BAG Urteil v. - 2 AZR 287/22

Strahlenschutzbeauftragter - Kündigungsschutz - Beteiligung der Arbeitnehmervertretung

Gesetze: § 626 Abs 1 BGB, § 70 Abs 6 S 2 StrlSchG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 25 Ca 202/18 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 8 Sa 740/20 Urteilnachgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 7 Sa 1737/22 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2Der Kläger stand in einem Arbeitsverhältnis zur zu 1. beklagten Universität. Tätig war er bei dem vormals zu 2. beklagten Klinikum. Im Juni 2017 wurde er zum „stellvertretenden Strahlenschutzbeauftragten“ für den medizinischen Bereich der Klinik für Nuklearmedizin bestellt.

3Das Klinikum kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom mit Wirkung für die Beklagte zu 1. außerordentlich fristlos.

4Dagegen hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt und ua. gemeint, dem nach § 98 Abs. 1 Satz 1, § 78 Abs. 2 HPVG vor einer außerordentlichen Kündigung anzuhörenden Personalrat des Klinikums sei - als solches unstreitig - seine Stellung als „stellvertretender Strahlenschutzbeauftragter“ nicht mitgeteilt worden.

5Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - sinngemäß beantragt

6Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben. Das die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zu 1. zurückweisende Urteil ist vom Senat auf die - erste - Revision der Beklagten zu 1. mit Urteil vom (- 2 AZR 570/19 - BAGE 170, 84) insoweit aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen worden. Dieses hat dem Kündigungsschutzantrag mit dem vorliegend angefochtenen Urteil abermals stattgegeben, ohne die Berufung der Beklagten zu 1. insoweit ausdrücklich zurückzuweisen. Mit der - zweiten - Revision verfolgt die Beklagte zu 1. ihr Begehren weiter, den Antrag abzuweisen.

Gründe

7Die zulässige Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgeben. Ob das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1. durch die außerordentliche fristlose Kündigung des Klinikums aufgelöst wurde, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Das führt hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts (§ 563 Abs. 1 ZPO).

8I. Das Berufungsgericht hat - nach einer Beweisaufnahme über die Kündigungsvorwürfe - gemeint, die außerordentliche fristlose Kündigung sei unwirksam, weil dem Personalrat des Klinikums nicht mitgeteilt wurde, dass der Kläger als „stellvertretender Strahlenschutzbeauftragter“ für den medizinischen Bereich der Klinik für Nuklearmedizin benannt und deshalb nach § 70 Abs. 6 StrlSchG eine ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen war.

9II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

101. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kläger im Kündigungszeitpunkt von dem durch § 70 Abs. 6 Satz 2 StrlSchG vermittelten Schutz vor einer ordentlichen Kündigung erfasst war. Es kann dahinstehen, ob auch „stellvertretende Strahlenschutzbeauftragte“ unter diese Vorschrift fallen, wenn sie - wovon für das Revisionsverfahren mangels anderweitiger Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auszugehen ist - zu keinem Zeitpunkt aufgrund eines Vertretungsfalls in das Amt des Strahlenschutzbeauftragten „eingerückt“ sind. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1. nach § 70 Abs. 6 StrlSchG geschützt sein konnte, obwohl allein das rechtlich selbständige Klinikum zur Bestellung eines Strahlenschutzbeauftragten verpflichtet war. Jedenfalls kam dem Kläger im Kündigungszeitpunkt (März 2018) deshalb kein Sonderkündigungsschutz nach § 70 Abs. 6 Satz 2 StrlSchG zu, weil die Vorschrift erst zum in Kraft getreten ist (vgl. Art. 32 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung vom , BGBl. I S. 1966; zu den Erwägungen des Gesetzgebers für die seinerzeitige Erweiterung des Sonderkündigungsschutzes für Strahlenschutzbeauftragte vgl. BT-Drs. 18/11241 S. 316 f.).

112. Dessen ungeachtet muss ein Arbeitgeber, der außerordentlich fristlos kündigen möchte, dem Personalrat nicht mitteilen, dass dem Arbeitnehmer ein Sonderkündigungsschutz zukommt, der - wie § 70 Abs. 6 Satz 2 StrlSchG - zwar eine ordentliche Kündigung ausschließt, die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aber ausdrücklich unberührt lässt (zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG vgl.  - Rn. 16, BAGE 170, 191). Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts ist bei dem Umfang der Mitteilungspflichten in Bezug auf eine beabsichtigte außerordentliche Kündigung keine Differenzierung nach dem Rechtsgrund des Sonderkündigungsschutzes (tariflich/gesetzlich) geboten.

12III. Die angefochtene Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).

131. Zwar war einem Strahlenschutzbeauftragten schon im Kündigungszeitpunkt durch § 32 Abs. 5 StrlSchV aF bzw. § 14 Abs. 5 der mit Wirkung zum aufgehobenen RöV ein Schutz vor Benachteiligungen wegen der Erfüllung seiner Pflichten eingeräumt (vgl. BT-Drs. 18/11241 S. 317). Doch stehen die Kündigungsvorwürfe nach der - zutreffenden - Annahme des Landesarbeitsgerichts in keinerlei Zusammenhang mit der Bestellung des Klägers zum „stellvertretenden Strahlenschutzbeauftragten“ für den medizinischen Bereich der Klinik für Nuklearmedizin. Danach musste die Bestellung auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Maßregelung dem Personalrat offenkundig nicht mitgeteilt werden.

142. Die streitbefangene Kündigung ist entgegen der Annahme des Klägers nicht unwirksam, weil er zuvor aus seinem Amt als „stellvertretender Strahlenschutzbeauftragter“ hätte abberufen werden müssen.

15IV. Aufgrund der bisherigen Feststellungen kann der Senat die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung nach Maßgabe von § 626 BGB nicht selbst beurteilen.

16V. Der Entscheidungsausspruch im angefochtenen Urteil gibt Anlass, für das - abermals - fortgesetzte Berufungsverfahren darauf hinzuweisen, dass bei einer Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung eine neue Kostenentscheidung für die erste Instanz nach Maßgabe von §§ 91, 92 ZPO zu treffen ist. Außerdem sind die Kosten für die Revisionsverfahren der Partei aufzuerlegen, zu deren Lasten letztlich über den Kündigungsschutzantrag entschieden wird. Schließlich wird das Landesarbeitsgericht, sollte es dem Kündigungsschutzantrag erneut stattgeben, die zulässige Berufung der Beklagten zu 1. insoweit zurückzuweisen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2022:241122.U.2AZR287.22.0

Fundstelle(n):
BB 2023 S. 51 Nr. 1
GmbHR 2023 S. 75 Nr. 5
NJW 2022 S. 10 Nr. 52
CAAAJ-28517