Restschadensersatz in einem sog. Dieselfall: Vorteilsausgleichung im Falle des Weiterverkaufs des betroffenen Kraftfahrzeugs durch den Geschädigten
Leitsatz
Zur Vorteilsausgleichung bei der Gewähr von Restschadensersatz im Falle des Weiterverkaufs eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Kraftfahrzeugs durch den Geschädigten.
Gesetze: § 31 BGB, § 249 BGB, § 826 BGB, § 852 S 1 BGB, § 287 ZPO, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV
Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 15 U 219/21vorgehend Az: 8 O 2355/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte als Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Neuwagen in Anspruch.
2Er erwarb im März 2014 für 28.368,40 € von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Passat. Das Fahrzeug ist mit einem 2,0 l-Motor des Typs EA 189 ausgestattet. Der Motor enthielt eine Software, die auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselte (Umschaltlogik). Die Software wurde im Herbst 2015 öffentlich bekannt und vom Kraftfahrt-Bundesamt als unzulässige Abschalteinrichtung beanstandet. Im Juli 2021 verkaufte der Kläger das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 158.701 km für 6.500 €.
3Mit seiner im Januar 2021 erhobenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger in der Hauptsache seinen Berufungsantrag auf Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Restschadensersatz in Höhe von 6.861,42 € nebst Zinsen weiter. Außerdem beansprucht er gemäß seinen Berufungsanträgen die Gewähr weiterer Zinsen aus 6.500 € bis zum und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen.
Gründe
4Die uneingeschränkt statthafte (vgl. , NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 10; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 16 f., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ) Revision hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:
6Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 852 BGB seien nicht erfüllt, weshalb nicht zu entscheiden sei, ob die Vorschrift ihrem Normzweck nach überhaupt anzuwenden sei. Es fehle an einer Bereicherung der Beklagten auf Kosten des Klägers. Eine unmittelbare Vermögensverschiebung im Verhältnis der Parteien lasse sich nicht feststellen, da der Kläger das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Händler gekauft habe. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung habe der Vermögensverlust des Geschädigten keinen Vermögenszuwachs der Beklagten zur Folge gehabt. Deren Vermögenszuwachs sei bereits und allein dadurch eingetreten, dass sich der (Zwischen-)Händler gegenüber der Beklagten zur Zahlung verpflichtet habe. Nicht zu folgen sei der Ansicht, ein wirtschaftlicher Zusammenhang entfalle nur, wenn der Zwischenhändler das Fahrzeug unabhängig von einer konkreten Bestellung nicht als Neu-, sondern als Gebrauchtwagen erworben habe.
II.
7Diese Erwägungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme, nach der vom Kläger nicht in Frage gestellten Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB seien sämtliche Berufungsanträge unbegründet ( VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 24 ff. mwN).
8Durchgreifenden Bedenken unterliegt das Berufungsurteil, soweit es das Tatbestandsmerkmal "auf Kosten des Verletzten ... erlangt" in § 852 Satz 1 BGB verneint. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, muss die unerlaubte Handlung zu einem Vermögensnachteil des Geschädigten und zu einem Vermögensvorteil des Ersatzpflichtigen geführt haben, wobei sich die Vermögensverschiebung nicht unmittelbar zwischen dem Ersatzpflichtigen und dem Geschädigten vollzogen haben muss (vgl. , NJW 2022, 1311 Rn. 27; Urteil vom - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 68; jeweils mwN). Liegt dem Neuwagenkauf eines nach § 826 BGB durch den Fahrzeughersteller Geschädigten bei einem Händler die Bestellung des bereitzustellenden Fahrzeugs durch den Händler bei dem Hersteller zugrunde und schließen der Hersteller und der Händler einen Kaufvertrag über das Fahrzeug, aufgrund dessen der Hersteller gegen den Händler einen Anspruch auf Zahlung des Händlereinkaufspreises erlangt, ist dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB gegeben, weil der schadensauslösende Vertragsschluss zwischen dem Geschädigten und dem Händler einerseits und der Erwerb des Anspruchs auf Zahlung des Händlereinkaufspreises bzw. der Erwerb des Händlereinkaufspreises durch den Hersteller andererseits auf derselben, wenn auch mittelbaren Vermögensverschiebung beruhen ( VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 275/21, WM 2022, 745 Rn. 27). Hat der Händler das Fahrzeug hingegen unabhängig von einer Bestellung des Geschädigten vor dem Weiterverkauf auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben, fehlt es an dem für §§ 826, 852 Satz 1 BGB erforderlichen Zurechnungszusammenhang ( aaO, Rn. 28).
9Ausdrücklich festgestellt ist im Streitfall lediglich, dass kein Direktverkauf der Beklagten an den Kläger vorliegt. Maßgeblich ist aber auch, ob die Beklagte aufgrund des Neuwagenkaufs des Klägers einen Kaufpreisanspruch gegen den Händler erlangt hat oder ob der Händler das verkaufte Fahrzeug schon vor der Bestellung des Klägers auf eigene Kosten und eigenes (Absatz-)Risiko erworben hatte. Die Revisionserwiderung weist zu Recht darauf hin, dass sich eindeutige Feststellungen hierzu auch nicht aus den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Anlagen ergeben.
III.
10Danach ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11Das Berufungsgericht wird mit den Parteien zu erörtern haben, dass der bisher vom Kläger gehaltene Vortrag sein zuletzt in der Hauptsache in Höhe von 6.861,42 € gestelltes Zahlungsbegehren schlüssig nicht ergibt, sofern das Vorbringen so zu verstehen ist, die Beklagte habe gegen den Händler aus dem zwischen dem Händler und der Beklagten über das Fahrzeug geschlossenen Kaufvertrag lediglich eine Forderung in Höhe von 20.263,14 € erlangt. In diesem Fall bestünde ein Anspruch aus §§ 826, 852 Satz 1 BGB nach Anrechnung des vom Kläger in Höhe von 15.006,98 € zugestandenen Nutzungswerts und des aus dem Weiterverkauf des Fahrzeugs erwirtschafteten Erlöses in Höhe von 6.500 € nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung nicht mehr (vgl. VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 16).
12Sollte der Kläger in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung darlegen, die Beklagte habe tatsächlich aus dem Kaufvertrag mit dem Händler mehr erlangt als bisher behauptet, wird das Berufungsgericht zu beachten haben, dass nach Weiterverkauf des Fahrzeugs während des laufenden Rechtsstreits an die Stelle des nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung herauszugebenden und zu übereignenden Fahrzeugs der Marktwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Weiterverkaufs tritt, den das Berufungsgericht gemäß den Grundsätzen des § 287 ZPO ausgehend von dem vom Kläger tatsächlich erzielten Kaufpreis zu ermitteln haben wird (vgl. , NJW 2021, 3594 Rn. 18 ff.; Urteil vom - VI ZR 575/20, ZIP 2021, 1922 Rn. 30).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:190922UVIAZR281.22.0
Fundstelle(n):
BB 2022 S. 2447 Nr. 43
NJW-RR 2023 S. 32 Nr. 1
NJW-RR 2023 S. 32 Nr. 1
WM 2022 S. 2150 Nr. 44
ZIP 2022 S. 2235 Nr. 44
IAAAJ-24092