BGH Beschluss v. - X ZR 41/20

Nichtzulassungsbeschwerde: Gehörsverletzung bei unberechtigter Anwendung einer Präklusionsvorschrift

Gesetze: § 522 Abs 2 ZPO, § 531 Abs 2 Nr 3 ZPO, § 544 Abs 9 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Az: 3 U 327/19vorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 19 O 8243/17

Gründe

1I. Der Kläger macht im Wege der Stufenklage Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung und Vergütung wegen einer zum Patent angemeldeten Diensterfindung geltend und verlangt Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

2Der langjährig bei der Beklagten und ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigte Kläger meldete eine Diensterfindung, die seine Arbeitgeberin ohne vorherige schriftliche Inanspruchnahmeerklärung unter dem zum Patent anmeldete.

3Im Jahr 2017 verhandelten die Parteien darüber, unter welchen Bedingungen die Tätigkeit des Klägers einschließlich gesellschaftlicher Beteiligungen beendet werden konnte. Unter Einbeziehung einer Beteiligungsgesellschaft schlossen sie am den nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen Vergleich:

1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung mit Ablauf des endet. …

4. Der Kläger wird ab unwiderruflich von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. …

5. Der Kläger überträgt durch notariellen Vertrag seine Geschäftsanteile an der … Beteiligungs-GmbH mit 6 % an die … Beteiligungsgesellschaft mbH und erhält hierfür einen Betrag in Höhe von 100.000 Euro, fällig eine Woche nach notarieller Beurkundung des Kaufvertrages. …

8. Damit ist der vorliegende Rechtsstreit erledigt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, der die Beklagte entgegentritt.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

61. Das Berufungsgericht hat angenommen, die vom Kläger wegen seiner zum Patent angemeldeten Diensterfindung geltend gemachten Ansprüche seien vom Vergleich der Parteien vom erfasst.

7Die Beklagte habe unwidersprochen vorgetragen, dass dem Kläger mitgeteilt worden sei, dass er dann, wenn die Beklagte ihm bei der Bewertung seines Gesellschaftsanteils und beim Beendigungszeitpunkt seines Arbeitsverhältnisses entgegenkomme, keine weitere Kompensation wegen der von ihm im Hinblick auf das Patent geltend gemachten Ansprüche erwarten könne. Damit habe die Beklagte mit ihrem Vergleichsangebot erkennbar den Willen verbunden, dass auch etwaige Ansprüche des Klägers wegen des Patents zum Erlöschen gebracht werden sollten. Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont habe der Vergleich daher nur so verstanden werden können, dass von der Abgeltungsregelung in Nr. 8 auch diese Ansprüche des Klägers erfasst sein sollten.

8Der nach dem Hinweis des Berufungsgerichts erfolgte neue Vortrag, dass im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwischen den Parteien ein arbeitsgerichtlicher Prozess anhängig gewesen sei, in dem die Ansprüche des Klägers wegen seiner Diensterfindung nicht Streitgegenstand gewesen seien, könne gemäß § 531 Abs. 2 Nr.3 ZPO sowie § 530 i.V.m. § 520 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden. Die Anhängigkeit eines solchen Prozesses sei weder dem Vortrag des Klägers noch der Vergleichsvereinbarung zu entnehmen. Für die Formulierung in Nr. 8 könne es auch eine andere Erklärung geben. Spätestens nachdem der Kläger habe erkennen müssen, welche Wirkung das Landgericht der Abgeltungsregelung des Vergleichs beigemessen hat, hätte es einer ordentlichen Prozessführung entsprochen, auf diesen Umstand hinzuweisen.

92. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

10a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht unter anderem, das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit zu prüfen (st. Rspr., , BVerfGE 86, 133; BGH, Beschlüsse vom - Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950; vom - X ZB 1/10, GRUR 2011, 656; vom - X ZB 3/10, GRUR 2011, 851; vom - X ZB 6/11, GRUR 2013, 318 Rn. 9).

11Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Gericht rechtlich erhebliches Vorbringen aus prozessualen Erwägungen unberücksichtigt lässt, ohne dass dies im Prozessrecht eine Stütze findet (vgl. nur , BVerfGE 69, 141, 144 sub III; Beschluss vom - 1 BvR 1935/03, NJW 2005, 1487 sub II 1). Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO bereits dann erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird (vgl. nur , NJW-RR 2014, 85 Rn. 8; Beschluss vom - VIII ZR 247/15, NJW 2017, 491 Rn. 16).

12b) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, das Berufungsgericht habe gehörswidrig das Vorbringen der Beklagten zu dem im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwischen den Parteien anhängigen arbeitsgerichtlichen Prozess unberücksichtigt gelassen.

13Der insoweit neue Vortrag in der Berufungsinstanz ist unstreitig geblieben, weshalb er vom Berufungsgericht nicht gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO oder § 530 i.V.m. § 520 ZPO hätte zurückgewiesen werden dürfen. Denn unstreitige Tatsachen sind auch dann stets zu berücksichtigen, wenn sie erstmals im Berufungsrechtszug vorgetragen werden (, BGHZ 161, 138, 141 ff., juris Rn. 11 ff.; Beschluss vom - GSZ 1/08, BGHZ 177, 212 Rn. 10). Dies gilt auch dann, wenn der unstreitige Vortrag im Hinblick auf Folgefragen eine Beweisaufnahme erfordert (, BGHZ 161, 138, 144 f., juris Rn. 20; Urteil vom - IX ZR 135/07, VersR 2010, 86 Rn. 22).

14c) Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung.

15Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht die vom Kläger wegen seiner zum Patent angemeldeten Diensterfindung geltend gemachten Ansprüche nicht als von der Erledigungswirkung des Vergleichs erfasst beurteilt hätte, wenn es bei Auslegung des Vergleichs den Vortrag des Klägers einbezogen hätte, dass ein arbeitsgerichtlicher Prozess anhängig war, in dem diese Ansprüche des Klägers nicht Streitgegenstand waren. Denn insoweit steht eine Auslegung im Raum, nach welcher der gemäß Nr. 8 des Vergleichs erledigte "vorliegende Rechtsstreit" lediglich der vor dem Arbeitsgericht anhängige Rechtsstreit ist. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich auch nicht, dass es hierauf für die Beurteilung der vom Kläger geltend gemachten Ansprüche aus sonstigen Gründen nicht ankommt.

16d) Soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, die Beklagte habe mit ihrem Vergleichsangebot erkennbar den Willen zur Einbeziehung der hier streitgegenständlichen Ansprüche verbunden, nachdem dem Kläger mitgeteilt worden sei, keine Kompensation wegen des Patents erwarten zu können, wenn ihm die Beklagte bei der Bewertung des Gesellschaftsanteils und beim Beendigungszeitpunkt seines Arbeitsverhältnisses entgegen kommt, wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu klären sein, ob diese Vorstellung unter Berücksichtigung des Vortrags zum anhängigen arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit noch Gegenstand des Vergleichs geworden ist.

17Dabei ist davon ausgehen, dass sich eine entsprechende Beurteilung nur auf Grundlage der konkreten Umstände des Vergleichsabschlusses und deren Zusammenhang zum arbeitsgerichtlichen Verfahren treffen lässt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:310522BXZR41.20.1

Fundstelle(n):
UAAAJ-24934