BGH Beschluss v. - XII ZB 425/21

Zweifelsvorlage des Standesamtes betreffend Beurkundung einer Namenswahlerklärung

Leitsatz

1. Bei einer Zweifelsvorlage nach § 49 Abs. 2 PStG müssen die Zweifel des Standesbeamten die Vornahme einer konkret zu benennenden Amtshandlung betreffen; das Vorlagerecht dient nicht zur Klärung abstrakter Rechtsfragen durch das Gericht.

2. Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 PStG begründet die Zuständigkeit jedes Standesbeamten, die öffentliche Beglaubigung oder Beurkundung der dort aufgeführten Namenswahlerklärungen vorzunehmen. Jedenfalls dann, wenn der beurkundende Standesbeamte nicht zugleich empfangszuständig im Sinne von § 43 Abs. 2 PStG ist, darf er seine Mitwirkung an der Beglaubigung oder Beurkundung nur ablehnen, wenn die gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten die angestrebte Rechtsfolge nicht zulassen oder die Erklärung nach der eigenen Überzeugung des Standesbeamten aus anderen Gründen zweifelsfrei unwirksam ist.

3. Eine analoge Anwendung von Art. 48 EGBGB auf Sachverhalte, in denen ein deutsch-ausländischer Doppelstaater den nach dem Recht des EU-ausländischen Heimatstaats gebildeten Namen nicht während eines gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat erworben hat, ist nicht möglich (Fortführung , FamRZ 2019, 967 und , FamRZ 2022, 421).

Gesetze: § 43 Abs 1 PStG, § 43 Abs 2 PStG, § 49 Abs 2 PStG, Art 48 S 1 BGBEG

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 7 W 87/21 Beschlussvorgehend Az: 91 UR III 3/20

Gründe

I.

1Die 1981 in Polen geborene Antragstellerin zu 1 ist polnische und nach ihrer Einbürgerung im Jahr 1988 auch deutsche Staatsangehörige. Sie führte ursprünglich den bei der Geburt erworbenen Namen N. Ko., wobei sie ihren polnischen Vornamen N. in Deutschland seit einer auf § 94 BVFG gestützten Namenserklärung im Jahr 2002 in einer deutschsprachigen Form führt. Sie ist seit 2014 mit Herrn C. Ja. (im Folgenden: Ehemann) verheiratet. Die beiden Eheleute führten nach der Eheschließung zunächst ihre bisherigen Namen fort und bestimmten im Jahr 2015 den Familiennamen Ja. des Ehemanns zum Ehenamen. Die beiden Kinder der Eheleute, die 2015 geborene A. Ja. (Antragstellerin zu 2) und die 2018 geborene L. Ja. (Antragstellerin zu 3) besitzen die deutsche und die polnische Staatsangehörigkeit.

2Der 1980 geborene Ehemann ist aus der ersten Ehe seiner Mutter C. Ja. mit Herrn Le. Ja. hervorgegangen. Nach der Scheidung dieser Ehe ging die Mutter des Ehemanns im Jahr 1997 mit Herrn H. Freiherr von Ma. eine neue Ehe ein. Der von dem Stiefvater des Ehemanns geführte Name Freiherr von Ma. wurde in dieser Ehe zum Ehenamen bestimmt, so dass die Mutter des Ehemanns seither den Namen C. Freifrau von Ma. führt. In den Jahren 2014 und 2017 führte der Ehemann zwei erfolglos gebliebene Verwaltungsverfahren, mit denen er das Ziel verfolgt hatte, seinen Familiennamen im Wege einer öffentlich-rechtlichen Namensänderung von „Ja.“ in „Freiherr von Ma.-Ja.“ ändern zu lassen.

3Zwischen dem und dem hielt sich die Antragstellerin zu 1 in Polen auf. Für diesen Zeitraum war sie dort ausweislich einer von der Gemeinde N./Polen am ausgestellten Meldebescheinigung zum „vorübergehenden Aufenthalt“ gemeldet. Am stellte die Antragstellerin zu 1 bei dem Standesamt in N./Polen den Antrag, ihren Familiennamen von „Ja.“ in „Freifrau von Ma.-Ja.“ zu ändern. Gleichzeitig beantragte sie mit Zustimmung des Ehemanns die Erstreckung der begehrten Namensänderung auf die beiden gemeinsamen Töchter. Das Standesamt in N./Polen gab diesen Anträgen mit einem nicht begründeten Bescheid vom gleichen Tage statt. Anschließend trug es die Namensänderung der Antragstellerinnen in polnische Personenstandsregister ein, in denen zuvor die in Deutschland geschlossene Ehe der Antragstellerin zu 1 und die in Deutschland erfolgte Geburt der Antragstellerinnen zu 2 und 3 nachbeurkundet worden waren.

4Durch Anwaltsschriftsatz vom hat die Antragstellerin zu 1 dem für den seinerzeitigen deutschen Wohnsitz der Familie zuständigen Standesamt S. mitgeteilt, dass die Antragstellerinnen den in Polen erworbenen Namen „Freifrau von Ma.-Ja.“ auch in Deutschland führen wollen, und unter Hinweis auf Art. 48 EGBGB beantragt, die Familiennamen der Antragstellerin zu 1 und der beiden minderjährigen Töchter „anzupassen“. Die Standesbeamtin trägt Zweifel, ob „die beantragte Amtshandlung der Namensangleichung einen Verstoß gegen den ordre public gemäß Art. 6 EGBGB darstellt“, und hat die Sache dem Amtsgericht vorgelegt. Die Standesamtsaufsicht hält die Zweifel des Standesamts für berechtigt.

5Das Amtsgericht hat auf die Vorlage „die Anträge“ der Antragstellerinnen „zurückgewiesen“. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen hat das Oberlandesgericht die angefochtene Entscheidung abgeändert und das Standesamt angewiesen, auf die Namenswahlerklärung der Antragstellerinnen „Veranlassungen nach Maßgabe der Gründe“ der Beschwerdeentscheidung zu treffen, in denen insbesondere Ausführungen dazu enthalten sind, dass die Namenswahl der Antragstellerinnen den deutschen ordre public nicht berühre und die weiteren Voraussetzungen einer wirksamen Namenswahl durch das Standesamt in eigener Verantwortung zu prüfen seien.

6Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Standesamts, das eine Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erstrebt.

II.

7Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie das Beschwerdegericht - für den Senat bindend - in der angefochtenen Entscheidung zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FamFG iVm § 51 Abs. 1 Satz 1 PStG). Sie ist auch im Übrigen zulässig und führt in der Sache zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht.

81. Die in FamRZ 2021, 1949 veröffentlichte Entscheidung des Beschwerdegerichts kann bereits deshalb keinen Bestand haben, weil ihr keine zulässige Zweifelsvorlage des Standesamts zugrunde liegt.

9Das Vorliegen einer zulässigen Zweifelsvorlage ist eine spezielle Verfahrensvoraussetzung für das gerichtliche Verfahren (vgl. Johansson/Sachse Anweisungs- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen Rn. 904 ff., 910). Verfahrensmängel, die sich auf Verfahrens- und Sachentscheidungsvoraussetzungen beziehen, sind nach § 74 Abs. 3 Satz 3 FamFG durch das Rechtsbeschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 98/15 - FamRZ 2015, 1603 Rn. 12 mwN).

10a) Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 PStG kann das Standesamt in Zweifelsfällen von sich aus die Entscheidung des Gerichts darüber herbeiführen, ob eine Amtshandlung vorzunehmen ist. Die Vorlage des Standesamts gilt für das weitere Verfahren als Ablehnung der Amtshandlung (§ 49 Abs. 2 Satz 2 PStG). Bereits hieraus ergibt sich, dass sich die Zweifel des Standesbeamten auf die Vornahme einer konkreten Amtshandlung beziehen müssen, denn das Vorlagerecht dient nach allgemeiner Ansicht nicht dazu, losgelöst von einer konkret anstehenden Amtshandlung des Standesamts abstrakte Rechtsfragen durch das Gericht klären zu lassen (vgl. OLG Frankfurt StAZ 2022, 110, 111 und FamRZ 2002, 260, 261; OLG Hamm StAZ 2018, 221, 222; OLG Düsseldorf StAZ 1970, 128; Gaaz/Bornhofen/Lammers Personenstandsgesetz 5. Aufl. § 49 Rn. 19; Berkl Personenstandsrecht Rn. 398; Hepting in Hepting/Gaaz Personenstandsrecht Band II § 45 PStG Rn. 54, 68; Johansson/Sachse Anweisungs- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen Rn. 640). Zum Verfahrensgegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist deshalb nicht die vom Standesamt aufgeworfene Zweifelsfrage zu machen, sondern allein die Frage, ob das Standesamt zu einer konkreten Amtshandlung anzuweisen ist oder nicht. Das zwingende Erfordernis einer konkreten Benennung der bevorstehenden Amtshandlung ergibt sich auch daraus, dass sich das durch die Zweifelsvorlage eingeleitete gerichtliche Verfahren in der Hauptsache erledigt, wenn die verfahrensgegenständliche Amtshandlung durch das Standesamt vollzogen worden ist (vgl. BayObLG FamRZ 2004, 893, 894; vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 578/16 - FamRZ 2018, 198 Rn. 8 zur Erledigung des Anweisungsverfahrens).

11b) Gemessen daran ist die Vorlage des Standesamts nicht zulässig, weil sie nur auf die Beantwortung der Frage nach der Ordre-public-Widrigkeit der von den Antragstellerinnen angestrebten Namenswahl zielt. Zwar kann die Zweifelsvorlage als Verfahrensvoraussetzung durch das Rechtsbeschwerdegericht uneingeschränkt in freier Würdigung selbst ausgelegt werden (vgl. OLG Köln FamRZ 2002, 262, 263; OLG Hamm StAZ 2000, 213, 214). Nach Lage der Akten vermag der Senat der Vorlage des Standesamts aber auch im Wege der Auslegung keinen verfahrensrechtlich zulässigen Inhalt beizulegen.

12aa) Soweit die Standesbeamtin in der Einleitung zur Vorlage auf die „beantragte Amtshandlung der Namensangleichung“ verweist, beschreibt sie damit keine konkrete standesamtliche Verrichtung, deren Vornahme bevorstehen könnte. Denn namensrechtliche Erklärungen führen nach allgemeinen Grundsätzen eine Namensänderung herbei, sobald sie mit dem gesetzlichen Inhalt und in der vorgeschriebenen Form dem empfangszuständigen Standesamt zugehen (vgl. Gaaz/Bornhofen/Lammers Personenstandsgesetz 5. Aufl. § 45 Rn. 4). Nichts Anderes gilt für die Namenswahl nach Art. 48 EGBGB (vgl. Staudinger/Hausmann BGB [2019] Art. 48 EGBGB Rn. 41; Hepting/Dutta Familie und Personenstand 3. Aufl. Rn. II-446).

13bb) Amtshandlung ist jede Verwaltungsmaßnahme des Standesbeamten, die ihm durch eine personenstandsrechtliche Vorschrift übertragen ist und auf die ein Beteiligter bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einen konkreten Rechtsanspruch hat (vgl. Hepting in Hepting/Gaaz Personenstandsrecht Band II § 45 PStG Rn. 6; Johansson/Sachse Anweisungs- und Berichtigungsverfahren in Personenstandssachen Rn. 44). Die Vorlage enthält ausschließlich tatsächliche und rechtliche Ausführungen zu Fragen des materiellen Rechts, ohne dass aus der Vorlage der Bezug zu einer konkreten standesamtlichen Maßnahme erkennbar wird. Eine öffentliche Beglaubigung oder Beurkundung der Namenswahlerklärung ist bislang noch nicht erfolgt. Es lässt sich deshalb nicht beurteilen, ob sich etwa die Standesbeamtin wegen ihrer Zweifel an der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Namenswahl bereits daran gehindert sieht, an der Beglaubigung oder Beurkundung der Namenswahlerklärung mitzuwirken, ob sie möglicherweise der Auffassung ist, eine erst noch zu beurkundende Namenswahlerklärung nicht als wirksam entgegennehmen zu können oder ob sich ihre rechtlichen Bedenken - wovon die Standesamtsaufsicht auszugehen scheint - auf die anschließende Eintragung des geänderten Namens in ein Personenstandsregister beziehen.

14Allerdings geben die dem Senat vorliegenden Akten schon keinen zuverlässigen Aufschluss darüber, ob bei dem Standesamt S. die künftige Eintragung in ein Personenstandsregister oder auch nur die Entgegennahme der Namenswahlerklärung und damit zusammenhängende Maßnahmen (etwa die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 46 Nr. 2 PStV) überhaupt veranlasst sein könnten. Die Geburt der Antragstellerin zu 1 im Jahr 1981 ist bei dem Standesamt in G./Polen registriert worden. Ob und gegebenenfalls bei welchem deutschen Standesamt ihre Geburt nach dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nachbeurkundet worden ist, ergibt sich aus der standesamtlichen Vorlage und den Feststellungen der Instanzgerichte nicht. Wenn aber für die Antragstellerin zu 1 kein Geburtseintrag im Inland geführt werden sollte, würde daraus folgen, dass für die Entgegennahme ihrer Namenswahlerklärung nicht das Standesamt S. als Wohnsitzstandesamt, sondern vorrangig dasjenige Standesamt empfangszuständig wäre, das ihre Eheschließung registriert hat (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 PStG). Nach Aktenlage wird das Eheregister bei dem Standesamt M. geführt. Im Übrigen ist die Geburt der Antragstellerin zu 2 bei dem Standesamt H. und die Geburt der Antragstellerin zu 3 bei dem Standesamt T. beurkundet worden.

152. Die Beschwerdeentscheidung ist somit aufzuheben, weil die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung mangels einer zulässigen Zweifelsvorlage nicht gegeben waren. Der Senat hat von der Möglichkeit einer Zurückverweisung an das Gericht des ersten Rechtszuges (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG) Gebrauch gemacht, weil der Verfahrensmangel beide tatrichterlichen Instanzen ergreift und auch das Beschwerdegericht die Sache bei zutreffender Sachbehandlung an das erstinstanzliche Gericht hätte zurückverweisen müssen, um dem Amtsgericht dadurch Gelegenheit zu geben, auf eine verfahrensrechtlich korrekte Zweifelsvorlage des Standesamts hinzuwirken (vgl. OLG Hamm StAZ 2018, 221, 222).

III.

16Für das weitere Verfahren weist der Senat auf das Folgende hin:

171. Die Vorschrift des § 43 Abs. 1 PStG begründet die Zuständigkeit jedes Standesbeamten, die öffentliche Beglaubigung oder Beurkundung einer Namenswahlerklärung nach Art. 48 EGBGB vorzunehmen; die Beteiligten können das Standesamt, das ihre Erklärungen beglaubigen oder beurkunden soll, frei wählen (vgl. Gaaz/Bornhofen/Lammers Personenstandsgesetz 5. Aufl. § 43 Rn. 6; Berkl Personenstandsrecht Rn. 1162). Mit der Zuständigkeit des Standesbeamten geht die Amtspflicht zur Mitwirkung an der öffentlichen Beglaubigung oder Beurkundung namensrechtlicher Erklärungen einher. Da die Beurkundungsfunktion des Standesbeamten für Zwecke des Personenstands in diesem Bereich neben diejenige der Notare tritt, entspricht es zutreffender Ansicht, dass der beurkundende Standesbeamte jedenfalls dann, wenn er nicht zugleich empfangszuständig ist, die Beglaubigung oder Beurkundung einer namensrechtlichen Erklärung in Anlehnung an die für Notare geltenden Grundsätze nur dann ablehnen darf, wenn die gesetzlich vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten die angestrebte Rechtsfolge nicht zulassen oder die Erklärung nach der eigenen Überzeugung des Standesbeamten aus anderen Gründen zweifelsfrei unwirksam ist (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2017, 359, 360; OLG Hamm StAZ 2014, 333 und StAZ 2000, 213, 215; Gaaz/Bornhofen/Lammers Personenstandsgesetz 5. Aufl. § 41 Rn. 15; Berkl Personenstandsrecht Rn. 1165). Bloße Zweifel an der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Namenswahlerklärung berechtigen den Standesbeamten daher nicht, deren Beglaubigung oder Beurkundung zu verweigern, und können somit auch keine Grundlage für eine auf seine Pflicht zur Mitwirkung an der Beurkundung bezogene Zweifelsvorlage nach § 49 Abs. 2 PStG sein.

182. Unterliegt der Name einer Person deutschem Recht, so kann sie gemäß Art. 48 Satz 1 Halbsatz 1 EGBGB durch Erklärung gegenüber dem Standesamt den während eines gewöhnlichen Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namen wählen. Nach der bisherigen Aktenlage dürften diese Voraussetzungen nicht vorliegen.

19a) Dabei steht die konkrete Art des Namenserwerbs der Antragstellerinnen einer Anwendbarkeit von Art. 48 Satz 1 EGBGB allerdings nicht entgegen. Der Namenserwerb der Antragstellerin beruht auf einer behördlichen Namensänderung nach dem polnischen Gesetz über die Änderung von Vor- und Familiennamen vom (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: Juli 2021] Länderteil Polen S. 113 ff.), nach dem der Leiter des Standesamts auf Antrag eine Entscheidung über die Änderung des Vor- oder Familiennamens treffen kann, wenn für die begehrte Änderung ein wichtiger Grund gegeben ist. Der Senat hat bereits entschieden, dass Art. 48 Satz 1 EGBGB wegen seines uneingeschränkten Wortlauts nicht nur auf den mit einem statusbegründenden oder statusändernden familienrechtlichen Ereignis zusammenhängenden Namenserwerb, sondern auch auf einen solchen Namenserwerb anwendbar ist, der auf einer gerichtlichen, behördlichen oder privatautonomen Namensänderung beruht (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 292/15 - FamRZ 2019, 218 Rn. 12 ff. mwN). Der hier vorliegende Fall einer öffentlich-rechtlichen Namensänderung im EU-Ausland ist daher vom Anwendungsbereich der Vorschrift umfasst.

20b) Indessen ist es nach dem Stand der bisherigen Ermittlungen sehr zweifelhaft, dass die Antragstellerinnen den Namen „Freifrau von Ma.-Ja.“ während eines gewöhnlichen Aufenthalts in Polen erworben haben.

21aa) Unter dem gewöhnlichen Aufenthalt ist der Ort oder das Land zu verstehen, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Vorausgesetzt wird nicht nur ein Aufenthalt von einer gewissen Dauer, die zum Unterschied von dem einfachen oder schlichten Aufenthalt nicht nur gering sein darf, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, insbesondere in familiärer oder beruflicher Hinsicht, in denen - im Vergleich zu einem sonst in Betracht kommenden Aufenthaltsort - der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person zu sehen ist (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 221, 300 = FamRZ 2019, 892 Rn. 19 mwN zu Art. 19 EGBGB und BGHZ 78, 293 = FamRZ 1981, 135, 136 f. zum Haager Minderjährigenschutzabkommen; - FamRZ 1975, 272, 273 zum Haager Unterhaltsübereinkommen). Die Entscheidung, ob der Aufenthalt in einem Staat als „gewöhnlicher“ Aufenthalt im vorstehenden Sinne anzusehen ist, liegt wesentlich auf tatsächlichem Gebiet und erfordert eine Würdigung aller Umstände des Einzelfalls. Zu diesen Umständen gehört auch der Wille der betreffenden Person, den gewöhnlichen Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen dauerhaft in diesen Staat zu legen (animus manendi), der - soweit er sich in äußeren Umständen manifestiert - bis zu einem gewissen Grad Defizite hinsichtlich der objektiven Bedingungen für das Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthalts ausgleichen kann (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 404/20 - FamRZ 2022, 1308 Rn. 17; - FamRZ 2022, 215 Rn. 57 f. zur Brüssel IIa-Verordnung). Umgekehrt werden bei einer gefestigten Absicht der Rückkehr in den Herkunftsstaat (animus revertendi) erhöhte Anforderungen an die objektiven Bedingungen, insbesondere an die Mindestaufenthaltsdauer, für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland zu stellen sein. Bleiben insbesondere familiäre, berufliche oder sonstige Bindungen in erheblichem Umfang zum Herkunftsstaat erhalten, wie dies bei zeitlich befristeten Urlaubs-, Ausbildungs- oder Klinikaufenthalten im Ausland typischerweise der Fall ist, spricht dies dafür, dass der gewöhnliche Aufenthalt selbst bei einer längeren Verweildauer im Ausland nicht dorthin verlegt worden ist (vgl. MünchKommBGB/von Hein 8. Aufl. Art. 5 EGBGB Rn. 158, 163).

22bb) Gemessen daran ist die Annahme, dass die Antragstellerin zu 1 zwischen August 2018 und April 2019 einen gewöhnlichen Aufenthalt in Polen begründet hatte, nach dem derzeitigen Sachstand nicht gerechtfertigt. Es sind bislang insbesondere keine Feststellungen dazu getroffen worden, welchem Zweck der Aufenthalt der Antragstellerin zu 1 und der Kinder in Polen diente, welche Wohnverhältnisse dort vorlagen und wie sich das familiäre Zusammenleben mit dem wohl in Deutschland verbliebenen Ehemann in dieser Zeit gestaltete. Soweit man den Meldeverhältnissen eine gewisse Indizwirkung für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts beimisst (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 404/20 - FamRZ 2022, 1308 Rn. 30 mwN), lässt sich aus der von der Gemeinde N./Polen am ausgestellten Meldebescheinigung über einen vorübergehenden Aufenthalt (Zaświadczenie o zameldowaniu na pobyt czasowy) bis zum eher noch ein Beweisanzeichen dafür entnehmen, dass die Antragstellerin zu 1 von vornherein die feste Absicht zur Rückkehr in den deutschen Herkunftsstaat hatte, wo sie mit den beiden Kindern nach den Ermittlungen des Standesamts auch durchgehend gemeldet geblieben ist und wo der Ehemann offensichtlich weiterhin lebte und arbeitete.

23c) Eine analoge Anwendung von Art. 48 EGBGB auf Sachverhalte, in denen ein deutsch-ausländischer Doppelstaater den nach dem Recht seines EU-ausländischen Heimatstaats gebildeten Namen nicht während eines gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat erworben hat, ist nicht möglich.

24Nach der Begründung des Regierungsentwurfs sollte Art. 48 EGBGB im deutschen Namensrecht eine Rechtsgrundlage für die Eintragung eines im EU-Ausland erworbenen und dort in ein Personenstandsregister eingetragenen Namens in solchen Fällen bieten, die dem vom Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache „Grunkin und Paul“ entschiedenen Sachverhalt kollisionsrechtlich bedingter Namensspaltung entsprechen (vgl. BT-Drucks. 17/11049 S. 12). Wenn es angesichts des vom Gesetzgeber bewusst begrenzten Anwendungsbereichs der Norm nicht planwidrig ist, dass andere Konstellationen hinkender Namensführungen deutsch-ausländischer Doppelstaater innerhalb der Europäischen Union von ihr nicht erfasst werden, ist die Vorschrift schon deshalb einer Analogie grundsätzlich nicht zugänglich (vgl. bereits Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 130/16 - FamRZ 2019, 967 Rn. 34 und vom - XII ZB 60/18 - FamRZ 2022, 421 Rn. 37). Dies gilt selbst dann, wenn man in den Blick nimmt, dass der durch den gewöhnlichen Aufenthalt vermittelte territoriale Bezug zum ausländischen EU-Mitgliedstaat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs keine notwendige Voraussetzung für das unionsrechtliche Anerkennungsgebot ist und deshalb auch solche, von einem Aufenthalt im EU-Ausland unabhängigen Konstellationen hinkender Namensführung innerhalb der Union zu einem Verstoß gegen unionsprimärrechtliche Gewährleistungen führen können. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs überlässt es prinzipiell den Mitgliedstaaten und ihrem nationalen Recht, auf welchem verfahrensrechtlichen Weg sie einen unionsprimärrechtlich gebotenen Gleichlauf in der grenzüberschreitenden Namensführung herstellen. Das deutsche Recht bietet dazu insbesondere mit dem öffentlich-rechtlichen Namensänderungsverfahren nach dem Namensänderungsgesetz (NÄG) eine weitere Möglichkeit, die der Europäische Gerichtshof - bei Wahrung der Prinzipien der Äquivalenz und der Effektivität - offensichtlich als ausreichend ansieht (vgl. - FamRZ 2017, 1175 Rn. 40 ff. - Freitag). Ob eine analoge Anwendung von Art. 48 EGBGB ausnahmsweise dann in Betracht kommt, wenn eine unionsprimärrechtlich gebotene Beseitigung hinkender Namensführung weder durch eine Rechtswahl nach Art. 10 Abs. 2 und 3 EGBGB noch durch eine öffentlich-rechtliche Namensänderung zu erreichen ist, bedarf unter den hier obwaltenden Umständen keiner weiteren Erörterung, weil jedenfalls der Weg eines Verfahrens nach dem Namensänderungsgesetz beschritten werden kann (vgl. Wall [Fachausschuss Nr. 4162] StAZ 2020, 248, 251). In einem solchen Verfahren wird die zuständige Verwaltungsbehörde in eigener Zuständigkeit eine Abwägung zwischen dem durch Art. 21 AEUV gewährleisteten Recht auf Personenfreizügigkeit und den berechtigten Interessen vornehmen, die der deutsche Gesetzgeber mit der in Art. 123 GG iVm Art. 109 Abs. 3 Satz 2 WRV zum Ausdruck kommenden Missbilligung einer von familienrechtlichen Statusvorgängen losgelösten Annahme deutschsprachiger Adelsbezeichnungen verfolgt (vgl. - FamRZ 2016, 1239 Rn. 80 ff. - Bogendorff von Wolffersdorff; vgl. auch Senatsbeschluss vom - XII ZB 292/15 - FamRZ 2019, 218 Rn. 37 ff. mwN).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:191022BXIIZB425.21.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2023 S. 74 Nr. 2
NJW-RR 2023 S. 77 Nr. 2
OAAAJ-27220