BGH Urteil v. - 1 StR 269/22

Strafzumessung im Steuerstrafverfahren: Steuerhinterziehung in Millionenhöhe; Verschleierung durch Einschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft und Vortäuschen eines Auslandswohnsitzes

Gesetze: § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO, § 46 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: Az: 8 KLs 1/22

Gründe

1Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.203.744,31 Euro angeordnet. Auf seine Revision hatte der Senat das landgerichtliche Urteil mit Beschluss vom (1 StR 215/21) in einem Fall der Steuerhinterziehung (Hinterziehung der Einkommensteuer für das Jahr 2014) mit den diesbezüglichen Feststellungen aufgehoben, daneben auch im Ausspruch über die in vier Fällen (Hinterziehung der Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013) verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe. Auch im Ausspruch über die Einziehung hatte das landgerichtliche Urteil im ersten Rechtsgang, soweit diese einen Betrag von 223.969,10 Euro überstieg, keinen Bestand. Im Umfang der Aufhebung hatte der Senat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer zurückverwiesen; im Übrigen hatte er die Revision des Angeklagten verworfen.

2Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten über den rechtskräftigen Schuldspruch der Steuerhinterziehung in neun Fällen hinaus wegen versuchter Steuerhinterziehung verurteilt und gegen ihn auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren erkannt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision, die sie auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.

I.

31. Nach den im ersten Rechtsgang getroffenen und von der Aufhebung nicht betroffenen Feststellungen war der zum Schein in der Schweiz gemeldete, aber in Deutschland lebende Angeklagte geschäftsführender Alleingesellschafter der O.             GmbH, deren Unternehmenssitz formell in der Schweiz eingetragen war, tatsächlich jedoch in Deutschland lag. Über diese Gesellschaft erbrachte er in den Jahren 2010 bis 2014 – teilweise mittels unterbeauftragter „Freelancer“ – IT-Beratungsleistungen für verschiedene inländische Unternehmen, insbesondere für die E.    Handelsgesellschaft H.        , von deren Geschäftssitz in M.         aus er auch die Geschäfte der O.            GmbH führte. Die Leistungen für die E.   Handelsgesellschaft H.      stellte er für die O.       GmbH unter Hinweis auf das Reverse-ChargeVerfahren ohne Umsatzsteuer in Rechnung.

4In dem Bestreben, von der günstigeren Besteuerung in der Schweiz zu profitieren, ließ sich der Angeklagte unter Vorspiegelung eines dortigen Wohn- und Unternehmenssitzes einkommensteuerlich in der Schweiz veranlagen, wobei er zur Verschleierung seiner Absichten die Gesellschaft nicht als „Domizilgesellschaft“ eintragen ließ. In Deutschland gab er dagegen weder für sich noch für die O.             GmbH für die Jahre 2010 bis 2013 eine Steuererklärung ab. Durch die Nichtabgabe der Steuererklärungen verkürzte er für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2013 Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 223.969,10 Euro sowie für die Besteuerungszeiträume 2010 bis 2014 von der O.             GmbH geschuldete Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 2.391.197,01 Euro.

52. Nach den vom Landgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen gab der weiterhin in Deutschland lebende Angeklagte, der im Jahr 2014 als Geschäftsführer der O.            GmbH aus nichtselbständiger Tätigkeit 64.038 Euro erwirtschaftete und dem daneben in diesem Jahr aus Gewinnausschüttungen der O.           GmbH Kapitalerträge in Höhe von 3.648.192 Euro zuflossen, auch für den Besteuerungszeitraum 2014 in Deutschland keine Einkommensteuererklärung ab. Am – noch vor Abschluss der wesentlichen Veranlagungsarbeiten für das Jahr 2014 am – wurde dem Angeklagten die Einleitung des gegen ihn in der Sache geführten Strafverfahrens bekanntgegeben. Bei ordnungsgemäßer Erklärung hätte er für den Besteuerungszeitraum 2014 Einkommensteuer in Höhe von 928.756 Euro und Solidaritätszuschlag in Höhe von 51.019,21 Euro abführen müssen (Fall III. 2. der Urteilsgründe; vormals Fall B.V.1.c) 5.).

63. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten im zweiten Rechtsgang aus dem Grundstrafrahmen des § 370 Abs. 1 AO, dabei in den Fällen, in denen der Angeklagte Einkommensteuer in Höhe von mindestens 50.000 Euro verkürzte bzw. solches im letzten Fall mit einem Betrag von fast einer Millionen Euro versuchte, unter Verneinung der Indizwirkung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO Einzelfreiheitsstrafen von zweimal fünf Monaten (Fälle III. 1.1. und 4. der Urteilsgründe), zweimal acht Monaten (Fälle III. 1.2. und 3. der Urteilsgründe) sowie einem Jahr und sechs Monaten (Fall III. 2. der Urteilsgründe) verhängt; diese sowie die rechtskräftigen Einzelstrafen für die Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung in den Jahren 2010 bis 2014 von zweimal drei Monaten, sechs Monaten, acht Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe hat es auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zusammengeführt.

II.

7Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der im zweiten Rechtsgang im Fall III. 2. der Urteilsgründe verhängten Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs.

81. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin beantragt, das Urteil „hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs“ aufzuheben. Mit diesem Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang, der zufolge die Staatsanwaltschaft ausschließlich die Strafzumessung beanstandet. Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 10 mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung versteht der Senat das Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft sich allein gegen den Strafausspruch wendet und mit ihrem Rechtsmittel die Entscheidung des Landgerichts, im Fall III. 2. der Urteilsgründe (vormals Fall B.V.1.c) 5.) keine Einziehung anzuordnen (vgl. dazu Rn. 25-28), nicht angreifen will.

92. Der Strafausspruch hält im tenorierten Umfang – auch in Anbetracht des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs (vgl. nur Rn. 5 mwN) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sowohl die Strafrahmenwahl als auch die Bemessung der Einzelstrafe im Fall III. 2. der Urteilsgründe genügt nicht dem vom Senat aufgestellten Grundsatz, wonach bei der Hinterziehung von Steuern in Millionenhöhe eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe nur bei besonders gewichtigen Milderungsgründen in Betracht kommt (vgl. , BGHSt 57, 123 Rn. 29 und vom , BGHSt 53, 71 Rn. 42; jeweils mwN).

10Diese Rechtsprechung hat das Landgericht nur bei der Gesamtstrafe in den Blick genommen (UA S. 46). Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, warum die letzte Tat mit einem angestrebten Hinterziehungsbetrag von nahezu einer Million Euro ein dem Grundtatbestand der Steuerhinterziehung unterworfener „Normalfall“ sein soll. Insbesondere angesichts des festgestellten Auslandsbezugs fehlt es insgesamt an Milderungsgründen von besonderem Gewicht. Mit seiner in der Schweiz zu Verschleierungszwecken angemeldeten Kapitalgesellschaft hat der Angeklagte eine Struktur aufgebaut, die auch der Bereicherung durch Steuerhinterziehung dienen sollte; zudem hat er das Ziel verfolgt, das Steueraufkommen durch wiederholte Tatbegehung über einen längeren Zeitraum nachhaltig zu schädigen und durch die gezielte Gründung einer Auslandsgesellschaft einen schwer aufklärbaren Sachverhalt geschaffen (vgl. zu alledem , BGHSt 53, 71 Rn. 47).

113. Die Aufhebung der im Fall III. 2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Die von der Strafkammer für die Hinterziehung der Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013 verhängten Einzelstrafen – in diesen Fällen hinterzog der Angeklagte jeweils Einkommensteuer im lediglich mittleren fünfstelligen Bereich – bleiben hiervon unberührt; insoweit hat weder die Staatsanwaltschaft durchgreifende Rechtsfehler aufgezeigt noch sind solche sonst ersichtlich.

124. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da diese von dem Rechtsfehler, der zu der Teilaufhebung des Strafausspruchs geführt hat, nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:191022U1STR269.22.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2023 S. 2 Nr. 1
AO-StB 2023 S. 2 Nr. 1
AO-StB 2023 S. 4 Nr. 1
BFH/NV 2023 S. 254 Nr. 2
wistra 2023 S. 168 Nr. 4
wistra 2023 S. 170 Nr. 4
WAAAJ-26750