlichen Reaktionen in der Haut und im Muskelgewebe bewerteten die Autoren als Ausdruck einer beabsichtigten Aktivierung des Immunsystems. Die Injektion des Impfstoffes in die Nasen der Tiere erfolgte, weil auch die Möglichkeit einer intranasalen Impfstoffanwendung untersucht werden sollte. Allerdings starben 80 % der Versuchstiere daran, dass zu große Mengen des Impfstoffs in ihre Lungen gerieten. Die Autoren der Studie schließen daraus, dass bei einer nasalen Anwendung des Impfstoffes die Optimierung des verabreichten Volumens von wesentlicher Bedeutung sei. Eine auf ein Viertel verringerte Dosis überlebten alle Versuchstiere.
163Wie Oberstarzt Prof. Dr. Wölfel zutreffend ausgeführt hat, belegt diese Studie neben bekannten Nebenwirkungen der mRNA-Impfstoffe allenfalls die Grenzen der Aussagekraft von Tierversuchen. Einen Beleg für "hochgiftige Eigenschaften der Impfstoff-Verpackung" liefert sie nicht. Dasselbe gilt für die von den Bevollmächtigten des Antragstellers wiederholt herangezogene Zulassungsstudie an Ratten. Auch deren Hautausschläge und Entzündungen sind nach einer überdosierten Gabe des Gesamtimpfstoffs entstanden und belegen im Tierversuch Nebenwirkungen des Impfstoffs, ohne dass eine spezifische Ursächlichkeit der Nanolipide untersucht oder bewiesen worden wäre.
164ee) Für die vom Antragsteller mehrfach behauptete Gefahr, dass bei der Covid-19-Impfung verunreinigte mRNA-Impfstoffchargen zum Einsatz kämen, haben sich im gerichtlichen Verfahren ebenfalls keine Anhaltspunkte ergeben. Der Senat ist dieser Frage unabhängig davon nachgegangen, dass die Unbedenklichkeit einzelner Impfstoffchargen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um die Umsetzung der individuellen Impfung, sondern die Anordnung der allgemeinen Duldungspflicht für die Covid-19-Impfung. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Nutzen-Risiko-Abwägung des Dienstherrn auch dabei anders ausfallen könnte, wenn nach der Organisation der Chargenprüfung systembedingt und grundsätzlich die Gefahr von Verunreinigungen und nicht zugelassenen Veränderungen bestünde.
165Zunächst ist allerdings festzustellen, dass der Antragsteller selbst die angenommene Gefahr lediglich mit vagen Befürchtungen von Verunreinigungen, Beimischungen oder anderen Zusammensetzungsveränderungen begründet hat. Seine Bevollmächtigten haben zwar darauf verwiesen, dass es in den USA eine von Impfskeptikern betriebene Internet-Datenbank mit dem Titel "How bad is my batch" gebe, in der Betroffene ihre Impfschäden und ihre Impfcharge eingetragen hätten. Daraus lasse sich ablesen, dass wenige Chargen der Impfstoffe einen Großteil der schwerwiegenden Impfnebenwirkungen verursacht hätten. Dass diese Internetberichte sich im Rahmen einer unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung als richtig erwiesen hätten, ist allerdings weder vorgetragen noch ersichtlich. Hinzu kommt, dass etwaige Mängel der Chargenprüfung in den USA nichts über die Qualität der Chargenprüfung in Europa und speziell in Deutschland aussagen würden. Der Antragsteller hat auch nicht plausibel gemacht, dass es im europäischen Raum bereits zu Verunreinigungen bei einzelnen Impfstoffchargen gekommen wäre; ferner hat er nicht näher konkretisiert, nach welchen, nicht zugelassenen Beimischungen das Paul-Ehrlich-Institut als die für die Chargenkontrolle nach § 32 Abs. 1 i. V. m. § 77 Abs. 2 AMG zuständige Bundesbehörde zusätzlich suchen sollte und welche potentiellen, nicht bloß theoretisch möglichen Gesundheitsrisiken damit minimiert werden könnten.
166Der Senat hat sich dessen ungeachtet durch den für die Chargenfreigabe zuständigen Fachgebietsleiter des Paul-Ehrlich-Instituts, den Sachverständigen Dr. med. Ralf Wagner, das System der Chargenprüfung in seiner praktischen Umsetzung erläutern lassen. Danach führt das Paul-Ehrlich-Institut die Kontrollen in enger Abstimmung mit den für die Chargenqualität der Hersteller verantwortlichen sachkundigen Personen (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1, §§ 15, 19 AMG) durch. Es prüft nicht nur die von den sachkundigen Personen durchgeführten Qualitätsuntersuchungen und vorgelegten Gutachten, sondern führt selbst bei jeder Charge die Analyse einer Impfstoffprobe durch. Dazu gehört die einleitende Sichtkontrolle auf Verfärbungen. Wichtiger sind allerdings die nach einem standardisierten Ablaufplan durchgeführten Laborkontrollen. Es wird insbesondere untersucht, ob in der Probe eine den Zulassungsunterlagen entsprechende Menge an Boten-Ribonukleinsäuren vorhanden ist und ob sie die vorgesehene Konsistenz und Länge haben. Der Sachverständige hat erläutert, dass dies für die Wirkungsweise der Impfung besonders bedeutsam ist. Bei den mRNA-Impfstoffen handle es sich im Hinblick auf Verunreinigungen um vergleichsweise unkritische Präparate, weil außer der mRNA und der sie umgebenden Nanolipide nur klare Flüssigkeit enthalten sei.
167Auch die Befragung des zuständigen Fachgebietsleiters Dr. Wagner durch die vom Antragsteller hinzugezogenen Parteisachverständigen hat nicht zu einer Substantiierung und Konkretisierung der vagen Befürchtungen des Antragstellers oder zum Nachweis einer Kontrolllücke geführt. Unerheblich ist, dass nach deren Einschätzung ein anderer Ablauf der Prüfung effektiver oder zusätzliche Tests möglich wären. Denn es geht im vorliegenden Fall nicht um die Frage, welche Maßnahmen zur Optimierung der Chargenkontrollen möglich sind, sondern ob das bestehende Kontrollniveau ausreicht, um mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Gesundheitsschädigung durch verunreinigte oder sonst mangelhaft produzierte Impfstoffe zu verhindern. Der Senat ist auch unter Berücksichtigung der Bedenken des Antragstellers davon überzeugt, dass die Chargenprüfung, so wie sie nach Maßgabe geltenden Rechts von den zuständigen Prüfeinrichtungen regelmäßig gehandhabt wird, geeignet ist, eine konstant gleiche, verunreinigungsfreie Zusammensetzung der Impfstoffe mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu beanstanden, dass der Dienstherr die Verwendung von Impfstoffen vorsieht, die diese Kontrollmechanismen beanstandungsfrei passiert haben.
168d) Schließlich ist es dem Antragsteller auch nicht gelungen, die Aussagekraft des Sicherheitsberichts des Paul-Ehrlich-Instituts als sachverständige amtliche Auskunft über unerwünschte Impfnebenwirkungen durch den Verweis auf andere Erkenntnisquellen oder die anderweitige Einschätzung von Experten zu erschüttern.
169aa) In dem zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Verfahren sind dem Gericht zahlreiche Einzelberichte von Impfnebenwirkungen, Reportagen, Presseberichte, Stellungnahmen impfkritischer Ärzte und Anwälte, deutsch- und fremdsprachige Internet-Links sowie das Sachbuch einer Anwältin zum Nachweis einer wesentlich höheren Quote an Impfkomplikationen und impfbedingten Todesfällen vorgelegt worden. Es wurde ferner angeregt, einzelne impfgeschädigte Soldaten anzuhören, und beantragt, eine amerikanische Ärztin und einen amerikanischen Rechtsanwalt zu Impfschäden in den Streitkräften der Vereinigten Staaten als Zeugen zu vernehmen. Dieses Vorbringen war jedoch nicht entscheidungserheblich. Aufgabe dieses Gerichtsverfahrens ist es nicht, Einzelfällen oder Meinungen von Bloggern, Journalisten und Sachbuchautoren nachzugehen oder behauptete Impfnebenwirkungen im Ausland zu erforschen. Der Senat hat dies in verschiedenen rechtlichen Hinweisen während der mündlichen Verhandlung und in den Beweisbeschlüssen vom 1., 8., 16. und deutlich gemacht, sodass hierauf noch einmal verwiesen werden kann.
170Untersuchungsgegenstand dieses Verfahrens ist vielmehr die Frage, in welchem statistischen Umfang der Dienstherr bei Einführung und Beibehaltung der Duldungspflicht für Covid-19-Impfungen mit unerwünschten Nebenwirkungen der zugelassenen und insbesondere der von ihm verwendeten Impfstoffe rechnen musste. Maßgeblich sind dabei die bei der Entscheidung des Dienstherrn vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts veröffentlichten Zahlen sind nach wissenschaftlichen Methoden ermittelt worden und konnten als amtliche Auskunft über diese Frage vom Dienstherrn verwertet und in das gerichtliche Verfahren eingeführt werden. Deren statistische Richtigkeit wird durch Einzelfallberichte und nicht-wissenschaftliche Meinungsäußerungen nicht erschüttert. Auch soweit der Antragsteller wiederholt aus einem Schreiben der Fa. BioNTech zitiert hat, in dem das Unternehmen aus Anlass seines Börsengangs die Kapitalanleger auf diverse denkbare Risiken im Bereich der Impfstoffherstellung hingewiesen hat, folgt daraus nichts für die tatsächlichen Risiken der danach mit Hilfe der Kapitalerhöhung konkret produzierten mRNA-Impfstoffe. Es sind auch keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorgetragen worden, dass Wirkstoffbestandteile des Impfstoffs von Geimpften an Ungeimpfte übertragen werden können.
171bb) Keinen Erkenntnisgewinn vermitteln auch die Hinweise des Antragstellers auf noch laufende wissenschaftliche Forschungen von Prof. Dr. Schirmacher (Heidelberg) und Prof. Dr. Matthes (Berlin). In verschiedenen Medien ist zwar darüber spekuliert worden, dass diese Studien Nachweise für eine höhere Dunkelziffer an Impftoten oder für ein wesentlich höheres Niveau an unerwünschten Impfnebenwirkungen ergeben könnten. Dem kann im vorliegenden Verfahren jedoch nicht nachgegangen werden, weil nicht abgeschlossene wissenschaftliche Studien - wie der Senat im Beweisbeschluss vom deutlich gemacht hat - nicht zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse gehören. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse diese wissenschaftlichen Studien im Einzelnen erbringen und ob sie einer kritischen Überprüfung in der Fachwissenschaft standhalten. Der Dienstherr ist zwar bei der dauerhaften Anordnung einer Impfduldungspflicht gehalten, deren Verhältnis- und Rechtmäßigkeit ständig zu überwachen. Dies bedeutet auch, dass er sich mit dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese Impfung befassen muss. Er muss und kann bei seiner Entscheidung für die Beibehaltung einer Impfung aber nur veröffentlichte und validierte Studien zugrunde legen.
172cc) Auch die Ausführungen der Parteisachverständigen Prof. Dr. Bhakdi und Prof. Dr. Kämmerer haben nicht wissenschaftlich belegen können, dass die Covid-19-Impfstoffe andere oder größere Risiken mit sich bringen als in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts und den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission bereits berücksichtigt. Insbesondere hat Prof. Dr. Bhakdi - wie oben ausgeführt - nicht plausibel dargetan, dass die in den mRNA-Impfstoffen als Trägersubstanzen verwendeten Nanolipidpartikel gesundheitsschädigend wären, dass die im Impfstoff enthaltene Boten-Ribonukleinsäure das menschliche Erbgut verändern könnte oder dass die vom Körper produzierten Spikeproteine toxisch wären. Dasselbe gilt für die entsprechenden Ausführungen von Frau Prof. Dr. Kämmerer in der mündlichen Verhandlung am , die ebenfalls nicht auf einer nachvollziehbaren Auswertung des Forschungsstandes beruhen.
173Auch im Übrigen ist der Senat auf der Grundlage der fundierten mündlichen und schriftlichen Erläuterungen der Oberstärzte Prof. Dr. Wölfel und Prof. Dr. Dr. Steinestel überzeugt, dass die von Prof. Dr. Bhakdi geäußerten Befürchtungen durch Daten der von ihm angeführten Studien nicht untermauert werden. Soweit Prof. Dr. Bhakdi zur Plausibilisierung seiner Thesen auf das Risiko impfbedingter Thrombosen, Lungenembolien, Leberentzündungen, Myo- oder Perikarditis verweist, handelt es sich um bereits bekannte mögliche Impfkomplikationen, deren Auftreten und Häufigkeit in den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts bereits erfasst sind. Prof. Dr. Bhakdi konnte nicht belegen, dass die Risiken derartiger Impfnebenwirkungen signifikant höher sind als in der amtlichen Risikobeschreibung des Paul-Ehrlich-Instituts angegeben. Eine statistisch höhere Relevanz einzelner Impfkomplikationen ergibt sich insbesondere nicht aus dem Verweis auf medizinische Fallberichte über Einzelschicksale, die nicht ins Verhältnis zur Zahl der Impfungen gesetzt werden.
174Die mündlich wie schriftlich vorgetragene Kritik der Bevollmächtigten des Antragstellers an den Gegenargumenten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr veranlasst den Senat zu keiner anderen Einschätzung. Darin werden keine grundlegend neuen fachlichen Argumente vorgetragen, sondern nur die bekannten Kernthesen von Prof. Dr. Bhakdi umfangreich wiederholt, ohne dass die Richtigkeit der vom Paul-Ehrlich-Institut in seinem Sicherheitsbericht zur Verfügung gestellten amtlichen Auskunft durchgreifend erschüttert wäre. Dies ergibt sich insbesondere auch nicht aus dem Verweis auf fachwissenschaftliche Einzelstimmen und -studien, die sich - wie Prof. Dr. Bhakdi - mit ihrer Kritik an der medizinischen Mehrheitsmeinung in der wissenschaftlichen Diskussion nicht durchsetzen konnten.
175dd) Auch bei Würdigung des mündlichen und schriftlichen Vortrages des pensionierten Pathologen Prof. Dr. med. Arne Burkhardt ist davon auszugehen, dass die Risikoeinschätzung der Ständigen Impfkommission und des Paul-Ehrlich-Instituts auf verlässlicher Grundlage beruhen. Der Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts ist insbesondere nicht deswegen fehlerhaft, weil er die von Prof. Dr. Burkhardt behaupteten Obduktionsnachweise von 40 weiteren Impftoten höchstwahrscheinlich nicht berücksichtigt. Es ist nicht zu beanstanden, wenn eine Fachbehörde bei der ihr obliegenden Risikoeinschätzung nur solche mutmaßlichen Impfschadensfälle erfasst, die ihr ordnungsgemäß gemeldet werden. Prof. Dr. Burkhardt hat aber selbst nicht ausgeführt, dass er die von ihm untersuchten Impfschadensfälle unter Nennung von Namen, Adresse, Todes- und Impfzeitpunkt, Impfcharge etc. an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldet und dieser Behörde damit die Möglichkeit einer Nachprüfung eröffnet hat. Es ist damit völlig unklar, ob es sich um in- oder ausländische Fälle handelt und ob die Angehörigen diese Fälle nicht teilweise bereits dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet haben.
176Auch der Dienstherr war nicht verpflichtet, aufgrund der von Prof. Dr. Burkhardt in Zeitungen und im Internet verbreiteten Ergebnisse von zwei sogenannten "Pathologie-Konferenzen" oder aufgrund seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung am von einer erheblichen Dunkelziffer an Impftoten auszugehen, die bei der Risikoeinschätzung der genannten Institutionen nicht berücksichtigt wäre. Denn bei der Risikoeinschätzung von Impfstoffen können nur Publikationen zu pathologischen Befunden berücksichtigt werden, die anerkannten fachwissenschaftlichen Qualitätsstandards genügen.
177Die Thesen und Befunde von Prof. Dr. Burkhardt sind nie einem "peer-review" durch unabhängige Wissenschaftler unterzogen und auch nicht in einer Form veröffentlicht worden, die eine solche Kontrolle erlaubt. Wie er in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, beruhen seine Ergebnisse auf von ihm und einem Kollegen durchgeführten Nachuntersuchungen von Proben, die aus nicht von ihnen selbst durchgeführten Obduktionen stammen. Damit sind sie - wie Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel in der mündlichen Verhandlung und im Schriftsatz des Bundesministeriums der Verteidigung vom nachvollziehbar erläutert hat - mangels eines Nachweises der Einhaltung von Qualitätsrichtlinien von nur eingeschränkter Aussagekraft. Hinzu kommt, dass nach der plausiblen Einschätzung von Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel für eine Bewertung der dargestellten Befunde weitere Informationen - insbesondere eine ergänzende Anamnese der untersuchten Todesfälle und eine vollständige Darstellung der Methodik der durchgeführten Untersuchungen - erforderlich wären.
178Vor diesem Hintergrund sind alterstypische Vorerkrankungen als alternative Todesursachen für die von Prof. Dr. Burkhardt nachuntersuchten Todesfälle nicht mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Die behauptete Kausalität von Impfung und Todesfall ist damit schon für die von Prof. Dr. Burkhardt untersuchten 40 Fälle nicht hinreichend belegt. Damit fehlt es seiner Behauptung einer hohen Dunkelziffer an Impftoten an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Die methodischen Mängel der Befunddarstellung von Prof. Dr. Burkhardt sind auch nicht durch seine nachgereichte schriftliche Stellungnahme und die Kritik des Antragstellers an den Einwänden von Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Steinestel ausgeräumt.
179ee) Ferner erbringt auch die Presseveröffentlichung der Betriebskrankenkasse (BKK) ProVita vom keinen Nachweis für wesentlich höhere Nebenwirkungen. Darin hatte der frühere Vorstand der BKK ProVita, Andreas Schöfbeck, erklärt, eine Analyse der ärztlichen Abrechnungsdaten durch sein Haus habe ergeben, dass bei allen Deutschen Betriebskrankenkassen in den ersten zweieinhalb Quartalen des Jahres 2021 in 216 695 Fälle Nebenwirkungen einer Corona-Impfung gemeldet worden seien. Eine Hochrechnung auf das Gesamtjahr und auf die Bevölkerung in Deutschland ergebe, dass sich vermutlich 2,5 bis 3 Millionen Menschen in Deutschland wegen Impfnebenwirkungen in ärztliche Behandlung begeben hätten, was etwa 5 % der Geimpften entspreche. Diese Analyse ist unter Mitwirkung des in der mündlichen Verhandlung als Parteigutachter des Antragstellers erschienenen Datenanalysten Tom Lausen erstellt worden. In einem gleichzeitig veröffentlichten offenen Brief forderte Andreas Schöfbeck das Paul-Ehrlich-Institut auf, seine Angaben im Sicherheitsbericht für die Covid-19-Impfung von 0,3 % gemeldeter Fälle zu korrigieren.
180Die in diesen Presseveröffentlichungen gemachten Angaben sind nicht belegt worden. Insbesondere ist die Quelle der Daten, die Grundlage der Analyse gewesen sein soll, nicht nachvollziehbar. Der BKK Dachverband stellte in einer Mitteilung vom klar, dass die verwendeten Daten nicht von ihm stammten (vgl. www.aerzteblatt.de/nachrichten/132101). Nach Bekanntwerden der Schreiben distanzierte sich die BKK ProVita von Andreas Schöfbeck und dessen Analyse. In mehreren Pressemitteilungen wies sie darauf hin, dass die Veröffentlichungen unabgestimmt, unter gezielter Umgehung von Kontrollgremien und Fachabteilungen der BKK ProVita erfolgt sei und nicht den aktuellen Wissensstand und die Haltung der Kasse widerspiegle, sondern von der persönlichen Haltung des Vorstands gegen die Corona-Impfung geprägt sei. Der Verwaltungsrat der BKK ProVita beschloss als Konsequenz am dessen Entlassung (vgl. BKK ProVita, Pressemitteilungen vom 1. März, 3. März und ).
181Auch im gerichtlichen Verfahren konnte nur festgestellt werden, dass die vom Antragsteller zitierte Pressemeldung der BKK ProVita vom über wesentlich höhere Impfnebenwirkungen keine verwertbaren Erkenntnisse erbringt und dass auch die zugrundeliegende Analyse mangels transparenter Datengrundlage und nachvollziehbarer Auswertung ungeeignet ist, Aussagen über meldepflichtige Nebenwirkungen der Covid-19-Impfung zu treffen. Soweit der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung den Datenanalysten Tom Lausen als Parteisachverständigen beigezogen und dieser unter Bezugnahme auf die ihm zur Verfügung stehenden Daten auch vor Gericht eine wesentlich höhere Quote an Impfnebenwirkungen behauptet hat, ist auch diese Analyse letztlich nur eine wissenschaftlich nicht belegte Einschätzung auf unklarer und intransparenter Erkenntnisgrundlage. Derartige Datenanalysen vermögen den Beweiswert der amtlichen Auskünfte des Paul-Ehrlich-Instituts in seinen Sicherheitsberichten über die Zahl der gemeldeten Impfnebenwirkungen nicht zu erschüttern.
182e) Schließlich vermag auch die umfangreiche Kritik des Antragstellers und seiner Parteisachverständigen an den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts deren Beweiswert als amtliche Auskünfte über die in Deutschland beobachteten Impfnebenwirkungen bei der Covid-19-Impfung nicht zu erschüttern.
183aa) Soweit der Antragsteller die Richtigkeit der vom Paul-Ehrlich-Institut vorgelegten Zahlen damit bestritten hat, dass dessen Repräsentanten zu sehr mit der Pharmaindustrie zusammenarbeiteten und dass deren wirtschaftliche Interessen gegen eine neutrale Amtsausübung sprächen, sind diese Behauptungen unsubstantiiert geblieben und nicht geeignet, die Neutralität der Institution in Frage zu stellen. Auch soweit immer wieder ein erhebliches "Underreporting" von Nebenwirkungen beklagt worden ist, ist zunächst festzuhalten, dass es keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gibt, dass die beim Paul-Ehrlich-Institut eingegangenen Meldungen nicht ordnungsgemäß erfasst und nicht im Sicherheitsbericht aufgelistet worden wären. Der These, dass die Betroffenen und die behandelnden Ärzte zu wenig Impfreaktionen und Impfkomplikationen melden, hat der Sachverständige Dr. Mentzer zugestimmt. Allerdings gibt es für den Umfang dieses "Underreporting" derzeit keine belastbaren Zahlen. Der Sachverständige Dr. Mentzer hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nach seiner Einschätzung gebe es zwar ein sogenanntes "Underreporting" im Bereich der weniger schweren Nebenwirkungen der Impfung, nicht aber im Bereich der schweren Impfschäden. Diese Einschätzung ist auch überzeugend. Patienten und Ärzte werden im Bereich weniger schwerwiegender Impfnebenwirkungen von Meldungen an das Paul-Ehrlich-Institut eher absehen, wenn die Betroffenen nach kurzer Behandlungsdauer wieder genesen sind. Hingegen besteht bei schweren und schwersten Impfkomplikationen ein erhebliches Interesse an der Meldung. In diesen Fällen sind einerseits die Ärzte zur Meldung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG verpflichtet und andererseits die Betroffenen an einer Erfassung als Impfgeschädigte interessiert. Es besteht daher eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass auch die Betroffenen von der jedermann eröffneten Meldemöglichkeit Gebrauch machen. Valide Daten, die ein anderes Meldeverhalten der Beteiligten belegen können, hat auch der Parteisachverständige Lausen nicht vorgelegt.
184bb) Die Validität und Aussagekraft der Berichte des Paul-Ehrlich-Instituts wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen ihrer Pflicht, gemäß § 13 Abs. 5 IfSG bestimmte pseudonymisierte Patienten- und Versorgungsdaten an das Paul-Ehrlich-Institut zu übermitteln, bisher nicht nachgekommen sind.
185Die Bestimmung des § 13 Abs. 5 IfSG sah ursprünglich nur eine Datenübermittlung an das Robert-Koch-Institut für Zwecke der Feststellung der Inanspruchnahme von Schutzimpfungen und von Impfeffekten (Impfsurveillance) vor (vgl. BT-Drs. 19/13452 S. 24 f.). Diese Regelung wurde durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom (BGBl. I S. 2397) um eine entsprechende Übermittlungspflicht an das Paul-Ehrlich-Institut für Zwecke der Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen (Pharmakovigilanz) ergänzt (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 28). Aus den vom Antragsteller vorgelegten Schriftlichen Fragen des Bundestagsabgeordneten Ziegler (Arbeitsnummern 3/362 und 4/212) und den Antworten des Bundesministeriums für Gesundheit vom und hierauf ergibt sich, dass das Paul-Ehrlich-Institut bis dahin keine anonymisierten Diagnosedaten (ICD-Codes) gemäß § 13 Abs. 5 IfSG von den Kassenärztlichen Vereinigungen erhalten hat. Diesen Befund hat auch der Sachverständige Dr. Mentzer bestätigt.
186Ungeachtet dieses Defizits im Vollzug von § 13 Abs. 5 IfSG war das Bundesministerium der Verteidigung jedoch berechtigt, bei seiner Einschätzung der Impfrisiken auf die Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts zurückzugreifen. Abgesehen davon, dass dem Paul-Ehrlich-Institut keine rechtlichen Mittel zur Verfügung stehen, um die Übermittlung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen zu erzwingen, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass die vorhandene Datengrundlage völlig unzureichend wäre und dass die zusätzliche Datengrundlage den Erkenntnisstand ausschlaggebend verändert hätte.
187Zum einen überschneidet und deckt sich die Datenübermittlung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen nach § 13 Abs. 5 IfSG in weitem Umfang mit der daneben bestehenden Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG, wonach der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung dem Gesundheitsamt zu melden ist, das seinerseits die Meldungen in pseudonymisierter Form an das Paul-Ehrlich-Institut weiterleitet (vgl. Sangs/Eibenstein, Infektionsschutzgesetz, 2022, § 6 Rn. 13 ff., § 13 Rn. 19). Zum anderen stützt sich die Datengewinnung durch das Paul-Ehrlich-Institut nicht alleine auf die Wege des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG und § 13 Abs. 5 IfSG. Weitere Gesundheitsdaten erwirbt das Paul-Ehrlich-Institut auf der Grundlage von § 75 SGB X (vgl. BT-Drs. 19/23944 S. 28).
188Hinzu kommen, wie sich aus den Sicherheitsberichten ergibt, Meldungen von Beteiligten aus verschiedenen Gesundheitsberufen und Fachkreisen sowie vor allem die jedermann eröffnete Möglichkeit der direkten Meldung an das Paul-Ehrlich-Institut, auch elektronisch über das dort eröffnete Meldeportal. Auf letzterer Möglichkeit beruht, wie der Sachverständige Dr. Mentzer ausgeführt hat, insbesondere der Großteil der Meldungen besonders gravierender Verdachtsfälle. Das Unterbleiben von Meldungen dürfte sich - wie oben ausgeführt - aber vornehmlich im Bereich geringfügiger Impfnebenwirkungen und nicht im hier vor allem interessierenden Bereich gravierender Nebenwirkungen bewegen. Insgesamt ergeben sich damit aus dem - gleichwohl auf Dauer so nicht hinnehmbaren - Vollzugsdefizit bei der Anwendung von § 13 Abs. 5 IfSG keine durchgreifenden Bedenken gegen die aus verschiedenen Quellen gespeisten Sicherheitsberichte des Paul-Ehrlich-Instituts und deren Verwertung als sachverständige amtliche Auskunft.
189cc) Keinen Erfolg haben auch die methodischen Einwände gegen die vom Paul-Ehrlich-Institut durchgeführten und in seinen Sicherheitsberichten dargestellten Auswertungsverfahren zu den ihm gemeldeten Impfschadensfällen. Der Antragsteller kritisiert, dass die Handhabung der Observed-versus-Expected-Analyse durch das Paul-Ehrlich-Institut zu einer erheblichen Fehleinschätzung der Impfstoffsicherheit führe. Dieses Verfahren sei kein taugliches statistisches Instrument, um aus den Meldedaten Anhaltspunkte für auffällige Häufungen von Nebenwirkungen herauszufiltern. Diese Einschätzung hat sich im Rahmen der Beweisaufnahme jedoch nicht bestätigt.
190Die Auswertung der von Medizinern und medizinischen Laien gemeldeten Verdachtsfälle für Impfkomplikationen ist eine komplexe Aufgabe. Wird wie im Jahre 2021 etwa drei Viertel der Bevölkerung Deutschlands gegen eine Erkrankung geimpft, treten im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auch eine hohe Zahl an durch andere Ursachen bedingten Erkrankungen und Todesfällen auf. Ebenso gibt es eine große Zahl an Fällen, deren kausale Zuordnung unklar ist. Das Paul-Ehrlich-Institut hat nach der Mitteilung des Sachverständigen Dr. Mentzer, der dort als Leiter des Sachgebiets Pharmakovigilanz tätig ist, nur die personelle Kapazität gehabt, um die Verdachtsfälle für impfbedingte Todesfälle in jedem Einzelfall nachzuverfolgen, das heißt Krankenakten anzufordern und - falls vorhanden - Obduktionsberichte auszuwerten. Die Auswertung des übrigen Datenmaterials ist fast nur durch statistische Verfahren erfolgt. Deren Aussagekraft ist zwangsläufig dadurch limitiert, dass nur Verdachtsfälle vorliegen und die medizinische Richtigkeit des gemeldeten Verdachts nicht belegt ist.
191Die vom Antragsteller vorgetragene Kritik an der vom Paul-Ehrlich-Institut durchgeführten Observed-versus-Expected-Analyse zielt - wie die Begründung des dem Gericht übergebenen Fragenkatalogs (Anlage 1 zum Protokoll vom ) erkennen lässt - auf den Vorwurf ab, dieses Verfahren sei hinsichtlich der Aufdeckung von Nebenwirkungen äußerst ungenau und würde "selbst bei extrem tödlichen Impfstoffen kein Risikosignal ergeben" (Fragenkatalog S. 2). Dieser Vorwurf ist schon deswegen wenig evident, weil es - wie der Sachverständige Dr. Mentzer berichtet hat - gerade mithilfe der Observed-versus-Expected-Analyse gelungen ist, bei dem Impfstoff Vaxzevria von AstraZeneca die Nebenwirkung des Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms (TTS) zu entdecken. Durch die Entdeckung und anschließende Erforschung dieser schweren Impfkomplikation konnte ein wesentlicher Beitrag zur Impfstoffsicherheit geleistet werden. Darüber hinaus haben die Sachverständigen Dr. Mentzer und Dr. Dr. Oberle dem Gericht bestätigt, dass es sich um ein international übliches statistisches Auswertungsverfahren handelt, das wissenschaftlich anerkannt ist.
192Die Vorgehensweise bei der Observed-versus-Expected-Analyse wird im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts vom näher erläutert. Danach wird die Häufigkeit der nach einer Impfung gemeldeten unerwünschten Ereignisse mit den statistisch zufälligen und zu erwartenden Häufigkeiten in einer vergleichbaren (nicht geimpften) Bevölkerung unter Berücksichtigung verschiedener Zeitfenster verglichen (a. a. O. S. 22). Es wird also die Zahl der ohne Impfung zu erwartenden Erkrankungsfälle, die in gewisser Hinsicht erwartet werden ("expected"), mit der Zahl der beobachteten Fälle ("observed") verglichen. Übersteigt die Zahl der gemeldeten Impfnebenwirkungen die erwarteten Erkrankungsfälle, geht das Paul-Ehrlich-Institut von einem Risikosignal aus. In diesem Falle müssen die Gründe einer höheren Melderate durch zusätzliche Studien untersucht werden, um tatsächlich eine Impfnebenwirkung nachweisen zu können. Denn es handelt sich - wie ausgeführt - bei den Meldungen nur um medizinische Verdachtsfälle.
193Der Senat hat sich die Einzelheiten des Berechnungsverfahrens durch die im Sachgebiet Pharmakovigilanz des Paul-Ehrlich-Instituts mit statistischen Fragen befasste Sachverständige Dr. Dr. Oberle in der mündlichen Verhandlung erläutern lassen. Die Kritik des Antragstellers an diesem Verfahren besteht hauptsächlich darin, dass bei dem Zahlenvergleich zwei unterschiedlich große Grundgesamtheiten verglichen werden: die sehr hohe Zahl an regelmäßig auftretenden Erkrankungen oder Todesfällen mit der erwartungsgemäß kleinen Zahl an Meldungen impfbedingter Erkrankungen und Todesfälle. Speziell bei den Todesfällen würden unter der Rubrik "expected" alle unabhängig von der Todesursache eingetretenen Versterbensfälle der zwangsläufig kleineren Menge an impfbedingten Todesfällen gegenübergestellt. Ein Risikosignal könne sich somit nie ergeben.
194Diese Kritik verkennt, dass das Paul-Ehrlich-Institut nicht alle in einem Zeitraum aufgetretenen Erkrankungs- oder Todesfälle mit den im selben Zeitraum impfbedingten Erkrankungs- und Todesfällen vergleicht. Dann könnte sich schon rein mathematisch nie ein Wert von 1:1 = 1,0 ergeben. Vielmehr stellt es die in vergangenen Zeiträumen (ohne Covid-19-Impfungen) ermittelten durchschnittlichen Erkrankungs- und Todesfallraten pro 100 000 Einwohner dem im aktuellen Zeitraum als Covid-19-Impfschaden gemeldeten Erkrankungs- und Todesfällen pro 100 000 Einwohner gegenüber. Verglichen werden also Erkrankungs- und Todeszahlen ohne Impfung mit als Impfschäden gemeldeten Krankheits- und Todesereignissen. Den behaupteten logischen Fehler im Berechnungsverfahren gibt es darum nicht.
195Allerdings steht zu erwarten, dass bei einem Vergleich über lange Zeiträume von häufig vorkommenden Erkrankungen die regelmäßig auftretenden Erkrankungs- und Todesfallwerte ohne Impfung höher sein werden als die entsprechenden Impfschadensmeldungen. Die Sachverständige Dr. Dr. Oberle hat aber überzeugend dargelegt, dass dies bei kurzen Zeitintervallen anders ist. Werden in kurzer Zeit sehr viele Impfstoffdosen verabreicht, wie dies im Frühjahr 2021 der Fall gewesen ist, dann kann es durchaus vorkommen, dass die dadurch bedingten Erkrankungen statistisch in kurzen Zeiträumen wesentlich höher sind als die durch andere Ursachen bedingten Erkrankungen. Die Sachverständige zeigte sich überzeugt, dass auch ein impfbedingt wesentlich erhöhtes Sterberisiko bei einem Vergleich der 7-Tages-Intervalle bei einer schnellen Verimpfung von hunderttausend Dosen in kurzer Zeit ein Warnsignal ergeben hätte. Darüber hinaus ergibt sich bei bislang eher seltenen Krankheitsverläufen auch bei längeren Zeitintervallen ein Warnsignal, wenn es sich um eine impfbedingte Nebenwirkung handelt und die Impfung - wie bei Covid-19 - millionenfach verabreicht wird. Daher hat sich der Vorwurf der Ungeeignetheit des Observed-versus-Expected-Analyseverfahrens zur Detektion von Impfnebenwirkungen nicht bestätigt. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass das Paul-Ehrlich-Institut dieses Verfahren so anwendet, dass möglichst keine Impfnebenwirkungen aufgedeckt werden.
196Es mag sein, dass die Observed-versus-Expected-Analyse bei der Identifizierung von Risikosignalen für Todesfälle infolge der Impfung an Grenzen stößt. Derartige Grenzen der Aussagekraft einer anerkannten und grundsätzlich geeigneten statistischen Methode entwerten allerdings die Sicherheitsberichte nicht. Denn gerade zur Einschätzung der Gefahr des Versterbens infolge einer Impfung liegen dem Paul-Ehrlich-Institut ergänzende Informationen vor, die es aus seiner Nachverfolgung der gemeldeten Verdachtsfälle gewinnt. Damit werden die Ergebnisse der statistischen Methode ergänzt und abgesichert. Im Übrigen ist weder dargetan noch ersichtlich, dass die Observed-versus-Expected-Analyse ohne den vom Antragsteller behaupteten methodischen Fehler zu einem Risikosignal für Todesfälle infolge von Impfungen führen würde.
197dd) Auch der Einwand des Antragstellers, dass die Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen nicht nach der sogenannten Disproportionalitätsanalyse bewertet worden sind, ändert an der Richtigkeit und Verlässlichkeit der Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts im Sicherheitsbericht nichts. Die Disproportionalitätsanalyse besteht nach dem Vortrag des Antragstellers darin, dass für mehrere Impfstoffe jeweils das Verhältnis der gemeldeten Impfnebenwirkungen zu den gemeldeten Impftodesfällen ermittelt wird. Treten bei einem Vergleich dieser Durchschnittszahlen erhebliche Unterschiede auf, können diese Disproportionalitäten ein Indiz für eine Untererfassung von Todesfällen sein. Die Sachverständige Frau Dr. Dr. Oberle vom Paul-Ehrlich-Institut hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass diese Analyse von den Gesundheitsbehörden anderer Nationen durchgeführt und veröffentlicht werde. Die korrekte Berechnung sei allerdings sehr aufwändig. Das Paul-Ehrlich-Institut betrachte sie im vorliegenden Fall nicht für sehr aussagekräftig, weil die Datengrundlagen (Zahl der Impfungen und Nebenwirkungsmeldungen) für diesen Vergleich zwischen den Impfstoffen zu unterschiedlich seien. Aus diesen Gründen habe das Paul-Ehrlich-Institut von deren Ermittlung abgesehen. Der Senat hält diese sachverständige Einschätzung für vertretbar. Unabhängig davon bietet der Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts auch ohne diese Auswertung einen guten Überblick über die gemeldeten Nebenwirkungen und deren statistische Relevanz, sodass er als fachliche Auskunft dazu uneingeschränkt verwendet werden kann.
198Schließlich verfängt auch der Einwand des Antragstellers nicht, dass man bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Covid-19-Impfung deren Nebenwirkungen mit den Nebenwirkungen von Influenza-Impfstoffen vergleichen müsse und dass die Nebenwirkungen der Covid-19-Impfung um ein Vielfaches höher seien. Denn bei der Bewertung des Nutzens und der Risiken von Covid-19-Impfstoffen muss das Risiko der Erkrankung und des dadurch bedingten schweren Verlaufs mit dem Effekt der Covid-19-Impfung und deren Impfrisiken abgewogen werden. Ein Quervergleich der Nebenwirkungen von Impfstoffen gegen unterschiedliche Krankheiten mag zwar hermeneutische Bedeutung haben, vermag aber keinen entscheidenden Erkenntnisgewinn bei der Abwägung von Pro und Contra einer Covid-19-Impfung zu vermitteln.
199Nach allem liegt entgegen den Ausführungen des Antragstellers keine systematische Unterschätzung der Nebenwirkungen der Covid-19-Impfstoffe vor.
2008. Schließlich ist die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der duldungspflichtigen Impfungen auch nicht deswegen eine rechtswidrige und damit nach § 10 Abs. 4 SG unzulässige Weisung, weil der Impfung zwingende arzneimittelrechtliche Vorschriften entgegenstünden.
201a) Insbesondere können die vom Antragsteller erhobenen Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der arzneimittelrechtlichen Zulassung der mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna keinen Erfolg haben.
202aa) Denn diese Frage bildet nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Der Antragsteller wendet sich gegen die ihm mit der Änderung der Allgemeinen Regelung A1-840/8-4000 im November 2021 auferlegte Verpflichtung, eine Impfung gegen Covid-19 zu dulden. In Nr. 2001 dieser Allgemeinen Regelung wird kein bestimmter Impfstoff zwingend vorgeschrieben. Wie ausgeführt greift die Duldungspflicht nur ein, wenn sich der Antragsteller nicht selbst mit einem Impfstoff seiner Wahl gegen Covid-19 impfen lässt. Dementsprechend hat es der Antragsteller in der Hand, auf einen anderen Impfstoff zurückzugreifen, der - wie etwa Nuvaxovid - ohne mRNA-Technologie arbeitet. Da im vorliegenden Verfahren kein bestimmter Impfstoff festgelegt wird und der Antragsteller auf andere Impfstoffe ausweichen kann, ist die Frage der ordnungsgemäßen arzneimittelrechtlichen Zulassung der mRNA-Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittelagentur schon nicht entscheidungserheblich.
203bb) Darüber hinaus gehört die Überprüfung der Zulassung eines Impfstoffes nicht zu dem von § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG vorgegebenen Prüfprogramm. Ordnet ein militärischer Vorgesetzter die Durchführung einer Impfung an, muss er - wie dargelegt - im Rahmen der Ermessensentscheidung das öffentliche Interesse an der Impfung mit den entgegenstehenden gesundheitlichen und beruflichen Interessen des Soldaten abwägen. Das Weisungs- und Befehlsrecht des § 10 Abs. 4 SG und die Duldungspflicht des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG enthalten keine ausdrückliche Regelung des Inhalts, dass bei der Anordnung einer Infektionsschutzmaßnahme in Form einer Schutzimpfung das Vorliegen einer rechtmäßigen Zulassung des Impfstoffes geprüft werden muss. Allerdings folgt aus dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit von Weisungen und Befehlen, dass die Anordnung einer arzneimittelrechtlich unzulässigen Impfung gegen § 10 Abs. 4 SG verstoßen würde. Dementsprechend ist die Anordnung eines Vorgesetzten, die Impfung mit einem bestimmten Impfstoff zu dulden, nur rechtmäßig, wenn dieser Impfstoff arzneimittelrechtlich zugelassen ist (§ 21 Abs. 1 AMG). Wird die Duldung einer Impfung - wie hier - in allgemeiner Form ohne Vorgabe des zu verwendenden Impfstoffes angewiesen, genügt es, wenn überhaupt ein Impfstoff arzneimittelrechtlich zugelassen ist oder verwendet werden darf.
204Hingegen ist die Überprüfung der arzneimittelrechtlichen Rechtmäßigkeit der Impfstoffzulassung nicht Aufgabe des militärischen Vorgesetzten oder des behandelnden Truppenarztes. Dies folgt nicht nur daraus, dass das Soldatengesetz eine solche Nachprüfung nicht vorsieht, sondern auch aus dem Umstand, dass die Kontrolle des Inverkehrbringens von Impfstoffen und Arzneimitteln den nach dem Arzneimittelrecht zuständigen Fachbehörden obliegt. Eine zusätzliche arzneimittelrechtliche Zulassungskontrolle durch die Dienststellen der Bundeswehr, die bei ihrer kurativen Behandlung von Soldatinnen und Soldaten wie ein Verbraucher zugelassene Medikamente und Impfstoffe auf dem Arzneimittelmarkt erwerben, ist weder staatsorganisatorisch noch gesetzlich vorgesehen.
205Die vom Antragsteller geforderte Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von der Europäischen Arzneimittelagentur durchgeführten Zulassungsverfahrens für die mRNA-Impfstoffe ist auch nicht deswegen notwendig, weil die den Herstellern erteilten bedingten Zulassungen für die Impfstoffe "Comirnaty" und "Spikevax" bei Nachweis eines Verfahrens- oder Rechtsanwendungsfehlers im Zulassungsverfahren automatisch unwirksam wären. Vielmehr gilt im Unionsrecht der Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten. Dieser Grundsatz besagt, dass die Rechtsakte einer europäischen Behörde - hier der Europäischen Kommission - Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht zurückgenommen, im Rahmen einer Nichtigkeitsklage für nichtig erklärt oder infolge eines Vorabentscheidungsersuchens oder einer Rechtswidrigkeitseinrede für ungültig erklärt worden sind ( [ECLI:EU:C:1994:247] Rn. 48, vom - C-245/92 P [ECLI:EU:C:1999:363] Rn. 93 und vom - C-199/06 [ECLI:EU:C:2008:79] Rn. 60).
206Dieser Grundsatz betrifft die Rechtsbeständigkeit von Gemeinschaftsakten und enthält - ähnlich wie die § 43 Abs. 1, § 44 Abs. 1 VwVfG im nationalen Recht - das Prinzip der Rechtswirksamkeit auch fehlerhafter Gemeinschaftsakte ( 10 C 3.15 - BVerwGE 156, 199 Rn. 29). Er gestattet es insbesondere anderen europäischen und nationalen Behörden sowie Gerichten in nachfolgenden Verfahren von der Tatbestandswirkung dieses europäischen Rechtsakts auszugehen, das heißt in nachfolgenden Verfahren bei der Rechtsprüfung das tatbestandliche Vorliegen einer rechtswirksamen Zulassung festzustellen (vgl. dazu BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <111> und vom - 1 BvR 3522/08 - juris Rn. 50). Dementsprechend sind die Dienststellen der Bundeswehr nach der Zulassung eines Impfstoffes durch die Europäische Arzneimittelagentur aufgrund des Grundsatzes der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Gemeinschaftsakten berechtigt, diesen Impfstoff zu erwerben und im Rahmen ihrer kurativen Tätigkeit einzusetzen.
207cc) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsteller zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichts erster Instanz vom . Darin ist eine Klage mehrerer italienischer Privatpersonen auf Feststellung der Nichtigkeit der Zulassung des Impfstoffes Comirnaty von BioNTech/Pfizer zurückgewiesen worden, weil die Kläger nicht durch die Zulassung des Impfstoffes beschwert seien. Sie würden durch die Zulassung des Impfstoffes nicht zu dessen Benutzung verpflichtet. Daran ändere sich auch nichts, wenn ein nationales Gesetz die Verpflichtung zur Benutzung dieses Impfstoffes enthalte. Auch in diesem Falle verlange der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nicht, die unmittelbare Anrufung des Europäischen Gerichts zuzulassen, weil die nationalen Gerichte bei der Kontrolle der Impfpflicht effektiven Rechtsschutz gewährleisten und gegebenenfalls eine mittelbare Kontrolle des europäischen Zulassungsakts über das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV herbeiführen könnten (EUG, Beschluss vom - T-96/21 - Rn. 67).
208Allerdings besagt dieser abschließende Hinweis des Europäischen Gerichts bei der Zurückweisung der Nichtigkeitsklage gegen die Zulassung des mRNA-Impfstoffs von BioNTech/Pfizer nur, dass die nationalen Gerichte bei einer in ihrem Lande beschlossenen Impfpflicht den Gerichtshof der Europäischen Union wegen einer europarechtlichen Frage im Zusammenhang mit der europäischen Impfstoffzulassung anrufen können, wenn dies zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes notwendig sein sollte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( [ECLI:EU:C:1982:335], C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, S. 3415 Rn. 21 und vom - C-561/19 [ECLI:EU:C:2021:799] - NJW 2021, 3303 Rn. 33) kann und muss ein mitgliedstaatliches letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 424/17 - BVerfGE 147, 364 Rn. 38 und vom - 2 BvR 2069/21 - NStZ-RR 2022, 222 Rn. 37).
209Im vorliegenden Fall fehlt es aber - wie ausgeführt - an der Entscheidungserheblichkeit der vom Antragsteller aufgeworfenen europarechtlichen Frage der Rechtmäßigkeit der Zulassung der mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna. Zum einen schreibt die hier im Streit stehende Regelung Nr. 2001 (AR) A1-840/8-4000 keine Verwendung bestimmter Impfstoffe vor. Zum anderen verlangt das Prüfprogramm des § 10 Abs. 4 i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG vom militärischen Vorgesetzten bei der Anordnung einer Impfung nur eine umfassende Berücksichtigung der davon zu erwartenden gesundheitlichen Auswirkungen auf den Soldaten und deren Abwägung mit dem zu erwartenden Nutzen der Impfung für die militärische Einsatzfähigkeit. Für diese auf die zukünftigen Auswirkungen der Impfung gerichtete Ermessensentscheidung ist aber eine rückblickende Überprüfung der Rechtmäßigkeit des von der Europäischen Arzneimittelagentur durchgeführten Impfstoffzulassungsverfahrens nicht vonnöten.
210Aus diesen Gründen hat der Senat auch im Beweisbeschluss vom die vom Antragsteller beantragte Beiziehung von Unterlagen zu diversen Impfstoffzulassungsverfahren abgelehnt und ausgeführt, für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung über die Aufnahme der Impfung gegen Covid-19 in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen für Soldaten genüge das Vorliegen einer bedingten oder unbedingten Zulassung der für den Einsatz vorgesehenen Impfstoffe. Das Bundesministerium der Verteidigung sei nicht zu einer umfangreichen Fehlersuche im vorgelagerten arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren verpflichtet. Umgekehrt dürfe es bei seiner Abwägung im Zulassungsverfahren nicht erkannte, aber später wissenschaftlich nachgewiesene Risiken und Nebenwirkungen zugelassener Impfstoffe nicht außer Acht lassen.
211An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest. Insbesondere ist es auch für den effektiven Schutz der Grundrechte des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 2, Art. 12 Abs. 1 GG nicht veranlasst, das zeitlich anderthalb Jahre zurückliegende Zulassungsverfahren zu untersuchen. Vielmehr ist es unter dem Aspekt des effizienten Grundrechtsschutzes ausreichend und geboten, auf der Grundlage der jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse die künftig von einer Impfung ausgehenden gesundheitlichen Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes des Art. 19 Abs. 4 GG erfordert es nicht, in einem gerichtlichen Verfahren gegen die Anordnung der Impfpflicht die im vorangegangenen behördlichen Verfahren erteilten rechtswirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassungen von Impfstoffen inzident zu überprüfen. Vielmehr stellt es grundsätzlich keine Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz dar, wenn die Gerichte in nachfolgenden Verwaltungs- und Gerichtsverfahren den Tatbestand einer vorhandenen Zulassung ohne weitere Überprüfung ihren Entscheidungen zugrunde legen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom - 2 BvR 424/17 - BVerfGE 147, 364 Rn. 38 und vom - 2 BvR 2069/21 - juris Rn. 37).
212Der Rechtsstreit war folglich auch nicht - wie vom Antragsteller schriftsätzlich angeregt - zur Klärung der Rechtmäßigkeit der von der Europäischen Kommission erteilten bedingten Zulassungen für die mRNA-Impfstoffe Comirnaty und Spikevax nach Art. 267 AEUV auszusetzen.
213b) Schließlich überzeugt auch die Annahme des Antragstellers nicht, dass die Anwendung der mRNA-Impfstoffe durch die Truppenärzte der Bundeswehr gegen arzneimittelrechtliche Strafvorschriften verstoßen würde.
214aa) Eine Anwendung der Strafvorschrift wegen verbotener Anwendung nicht zugelassener Arzneimittel (§ 96 Nr. 5 i. V. m. § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG) kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Europäische Kommission auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur für die beiden Impfstoffe Comirnaty und Spikevax mit Beschlüssen vom (vgl. dazu - Rn. 2) und vom (vgl. dazu - Rn. 3) bedingte Zulassungen erteilt hat, die später verlängert worden sind. Diese Genehmigungen erfolgten jeweils auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, Seite 1). Damit liegt eine europarechtliche Zulassung im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG vor.
215Für den Ausschluss der Strafbarkeit nach § 96 Nr. 5 AMG kommt es nur auf die Rechtswirksamkeit dieser Zulassung an (vgl. Raum, in: Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, 3. Aufl. 2022, § 96 Rn. 13). Soweit die Bevollmächtigten des Antragstellers umfangreiche Ausführungen zu der Frage gemacht haben, dass die bedingte Zulassung nicht erteilt werden durfte oder zu widerrufen wäre, ist dies unerheblich. Denn die Zulassung hat jedenfalls - wie oben ausgeführt - nach dem Grundsatz der Vermutung der Rechtmäßigkeit von Unionsakten rechtlichen Bestand, bis sie aufgehoben wird oder ausläuft (vgl. 10 C 3.15 - BVerwGE 156, 199 Rn. 29).
216bb) Auch für die Annahme einer Strafbarkeit wegen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel nach § 95 Nr. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 AMG ist kein Raum. Als bedenklich sind nach § 5 Abs. 2 AMG nur Medikamente anzusehen, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
217Entgegen der Ansicht des Antragstellers sind die mRNA-Impfstoffe nicht schon deswegen bedenklich, weil es sich nach seiner subjektiven Einschätzung nicht um herkömmliche Impfstoffe, sondern um genbasierte experimentelle Substanzen handelt. Vielmehr kommt es dem objektiven Zweck des Gesetzes entsprechend darauf an, ob bei Berücksichtigung der wissenschaftlichen Erkenntnisse den Risiken der Arzneimittel ein überwiegender medizinischer Nutzen gegenübersteht (vgl. - NStZ 1999, 625 Rn. 2).
218Objektiv betrachtet erfüllen die Präparate Comirnaty und Spikevax eindeutig den arzneimittelrechtlichen Impfstoffbegriff. Nach § 4 Abs. 4 AMG sind Impfstoffe Arzneimittel, die Antigene oder rekombinante Nukleinsäuren enthalten und die dazu bestimmt sind, beim Menschen zur Erzeugung von spezifischen Abwehr- und Schutzstoffen angewendet zu werden, und, soweit sie rekombinante Nukleinsäuren enthalten, ausschließlich zur Vorbeugung oder Behandlung von Infektionskrankheiten bestimmt sind. Die mRNA-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer und Moderna enthalten anders als herkömmliche Impfstoffe keine Antigene. Sie arbeiten aber - wie ausgeführt - mit Boten-Ribonukleinsäuren, die mit gentechnischen Methoden neu zusammengestellt (rekombiniert) werden. Zudem sind die Präparate dazu bestimmt, beim Menschen (mittelbar) die Erzeugung bestimmter Abwehrstoffe (Antikörper) auszulösen und dienen ausschließlich zur Vorbeugung der Infektionskrankheit Covid-19.
219Dass diese neuartigen Impfstoffe den arzneimittelrechtlichen Impfstoffbegriff erfüllen, kann auch nicht mit europarechtlichen Argumenten bestritten werden. Soweit der Antragsteller wiederholt behauptet hat, die Präparate hätten von der Europäischen Arzneimittelagentur als Gentherapeutika beurteilt und geprüft werden müssen, steht dem eine klare und eindeutige Regelung in der Richtlinie 2009/120/EG der Kommission vom zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel im Hinblick auf Arzneimittel für neuartige Therapien (ABl. L 242 vom , S. 4) entgegen. In dieser Richtlinie wird zunächst der Begriff des Gentherapeutikums näher definiert und dann in einem Nachsatz ausgeführt: "Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika". Damit hat der Normgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass Impfstoffe unabhängig von ihrer Zusammensetzung und Wirkungsweise nicht dem Zulassungsverfahren für Gentherapeutika unterliegen.
220Ebenso haben die mRNA-Impfstoffe objektiv betrachtet nach den vorhandenen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft ein vertretbares Maß an Nebenwirkungen. Dies folgt schon daraus, dass die Ständige Kommission beim Robert-Koch-Institut für nahezu alle Altersgruppen die Impfung gegen Covid-19 mit den derzeit zugelassenen mRNA-Impfstoffen empfiehlt. Denn die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission bilden den medizinischen Standard ab und berechtigen zu der Annahme, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt (vgl. - BGHZ 144, 1 <9>; u. a. - NJW 2022, 2904 Rn. 136).
221cc) Schließlich überzeugt auch die Annahme des Antragstellers nicht, dass die Anwendung des mRNA-Impfstoffes von BioNTech/Pfizer gegen das strafrechtliche Verbot des § 95 Nr. 3a i. V. m. § 8 Abs. 1 AMG verstößt. Nach diesen Vorschriften ist es zum Schutz der Verbraucher vor Täuschung untersagt, Arzneimittel in Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind. Soweit der Antragsteller annimmt, zwei als Trägersubstanzen eingesetzte Nanolipide seien als Hilfsstoffe nicht im Arzneibuch enthalten und darin liege eine Abweichung von den allgemein anerkannten pharmazeutischen Regeln, kann dies offenbleiben.
222Das strafrechtliche Verbot greift erst ein, wenn ein Arzneimittel dadurch in seiner Qualität erheblich gemindert ist. Eine derartige Feststellung kann nicht getroffen werden. Für die Annahme des Antragstellers, dass etliche schwere Impfkomplikationen der mRNA- bzw. DNA-Impfstoffe auf diese Trägersubstanzen zurückzuführen sind, fehlen - wie ausgeführt - jegliche wissenschaftlichen Belege. Vielmehr handelt es sich bei den Nanopartikeln lediglich um Fettpartikel, die körpereigenen Fettpartikeln sehr ähnlich sind (PEI, Was wissen wir über die Sicherheit der Lipidnanopartikel in mRNA-Impfstoffen? Homepage-Beitrag vom ). Im Übrigen spricht auch der Umstand, dass die Ständige Impfkommission den Einsatz dieser Medikamente von BioNTech/Pfizer und Moderna empfiehlt, gegen die Annahme, dass ein Arzneimittel minderer Qualität vorliegt. Denn die Ständige Impfkommission ist ein Expertengremium, dessen Empfehlungen den medizinischen Standard im Bereich der Impfstoffe bestimmen.
2239. Die Anordnung der Duldung einer Covid-19-Schutzimpfung verstößt auch ansonsten nicht gegen höherrangiges Recht. Zwar dürfen Dienstvorschriften des Bundesministeriums der Verteidigung wie Befehle nach § 10 Abs. 4 SG nur zu dienstlichen Zwecken ergehen und nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts und der Gesetze erteilt werden. Im vorliegenden Fall liegt der vom Antragsteller behauptete Widerspruch der Dienstvorschrift zu höherrangigem Recht jedoch nicht vor.
224a) Was die Verletzung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom (GRCh) anbetrifft, ist bereits der Anwendungsbereich dieses Grundrechtskatalogs nicht eröffnet. Nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh gilt die Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips. Für die Mitgliedstaaten findet sie ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union Anwendung. In den offiziellen Erläuterungen des Konventsvorstandes zu Art. 51 GRCh wird auf Art. 6 Abs. 2 EUV verwiesen. Danach werden durch die Bestimmungen der Charta die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten der Union in keiner Weise erweitert. Es bleibe bei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass die Verpflichtung zur Einhaltung der im Rahmen der Union definierten Grundrechte für die Mitgliedstaaten nur dann gelte, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handelten ( [ECLI:EU:C:2000:202] - Slg. 2000 I-2737 Rn. 37). Soweit die Bundesrepublik Deutschland für ihre Soldaten eine besondere Duldungspflicht gegenüber Impfungen in § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG verankert hat, stellt die Konkretisierung dieser militärischen Duldungspflicht im Hinblick auf die Covid-19-Impfung eine rein national-rechtliche Maßnahme dar, die in keinerlei Bezug zum Anwendungsbereich des Europarechts steht.
225Im Übrigen vermitteln diese europäischen Grundrechte, insbesondere die in Art. 1 GRCh geschützte Menschenwürde und das in Art. 3 Abs. 1 GRCh gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit, keine über Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG hinausgehenden Rechte. Soweit in Art. 3 Abs. 2 Buchst. b und c GRCh spezielle Verbote zu eugenischen Praktiken und zur Gewinnerzielung mit menschlichen Körperteilen enthalten sind, sind sie offenkundig nicht einschlägig. Der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a GRCh für medizinische Behandlungen aufgestellte Grundsatz der freien Einwilligung des Betroffenen geht über das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte körperliche Selbstbestimmungsrecht nicht hinaus. Dieser Grundsatz unterliegt einem Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG vergleichbaren Gesetzesvorbehalt nach Art. 52 Abs. 1 GRCh.
226b) Auch der Europäischen Menschenrechtskonvention lässt sich kein generelles Verbot von Impfpflichten entnehmen. Das von dem Antragsteller zitierte Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 1 Satz 1 EMRK ist nicht einschlägig, weil - wie oben ausgeführt - kein finaler Eingriff in dieses Rechtsgut vorliegt. Es wird nur in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen zwischen dem Krankheits- und dem Impfrisiko und damit zwischen zwei Gesundheits- und Lebensrisiken eingegriffen. Daher verwendet der Europäische Gerichtshof bei Heileingriffen des Staates regelmäßig Art. 8 EMRK als Prüfungsmaßstab. Die Anordnung einer Impfpflicht ist danach ein Eingriff in die Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK, das die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen mitumfasst (EGMR, Urteil vom - 47621/13 u. a. - NJW 2021, 1657 Rn. 172 - 186, 261 - 263).
227Ein solcher Eingriff kann allerdings im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen sein, wenn sich dies aus einem Zusammenwirken von Parlamentsgesetzen (hier: § 17a SG) und ministeriellen Verordnungen (hier: Nr. 2001 AR A1-840/8-4000) ergibt. Es genügt, wenn die Rechtsgrundlagen in angemessenen Umfang zugänglich und hinreichend bestimmt formuliert sind (vgl. EGMR, Urteil vom - 47621/13 u. a. - NJW 2021, 1657 Rn. 265 f.).
228Der Eingriff muss schließlich nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ein berechtigtes Ziel verfolgen und in einer demokratischen Gesellschaft etwa zum Schutz der nationalen Sicherheit oder zum Schutz der Rechte anderer notwendig sein. Dabei räumt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Mitgliedstaaten einen besonderen Beurteilungsspielraum ("margin of appreciation") ein. Wenn es innerhalb der Mitgliedstaaten Regelungsmodelle mit und ohne Impfpflichten gibt, sind die jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten am besten in der Lage, die nationalen Prioritäten und Bedürfnisse zu beurteilen und sich für das eine oder andere Modell zu entscheiden (vgl. EGMR, Urteil vom - 47621/13 u. a. - NJW 2021, 1657 Rn. 277 - 280). In diesem Sinne gibt es auch bei der Impfpflicht der Soldaten innerhalb der europäischen Staaten unterschiedliche Modelle. Insbesondere Frankreich, Italien, Griechenland und Lettland haben wie die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika für ihr Militär bzw. für alle Staatsdiener eine Covid-19-Impfung verpflichtend vorgeschrieben, während dies in anderen Staaten nicht der Fall ist. Die dafür sprechenden, militärfachlichen Argumente - jederzeitige militärische Einsetzbarkeit, besondere Gefährdungslage der Soldaten durch räumlich beengte Zusammenarbeit - sind jedenfalls gewichtige Gründe, die eine Option für das Impfpflichtmodell zulassen.
229Demnach ist die Einführung einer Covid-19-Impfpflicht für Soldaten zulässig, wenn sie sich im Rahmen der vom Europäischen Gerichtshof angestellten Verhältnismäßigkeitserwägungen bewegt. Für die Frage, ob die Impfpflicht in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht, kommt es unter anderem auf die Ausnahmen bei medizinischen Kontraindikationen, das Fehlen physischen Zwangs, die Angemessenheit der Sanktionen bei Missachtung der Impfpflicht, den verfahrensrechtlichen Schutz durch Behörden und Gerichte sowie die Vorbeugung gegen Impfschäden und die staatliche Haftung bei Impfschäden an (vgl. EGMR, Urteil vom - 47621/13 u. a. - NJW 2021, 1657 Rn. 290 ff.). In dieser Hinsicht wahrt die gesetzliche Impfpflicht des § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG - wie bereits ausgeführt - die angesprochenen Standards des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.
230c) Auch das vom Europarat initiierte "Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin" (Übereinkommen über Menschenwürde und Biomedizin) vom vermittelt keine weitergehenden Rechte. Zum einen ist es bislang nur von wenigen Mitgliedstaaten und insbesondere nicht von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet worden (vgl. Lindemann, in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Band 6, 1. Aufl. 2022, Medizinische Forschung, I Rn. 7). Zum anderen schreibt Art. 5 Abs. 1 dieser Biomedizin-Konvention zwar für jede Intervention im Gesundheitsbereich eine ausreichende Aufklärung und die freie Einwilligung des Betroffenen vor. Art. 26 Abs. 1 der Biomedizin-Konvention lässt jedoch eine Einschränkung dieses Rechts durch Maßnahmen zu, die in einer demokratischen Gesellschaft für die öffentliche Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Damit vermittelt sie bei der gesetzlichen Anordnung von Impfpflichten keine über Art. 8 Abs. 2 EMRK hinausgehenden Rechte.
231d) Die Duldungspflicht für Covid-19-Schutzimpfungen verletzt auch nicht deswegen allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG, weil sie der Resolution 2361 der Versammlung des Europarates vom widerspricht. Der Antragsteller weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarats über die Covid-19-Impfung beraten und den Mitgliedstaaten unter Nr. 7.3.1 und 7.3.2 dieser Resolution nahegelegt hat, alle Bürger darüber zu informieren, dass die Impfung keine Pflicht ist. Niemand solle durch politischen, sozialen oder sonstigen Druck zu einer Impfung genötigt werden. Hierbei handelt es sich jedoch - wie bereits die Überschrift der Resolution "Covid-19-Impfungen: ethische, gesetzgeberische und praktische Überlegungen" - um eine rein politische Handlungsempfehlung. Es liegt also kein Rechtsetzungsakt der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vor und damit auch keine verbindliche Regel des Völkerrechts.
232e) Schließlich verfängt auch der Hinweis des Antragstellers auf die "Allgemeine Erklärung über Bioethik und Menschenrechte", die am von der UNESCO-Generalkonferenz verabschiedet worden ist, nicht. Hierbei handelt es sich schon vom Wortlaut her um eine rein appellative Erklärung, die den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Schaffung bestimmter gesetzlicher Regelungen nahelegt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1, Art. 2 Buchst. a der Bioethik-Deklaration). Eine völkerrechtliche Verbindlichkeit hat diese Deklaration schon deswegen nicht, weil gemäß Art. 25 VN-Charta nur Beschlüsse des UN-Sicherheitsrats bindende Wirkung haben (vgl. Ruffert/Walter, Institutionalisiertes Völkerrecht, 2. Aufl. 2015, Rn. 90). Im Übrigen fordert Art. 6 der Bioethik-Deklaration die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zwar auf, das Prinzip der informierten Einwilligung zur Grundlage jeder präventiven medizinischen Intervention zu machen. Dieses Prinzip soll jedoch nicht ausnahmslos gelten. Vielmehr werden Ausnahmeregelungen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und öffentlichen Gesundheit sowie der Rechte anderer in Art. 27 der Bioethik-Deklaration explizit für zulässig gehalten. Damit verfolgt die Bioethik-Deklaration der UNESCO keine Regelungsvision, die über Art. 8 Abs. 2 EMRK und die Bioethik-Konvention des Europarates hinausgeht. Im Interesse der öffentlichen Sicherheit angeordnete gesetzliche Impfpflichten für Soldatinnen und Soldaten sind dadurch nicht ausgeschlossen.
233f) Auch das Folterverbot des Art. 7 Satz 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) vom (BGBl. 1973 II S. 1533) ist nicht berührt. Nach dieser Vorschrift darf niemand der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Insbesondere darf niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden. Dieses von dem Antragsteller zitierte Verbot der zwangsweisen Durchführung medizinischer Experimente hat seinen historischen Hintergrund in den grausamen Medizinexperimenten deutscher KZ-Ärzte (Dr. Mengele u. a.) vor und während des Zweiten Weltkriegs. Es betrifft - wie das Wort "insbesondere" am Anfang des zweiten Satzes der Vorschrift zeigt - die Misshandlung von Gefangenen und deren erniedrigende Behandlung durch medizinische Experimente. Dieser Fall liegt schon deswegen nicht vor, weil es bei der Impfpflicht der Soldatinnen und Soldaten nicht um die Misshandlung Gefangener, sondern um die Anwendung eines zugelassenen Medikaments zum Zwecke der Vorbeugung gegen die Covid-19-Erkrankung geht.
234g) Nichts anderes gilt für den von dem Antragsteller mehrfach zitierten "Nürnberger Kodex". Er ist in der Urteilsbegründung des Nürnberger Ärzteprozesses am aufgestellt worden und enthält zehn weltweit anerkannte Grundsätze für die Durchführung medizinischer Versuche (Text in Mitscherlich/Mielke, Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, 1960, S. 272 f.). Es ist unstreitig, dass das Urteil im Nürnberger Ärzteprozess und die darin als "Nürnberger Kodex" bekannt gewordenen Grundsätze rechtliche Relevanz im Rahmen des geltenden Völkerstrafrechts haben, soweit es um die Frage geht, wann die Durchführung von medizinischen Experimenten an Gefangenen oder aus rassistischen, ethnischen oder religiösen Gründen Verfolgten ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt (näher Kiriakaki, ZStW 2006, S. 229 ff.). Diese in Art. 8 IGH-Statut angesprochenen und völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Fälle der menschenrechtswidrigen Misshandlung von Gefangenen und Verfolgten liegen offensichtlich nicht vor.
235Soweit es außerhalb dieses völkerstrafrechtlichen Anwendungsbereichs um medizinische Versuche an freien Bürgern bei der pharmakologischen Medikamentenerprobung geht, wird der Nürnberger Kodex zwar ebenfalls als ethische Leitlinie angesehen und durch andere ethische Leitlinien, insbesondere die 1964 erstmals vom Weltärztebund verabschiedete Deklaration von Helsinki über ethische Grundsätze für die Forschung am Menschen ergänzt. Medizinethische Postulate sind aber nicht geltendes Recht oder völkerrechtliches Gewohnheitsrecht. Vielmehr haben die einzelnen Staaten und Staatenverbünde in diesem Bereich ihre eigenen, teilweise von den genannten medizinethischen Forderungen inspirierte, teilweise davon abweichende gesetzliche Regeln geschaffen. Diese innerstaatlichen Gesetze enthalten die dafür maßgeblichen rechtsverbindlichen Vorgaben. In diesem Bereich der zivilen pharmakologischen Forschung fehlt es zwar nicht unbedingt an übereinstimmenden Rechtsgrundsätzen, aber an der für Völkergewohnheitsrecht oder Rechtsgrundsätze des Völkerrechts notwendigen Überzeugung einer völkerrechtlichen Verpflichtung (vgl. u. a. - NJW 2019, 2761 Rn. 32 f. m. w. N.). Denn die innerhalb der einzelnen Staaten durchgeführten Forschungsvorhaben haben keine besondere zwischenstaatliche Relevanz, sodass für den Bereich der zivilen pharmakologischen Forschung eine Überzeugung von der völkerrechtlichen Verpflichtung durch den "Nürnberger Kodex" nicht entstanden und nicht anerkannt ist (vgl. Stellungnahme der Bundesregierung in BT-Drs. 18/10443 S. 44 ohne Begründung).
236Im Übrigen wären die Grundsätze des "Nürnberger Kodex" auch nicht verletzt. Denn das Gebot, dass ein medizinischer Versuch der freien Zustimmung des Betroffenen bedarf, ist nicht berührt. Die Durchführung von Impfungen mit arzneimittelrechtlich zugelassenen Impfstoffen ist anders, als der Antragsteller meint, gerade kein medizinisches Experiment. Die von der Bundeswehr zum Einsatz vorgesehenen mRNA-Impfstoffe sind von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) nach eingehender Prüfung zugelassen worden und vor ihrer Zulassung an tausenden freiwilligen Versuchspersonen getestet und auf mögliche Nebenwirkungen untersucht worden. Der Einsatz dieser Impfstoffe in der Bundeswehr dient nicht der experimentellen Erforschung der Impfstoffe, sondern allein dem Infektionsschutz der Betroffenen und ihrer militärischen Verbände. Den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr wird gerade nicht ohne deren Zustimmung das besonders hohe Risiko der erstmaligen Anwendung eines neuen Medikaments am Menschen auferlegt. Vielmehr werden sie mit bereits entsprechend evaluierten Impfstoffen behandelt. Von einem Medizinversuch kann daher nicht gesprochen werden. Soweit die Europäische Kommission den Herstellern der mRNA-Impfstoffe im Rahmen ihrer bedingten Zulassungen weitere Kontrolluntersuchungen auferlegt hat, dient dies der fortlaufenden Überwachung und Verbesserung der Impfstoffsicherheit.
237h) Offensichtlich nicht einschlägig ist das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen (BWÜ) vom . Zwar ist auch die Bundesrepublik Deutschland dieser am in Kraft getretenen UN-Konvention beigetreten. Nach Art. 1 Nr. 1 BWÜ bezieht sich das Entwicklungs- und Herstellungsverbot von mikrobiologischen oder anderen biologischen Agenzien aber nicht auf Arten und Mengen, die durch Vorbeugungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt sind. Die Herstellung von Impfstoffen gegen Covid-19 dient jedoch dem friedlichen Zweck der Verhütung einer in der Zivilbevölkerung verbreiteten Erkrankung, weswegen diese Impfstoffe auch nicht als Biowaffen bezeichnet werden können.
238i) Erkennbar ohne rechtliche Relevanz für den vorliegenden Fall sind schließlich die vom Antragsteller vorgetragenen Flugsicherheitsargumente. Soweit er mit dem zum Schutz vor Angriffen auf die zivile Luftfahrt erlassenen Luftsicherheitsgesetz argumentiert, die Zuverlässigkeitsprüfung für alle im zivilen Luftverkehr beschäftigten Personen anspricht und auf die Aberkennung der Zuverlässigkeit bei Medikamentenabhängigkeit und -missbrauch nach § 7 Abs. 1a Satz 3, 4 Nr. 4 LuftSiG hinweist, ist diese Regelung offensichtlich für ihn nicht einschlägig. Der Antragsteller ist weder in der zivilen Luftfahrt beschäftigt noch wird er durch die Verpflichtung zur Duldung einer Covid-19-Schutzimpfung zu Medikamentenmissbrauch angehalten.
239Ohne Einfluss auf die Rechtsstellung des Antragstellers ist auch das völkerrechtlich verbindliche Abkommen über die zivile Luftfahrt (Chicagoer Abkommen) vom (BGBl. 1956 II S. 411) in seiner aktuell geltenden Fassung. Dass im Annex I dieses Abkommens an Piloten bei der Ausübung ihrer Fluglizenz besondere medizinische Anforderungen gestellt werden, betrifft den Antragsteller nicht, weil er weder in der zivilen Luftfahrt tätig noch als Pilot in der Bundeswehr eingesetzt ist. Aus den gleichen Gründen betreffen ihn die Bestimmungen der "Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates" (ABl. L 311 vom , S. 1) nicht.
240Im Übrigen folgt auch aus Annex I Kapitel 6.2.2.d) des Chicagoer Abkommens und den nahezu wortgleichen Bestimmungen der zitierten EU-Verordnung nur, dass Piloten frei sein müssen von jeder Wirkung oder Nebenwirkung eines verschriebenen oder nicht verschriebenen, therapeutischen, diagnostischen oder präventiven Medikaments; maßgeblich ist ein Grad an Funktionsbeeinträchtigung, der voraussichtlich die sichere Steuerung eines Flugzeugs oder die sichere Pflichterfüllung einschränken würde. Diese Regelung schließt eine Covid-19-Schutzimpfung erkennbar nicht aus, weil damit in aller Regel keine dauerhaften Beeinträchtigungen verbunden sind. Dementsprechend empfiehlt auch die Europäische Flugsicherheitsbehörde (European Union Aviation Safety Agency - EASA) eine Covid-19-Schutzimpfung von Piloten und fordert lediglich, dass nach jeder Impfung eine Überwachungszeit von 48 Stunden bis zum nächsten Flug eingehalten wird (EASA, Safety Information Bulletin vom , Nr. 2021-06 S. 2). Soweit in der Wissenschaft unter Verweis auf nicht konkretisierte flugmedizinische Forschungsdefizite vereinzelt Gegenteiliges vertreten wird (vgl. Giemulla, ZLW 2022, S. 175 <193>), vermag dies die Überzeugungskraft der amtlichen Einschätzung der insoweit sachverständigen Flugsicherheitsbehörde nicht zu schwächen.
24110. Eine Belastung des Antragstellers mit den vor dem Senat entstandenen Kosten kommt nicht in Betracht, da die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 i. V. m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO nicht vorliegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:070722B1WB5.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-29422