Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 8 U 29/21vorgehend LG Dessau-Roßlau Az: 4 O 707/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Aufgrund eines Kaufvertrags vom erwarb der Kläger von einem Händler einen neuen, von der Beklagten hergestellten VW Tiguan 2.0 TDI. Als Kaufpreis war ein Betrag von brutto 30.959 € zu zahlen. Das Fahrzeug war von der Beklagten mit einem ebenfalls von ihr hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet, dessen zur Steuerung eingesetzte Software eine Umschaltlogik aufwies. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete den Rückruf auch der Fahrzeuge des Typs des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs zwecks Entfernung der als unzulässige Abschalteinrichtung bewerteten Umschaltlogik an. In der Folge wurde die beanstandete Software einem Update unterzogen.
3Der Kläger hat von der Beklagten – vorgerichtlich hatte er unter Fristsetzung bis zum einen geringfügig höheren Betrag begehrt – Schadensersatz in Höhe von 21.155,31 € (30.959 € abzüglich Wert der Nutzungen in Höhe von 9.803,68 €) Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des erworbenen Fahrzeugs nebst Verzugszinsen sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verlangt und außerdem die Feststellung des Annahmeverzugs begehrt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das im ersten Rechtszug angerufene Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 21.038,90 € Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs nebst Zinsen und Erstattung von Rechtsanwaltskosten verurteilt sowie den Annahmeverzug der Beklagten festgestellt.
4Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
5Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils anstrebt.
Gründe
6Die gemäß § 542 Abs. 1, § 543 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers hat in der Sache teilweise Erfolg.
7I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
8Die Schadensersatzforderung gemäß §§ 826, 31 BGB sei gemäß § 199 Abs. 1 BGB jedenfalls zum verjährt, so dass die am erhobene Klage den Lauf der Frist nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB habe hemmen können. Das Vorbringen der Beklagten zur Unterrichtung der betroffenen Halter vom Einbau der Umschaltlogik sowie von dem mit dem KBA abgestimmten Zeit- und Maßnahmenplan sei als zugestanden im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO zu behandeln, weil der Kläger ihm nicht hinreichend entgegengetreten sei. Er habe vielmehr nur eine Recherchemöglichkeit im Jahr 2016 mit Nichtwissen bestritten, ferner ausgeführt, im Jahr 2016 nicht zur Ermittlung der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs unter Nutzung einer freigeschalteten Internetseite aufgefordert worden zu sein, und schließlich bestritten, dass im Jahr 2016 schon alle bei Klageerhebung vorhandenen Informationen vorgelegen hätten. Eine rechtzeitige Klageerhebung sei dem Kläger zumutbar gewesen, und dem Aufspielen eines Updates samt Thermofenster komme keine Bedeutung für die Verjährung zu.
9§ 852 Satz 1 BGB finde keine Anwendung, wenn der Schaden, wie das hier der Fall sei, nicht in einer Vermögensminderung, sondern lediglich in der Belastung mit den Rechtsfolgen eines nicht gewollten Vertrages bestehe. Hier fehle es an dem von § 852 Satz 1 BGB vorausgesetzten wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen Schädiger und Geschädigtem, denn der Verlust der Möglichkeit, einen Geldbetrag in Höhe des Kaufpreises zu nutzen, werde kompensiert durch die Möglichkeit, das erworbene Fahrzeug zu nutzen. Eine Anwendung des § 852 Satz 1 BGB in Fällen wie dem vorliegenden hätte eine Aushebelung der Verjährungsvorschriften zur Folge. Jedenfalls aber stünde ein Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB allenfalls dem Händler zu, weil die Beklagte bereits durch dessen Verpflichtung bereichert werde.
10II. Das hält der Überprüfung im Revisionsverfahren in einem wesentlichen Punkt nicht stand.
111. Zutreffend hat sich das Berufungsgericht allerdings mit der Verjährung auseinandergesetzt und nicht schon das vom Landgericht richtig bejahte Bestehen eines Schadensersatzanspruchs gemäß §§ 826, 31 BGB verneint (vgl. insbesondere , BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.).
122. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht auch die Verjährung des Schadensersatzanspruchs des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB mit Ablauf des Jahres 2019 bejaht. Auch das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere , NJW 2022, 1311 Rn. 15 ff.; Urteil vom - VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 35 ff. mwN).
133. Unzutreffend hat das Berufungsgericht allerdings von der Anwendung des § 852 Satz 1 BGB abgesehen. Der Bundesgerichtshof hat – nach Erlass der angefochtenen Entscheidung – nicht nur entschieden, dass § 852 Satz 1 BGB in Fällen wie dem vorliegenden Anwendung findet, sondern er hat auch geklärt, inwiefern das der Fall ist und in welchem Umfang den Geschädigten dementsprechend Restschadensersatzansprüche zustehen können ( VIa ZR 8/21, BGHZ 233, 16 Rn. 51 ff.; Urteil vom - VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 11 ff.). Dementsprechend hätte das Berufungsgericht hier einen Restschadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 852 Satz 1 BGB nicht mit der gegebenen Begründung verneinen dürfen.
14III. Das Berufungsurteil unterliegt im Ausspruch zur Hauptsache daher teilweise der Aufhebung, soweit es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt.
151. Im Ausspruch zur Hauptsache kann der Senat wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich in der Sache selbst entscheiden. Unter Berücksichtigung der vom Senat geklärten Berechnung des Restschadensersatzes gemäß § 852 Satz 1 BGB ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16) ist zunächst der Händlereinkaufspreis durch Abzug der Händlermarge vom Kaufpreis zu ermitteln. Im vorliegenden Fall hat das Landgericht, dessen Feststellungen vom Berufungsgericht ausdrücklich in Bezug genommen worden sind, eine Händlermarge von 15% angenommen und dementsprechend festgestellt, dass die Beklagte einen Händlereinkaufspreis von 26.315,15 € erlangt hat. In einem zweiten Schritt ist – unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung – der Wert der gezogenen Nutzungen von dem erlangten Wert in Abzug zu bringen ( aaO). Insofern hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass jedem gefahrenen Kilometer ein Wert von 0,10 € zukommt, und das Berufungsgericht selbst hat in ebenfalls nicht bedenklicher Weise festgestellt, dass die Laufleistung des vom Kläger erworbenen Fahrzeugs bei Schluss der mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtszug 105.056 km betrug. Dementsprechend ist von dem Händlereinkaufspreis in Höhe von 26.315,15 € ein Betrag von 10.505,60 € für den Wert der gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen. Die Zahlung des verbleibenden Betrags von 15.809,55 € ist – wiederum unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung – nur Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des erworbenen Fahrzeugs geschuldet ( aaO).
162. Die Zinsforderung ergibt sich aus den § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Zuvielforderung des Klägers bleibt hier ohne nachteilige Folgen, weil hier nach den Umständen anzunehmen ist, dass die Beklagte auch bei einer auf den tatsächlich geschuldeten Betrag beschränkten Zahlungsaufforderung die Leistung nicht innerhalb der gesetzten Frist erbracht hätte (vgl. dazu , BGHZ 114, 24, 35).
173. Aus anderen Gründen als richtig erweist sich die Abweisung des Antrags auf Feststellung des Annahmeverzugs durch das Berufungsgericht (§ 561 ZPO). Der Feststellung des Annahmeverzugs gemäß §§ 293 ff. BGB steht entgegen, dass in der Forderung eines – wie hier – nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags kein ordnungsgemäßes, den Annahmeverzug begründendes Angebot liegt (, VersR 2022, 1178 Rn. 16).
184. Gleiches gilt für die Abweisung des Antrags auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten kann der Kläger schon deshalb nicht verlangen, weil ein diesen Schaden eventuell umfassender Anspruch aus §§ 826, 31 BGB verjährt ist, im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB solchen Kosten des Klägers keine Bereicherung der Beklagten gegenübersteht und sich schließlich nicht feststellen lässt, dass die Kosten erst entstanden sind, als sich die Beklagte bereits in Verzug befand, und nicht schon die Verzugsbegründung betreffen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:311022UVIAZR426.21.0
Fundstelle(n):
NAAAJ-27832