BVerwG Beschluss v. - 2 WDB 6/22

Truppendienstrichterliche Durchsuchungsanordnung; Speichermedien; Cloud-Dienst

Leitsatz

Die Wehrdisziplinarordnung enthält keine Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Durchsuchung der von einem Mobiltelefon räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die vom Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann.

Gesetze: § 20 Abs 1 WDO 2002, § 91 Abs 1 S 1 WDO 2002, § 148 WDO 2002, § 110 StPO, Art 10 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 1 Abs 1 GG, § 8 Alt 2 SG, § 8 Alt 1 SG

Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 9 DsL 1/22 und N 9 Bld 2/22 Beschluss

Tatbestand

1Das Verfahren betrifft eine Durchsuchung elektronischer Kommunikationsmittel wegen des Verdachts einer Verletzung der politischen Treuepflicht.

21. Der Soldat ist Hauptfeldwebel. Mit Beschluss vom ordnete der Vorsitzende der 9. Kammer des Truppendienstgerichts Nord auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft die Durchsuchung des Soldaten, seiner persönlichen Sachen, seines Fahrzeugs, seines Spindes und des Wertfachs, seiner persönlichen/dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen, der dienstlichen Behältnisse und seines privaten Mobiltelefons, der darin befindlichen Speicherkarte sowie der vom Mobiltelefon räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die von dem Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann, sowie "gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln" an.

3Der Soldat sei hinreichend verdächtig, zwischen September 2017 und März 2018 per "WhatsApp" Nachrichten und Bilder mit rassistischen Inhalten unter Bezugnahme auf seinen Dienst als Bundeswehrsoldat versendet und ausgetauscht zu haben. So habe er malische Staatsangehörige als "dumme Neger" bezeichnet. Ferner sei er hinreichend verdächtig, zumindest zwischen September und Dezember 2017 Bilder mit die NS-Zeit verherrlichenden und/oder die Opfer des Holocaust verächtlich machenden Inhalten erhalten und zum Teil zustimmend kommentiert zu haben sowie diesen Inhalten nicht entgegen getreten zu sein. Er habe Bewohner des Ortes ... als "Untermenschen" bezeichnet. Des Weiteren habe er von seinem Mobiltelefon zahlreiche Bilder aus der NS-Zeit mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - u. a. Bilder mit Hakenkreuzen und SS-Rune sowie z. B. Bilder von Dolchen/Messern mit solchen Kennzeichen - versandt. Es sei zu vermuten, dass er diese Inhalte beim täglichen Dienst auf seinem Mobiltelefon in militärische Liegenschaften eingebracht habe oder noch einbringen werde, was nach Nr. 313 A1-2630/0-9802 verboten sei. Aufgrund der Vielzahl der Inhalte mit eindeutigem Bezug zur NS-Zeit bestehe zudem der Verdacht, dass der Soldat nicht die Gewähr dafür biete, verfassungstreu zu sein. Der Verdacht stütze sich auf Erkenntnisse des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) vom .

4Die Durchsuchung richte sich neben dem Mobiltelefon mit darin befindlichen Speichermedien auch auf räumlich getrennte Speichermedien (z. B. Cloud, WhatsApp) und auf sonstige auffindbare IT (Computer, Laptop etc.). Auch damit könne auf WhatsApp zugegriffen und könnten Texte und Bilder der beschriebenen Art versandt werden. Es sei zu erwarten, dass eine Durchsuchung zum Auffinden von Beweismaterial führen werde. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig und stünden in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und Stärke des Tatverdachts.

52. Der Soldat hat gegen den ihm am bekannt gegebenen Beschluss am Beschwerde eingelegt. Mit Verfügung vom hat der Vorsitzende der Truppendienstkammer der bis dahin nicht begründeten Beschwerde nicht abgeholfen und hat sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

63. Mit seiner dort am eingereichten Beschwerdebegründung macht der Soldat geltend, das Truppendienstgericht sei im Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft auf Anordnung der Durchsuchung nicht hinreichend über den Tatverdacht sowie darüber unterrichtet worden, wer durchsucht, wo gesucht und was gesucht und beschlagnahmt werden solle. Art und Inhalt der Beweismittel seien nicht angegeben worden.

7Er sei inzwischen verhört worden. Die sich daraus ergebenden Erkenntnisse habe das Truppendienstgericht nicht berücksichtigt.

8Es fehle am Anfangsverdacht eines Dienstvergehens. Insbesondere habe er nicht sichtbar die Gewalt- und Willkürherrschaft des Nazi-Regimes verherrlicht. Details der im Schreiben des BAMAD angesprochenen Emojis seien nicht erkennbar. Seine Chatbeiträge seien auf seine Einsatzbelastung in Mali zurückzuführen. Sie beruhten nicht auf einer tiefen inneren Gesinnung. Er sei seit 2011 Soldat und habe sich beruflich und privat tadellos verhalten. In seinem engsten Kameraden-Freundeskreis gebe es viele Personen mit Migrationshintergrund. Im Einsatz habe er vor Ort Freundschaften geschlossen und sich insbesondere mit den Übersetzern sehr gut verstanden. Dass er infolge seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr militärische Antiquitäten sammle, sei keine Ausprägung einer verfassungsfeindlichen Neigung oder Verherrlichung der NS-Zeit. Als Sammler nutze er sein Mobiltelefon, um sich mit anderen Sammlern oder Händlern zur Wert- und Originalitätsbestimmung auszutauschen. Bilder von Gegenständen mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nutze er nur, um sie an Fach- und Sachkundige weiterzuleiten, was von § 86 Abs. 4 StGB gedeckt sei. Der von ihm in Bezug auf Bewohner des Ortes ... verwendete Begriff "Untermenschen" beziehe sich auf den dortigen Markt für militärische Antiquitäten. Dass er sich insoweit abfällig über andere Sammler geäußert habe, bedaure er. Der Chatverlauf habe keine Wirkung in der Öffentlichkeit gehabt.

9Zu berücksichtigen sei ferner, dass sein berufliches Fortkommen im Hinblick auf eine Ernennung zum Berufssoldaten nach Dienstzeitende oder eine Verlängerung der Dienstzeit behindert werde. Weiterhin sei geplant gewesen, am Auswahlverfahren des Kommandos Spezialkräfte teilzunehmen.

104. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hält die Beschwerde für unbegründet. Es bestehe der Anfangsverdacht des dem Soldaten vorgeworfenen Dienstvergehens. Seine allgemeinen Ausführungen zu Belastungen im Einsatz ließen nicht auf eine Einschränkung seiner Schuldfähigkeit schließen. Auch beim Sammeln von Devotionalien mit nationalsozialistischem Bezug seien die straf- und dienstrechtlichen Vorschriften einzuhalten. Das Ergebnis der Durchsuchung und nachfolgender Vernehmungen habe im Durchsuchungsbeschluss nicht berücksichtigt werden können.

Gründe

11Die Beschwerde hat im tenorierten Umfang Erfolg.

121. Mit dem angefochtenen Beschluss wurde ungeachtet der missverständlichen Formulierung ("wird [...] die Durchsuchung [...] und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln angeordnet") nur eine Durchsuchung und keine Beschlagnahme angeordnet.

13Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige, regelmäßig in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Demgegenüber muss sich eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 358/03 - BVerfGK 1, 126 <133> und vom - 2 BvR 1036/08 - BVerfGK 15, 225 <236>). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO in Verbindung mit § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht. Sie bewegt sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dient erst der Klärung, ob und in welchem Umfang eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, ist aber noch Teil der Durchsuchung (vgl. - juris Rn. 44 m. w. N.).

14Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, ungeachtet ihrer Bezeichnung noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (vgl. - BVerfGE 124, 43 <76> zu §§ 94 ff. StPO sowie Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 174/05 - juris Rn. 25 und vom - 2 BvR 708/18 - NJW 2018, 3571 Rn. 22; 2 WDB 12.21 - juris Rn. 11 f.).

15Hier wurde mit dem Durchsuchungsbeschluss nur eine solche allgemeine Beschlagnahmegestattung verbunden. Der Beschluss enthält eine Auflistung gattungsmäßig umschriebener Durchsuchungsobjekte und gestattet "gegebenenfalls" die Beschlagnahme von "Beweismitteln", ohne dass diese konkret und eindeutig benannt werden. Eine gegenstandsbezogene Prüfung von Einzelgegenständen auf deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit hat vor Erlass des Beschlusses ersichtlich nicht stattgefunden. Auch haben weder die Wehrdisziplinaranwaltschaft noch der Truppendienstrichter die im Rahmen der Beschlagnahme notwendige Prüfung vorgenommen, ob die zur Durchsicht mitgenommenen elektronischen Kommunikationsmittel nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurückgegeben werden können, ob die Beschlagnahme einer Kopie der auf den Geräten befindlichen Daten ausreicht, inwiefern dabei eine Trennung der potenziell beweiserheblichen Daten von den restlichen Daten möglich und in welchem Umfang eine Löschung oder Herausgabe der für das Verfahren irrelevanten Daten geboten ist (vgl. - BVerfGE 113, 29 <55>).

162. Die Beschwerde gegen die Anordnung der Durchsuchung ist zulässig.

17Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 114 Abs. 1 WDO. Danach sind Beschwerden gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine Durchsuchung oder Beschlagnahme betreffen, sofern das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die - wie hier - in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind (vgl. 2 WDB 12.21 - juris Rn. 16 m. w. N.). Für Durchsuchungsanordnungen, die nach § 20 Abs. 1 WDO durch den Truppendienstrichter ergehen, sieht die Wehrdisziplinarordnung - anders als bei Entscheidungen der Truppendienstkammer nach § 20 Abs. 2 Satz 8 WDO - auch nicht vor, dass das Truppendienstgericht "endgültig" entscheidet.

18Nicht hingegen handelt es sich um eine Beschwerde nach § 42 Nr. 5 WDO. Diese Norm eröffnet keine Beschwerdemöglichkeit gegen richterliche Anordnungen, sondern nur gegen sonstige - vollzogene oder in Vollzug befindliche - Maßnahmen nach § 20 WDO seitens des Disziplinarvorgesetzten, der Wehrdisziplinaranwaltschaft oder sonst beteiligter Ermittlungsbehörden, wobei das Gericht in diesen Fällen gemäß § 42 Nr. 5 Satz 3 in Verbindung mit Nr. 4 Satz 5 WDO - anders als in den Beschwerdeverfahren nach § 114 Abs. 1 WDO - zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft. Für diese Beschwerde ist grundsätzlich das Truppendienstgericht zuständig; richtet sich die Beschwerde gegen eine Maßnahme oder Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung oder Generalinspekteurs der Bundeswehr, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht (§ 42 Nr. 5 Satz 2 WDO).

193. Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Die Durchsuchungsanordnung ist teilweise rechtswidrig.

20a) Maßgeblich ist insoweit die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom - 2 BvR 1108/03 - juris Rn. 15, vom - 2 BvR 2561/08 - NJW 2011, 291 Rn. 28 und vom - 2 BvR 683/12 - juris Rn. 17). Auf etwaige neue Erkenntnisse im Rahmen der Durchsuchung oder aus späteren Vernehmungen des Soldaten kommt es daher nicht an.

21b) Die Durchsuchungsanordnung ist rechtswidrig, soweit damit eine Durchsuchung der vom Mobiltelefon des Soldaten räumlich getrennten Speichermedien (Cloud-Dienste), auf die vom Mobiltelefon aus zugegriffen werden kann, angeordnet wurde. Für eine solche Anordnung enthält die Wehrdisziplinarordnung keine Ermächtigungsgrundlage, auch nicht in § 20 WDO. Denn der Zugriff auf Kommunikationsinhalte, die außerhalb der Endgeräte des Soldaten auf dem Server eines Providers gespeichert sind und auf die er nur über eine Internetverbindung zugreifen kann, greift in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG ein (vgl. - BVerfGE 124, 43 <54 f.>). Ein solcher Eingriff bedarf gemäß Art. 10 Abs. 2 GG einer gesetzlichen Grundlage und verlangt nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, dass die Wehrdisziplinarordnung das eingeschränkte Grundrecht zitiert (vgl. - BVerfGE 129, 208 <236 f.> sowie 2 WDB 12.21 - juris Rn. 35 ff.). Da § 148 der gemäß Gesetz vom (BGBl. I S. 189) am in Kraft getretenen und somit - wegen Inkrafttretens des Grundgesetzes am (BGBl. I S. 1 ff.) - nachkonstitutionellen Wehrdisziplinarordnung (vgl. dazu 2 WDB 12.21 - juris Rn. 36; S. Engel, Das Zitiergebot. Rekonstruktion einer verkannten Norm, 2022, S. 115 ff.) eine Einschränkung des Grundrechts auf das Fernmeldegeheimnis nicht zitiert, steht die Eigenart des gerichtlichen Disziplinarverfahrens der Annahme entgegen, jedenfalls aus der Verweisung des § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die Strafprozessordnung ergebe sich eine gesetzliche Eingriffsgrundlage für einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis.

22c) Im Übrigen ist die Durchsuchungsanordnung rechtmäßig.

23aa) Sie findet insoweit ihre Rechtsgrundlage in § 20 WDO. Diese Vorschrift gilt nach ihrer systematischen Stellung im Ersten Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen) des Zweiten Teils (Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen) der Wehrdisziplinarordnung für alle Arten der im Zweiten Teil geregelten Disziplinarverfahren. Sie geht in gerichtlichen Disziplinarverfahren (Dritter Abschnitt des Zweiten Teils) als spezielle Regelung über Durchsuchungen in der Wehrdisziplinarordnung dem lediglich ergänzenden und damit subsidiären Verweis in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die Vorschriften der Strafprozessordnung vor (vgl. 2 WDB 12.21 - juris Rn. 21 m. w. N.).

24bb) Soweit § 20 WDO zur Anordnung von Durchsuchungen zwecks Sicherstellung und Beschlagnahme von Datenträgern und darauf gespeicherten Kommunikationsinhalten aus abgeschlossenen Kommunikationsvorgängen ermächtigt, ist er auch eine verfassungsmäßige Ermächtigungsgrundlage für die in Rede stehende Durchsuchungsanordnung; insbesondere verstößt die Regelung, die insoweit nicht an Art. 10 GG, sondern am Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) zu messen ist, nicht gegen das Zitiergebot (vgl. 2 WDB 12.21 - juris Rn. 22 ff.).

25cc) Der Durchsuchungsbeschluss ist insoweit formell rechtmäßig. Er erging auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Diese war im Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) als Vertreterin der Einleitungsbehörde (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 1 WDO) befugt, die richterliche Anordnung der Durchsuchung zu beantragen. Denn § 20 WDO sieht keine Beschränkung des Antragsrechts auf den Disziplinarvorgesetzten vor. Entgegen der Annahme des Soldaten ist der Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft vom , ergänzt durch Schreiben vom , sowohl hinsichtlich der Tatvorwürfe als auch der zu durchsuchenden Gegenstände hinreichend bestimmt. Der Durchsuchungsbeschluss geht auch nicht über den Antrag hinaus.

26dd) Der Durchsuchungsbeschluss ist insoweit auch materiell rechtmäßig. Er entspricht den Vorgaben des § 20 Abs. 1 WDO und ist verhältnismäßig.

27(1) Er ist "zur Aufklärung eines Dienstvergehens" ergangen. Der Tatvorwurf ist im Durchsuchungsbeschluss hinreichend genau umschrieben worden, um den mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung verbundenen Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar zu gestalten (vgl. - WM 2020, 1701 Rn. 23 m. w. N.). In den Gründen heißt es, der Soldat sei hinreichend verdächtig, zwischen September 2017 und März 2018 per WhatsApp Nachrichten und Bilder mit rassistischen Inhalten unter konkreter Bezugnahme auf seinen Dienst als Bundeswehrsoldat versendet oder ausgetauscht zu haben. Ferner sei er hinreichend verdächtig, jedenfalls zwischen September und Dezember 2017 Bilder mit die NS-Zeit verherrlichenden und/oder die Opfer des Holocaust verächtlich machenden Inhalten zugesandt bekommen zu haben, sie zum Teil zustimmend kommentiert zu haben und diesen Inhalten nicht entgegengetreten zu sein. Zudem habe er als vermutlicher Sammler von Devotionalien in einem nicht näher bestimmbaren Zeitraum von seinem Mobiltelefon aus eine Vielzahl von Bildern aus der NS-Zeit mit Symbolen und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, u. a. Bilder mit Hakenkreuzen und SS-Rune sowie z. B. Bilder von Dolchen/Messern mit solchen Kennzeichen versandt.

28(2) Bei Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bestand auch der Verdacht eines Dienstvergehens.

29Das Gewicht des Grundrechtseingriffs verlangt insoweit auf konkreten Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf einerseits nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, noch keine exakte Tatpräzisierung ergeben. Denn das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass noch Ermittlungen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist ( 2 WDB 12.21 - juris Rn. 49).

30Als Erkenntnisquellen standen dem Vorsitzenden der Truppendienstkammer die im Schreiben des BAMAD vom aufgezeigten Informationen zur Verfügung. Es ist nicht zu beanstanden, dass er auf dieser Grundlage den Anfangsverdacht eines Dienstvergehens angenommen hat.

31In dem Schreiben wurden WhatsApp-Nachrichten ausgewertet, die dem Soldaten zugeordnet werden konnten. Ausweislich der beigefügten Screenshots versandte er im Auslandseinsatz die Textnachrichten "Ach ich kann zusehen wie die EU Unmengen an Geld für die Ausbildungen von dummen Negern verschwendet" und "Ach ... wir[d] immer voller mit Untermenschen. Stinkende, verlotterte Penner." Des Weiteren drückte er durch in den Screenshots hinreichend erkennbare Emojis, einmal mit dem Zusatz "der ist gut", Zustimmung zu ihm gesandten Memes mit rechtsextremistischen Bezügen aus. Ferner sandte er unter einem auch von seinen Chatpartnern verwendeten Organisationsbezug in Form eines Bildes mit einer Rune, die Assoziationen mit einem Hakenkreuz erweckt, u. a. Fotos von Dolchen mit Siegrunen, eines Gemäldes mit Siegrunen, eines Soldaten mit Hakenkreuzbinde sowie von Uniformen mit dem Hinweis, dass man gut den Unterschied zwischen SS und Heer sehen könne. Den Kommunikationsinhalten zufolge wurden derartige Gegenstände teils im Ausland erworben.

32Zwar werden für die im Durchsuchungsbeschluss geäußerte Vermutung, der Soldat habe die Chatinhalte beim täglichen Dienst auf seinem Mobiltelefon in militärische Liegenschaften eingebracht, keine tatsächlichen Anhaltspunkte aufgezeigt. Ungeachtet dessen ist aber schon aufgrund der ausgetauschten Chatinhalte und den weiteren im Schreiben des BAMAD aufgezeigten Erkenntnissen der Anfangsverdacht eines Dienstvergehens gerechtfertigt.

33Denn die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Pflicht eines Soldaten nach § 8 SG verlangt von diesem, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten. Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" in § 8 SG ist identisch mit dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie er bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG konturiert worden ist. Daraus folgt eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ausgangspunkt für die Bestimmung des Begriffsinhalts ist danach die Würde des Menschen und das Demokratieprinzip, für das die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller am politischen Willensbildungsprozess sowie die Rückbindung der Ausübung von Staatsgewalt an das Volk maßgeblich ist. Schließlich erfasst der Begriff den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Mit der politischen Treuepflicht ist folglich ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Kennzeichen, Symbole oder sonstige Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen. Denn das Grundgesetz bildet gleichsam den "Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes" (vgl. - BVerfGE 124, 300 <328>; 2 WD 25.20 - Buchholz 449 § 8 SG Nr. 2 Rn. 29).

34Die Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nach § 8 Alt. 2 SG geht dabei weiter als die Pflicht zu ihrer Anerkennung gemäß § 8 Alt. 1 SG. Sie verlangt, dass der Soldat sich nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die den Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten ( 2 WD 25.20 - Buchholz 449, § 8 SG Nr. 2 Rn. 30 m. w. N.).

35Die Chatinhalte erwecken objektiv den Eindruck, dass der Soldat mit dem NS-Regime sympathisiert und damit verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt; diesem Eindruck ist er in den Kommunikationsverläufen nicht entgegengetreten, so dass ein Verstoß gegen § 8 Alt. 2 SG naheliegt. Dieser Eindruck wird durch die Zustimmung zu Memes mit NS-Bezug und der in den Chats zum Ausdruck kommenden Sammelleidenschaft im Hinblick auf Gegenstände mit verfassungsfeindlichen Kennzeichen verstärkt. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Chatverlauf, dass der Soldat mit einer Person bekannt ist, die vom BAMAD als behördenbekannter Rechtsextremist identifiziert wurde. Nach den im Schreiben des BAMAD dargelegten Nachforschungen gehören zudem beide einer als 'NORDBUND' bezeichneten Gruppierung an, bei der aufgrund nachrichtendienstlicher Erfahrung vermutet wird, dass sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Hinzu tritt noch die abfällige Bezeichnung der malischen Bevölkerung als "dumme Neger".

36Aus der Zusammenschau dieser Umstände folgt zugleich ein Anfangsverdacht einer Verletzung von § 8 Alt. 1 SG. Da der Soldat eine verfassungsfeindliche Gesinnung in Abrede stellt, wird freilich im weiteren Verlauf der Ermittlungen zu klären sein, ob die Chatbeiträge tatsächlich Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Gesinnung sind.

37Da der Anfangsverdacht eines Dienstvergehens durch eine Verletzung der politischen Treuepflicht nach § 8 Alt. 1 und 2 SG als elementarer Kernpflicht vorliegt, kann für die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses dahinstehen, ob zudem hinreichende Anhaltspunkte für weitere Dienstpflichtverletzungen, insbesondere für eine Verletzung der Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG) durch Straftaten nach § 86 oder § 86a StGB, vorliegen.

38Eine etwaige vom Soldaten angeführte besondere Einsatzbelastung in Mali würde aller Voraussicht nach die Schuld nicht entfallen lassen, sondern wäre in einem gerichtlichen Disziplinarverfahren bei der Maßnahmebemessung auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen zu würdigen. Entsprechendes gilt für die Auswirkungen auf das berufliche Fortkommen des Soldaten.

39(3) Die Durchsuchung wurde ferner nur außerhalb von Wohnungen angeordnet. Bei der dienstlichen Stube handelt es sich nicht um eine Wohnung im Sinne des § 20 WDO (vgl. 2 WDB 12.21 - juris Rn. 53).

40(4) Die im Durchsuchungsbeschluss aufgeführten Durchsuchungsgegenstände sind durchweg "Sachen des Soldaten". Dies gilt auch für den Spind und das Wertfach, die dienstlichen elektronischen Datenträger oder EDV-Anlagen und die dienstlichen Behältnisse. Unerheblich ist insoweit, dass diese Gegenstände nicht im Eigentum des Soldaten, sondern seines Dienstherrn stehen. Zu den durchsuchungsfähigen Sachen im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 3 WDO gehören vielmehr auch die im (Mit-)Besitz oder (Mit-)Gewahrsam eines Soldaten befindlichen dienstlichen Gegenstände einschließlich elektronischer Datenträger oder EDV-Anlagen (vgl. 2 WDB 12.21 - juris Rn. 54 m. w. N.).

41(5) Die Anordnung der Durchsuchung war auch verhältnismäßig. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Durchsuchung auch im Einzelfall mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung der potenziellen Beweismittel für das Disziplinarverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. , 2 BvR 886/19 - NJW 2020, 384 Rn. 25 m. w. N.).

42Diesen Vorgaben wird der Durchsuchungsbeschluss gerecht. An der Eignung zum Auffinden von Beweismitteln für das vorgeworfene Dienstvergehen bestehen keine Zweifel. Die Durchsuchungsanordnung war auch erforderlich, um an die auf den Datenträgern des Soldaten gespeicherten Daten als primäre Beweismittel zu gelangen und ein möglichst vollständiges Bild über seine WhatsApp-Kommunikation und Gesinnung gewinnen zu können.

43Schließlich war die Anordnung der Durchsuchung angesichts der Schwere des im Raum stehenden Vorwurfs und der Stärke des Tatverdachts angemessen. Denn die politische Treuepflicht ist eine Kernpflicht des Soldaten, deren Verletzung stets schwer wiegt (vgl. 2 WD 10.21 - juris Rn. 19 m. w. N.). Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei objektiv verfassungsfeindlichen Verhaltensweisen und Kundgabeformen, die Ausdruck einer tatsächlich verfassungsfeindlichen Gesinnung sind, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die Höchstmaßnahme (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44). Bei Verhaltensweisen, die nicht von einer verfassungsfeindlichen Gesinnung getragen wurden, aber den irrigen Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichem Gedankengut vermitteln, ist die Dienstgradherabsetzung zum Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen zu machen (vgl. 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 46 und vom - 2 WD 7.20 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89 Rn. 35).

444. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 3 WDO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2022:020922B2WDB6.22.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 45
IAAAJ-24575