Gesetze: § 1 GewSchG, § 4 GewSchG, § 52 StGB, § 53 StGB, § 177 StGB, § 238 StGB, § 890 ZPO
Instanzenzug: LG Bad Kreuznach Az: 2 KLs 1023 Js 11947/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz sowie Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz in 28 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erging gegen den Angeklagten im Wege der einstweiligen Anordnung eine familiengerichtliche Gewaltschutzverfügung. Zu den in den Urteilsgründen im Einzelnen dargelegten, dem Angeklagten zugestellten Anordnungen zählte unter anderem, dass er es unterlässt, die Wohnung der Nebenklägerin ohne ihre vorherige Zustimmung zu betreten oder sie anzurufen. Gleichwohl rief der Angeklagte am zwischen 00:20 Uhr und 15:35 Uhr insgesamt 28 Mal bei ihr an, ohne dass sie das Gespräch entgegennahm. In mehreren Fällen hinterließ er eine Nachricht auf dem Telefonspeicher. Am Mittag desselben Tages drang er über eine Terrassentür in die Wohnung der schlafenden Nebenklägerin ein. Als diese aufstehen wollte, hielt er sie fest, drückte sie auf das Bett, führte trotz ihrer Gegenwehr zwei Finger in ihre Vagina ein und vollzog schließlich ungeschützten Geschlechtsverkehr.
32. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Näherer Ausführungen bedarf allein, dass die von der Strafkammer vorgenommene konkurrenzrechtliche Bewertung der abgeurteilten Straftaten entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht zu beanstanden ist. Die verschiedenen Kontaktaufnahmen sind weder aufgrund einer natürlichen Handlungseinheit noch infolge einer Verklammerung durch ein fortdauerndes Delikt der Nachstellung tateinheitlich verwirklicht.
4a) Eine Tateinheit der in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang stehenden Anrufe im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB ist den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht zu entnehmen.
5Unter den hier gegebenen Umständen ist eine Zusammenfassung einzelner Zuwiderhandlungen gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG als eine natürliche Handlungseinheit zu erwägen. Diese liegt vor, wenn zwischen mehreren menschlichen, strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (st. Rspr.; s. , BGHSt 63, 1 Rn. 17 mwN).
6Eine derartige Verbindung zwischen den punktuellen, sich über einen Zeitraum von über 15 Stunden erstreckenden Kommunikationsbemühungen ergibt sich nicht (vgl. auch OLG Braunschweig, Beschluss vom - 1 Ss 41/17, juris Rn. 7; BeckOGK/Schulte-Bunert, GewSchG, Stand: , § 4 Rn. 9). Dass einzelne Kontaktversuche eine größere zeitliche Nähe zueinander aufweisen als andere - etwa bei elf Bemühungen innerhalb von 31 Minuten -, rechtfertigt es hier nicht, diese als eine Einheit anzusehen. Ein über die zeitliche Komponente hinausgehender Bezug, der einzelne Anrufe enger verbindet als andere, ist nicht ersichtlich. Da die Telefonate nicht ohne jegliche Zäsur aufeinander folgten, fehlt im Übrigen ein sachgerechter Maßstab für eine Abgrenzung, ab wann sich mehrere von ihnen als Einheit darstellen und ab welchem Abstand nicht mehr. Eine willkürliche Zusammenfassung ohne ausreichende sachliche Anhaltspunkte ist nicht geboten (vgl. in anderem Zusammenhang , NStZ 2022, 302 Rn. 8).
7b) Die einzelnen Zuwiderhandlungen gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG werden zudem nicht durch eine anderweitige Strafbarkeit verklammert. Zwar kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt und mit anderen Straftaten tateinheitlich zusammentrifft, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit stehen, solche Taten dann zur Tateinheit verbinden, wenn es nicht von minderschwerem Gewicht ist (s. etwa , BGHR StGB § 52 Abs. 1 Klammerwirkung 12 Rn. 5 mwN). Als solches Delikt ist eine Nachstellung gemäß § 238 StGB in Erwägung zu ziehen (vgl. , Justiz 2015, 281, 283; OLG Braunschweig, Beschluss vom - 1 Ss 41/17, juris Rn. 7). Allerdings ist eine Verwirklichung des Straftatbestandes der Nachstellung den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
8Nach dem zur Tatzeit geltenden § 238 Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen vom (BGBl. I S. 386) setzt die Strafbarkeit unter anderem ein beharrliches Handeln des Täters voraus. Das Tatbestandsmerkmal der Beharrlichkeit beinhaltet objektive Momente und subjektive Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 20; vom - 4 StR 543/20, NStZ-RR 2021, 138, 139 mwN). Daneben ist die Eignung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers erforderlich (s. , NStZ-RR 2021, 138, 139; BT-Drucks. 18/9946 S. 13; zur schwerwiegenden Beeinträchtigung auch BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 375/16, BGHSt 62, 49 Rn. 19; vom - 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189 Rn. 22). Derartige mögliche Auswirkungen der Anrufe auf die Lebensgestaltung der Nebenklägerin ergeben sich aus den Urteilsfeststellungen ebenso wenig wie die für die Beharrlichkeit erforderliche innere Tatseite.
9c) Vor dem dargelegten Hintergrund besteht kein Anlass, entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts den Straftatbestand der Nachstellung und weitere, vor dem begangene Zuwiderhandlungen gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG von der Verfolgung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO auszunehmen.
10d) Eine Entscheidung des Senats nach § 349 Abs. 2 StPO ist unabhängig davon möglich, dass der Generalbundesanwalt beantragt hat, den Schuldspruch zu ändern und die verhängte Gesamtstrafe als Einzelstrafe festzusetzen (vgl. , wistra 2020, 105 Rn. 11 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:230822B3STR247.22.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-22926