Maßregelanordnung: tatrichterliche Feststellungen zum Hang des Angeklagten
Gesetze: § 64 StGB
Instanzenzug: Az: 502 KLs 22/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Raub, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Nichtanordnung der vom Revisionsangriff nicht ausgenommenen Maßregel des § 64 StGB hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
3a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der vielfach (2012 und 2015 auch wegen Drogendelikten) vorbestrafte, hafterfahrene und zuletzt als Bauhelfer tätige Angeklagte seit vielen Jahren „zur Freizeitgestaltung“ nach Feierabend mit Kollegen oder Freunden Alkohol und Amphetamin. Die abgeurteilte Tat entstand aus einem gemeinsamen Trinkgelage, bei dem der Angeklagte zusätzlich Amphetamin genommen hatte, so dass die Strafkammer die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht auszuschließen vermochte. Der Geschädigte wurde vom Angeklagten und zwei Mittätern nach einigen Stunden gemeinsamen Alkoholgenusses mehrfach geschlagen und getreten, ihm wurden Wertgegenstände und sein PKW weggenommen (vom erbeuteten Geld wurde weiterer Wodka gekauft), unter Vorhalt eines Messers versucht, weitere Wertgegenstände zu erpressen, und mit einer Stichflamme Stirn, Augenbrauen und Ohr versengt. Der Geschädigte sprang aus Angst vor weiteren Misshandlungen schließlich aus dem Fenster, so dass er eine erhebliche Rippenfraktur erlitt. Ein labiler junger Mittäter erhängte sich einen Tag nach der Tat.
4Zur Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die sachverständig beratene Strafkammer ausgeführt, dass beim Angeklagten kein Hang vorliege, berauschende Mittel im Übermaß zu konsumieren. Das Konsumverhalten habe zwar seit dem Alter von 15 Jahren eine Regelmäßigkeit erfahren, die allenfalls durch Haftaufenthalte unterbrochen worden sei. Körperliche Entzugssymptome seien trotz höhergradiger Alkoholisierung nicht dokumentiert. Die regelmäßige Einnahme von Alkohol habe den Angeklagten nicht davon abgehalten, verschiedensten Tätigkeiten auf Baustellen nachzugehen. Aufgrund der durch den Angeklagten beschriebenen Abstinenz- und Kontrollfähigkeit, fehlender Entzugssymptome, fehlender körperlicher Komplikationen sowie fehlender Hinweise für eine mit Alkohol in Verbindung stehende Einschränkung seiner Alltagskompetenz sei beim Angeklagten gegenüber Alkohol von einem Missbrauchssyndrom (ICD-10: F10.1), nicht jedoch von einem Hang oder einer Abhängigkeit auszugehen. Gleichgelagert sei dies in Bezug auf den Konsum von Amphetamin. Dessen Einnahme stehe mit Alkohol in engem Zusammenhang, denn er habe Amphetaminpaste insbesondere konsumiert, um eine höhere Toleranzschwelle im Hinblick auf den Konsum von Wodka zu erreichen und gleichsam von der durch ihn empfundenen Steigerung von Antrieb und Durchhaltevermögen zu profitieren. Auch habe er hierdurch den unkontrollierten Einschlaf- und Ermüdungserscheinungen entgegengewirkt. Auch bei Amphetamin ließe sich kein Verlust der Abstinenz- und Kontrollfähigkeit feststellen, ebenso wenig wie Entzugserscheinungen oder körperliche Komplikationen, mit Ausnahme einer vom Angeklagten beschriebenen „Paranoia“ bei erhöhtem Amphetaminkonsum. Demnach sei letztlich, vor dem Hintergrund der erhaltenen Alltagsfähigkeit, auch diesbezüglich von einem Missbrauchssyndrom (ICD-10: F10.1) und nicht von einer Abhängigkeit auszugehen. Diesen Ausführungen der Sachverständigen hat sich die Strafkammer angeschlossen.
5b) Die Ablehnung eines Hangs steht mit den Maßstäben der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. zu diesen etwa ) nicht in Einklang. Für einen Hang ist danach eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss setzt weder ein Abhängigkeitssyndrom noch eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit voraus. Vielmehr hat eine solche Beeinträchtigung lediglich indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs; ihr Fehlen steht diesem nicht notwendig entgegen. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn der Betreffende aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint; soziale Gefährlichkeit liegt typischerweise im Falle von hangbedingten Straftaten wie Beschaffungskriminalität vor.
6Die Strafkammer hätte zudem in ihre Erwägungen einstellen müssen, dass die vorliegende Straftat auch der Finanzierung weiteren Alkoholkonsums diente und der Angeklagte wegen Drogendelikten vorbestraft ist (teils mit Therapieweisung). In diesem Zusammenhang hätte auch der Erörterung bedurft, ob die vielfachen weiteren Vorstrafen (u.a. wegen Gewalt-, Straßenverkehrs-, Vermögens- und Eigentumsdelikten) mit dem festgestellten regelmäßigen Konsum von nicht unerheblichen Mengen Alkohol und Amphetamin zusammenhängen. Da nicht ausgeschlossen ist, dass auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen, bedarf die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter Prüfung. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine solche Anordnung nicht (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
72. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, weil diese vom Rechtsfehler nicht betroffen sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
83. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte; diese kann deshalb ebenfalls bestehen bleiben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:111022B5STR394.22.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-25481