Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei Drogenmissbrauch: Anforderungen an die Prognose eines hinreichend konkreten Behandlungserfolgs
Gesetze: § 64 S 2 StGB, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Bochum Az: II-9 KLs 38/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 1 StGB hat keinen Bestand, weil die dafür erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Behandlung im Sinne von § 64 Satz 2 StGB nicht belegt ist.
3a) Anordnung und Vollzug dieser Maßregel setzen die konkrete Aussicht voraus, die süchtige Person zu heilen und über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren. Erforderlich ist eine Prognose, dass bei erfolgreichem Verlauf die Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird, und dass sich in Persönlichkeit und Lebensumständen des Täters konkrete Anhaltspunkte finden, die einen solchen Verlauf erwarten lassen (, NStZ-RR 2022, 275; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 64 Rn. 19 mwN). Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung kann diese Prognose nicht stützen ( ‒ 1 StR 51/18 Rn. 14; Beschluss vom ‒ 4 StR 54/18 Rn. 17). Notwendig ist eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs ( Rn. 3; Beschluss vom – 4 StR 289/21, StV 2022, 300, 301). Dabei ist der Tatrichter gehalten, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung in den Blick zu nehmen und die im Urteilszeitpunkt gegebenen prognosegünstigen gegen die prognoseungünstigen Faktoren in die Beurteilung einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen ( Rn. 8; Beschluss vom – 4 StR 92/15, NJW 2015, 2898, 2900 Rn. 15).
4b) Diesem Maßstab werden die Erwägungen der Kammer nicht gerecht.
5aa) Sie hat lediglich ausgeführt, der Angeklagte sei bislang mit Ausnahme einer Gesprächsreihe der Drogenberatung nicht suchttherapeutisch behandelt worden. Zudem zeige er grundsätzlich Krankheitseinsicht und stehe einer therapeutischen Behandlung nicht ablehnend gegenüber. Auch sei er nach seinen physischen und psychischen Fähigkeiten in der Lage, eine solche Behandlung für sich nutzen zu können. Damit werden hinreichend konkrete Anhaltspunkte für einen Therapieerfolg nicht aufgezeigt. Das Fehlen einer Verweigerungshaltung und der Umstand, dass bislang noch keine Therapie stattgefunden hat, besagen lediglich, dass es insoweit an prognose-kritischen Faktoren fehlt. Das Vorhandensein ausreichender Fähigkeiten weist lediglich auf die Möglichkeit eines Therapieerfolges hin.
6bb) Zudem hat das Landgericht für die Beurteilung der Erfolgsaussicht der Behandlung maßgebliche prognoseungünstige Umstände nicht in Blick genommen. Hierzu zählt insbesondere der langjährige polyvalente Drogenmissbrauch (vgl. Rn. 3; van Gemmeren in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 64 Rn. 65 mwN) des Angeklagten, der nach den Feststellungen seit ca. 20 Jahren täglich Cannabis konsumiert; „wenige Jahre später“ kam noch die tägliche Einnahme von Amphetaminen hinzu.
72. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, bei der sich das neue Tatgericht wiederum sachverständiger Hilfe bedienen muss (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO).
83. Weitere Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Nachprüfung des Urteils nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:221122B4STR347.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-29101