BGH Beschluss v. - VII ZR 239/21

Instanzenzug: Az: 7 U 68/20 Urteilvorgehend Az: 10 O 110/19

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Januar 2016 bei einer Niederlassung der Beklagten als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz C 220 T Bluetec Kombi in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 DE 22 LA (Euro 6) ausgestattet. Die Abgasrückführung hängt von der Umgebungstemperatur ab und wirkt in vollem Umfang nur im Rahmen eines Thermofensters, dessen Umfang im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist.

2Das Fahrzeug unterfällt keinem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA).

3Der Kläger hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Er ist zudem der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

II.

5Das Berufungsgericht hat seine in DAR 2021, 265 veröffentlichte Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Vertragliche Ansprüche auf Rückzahlung des Kaufpreises schieden aus. Entweder lege der Kläger einen Mangel nicht substantiiert dar oder der Anspruch sei verjährt. Zwar liege hinsichtlich des Thermofensters ein Mangel vor, dieser sei jedoch nicht arglistig verschwiegen worden. Das Thermofenster sei nicht mit der "prüfstandsoptimierten Schummelsoftware" im "VW-Abgasskandal" zu vergleichen. Unzutreffende Angaben im Typgenehmigungsverfahren habe der Kläger nicht bewiesen; zudem habe die Beklagte den Einsatz des Thermofensters seinerzeit für aus Motorschutzgründen zulässig halten dürfen. Den Einbau einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) im Klägerfahrzeug habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Insoweit belasse er es bei reinen Vermutungen und Spekulationen, die auf Parallelverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart und vor dem Landgericht Itzehoe gründeten. Gegenstand dieser Verfahren seien aber andere Modelle (E 250 CDI Euro 5 beziehungsweise C 220 CDI Euro 5). Dies gelte auch für das vom Kläger angeführte Sachverständigengutachten Heitz aus einem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart, das ein Modell E 250 CDI Euro 5 betreffe. Eine Vergleichbarkeit sei nicht gegeben. Anders als die vom Kläger genannten Modelle unterliege sein Fahrzeug unstreitig keinem Rückruf durch das KBA. Zusätzlich habe das Oberlandesgericht Stuttgart einen dem Motor im Klägerfahrzeug vergleichbaren Motortyp begutachten lassen ("OM 651 DE22LA Emissionsklasse Euro-6b") und weder eine KSR noch andere gerügte Abschalteinrichtungen ("Slipguard", "Funktion Bit 15") festgestellt. Ob das On-BoardDiagnose-System (OBD) falsch programmiert sei, könne dahinstehen, da der Kläger insoweit jedenfalls keine Nachfrist gesetzt habe. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB scheide ebenfalls aus.

III.

7Die Revision ist durch Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für ihre Zulassung nicht vorliegen und sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

81. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts ( Rn. 3, juris; Beschluss vom - III ZR 380/14 Rn. 7, juris; Beschluss vom - II ZR 13/09 Rn. 3, ZIP 2010, 1078).

9a) Das Berufungsgericht hat die Revision im Hinblick auf die Vielzahl der bundesweit anhängigen Klagen wegen grundsätzlicher Bedeutung der höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärten Frage zugelassen, ob die Beklagte für die Installation eines Thermofensters gemäß § 826 BGB hafte.

10Klärungsbedürftige Rechtsfragen stellen sich indes nicht. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt und durch die Entscheidung des , BGHZ 225, 316 hinsichtlich der Entwicklung und des Einsatzes einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Rahmen der Abgasreinigung weiter konkretisiert worden. Ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein.

11b) Weitere Zulassungsgründe zeigt die Revision nicht auf und liegen nicht vor.

122. Die Revision hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

13Das Berufungsgericht hat unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen, dass dem Kläger kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zusteht, ohne dass die Revision dem beachtlich entgegentritt. Begründete Angriffe auf die Feststellungen des angegriffenen Urteils fehlen.

14a) Dagegen, dass das Berufungsgericht hinsichtlich des Thermofensters einen Anspruch des Klägers ausschließt, erhebt die Revision keine Einwände.

15b) Hinsichtlich der KSR rügt die Revision zu Unrecht eine Gehörsverletzung gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

16aa) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 42, BauR 2021, 1183 = NZBau 2021, 316; Beschluss vom - VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178; Beschluss vom - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; Beschluss vom - VII ZR 23/14 Rn. 8, 10, ZfBR 2017, 146; jeweils m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt dann vor, wenn das Gericht die Substantiierungsanforderungen offenkundig überspannt und es dadurch versäumt, den Sachvortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 42, BauR 2021, 1183 = NZBau 2021, 316; Beschluss vom - VII ZR 261/18 Rn. 13, BauR 2021, 593 = NZBau 2021, 178; Beschluss vom - VII ZR 166/19 Rn. 14, BauR 2020, 1035 = NZBau 2020, 293; Beschluss vom - VII ZR 217/15 Rn. 9, BauR 2018, 669; jeweils m.w.N.).

17Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dabei dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (vgl. , WM 2012, 492, juris Rn. 16; Rn. 20, WM 2021, 1609; Urteil vom - VI ZR 401/19 Rn. 19, MDR 2021, 871; Beschluss vom - VIII ZR 57/19 Rn. 7, ZIP 2020, 486; Beschluss vom - VI ZR 163/17 Rn. 11, VersR 2019, 835; jeweils m.w.N.). Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen ( Rn. 21 f. m.w.N., WM 2021, 1609).

18bb) Gemessen daran begegnet das Berufungsurteil keinen durchgreifenden Bedenken. Das Berufungsgericht hat die Behauptung des Klägers, in seinem Fahrzeug sei eine unzulässige, prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung in Gestalt einer KSR implementiert, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als spekulativ und ins Blaue hinein angesehen. Der Vortrag des Klägers beschränkt sich im Wesentlichen darauf zu behaupten, in seinem Fahrzeug mit dem Motortyp OM 651 sei eine KSR verbaut, weil eine solche bei anderen Fahrzeugen mit diesem Motortyp festgestellt worden sei. Dies hat das Berufungsgericht in vertretbarer tatrichterlicher Würdigung nicht ausreichen lassen. Entgegen der Auffassung der Revision stellt das Berufungsgericht dabei nicht allein darauf ab, dass der Kläger nicht konkret dargestellt habe, wann und durch wen diese Abschalteinrichtung in seinem Fahrzeug festgestellt worden sei. Vielmehr führt das Berufungsgericht detailliert aus, wieso es angesichts der Vielzahl von Modellen mit unterschiedlichsten Motorkonfigurationen und der mindestens zehn verschiedenen Leistungsstufen, in denen der Motor OM 651 angeboten wird, den vom Kläger aufgezeigten Umständen keine hinreichende Aussagekraft für den Einbau einer KSR im Klägerfahrzeug beimisst, zumal das Klägerfahrzeug anders als andere Modelle trotz der vom Kläger angeführten Ermittlungen durch das KBA bis heute keinem Rückruf unterliegt. Dass der Kläger die Aussagekraft der von ihm vorgetragenen Indizien anders bewertet wissen will, begründet keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

19c) Auch hinsichtlich des OBD scheidet eine Gehörsverletzung aus. Das OBD kann - wie die Revision nicht verkennt - nicht selbst eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen. Soweit die Revision meint, das Berufungsgericht hätte auf das OBD im Rahmen der Prüfung etwaiger deliktischer Ansprüche eingehen müssen, weil in dem behaupteten Unterdrücken von Fehlermeldungen ein Anhalt für ein vorsätzliches Handeln der Beklagten zu sehen sei, übersieht sie, dass es darauf hinsichtlich der vom Kläger gerügten Abschalteinrichtungen nicht ankommt. Zum Thermofenster hat das Berufungsgericht - insoweit von der Revision nicht angegriffen - festgestellt, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren ausreichende Angaben zur Abhängigkeit der Abgasreinigung von der Umgebungstemperatur gemacht habe und zum damaligen Zeitpunkt davon habe ausgehen dürfen, dass eine solche Steuerung aus Motorschutzgründen ausnahmsweise zulässig sei, so dass schon deswegen eine arglistige Täuschung ausscheidet und das OBD das Eingreifen des Thermofensters nicht als Fehler ausweisen musste. Hinsichtlich der KSR fehlt es wie dargelegt bereits an Anhaltspunkten für einen Einbau im Klägerfahrzeug.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:180522BVIIZR239.21.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-24702