BGH Beschluss v. - IV ZR 501/21

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 287 ZPO

Instanzenzug: Az: 12 U 69/18vorgehend Az: 3 O 110/17

Gründe

1I. Die Parteien streiten über Regressansprüche eines Wohngebäudeversicherers wegen eines Brandschadens.

2Die Klägerin zu 1, die eine Haftpflichtversicherung bei der Klägerin zu 2 hält, veranstaltete 2016 eine Segelregatta. Zuvor hatte sie in einer Zeitungsannonce mitgeteilt, dass sie für eine Großveranstaltung möglichst kostengünstige oder kostenfreie Unterkünfte für internationale Segelstars suche. In einem Rundschreiben vom Dezember 2015 erklärte sie, dass an der Regatta die besten Segler der Welt teilnehmen sollten; sie sei auf Übernachtungsmöglichkeiten von Unterstützern und Förderern angewiesen, lade die Unterstützer zu einem Treffen ein und kündigte an, diese im Programmheft und auf ihrer Website zu nennen. Die Beklagte zu 1 meldete sich per E-Mail vom bei der Klägerin zu 1 und teilte mit, sie könne Ferienwohnungen zur Verfügung stellen. Die Klägerin erklärte mit E-Mail vom , dass sie das Angebot annehme. Ein japanisches Segelteam, zu dem der Streithelfer der Klägerin zu 1 gehörte, sollte die Wohnung während der Regatta nutzen und erhielt den Wohnungsschlüssel von der Beklagten zu 1. Für die Wohnung bestand eine Wohngebäudeversicherung bei der Beklagten zu 2. Am 15./ kam es dort zu einem Brand, weil die Segler einen Topf mit Öl auf dem eingeschalteten Elektroherd in der Küche vergaßen, als sie die Wohnung verließen. Die Beklagte zu 2 regulierte den Schaden gegenüber der Beklagten zu 1.

3Die Klägerinnen haben auf Feststellung geklagt, dass der Beklagten zu 1 gegen beide Klägerinnen und der Beklagten zu 2 gegen die Klägerin zu 2 aus dem Brandschaden keine Ansprüche zustehen. Die Beklagten haben Widerklage gegen die Klägerin zu 1 auf Zahlung von Schadensersatz an die Beklagte zu 2 in Höhe von 94.487,59 € und deren Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erhoben; zweitinstanzlich haben sie hilfsweise beantragt, die Klägerin zu 2 zur Zahlung der hälftigen Schadenssumme an die Beklagte zu 2 zu verurteilen, falls die Hauptwiderklage wegen fehlender grober Fahrlässigkeit und/oder nicht erfolgenden Zurechnung des Verschuldens des Streithelfers abgewiesen werde sollte. Nach Erhebung der Widerklage ist die Feststellungsklage der Klägerin zu 1 gegen die Beklagte zu 2 übereinstimmend für erledigt erklärt worden.

4Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten zu 2 das landgerichtliche Urteil - unter Aufrechterhaltung im Übrigen - teilweise abgeändert und die Klägerin zu 1 verurteilt, 38.810,88 € nebst Zinsen an die Beklagte zu 2 zu zahlen und sie von einem Teil der Anwaltskosten freizustellen. Die weitergehende Widerklage hat es abgewiesen.

5II. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass zwischen der Klägerin zu 1 und der Beklagten zu 1 nicht nur ein Gefälligkeitsverhältnis, sondern ein Leihvertrag zustande gekommen sei. Die Klägerin zu 1 müsse sich die schuldhafte Pflichtverletzung der Segelcrew zurechnen lassen, die kausal für den Gebäudeschaden in Höhe von 38.810,88 € geworden sei. Soweit die Beklagte zu 2 darüber hinaus Mietausfallschäden, weitere Gebäudeschäden, Schäden an der Betriebseinrichtung und Kosten für Verbrauchsmittel geltend mache, habe sie diese nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der Anspruch der Beklagten zu 1 gegen die Klägerin zu 1 sei gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf die Beklagte zu 2 als Versicherer übergegangen, nachdem sie den Schaden ersetzt habe. Die Grundsätze des Regressverzichts des Gebäudeversicherers gegenüber dem Mieter des Versicherungsnehmers seien nicht geeignet, den Anspruchsübergang bzw. die Durchsetzbarkeit des übergegangenen Anspruchs zu hindern.

6Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wenden sich die Klägerin zu 1 und die Beklagte zu 2 mit Nichtzulassungsbeschwerden; die Klägerin zu 1 verlangt weiterhin Abweisung der Widerklage in vollem Umfang, die Beklagte zu 2 verfolgt die Widerklage weiter, soweit ihr Zahlungsantrag in Höhe von 43.535,35 € abgewiesen worden ist. Die Klägerin zu 2 hat ihre Nichtzulassungsbeschwerde zurückgenommen.

7III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zu 1 ist zurückzuweisen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Senat hat auch die Rüge der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

8IV. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde der Beklagten zu 2 hat dagegen Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit der Widerklageantrag in Höhe von 43.535,35 € abgewiesen worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Beschwerde beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten zu 2 zu weiteren Schadenspositionen für nicht ausreichend substantiiert gehalten hat. Diese Auffassung beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß des Berufungsgerichts gegen den Anspruch der Beklagten zu 2 auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Das Berufungsgericht hat insoweit die Anforderungen an deren Darlegungslast überspannt.

91. Eine Partei genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als bestehend erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (Senatsbeschluss vom - IV ZR 88/20, VersR 2021, 863 Rn. 5 m.w.N.). Vielmehr muss der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten, um dort eventuell weitere Einzelheiten zu ermitteln (Senatsbeschluss vom - IV ZR 224/13, VersR 2014, 104 Rn. 7 m.w.N.).

10Über die Frage, ob und in welcher Höhe durch einen Brand ersatzfähige Schäden entstanden sind, hat der Tatrichter nach § 287 ZPO zu befinden. Diese Gesetzesvorschrift erleichtert dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegungslast (vgl. Senatsurteil vom - IVa ZR 236/84, NJW-RR 1987, 210 unter III 1 [juris Rn. 19]). Die Klage darf nicht wegen eines lückenhaften Vortrags zur Schadenhöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadenschätzung vorhanden sind (vgl. Senatsurteil vom aaO; , VersR 2009, 1360 Rn. 16). Eine Schätzung darf erst dann gänzlich unterlassen werden, wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge und daher willkürlich wäre ( aaO m.w.N.).

112. Gemessen daran hat das Berufungsgericht an die Darlegungslast der Beklagten zu 2 zu hohe Anforderungen gestellt. Der über die zugesprochene Forderung hinaus geltend gemachte Schadensersatzanspruch kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die Beklagte zu 2 habe den entstandenen weiteren Schaden nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Ihr Vortrag bietet ausreichende Anhaltspunkte für die Schätzung jedenfalls eines Mindestschadens.

12a) Die Beklagte zu 2 hat ihren Klageanspruch bezüglich eines Mietausfalls von 10.900 € auf die Schadenberechnung in dem von ihr vorgelegten DEKRA-Gutachten gestützt. Rechtlich ist ein solches Privatgutachten auch dann, wenn die Partei lediglich darauf Bezug nimmt, als besonders substantiierter, urkundlich belegter Parteivortrag einzuordnen (vgl. Senatsbeschluss vom - IV ZR 328/07, VersR 2009, 920 Rn. 14). Die in diesem Gutachten vorgenommene Schadenberechnung ist hinreichend schlüssig, um Gegenstand einer Beweisaufnahme zu sein. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass das Gutachten bei den Angaben zum Mietausfallschaden auf eine - im Verfahren nicht vorgelegte - Aufstellung der Versicherungsnehmerin, der Beklagten zu 1, Bezug nimmt. Die Angaben, die der Schadenberechnung des Gutachters zugrunde liegen, sind im Anhang des Gutachtens aufgeführt: die Mietausfallzeiten für die betroffenen Ferienwohnungen, die zugrunde gelegte durchschnittliche Auslastung von 70 % und der errechnete Mietausfallschaden in Höhe von 7.330,73 €, 2.142,06 € und 1.158,88 € sowie die von den Mietern der dauerhaft vermieteten Wohnung vorgenommene Minderung der Miete um 268,33 €. Die Aufstellung der Geschädigten ist dagegen kein unerlässlicher Teil des Tatsachenvortrags.

13b) Zu den weiteren Gebäudeschäden hat die Beklagte zu 2 im Schriftsatz vom , Seite 5 bis 8, Tatsachen vorgetragen, die weitere Schadensersatzansprüche begründen können. Sie hat behauptet und unter Beweis gestellt, dass für brandbedingt erforderliche Reinigungsarbeiten und Kleinmengenentsorgung Kosten von 1.837 € angefallen seien. Dies trägt die geltend gemachte Rechtsfolge. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedarf es dazu keiner Darlegung, welche Arbeiten in welchen Zeiträumen stattgefunden haben. Ebenso verhält es sich mit der Behauptung, die brandbedingt erforderliche Entleerung und Wiederbefüllung der Heizungsanlage habe 580,60 € gekostet. Damit hat die Beklagte zu 2 vorgetragen, dass diese Kosten insgesamt zur Beseitigung des Brandschadens angefallen seien; das schließt nach ihrer Behauptung die laut der dazu vorgelegten Rechnung eingebaute Rücklaufverschraubung ein. Ob auch diese Leistung zu den durch den Brand erforderlich gewordenen Arbeiten gehört, wie die Beklagte zu 2 behauptet, wäre durch eine Beweisaufnahme zu klären. Die Erforderlichkeit zur Beseitigung des Brandschadens hat die Beklagte zu 2 auch hinreichend substantiiert für die Wiederherstellung und Montage der Holzwandverkleidung im Erker (geschätzte 1.000 €), den Austausch der Balkontür in der Küche (2.084 €), die Überarbeitung und Instandsetzung von zwei Holzfenstern im Wohnzimmer (700 €), die Erneuerung von Innentüren und WC-Garnituren (1.920,91 €) sowie die Erneuerung von fünf Heizkörpern (2.478,40 €) behauptet.

14Bei weiteren Arbeiten enthalten die dazu vorgelegten Rechnungen auch Leistungen, die über die Schadenbeseitigung hinausgehen, oder Ersatzbeschaffungen von höherem Wert als die vor dem Brand vorhandene Ausstattung; dies betrifft die Reparaturen an der Elektroinstallation (3.361,34 €), die Montage neuer Brandmelder (147,10 €) und die Instandsetzung der durch den Brand zerstörten Küche (4.000 €). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte zu 2 mit ihrem Vortrag, welcher Rechnungsbetrag jeweils auf die Brandbeseitigung entfällt, den Grund und die Höhe der abweichenden Beträge ausreichend erklärt und jedenfalls die Möglichkeit zur Schätzung eines Mindestschadens eröffnet.

15c) Auch hinsichtlich des Schadens an der Betriebseinrichtung überspannt die Ansicht des Berufungsgerichts, ohne Angaben zum genauen Typ und Anschaffungszeitpunkt der einzelnen Gegenstände sei der diesbezügliche Schaden nicht hinreichend substantiiert dargelegt, die Anforderungen an eine Schadenschätzung nach § 287 ZPO.

16Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Beklagte zu 2 mit ihrer Schadenaufstellung in der Anlage zu einem der vorgelegten Privatgutachten die Gegenstände der Wohnungseinrichtung im Einzelnen aufgeführt und zumindest teilweise mit einer Altersangabe versehen hat; dies diente als Grundlage für die Schadenschätzung des Privatsachverständigen mit den dort angegebenen Zeitwertfaktoren. Dazu hat sie behauptet und unter Beweis gestellt, dass diese Sachen vorhanden und durch den Brand totalbeschädigt worden seien. Auch wenn das Fehlen genauerer Angaben einer Schadenermittlung in der geltend gemachten Höhe von 14.232 € entgegenstehen könnte, ist danach jedenfalls die Schätzung eines Mindestschadens nicht ausgeschlossen. Das gilt auch für die "Verbrauchsmittel", d.h. die in der Schadenaufstellung enthaltenen verbrauchbaren und in der Schätzung des Privatsachverständigen mit 294 € bewerteten Sachen.

173. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Beklagte zu 2 günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es deren Vortrag zu dem weiteren Schaden in der gebotenen Weise berücksichtigt hätte.

18V. Das angefochtene Urteil ist danach im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:210922BIVZR501.21.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-24979